Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.11.2023 – 2 NE 23.1881
Titel:

Erfolgloses Eilverfahren gegen Änderung eines Bebauungsplans wegen fehlender Antragsbefugnis

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 6, § 152 Abs. 1
BauNVO § 8 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4
Leitsätze:
1. Bei Planbetroffenen außerhalb des eigentlichen Plangebiets liegt eine die Befugnis zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens begründende Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann vor, wenn ein Antragsteller negativ, d. h. verletzend, in einem Interesse betroffen wird oder in absehbarer Zeit betroffen werden kann, das bei der Entscheidung über den Erlass oder den Inhalt dieser Rechtsvorschrift als privates Interesse des Antragstellers im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB berücksichtigt werden musste. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einhaltung der Abstandsflächen hat eine Indizwirkung dafür, dass keine einmauernde oder abriegelnde Wirkung – an die in einem Gewerbegebiet im Verhältnis zu einem Wohngebiet ohnehin höhere Anforderungen zu stellen wären – eintritt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässiger Normenkontrollantrag wegen fehlender Antragsbefugnis, Eilrechtsschutz, Normenkontrollverfahren, Antragsbefugnis, subjektive Rechte, Bebauungsplan, eingeschränktes Gewerbegebiet, Betriebseinschränkungen, Baugrenzen, Abstandsflächen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35960

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen jeweils zur Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerinnen begehren die vorläufige Außervollzugsetzung der 2. Änderung des Bebauungsplans „...“, die von der Antragsgegnerin am 20. Mai 2021 als Satzung bekannt gemacht worden ist.
2
Die Antragstellerin zu 1 ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung U. …, das westlich an das von der streitgegenständlichen Änderung ausschließlich betroffene Grundstück der Beigeladenen (FlNr. … Gemarkung U. ….) angrenzt. Der Bebauungsplan ... in der Fassung der 1. Änderung setzt für beide Grundstücke jeweils ein eingeschränktes Gewerbegebiet fest. Unter anderem wurden für beide Grundstücke Baugrenzen festgesetzt, die nahezu mit den Grundstücksgrenzen übereinstimmen; zulässig waren bzw. sind in offener Bauweise Gebäude mit maximal zwei Vollgeschossen; die Geschoßflächenzahl betrug bzw. beträgt 1,2. Mit der streitgegenständlichen 2. Änderung werden für das Grundstück der Beigeladenen im Wesentlichen jetzt maximal fünf Vollgeschosse festgesetzt; außerdem wird bestimmt, dass Gebäude errichtet werden dürfen, die länger als 50 m sind.
3
Am 11. Mai 2022 erhoben die Antragstellerinnen Normenkontrollklage, über die noch nicht entschieden ist. Zur Begründung der Normenkontrollklage führen ihre Bevollmächtigten aus, die Antragstellerinnen seien antragsbefugt. Die Antragstellerin zu 1 sei Eigentümerin eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks. Da die Möglichkeit bestehe, dass eine entsprechende planerische Ausgestaltung rechtswidrig sei, komme eine Verletzung der Antragstellerin zu 1 in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG sowie eine Verletzung der drittschützenden Norm des § 1 Abs. 7 BauGB in Betracht. Durch die Änderung des Bebauungsplans und die heranrückenden Verwaltungsgebäude auf dem Nachbargrundstück drohten Einschränkungen im Betrieb der Antragstellerin zu 2, sodass sie in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie in der auch sie schützenden Vorschrift des § 1 Abs. 7 BauGB verletzt sei. Der Antrag sei auch begründet, da die öffentliche Auslegung der Planunterlagen in zeitlicher Hinsicht nur eine unzureichende Möglichkeit der Einsichtnahme geboten habe. Bei der Abwägung sei fehlerhaft gegen den Trennungsgrundsatz des § 50 Abs. 1 BImSchG verstoßen worden, da das von der Beigeladenen geplante und durch die streitgegenständliche 2. Änderung ermöglichte gewerbliche Gebäude auch Büro-, Sozial- und Schulungsräume enthalten solle, die dann dem vom Grundstück FlNr. … herrührenden gewerblichen Lärm ausgesetzt seien. Damit sei auch das Konfliktbewältigungsgebot verletzt. Dem Gewerbe auf dem Grundstück FlNr. … drohten Betriebseinschränkungen, sodass Belange der mittelständischen Struktur verletzt seien. Eine Lösung des zu erwartenden Parkraumverkehrs sei auf der Ebene der Bauleitplanung nicht erfolgt. Durch den Gewerbelärm seien gesunde Arbeitsverhältnisse beeinträchtigt. Das nunmehr zulässige Maß der baulichen Nutzung führe zu einer erdrückenden und abriegelnden Wirkung. Die von einem weiteren benachbarten Betrieb ausgehenden Geruchsbelästigungen seien nicht berücksichtigt worden. Es fehle an der städtebaulichen Erforderlichkeit, da die streitgegenständliche 2. Änderung ausschließlich auf den Wunsch der Beigeladenen zurückgehe.
4
Am 24. Oktober 2023 beantragten die Antragstellerinnen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO mit dem Inhalt,
5
die streitgegenständliche 2. Änderung des Bebauungsplans „...“ bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache vorläufig außer Vollzug zu setzen.
6
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
7
den Antrag abzulehnen.
8
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
9
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist bereits unzulässig.
10
1. Den Antragstellerninnen fehlt die Antragsbefugnis. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (ständige Rechtsprechung vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2020 – 2 NE 20.620 – juris; BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 CN 1.02 – juris Rn. 53). Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, kann die Antragsbefugnis verneint werden (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2022 – 2 NE 22.1132 – juris Rn. 12). Die streitgegenständliche 2. Änderung setzt keine Regelungen in Bezug auf das Grundstück, das den Antragstellerinnen gehört bzw. auf dem sie ihren Gewerbebetrieb haben, fest. Vor diesem Hintergrund liegen sie außerhalb des Plangebietes (Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 5. Aufl. 2015, Rn. 5149). Bei Planbetroffenen außerhalb des eigentlichen Plangebiets – zu denen auch an einem Grundstück nur obligatorisch Berechtigte gehören können – liegt eine die Befugnis zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens begründende Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann vor, wenn ein Antragsteller negativ, d. h. verletzend, in einem Interesse betroffen wird oder in absehbarer Zeit betroffen werden kann, das bei der Entscheidung über den Erlass oder den Inhalt dieser Rechtsvorschrift als privates Interesse des Antragstellers im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB berücksichtigt werden musste (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – juris Rn. 12; BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1.78, 4 N 2.79, 4 N 3.79, 4 N 4.79 – BVerwGE 59,87).
11
Danach ist hier nicht von der Antragsbefugnis der Antragstellerinnen auszugehen. Dies setzt voraus, dass die Antragstellerinnen hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Norm in ihren Rechten verletzt werden (ständige Rechtsprechung vgl. nur BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 CN 1.02 – juris Rn. 63). In diesem Zusammenhang muss auch eine gewisse Beeinträchtigungsintensität vorliegen (vgl. BVerwG, B.v. 19.2.1992 – 4 NB 11.91 – juris Rn. 13). Als eigene private Interessen, die im Rahmen der Abwägung hätten berücksichtigt werden müssen, werden hier zu erwartende Betriebsbeschränkungen sowie eine einmauernde und erdrückende Wirkung nunmehr möglicher Gebäude und zu erwartender Parkplatzsuchverkehr angeführt. Im Zusammenhang mit angeblich zu erwartenden Betriebsbeschränkungen des auf dem Grundstück der Antragstellerin zu 1 ausgeübten Gewerbes vermengen die Antragstellerinnen den konkreten Inhalt des nach Erlass der streitgegenständlichen 2. Änderung bereits gestellten Bauantrags der Beigeladenen mit dem Inhalt der Festsetzungen der Bebauungsplanänderung selbst. Dort erfolgt in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung keine Änderung der bisherigen Situation, vielmehr bleibt es bei beiden fraglichen Grundstücken bei einem eingeschränkten Gewerbegebiet. Zulässig sind danach alle in § 8 Abs. 2 Nrn. 1 – 4 BauNVO aufgeführten Nutzungen; ausnahmsweise zulässig sind die in § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BauNVO aufgeführten Nutzungen. Auch in Bezug auf die festgesetzten Emissionskontingente erfolgen keine Änderungen. Warum durch die Festsetzungen der streitgegenständlichen 2. Änderung Betriebsbeschränkungen für das Grundstück der Antragstellerinnen zu befürchten sein sollen, erschließt sich vor diesem Hintergrund unter keinem Gesichtspunkt. In den bisherigen Fassungen des Bebauungsplans ... werden ebenso wenig wie in der nunmehr streitgegenständlichen 2. Änderung desselben Festsetzungen zu Abstandsflächen getroffen, die von denjenigen, die die Bayerische Bauordnung normiert, abweichen (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO). Das bedeutet, dass die von der Bayerischen Bauordnung vorgesehenen Abstandsflächen eingehalten werden müssen, was im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist. Die Einhaltung der Abstandsflächen hat eine Indizwirkung dafür, dass keine einmauernde oder abriegelnde Wirkung – an die in einem Gewerbegebiet im Verhältnis zu einem Wohngebiet ohnehin höhere Anforderungen zu stellen wären – eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 10). Der Vortrag der Antragstellerinnen vermag diese Indizwirkung nicht zu erschüttern. Im Übrigen ist das Grundstück der Antragstellerinnen selbst mit einem ca. 100 m langen (abgegriffen) Gebäude bebaut, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt der Eintritt einer einmauernden oder abriegelnden Wirkung durch die Errichtung eines möglicherweise über 50 m langen grenznahen Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen kaum vorstellbar ist, zumal die beiden Grundstücke durch eine öffentliche Straße getrennt sind. Auch der Umstand, dass sich auf dem Dach des Gebäudes, das sich auf dem Grundstück der Antragstellerinnen befindet, eine Solaranlage angebracht ist, zwingt zu keiner anderen Wertung. Bei der Nutzung einer solchen Anlage muss stets mit dem Eintritt von Verschattungen, die durch nachträglich errichtete Gebäude, die die gesetzlichen Abstandsflächen einhalten, gerechnet werden. Nach Nr. 4.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ... in der Fassung der 1. Änderung, die durch die streitgegenständliche 2. Änderung unberührt bleibt, sind Stellplätze auf dem eigenen Grundstück in jeweils ausreichender Anzahl nachzuweisen. Der Stellplatzbedarf ist im Bauantrag nachzuweisen. Das bedeutet, dass im Baugenehmigungsverfahren sicherzustellen ist, dass Stellplätze in ausreichender Zahl auf dem Baugrundstück selbst hergestellt werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass dies aufgrund der Regelungen in der streitgegenständlichen 2. Änderung nicht gelingen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist nicht ansatzweise erkennbar, dass durch etwaigen Parkplatzsuchverkehr Belange der Antragstellerinnen beeinträchtigt sein könnten, die im Bauleitplanverfahren hätten abgewogen werden müssen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 8 GKG.
13
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).