Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.11.2023 – 7 ZB 23.819
Titel:

Neubewertung in der Ersten Juristischen Staatsprüfung  

Normenkette:
JAPO § 30 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Das Gericht muss der klägerischen Behauptung, seine als falsch bewertete Lösung sei in Wahrheit richtig oder zumindest vertretbar, nur nachgehen, wenn diese Behauptung hinreichend substantiiert ist. Dies erfordert, dass der Kläger mit konkreten Hinweisen plausibel darlegt, die fachwissenschaftliche Beurteilung des Prüfers erscheine einem Fachkundigen als unhaltbar, oder in gleicher Weise erläutert, dass von ihm eine vertretbare, mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung erbracht worden sei. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erste Juristische, Staatsprüfung, Bewertungsrügen, Erste Juristische Staatsprüfung, Prüfungsarbeiten, Prüfungsbewertungen, Neubewertungen, Bewertungsspielraum, beschränkt überprüfbar, substantiierte Darlegung, Vertretbarkeit, konkrete Hinweise
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 22.03.2023 – W 2 K 21.1356
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35974

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger nahm im Termin 2020/2 an der Ersten Juristischen Staatsprüfung teil (Zweitversuch). Mit Bescheid vom 4. Januar 2021 teilte ihm das Bayerische Staatsministerium der Justiz – Landesjustizprüfungsamt – mit, er habe in der schriftlichen Prüfung lediglich einen Gesamtdurchschnitt von 3,58 Punkten (mangelhaft), damit nicht den erforderlichen Gesamtdurchschnitt von mindestens 3,80 Punkten erreicht und daher die Prüfung nicht bestanden. Die einzelnen Aufgaben wurden wie folgt bewertet:
2

Aufgabe

1

2

3

4

5

6

Punktzahl

1,5

3,0

6,0

4,0

4,0

3,0

3
Der Kläger wandte sich im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens gegen den Prüfungsbescheid und beantragte, den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts sämtliche Aufgaben neu zu bewerten.
4
Mit Urteil vom 22. März 2023 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig, die behaupteten Bewertungsfehler lägen nicht vor. Der Kläger habe damit keinen Anspruch auf Neubewertung.
5
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
6
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
7
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
8
Der gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
9
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 64 m.w.N.).
10
Durch das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren wird die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt und es werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften.
11
1. Die Berufung ist vorliegend bereits deshalb nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 vorgelegte Berufungszulassungsbegründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht. Statt sich inhaltlich vertieft mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen und diese argumentativ zu widerlegen, beschränkt sich das Zulassungsvorbringen im Wesentlichen auf eine – teilweise wörtliche – Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens. Zudem stellt der Kläger schlicht seine Rechtsauffassung an Stelle der des Verwaltungsgerichts. Konkrete und substantiierte Einwendungen gegen bestimmte Bewertungen des Verwaltungsgerichts enthalten die klägerischen Ausführungen nicht. Damit bleiben die Einwände gegen die Bewertung der klägerischen Bearbeitungen der Aufgaben Nr. 3, 4 und 5 bereits deshalb ohne Erfolg, weil es an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung fehlt. Soweit der Kläger die Prüfungsbewertung von Aufgabe Nr. 3 als willkürlich rügt, bleibt er hierfür jede argumentative Begründung schuldig. Mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts setzt er sich nicht auseinander.
12
2. Das Vorbringen, bestimmte Ausführungen des Klägers bei den Bearbeitungen der Aufgaben Nr. 1, 2, 4 und 5 seien „fachwissenschaftlich vertretbar“, erfüllt ebenfalls nicht im Ansatz die Anforderungen, die an fachliche Bewertungsrügen zu stellen sind.
13
a) Prüfungsbewertungen sind wegen des den Prüfern zustehenden Bewertungsspielraums gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (seit BVerwG, U.v. 24.4.1959 – VII C 104.58 – juris Rn. 18; BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u.a. – juris Rn. 55). Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt die Frage, ob die Prüfer anzuwendendes Recht verkannt haben, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, allgemeingültige Bewertungsgrundsätze verletzt haben oder ob sie sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Prüfer ihre Bewertung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt haben, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob sie bei ihrer Bewertung den Zweck, dem die Prüfung dient, verkannt haben und ob ferner die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und den Anforderungen rationaler Abwägung nicht widerspricht. Prüfungsspezifische Wertungen bleiben dabei aber der Letztentscheidungskompetenz der Prüfer überlassen (vgl. zum Ganzen, BVerwG, B.v. 5.3.2018 – 6 B 71.17 u.a. – BayVBl. 2019, 463 Rn. 8 ff.; BayVGH, B.v. 21.7.2021 – 7 ZB 20.922 – juris Rn. 18; B.v. – 7 ZB 08.996 – juris Rn. 21).
14
Ein Prüfling, der vor Gericht die Bewertung seiner Leistung beanstandet, muss konkrete und substantiierte Einwendungen gegen bestimmte Bewertungen vorbringen. Das Gericht muss der klägerischen Behauptung, seine als falsch bewertete Lösung sei in Wahrheit richtig oder zumindest vertretbar, nur nachgehen, wenn diese Behauptung hinreichend substantiiert ist. Dies erfordert, dass der Kläger mit konkreten Hinweisen plausibel darlegt, die fachwissenschaftliche Beurteilung des Prüfers erscheine einem Fachkundigen als unhaltbar, oder in gleicher Weise erläutert, dass von ihm eine vertretbare, mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung erbracht worden sei. Dabei hat er den Gegensatz zwischen seinem Standpunkt und dem des Prüfers in qualifizierter Weise aufzuzeigen. Die fachwissenschaftliche Richtigkeit oder Vertretbarkeit einer Lösung muss mit Hilfe objektiver Kriterien einsichtig gemacht werden. Dies erreicht der Prüfling in erster Linie durch Bezugnahme auf qualifizierte fachwissenschaftliche Äußerungen im Schrifttum (vgl. Fischer in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 855 f.).
15
b) Im Hinblick auf die Aufgaben Nr. 1, 2, 4 und 5 behauptet der Kläger die fachwissenschaftliche Vertretbarkeit seiner jeweiligen Falllösung, ohne hierfür Argumente und fachliche Nachweise anzuführen. Um fachliche Wertungen des Prüfers substantiiert in Frage zu stellen, reicht die Wiederholung des eigenen Standpunkts jedoch nicht aus.
16
3. Darüber hinaus liegen auch im Übrigen keine ernstlichen Richtigkeitszweifel vor.
17
a) Der Kläger wendet sich gegen die Korrektur von Aufgabe Nr. 1 und bringt vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe er die Frage der Fälligkeit „im Rahmen der Bearbeitung angesprochen“. Es sei auch eine rechtliche Einordnung erfolgt und es fänden sich Ausführungen zur Fälligkeit in der Subsumtion zum Vorliegen des Schuldnerverzugs auf Seite 6 der Bearbeitung. Diese Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Erstkorrektor bemängelt zu Recht fehlende Ausführungen zur Fälligkeit im Rahmen der Anspruchsprüfung aus (abgetretenem) Darlehensvertrag. Die klägerische Falllösung lässt eine Prüfung der Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs aus einem Darlehensvertrag vollständig vermissen. Die vom Kläger später angesprochene Frage, ob der Darlehensnehmer mit der Rückzahlung in Verzug geraten war, ist entgegen dem klägerischen Vorbringen hiervon zu unterscheiden. Ferner hat der Kläger auch im Rahmen der Prüfung der Verzugsvoraussetzungen auf Seite 6 der Klausurbearbeitung – für die es ebenfalls auf Fälligkeit ankommt – lediglich den Sachverhalt referiert, ohne dezidiert zu prüfen, ob tatsächlich Fälligkeit vorlag.
18
Mit seinem Einwand, die Kritik des Erstkorrektors, die Ausführungen zur Gattungs- bzw. Stückschuld lägen „neben der Sache“, sei bewertungsfehlerhaft, diese seien vielmehr „fachwissenschaftlich vertretbar“, dringt der Kläger ebenfalls nicht durch. Im zu prüfenden Fall haben die Vertragsparteien einen Kaufvertrag über das Tablet des V geschlossen, den Leistungsgegenstand daher von vornherein individuell bestimmt. Sie haben sich also schon bei Vertragsschluss darauf geeinigt, dass nur ein ganz bestimmter Gegenstand von V geleistet werden soll (vgl. Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 243 Rn. 9). Der vom Kläger vorliegend gleichwohl behauptete Bedeutungsgehalt seiner Prüfung „Gattungs- oder Stückschuld“ ist nicht erkennbar. Der Kläger bleibt für seine Behauptung jeden Nachweis schuldig.
19
b) Gegen die Bewertung von Aufgabe Nr. 2 wird vorgebracht, der Erstkorrektor habe die fachwissenschaftliche Vertretbarkeit der klägerischen Ausführungen hinsichtlich der in Frage 2 geprüften Übereignung bezüglich dessen Bezugnahme auf den Kaufvertrag negiert. Dies habe das Verwaltungsgericht verkannt. Auch mit diesem Einwand vermag der Kläger nicht durchzudringen. Gegenstand von Frage 2 der Aufgabe Nr. 2 war, wer Eigentümer des Beckmann-Bildes ist. Zu prüfen wäre gemäß des der Erstkorrektur vorangestellten Lösungsschemas, ob eine Übereignung nach § 929 Abs. 1 BGB stattgefunden hat. Ohne diese Norm überhaupt zu nennen oder zumindest kenntlich zu machen, dass ihm die erforderliche Trennung von schuldrechtlichen und dinglichen Rechtsgeschäften geläufig ist, setzt sich der Kläger auf Seite 10 seiner Falllösung zur Beantwortung der Frage, wer Eigentümer ist, zunächst mit § 433 BGB und § 449 Abs. 1 BGB, also schuldrechtlichen Normen auseinander. Dass dies als nicht vertretbar gewertet wurde, ist nicht zu beanstanden. Warum, wie der Kläger meint, „gut erkennbar ist, warum der Kläger in der sachenrechtlichen Prüfung auf den Kaufvertrag Bezug nimmt“, wird nicht ausgeführt und ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Dass die Prüfer die Nichtnennung von § 929 BGB im Rahmen der Prüfung möglicher Übereignungen als erheblichen Mangel gewertet haben, ist von ihrem prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum gedeckt und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Spielraum überschritten wäre, hat der Kläger weder aufgezeigt noch sind solche erkennbar.
20
c) Der Kläger meint, die Bewertung von Aufgabe Nr. 6 sei fehlerhaft erfolgt, da zu Unrecht bemängelt worden sei, dass er weder den Begriff des Außenbereichs definiert noch eine Abgrenzung zu anderen Gebietsarten vorgenommen habe. Wie der Kläger, der nach dem Bearbeitungsvermerk dazu aufgerufen war, ein Gutachten zu erstellen, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, zur Auffassung gelangen kann, es sei aufgrund von Sachverhaltsangaben „abwegig von dem Prüfling zu verlangen, in seinem Gutachten eine Definition oder inhaltliche Abgrenzung vorzunehmen“, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass der Sachverhalt keine rechtlich verbindliche Angabe zur Belegenheit des in Aufgabe Nr. 6 streitgegenständlichen Grundstücks enthalte, ist nichts zu erinnern. Die klägerseits insoweit angeführten „Hinweise“ im Sachverhalt hätten im Rahmen der gutachtlichen Bearbeitung verwertet werden müssen. Das Verwaltungsgericht hat zudem zutreffender Weise darauf hingewiesen, dass die von den Prüfern mit Blick auf die Lage des Grundstücks erwartete Definition, Abgrenzung und Subsumtion innerhalb des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums liege und Anhaltspunkte für eine Überschreitung nicht erkennbar seien.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V.m. Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Eyermann, VwGO).
22
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).