Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.11.2023 – 9 CS 23.1538
Titel:

Erfolgloser Eilantrag des benachbarten Denkmaleigentümers gegen altersgerechte Wohnung

Normenketten:
BauGB § 34, § 35
BayDSchG Art. 12 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 5
Leitsätze:
1. § 35 BauGB kommt nicht die Funktion einer allgemein nachbarschützenden Norm zu und vermittelt dem Nachbarn keinen Anspruch auf eine objektiv-rechtliche Kontrolle der angefochtenen Baugenehmigung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Den fachlichen Einschätzungen des Landesamts für Denkmalpflege kommt bei der Rechtsanwendung jedenfalls ein besonderes tatsächliches Gewicht zu. Um bereits vorliegende Stellungnahmen inhaltlich zu erschüttern, bedarf es eines substantiierten Vorbringens, weshalb sich die fachkundige amtliche Aussage als ungenügend darstellt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schutzwürdiges Interesse eines Denkmaleigentümers, Abwehr von Beeinträchtigungen eines Denkmals (verneint), Gebot der Rücksichtnahme, Außenbereich, Landesamt für Denkmalpflege, fachkundige amtliche Aussage
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 15.08.2023 – B 2 S 23.488
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35977

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer altersgerechten Wohnung.
2
Der Antragsteller und der Beigeladene sind Eigentümer von benachbarten Baudenkmälern … … … … … … … … … … Mit Bescheid vom 6. Oktober 2022 wurde dem Beigeladenen die Baugenehmigung für die Errichtung einer altersgerechten Wohnung auf dem Vorhabengrundstück (* … …*) im Innenhof des aus Burg und Schlossanlagen bestehenden Ensembles erteilt. Dagegen hat der Antragsteller am 2. November 2022 Klage erhoben und am 21. Juni 2023 Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 15. August 2023 mit der Begründung abgelehnt, das im planungsrechtlichen Innenbereich gelegene Vorhaben füge sich nach seiner Art in die Umgebungsbebauung ein, erweise sich in Wahrung der Abstandsflächen nicht als rücksichtslos und eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmals des Antragstellers liege nicht vor.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Der Antragsteller rügt, das Vorhaben sei planungsrechtlich als Außenbereichsvorhaben unzulässig, sein Anwesen werde durch das Vorhaben in einer rücksichtslosen Weise eingemauert oder erdrückt und als Baudenkmal erheblich beeinträchtigt.
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Der Antragsteller beantragt,
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unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. August 2023 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die erteilte Baugenehmigung vom 6. Oktober 2022 anzuordnen,
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und den Antragsgegner zu verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen zur vorläufigen Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen … zu ergreifen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Das Vorbringen des Antragstellers genüge nicht den Darlegungsanforderungen. Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen zur vorläufigen Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen zu ergreifen, sei unzulässig, da nicht erkennbar sei, dass der Beigeladene einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht nicht Folge leisten würde. Das Landratsamt habe vor Erlass der streitgegenständlichen Baugenehmigung die Untere Denkmalschutzbehörde beteiligt und diese habe in Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege dem Vorhaben zugestimmt. Dem Denkmalschutzgesetz sei kein allgemeiner Drittschutz zugunsten eines Denkmaleigentümers zu entnehmen. Auch § 35 BauGB komme nicht die Funktion einer allgemein nachbarschützenden Norm zu. Streitgegenstand sei die Genehmigung der Errichtung einer altersgerechten Wohnung, nicht eines Hotelbetriebs oder einer Nutzung als Ferienwohnung.
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Der Beigeladene beantragt,
12
die Beschwerde zurückzuweisen.
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Das Vorhaben solle auf der Bodenplatte der ehemaligen „Burggaststätte …“ verwirklicht werden, die in den 50er Jahren errichtet und vom Beigeladenen im Jahr 2017 abgerissen worden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb durch das Vorhaben dem Antragsteller Sonne, Licht und Luft genommen und die Denkmalwürdigkeit seiner Anlage beeinträchtigt werden solle, obwohl das Bauvorhaben des Beigeladenen wesentlich kleiner und niedriger ausfalle als der ehemals dort befindliche gastronomische Betrieb. Das Schloss des Antragstellers liege wesentlich höher als der Innenhof des Beigeladenen, an der Fassade des Hauses des Antragstellers zum Grundstück des Beigeladenen hin befänden sich Fenster erst in einer Höhe von über 10 m.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
15
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Recht abgelehnt, da die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und keine auch dem Schutz des Antragstellers dienenden Rechte verletzt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung teilt der Senat dessen Auffassung, dass das bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilende Vorhaben sich nach seiner Art in die Umgebungsbebauung einfügt und weder eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots noch eine erhebliche Beeinträchtigung des Baudenkmals des Antragstellers bewirkt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, das den erstinstanzlichen Vortrag im Wesentlichen wiederholt, folgendes zu bemerken:
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1. Der Vortrag, das Vorhaben liege im Außenbereich und sei unzulässig, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung dargelegt, das Vorhaben befinde sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gemäß § 34 BauGB. Selbst wenn das Vorhaben aber – der Ansicht des Klägers folgend – als Außenbereichsvorhaben zu beurteilen wäre, kommt § 35 BauGB nicht die Funktion einer allgemein nachbarschützenden Norm zu und vermittelt dem Nachbarn keinen Anspruch auf eine objektiv-rechtliche Kontrolle der angefochtenen Baugenehmigung (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris; U.v. 3.4.1995 – 4 B 47.95 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 21.10.2019 – 9 ZB 17.1335 – juris Rn. 10). Der Drittschutz des Antragstellers würde sich auch insoweit am Maßstab einer Verletzung des in § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB zum Ausdruck kommenden Gebots der Rücksichtnahme beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 9 CS 16.2477 – juris Rn. 14). Soweit der Antragsteller außerdem rügt, die angestrebte Art der baulichen Nutzung als Hotelbetrieb füge sich nicht in die Eigenart der als Außenbereich zu qualifizierenden näheren Umgebung ein, blendet er zudem aus, dass Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung kein Hotelbetrieb, sondern die Errichtung einer altersgerechten Wohnung ist.
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2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zu Recht verneint. Dessen Vortrag, sein Anwesen werde durch das streitgegenständliche Vorhaben in einer rücksichtslosen Weise eingemauert oder erdrückt und ihm sei eine Bebauung des sonnigen Innenhofs nicht zuzumuten, setzt sich nicht mit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass der – vorliegend gegebenen – Einhaltung der Abstandsflächen eine Indizwirkung dergestalt zukommt, dass bei Einhaltung der Abstandsflächen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots in aller Regel ausscheidet. Eine erdrückende Wirkung des streitgegenständlichen Vorhabens ist auch nicht aus den vorgelegten Lichtbildern, aus denen sich eine erhöhte Lage des Schlosses des Antragstellers und der zum Vorhaben gerichteten Fenster ergibt, ersichtlich.
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3. Schließlich verhilft auch das Vorbringen, das genehmigte Vorhaben beeinträchtige die Denkmalwürdigkeit des gesamten Ensembles einschließlich des Anwesens des Antragstellers erheblich, der Beschwerde nicht zum Erfolg.
19
Abgesehen davon, dass das Bayerische Denkmalschutzgesetz nur ein Mindestmaß an Drittschutz zugunsten eines Denkmaleigentümers vermittelt (vgl. zu dessen Grenzen: BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 CS 17.195 – juris Rn. 19 m.w.N.), ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmals des Antragstellers hier nicht ersichtlich. Das Landesamt für Denkmalpflege hat zu dem streitgegenständlichen Vorhaben dahingehend Stellung genommen, dass sich das kleine Gebäude als Nebengebäude mit seiner Kubatur und seinen architektonischen Formen ohne nennenswerte Beeinträchtigung für das Baudenkmal in den Hofraum einfüge. Diese fachliche Einschätzung wird durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
20
Das Landesamt für Denkmalpflege (Landesamt) ist die zur fachlichen Einschätzung des Denkmalwerts eines Baudenkmals und seiner Beeinträchtigung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 DSchG berufene Fachbehörde. Auch wenn die Baugenehmigungsbehörden und die Gerichte rechtlich nicht an die fachliche Beurteilung des Landesamtes gebunden sind, sondern vielmehr deren Aussage- und Überzeugungskraft nachvollziehend zu überprüfen und sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens eine eigene Überzeugung zu bilden haben, kommt den fachlichen Einschätzungen der Fachbehörde – ähnlich einem fachkundig erstellten Sachverständigengutachten – auch aufgrund der gesetzlichen Wertung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 BayDSchG bei der Rechtsanwendung jedenfalls ein besonderes tatsächliches Gewicht zu (BayVGH, U.v. 26.10.2021 – 15 B 19.2130 – juris Rn. 34; U.v. 18.7.2013 – 22 B 12.1741 – BayVBl 2014, 23 = juris Rn. 27; U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – BayVBl 2014, 502 = juris Rn. 33). Um bereits vorliegende fachkundige Stellungnahmen inhaltlich zu erschüttern, bedarf es eines substantiierten Vorbringens, weshalb sich die fachkundige amtliche Aussage im Sinne von § 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO als ungenügend darstellt. Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn die fachkundige Äußerung von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.2022 – 7 B 15.21 – juris Rn. 26).
21
Indem der Antragsteller geltend macht, durch das beabsichtigte Bauvorhaben, komme es zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des „überliefernden Erscheinungsbilds und der künstlerischen Wirkung des Baudenkmals“ und die Zerstörung des Ensembles bzw. der zusammengehörigen Sichtachsen sei von der Fachbehörde falsch gewürdigt worden, stellt er der fachlichen Stellungnahme des Landesamtes lediglich seine abweichende Auffassung gegenüber. Auch angebliche Beeinträchtigungen der historischen Gänge des Schlosses zur Burg durch das Vorhaben werden von ihm ohne nähere Substantiierung lediglich behauptet. Dies vermag die fachkundige Einschätzung, wonach keine nennenswerte Beeinträchtigung des Baudenkmals durch das Vorhaben vorliegt, nicht in Frage zu stellen. Eine tatsächlich drohende Zerstörung unterirdischer Gänge erscheint auch insofern nicht plausibel, als das genehmigte Vorhaben nicht unterkellert ist und unter Erhalt der Bodenplatte des vormals an dieser Stelle befindlichen, größeren Gebäudes („… …“) errichtet werden soll.
22
Mit der Zurückweisung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über die beantragte Verpflichtung zur vorläufigen Baueinstellung. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die dem Beigeladenen im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären, weil er einen Beitrag im Verfahren geleistet hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die im Beschwerdeverfahren keine Einwände erhoben worden sind.
23
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).