Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.11.2023 – 16a D 22.1183
Titel:

Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts eines Justizvollzugsbeamten

Normenketten:
BayBG Art. 65, Art. 66, Art. 81 Abs. 3 Nr. 1
BayDG Art. 6 Abs. 2, Art. 13
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34
OWiG § 15
StGB § 20, § 21
Leitsatz:
Dienstpflichtverletzungen in Form der Ausübung von Nebentätigkeiten ohne entsprechende Genehmigungen, Ausübung der Nebentätigkeiten während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über einen Zeitraum von zwei Jahren, Missachtung der Fesselungsanordnung und die unerlaubte Abgabe von Tabak an einen Gefangenen sind Dienstvergehen, die von ihrer Dauer, Häufigkeit, Umfang und Schwere die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts rechtfertigen. (Rn. 21, 27, 32 und 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Aberkennung des Ruhegehalts, Nebentätigkeiten eines Justizvollzugsbeamten im aktiven Dienst, Nebentätigkeiten ohne Genehmigung, Nebentätigkeiten während Arbeitsunfähigkeit, Verstoß gegen Anordnung der Fesselung eines Untersuchungshäftlings, Zuführung von Tabakwaren in Haftanstalt, Distanz eines Beamten zu Strafgefangenen, Nebentätigkeiten ohne Genehmigungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 05.04.2022 – M 13L DK 18.2043
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35953

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand

1
Der Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen die vom Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 5. April 2022 auf Antrag des Klägers verhängte Disziplinarmaßnahme der Aberkennung seines Ruhegehalts.
2
Der 1976 geborene Beklagte wurde mit Ablauf des Monats Juni 2019 gemäß Art. 65 Abs. 1, Art. 66 BayBG in den Ruhestand versetzt. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt seit dem 30. Januar 2017 ununterbrochen im Krankenstand. Zuletzt war er ab 1. Juni 2009 als Obersekretär im Justizvollzugsdienst (BesGr A 7) eingesetzt. Er erhält monatliche Ruhestandsbezüge in Höhe von 1.640 Euro, von denen derzeit 15% einbehalten werden. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater eines daraus hervorgegangenen Kindes. Für den strafrechtlich und disziplinarisch nicht vorbelasteten Beklagten liegen eine Stellungnahme seiner Vorgesetzten vom 14. Februar 2018 sowie ein Persönlichkeitsbild der Anstaltsleitung der JVA Stadelheim vom 8. März 2018 vor.
3
Nach Einleitungsverfügungen durch den Dienstvorgesetzten des Beklagten vom 12. September 2016, 12. Januar und 16. Februar 2017 wurden zunächst getrennt geführte Disziplinarverfahren gegen den Beklagten von der Generalstaatsanwaltschaft München als Disziplinarbehörde am 29. Mai 2017 übernommen, verbunden und am 11. Dezember 2017 ausgedehnt. Nach Aussetzung des Disziplinarverfahrens wurde der Beklagte unter dem 31. Januar 2018 zum Ergebnis der Ermittlungen abschließend angehört. Die Generalstaatsanwaltschaft München erhob am 19. April 2018 Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts.
I.
4
Dem Beklagten werden folgende Sachverhalte zur Last gelegt:
5
1. In den Jahren 2015 bis Februar 2017 ist er Nebentätigkeiten nachgegangen, ohne diese gegenüber seinem Dienstherrn angezeigt zu haben und sich genehmigen zu lassen. Im Zeitraum vom 22. März 2012 bis 31. Dezember 2014 war dem Beklagten durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt eine Nebentätigkeit bei der Fa. E. als Sicherheitsmitarbeiter im Umfang von bis zu 8 Stunden wöchentlich auf der Basis einer geringfügigen Beschäftigung genehmigt worden (Genehmigungen v. 22.3.2012, 29.1.2013 sowie 28.1.2014). Weitere Anträge auf Genehmigung von Nebentätigkeiten hat der Beklagte nicht mehr gestellt. Auf der Grundlage eines unveränderten Arbeitsvertrags mit der Fa. E. war er jedoch in einem über die Genehmigungen hinausgehenden Umfang erwerbstätig und erzielte dabei folgende Einkünfte:
6

2015

Stunden

Euro

Januar

41

561,62

Februar

31

324,40

März

41

473,56

April

29

457,31

Mai

40

414,50

Juni

40

492,74

Juli

39

425,01

August

37

490,72

September

39,83

446,91

Oktober

36

498,79

November

37

418,46

Dezember

19

289,40

2016

Januar

44,75

519,77

Februar

75

846,97

März

42

473,89

April

43

505,96

Mai

43,50

786,11

Juli

42

487,58

August

80

928,46

September

43,50

529,93

Oktober

42

487,58

November

14,42

148,93

Dezember

42

487,58

2017

Januar

84

1.080,10

Februar

42

500,79

7
Zugleich ging er in den zwölf Monaten von März 2016 bis Februar 2017 ohne entsprechende Anzeige oder Genehmigung einer Nebentätigkeit als Nachtportier im Hotel A. mit regelmäßig bis zu 8 Stunden wöchentlich – aber auch darüber hinaus – gemäß nachfolgender Übersicht nach und erzielte dabei die genannten Einkünfte, deren Abrechnung ab Dezember 2016 auf der Grundlage der Steuerklasse 6 und nicht mehr als „geringfügige Beschäftigung“ erfolgte:
8

2016

Stunden

Euro

März

30

250,08

April

30

255,00

Mai

45

382,50

Juni

37,50

318,75

Juli

52,50

446,25

August

37,50

318,75

September

22,50

191,25

Oktober

52,50

446,25

November

37,50

318,75

Dezember

37,50

247,59

2017

Januar

67,50

503,69

Februar

52,50

503,69

9
Im Zeitraum vom 30. Januar bis 10. März 2017 ging der Beklagte, obwohl er nach den entsprechenden Bescheinigungen von Dr. H. vom 30. Januar, 13. und 24. Februar 2017 durchgehend arbeitsunfähig war, seinen Nebentätigkeiten weiter nach:
10

Datum

Uhrzeit

Nebentätigkeit

30.01.2017

22.45 bis 6.15 Uhr

Nachtportier im Hotel A.

31.01.2017

22.45 bis 6.15 Uhr

Nachtportier

04.02.2017

7.00 bis 18.00 Uhr

22.45 bis 6.15 Uhr

Sicherheitsdienstmitarbeiter Nachtportier

05.02.2017

7.00 bis 17.00 Uhr

22.45 bis 6.15 Uhr

Sicherheitsdienstmitarbeiter Nachtportier

08.02.2017

22.45 bis 6.15 Uhr

Nachtportier

10.02.2017

22.45 bis 6.15 Uhr

Nachtportier

11.02.2017

7.00 bis 18.00 Uhr

22.45 bis 6.15 Uhr

Sicherheitsdienstmitarbeiter Nachtportier

12.02.2017

7.00 bis 17.00 Uhr

22.45 bis 6.15 Uhr

Sicherheitsdienstmitarbeiter Nachportier

16.02.2017

22.45 bis 6.15 Uhr

Nachportier

11
2. Am 26. August 2016 war der Beamte seit 13:00 Uhr zur alleinigen Bewachung des – wegen Verdachts der schweren Körperverletzung mit Waffe in Tateinheit mit versuchtem Totschlag – in Untersuchungshaft befindlichen Gefangenen Z. eingesetzt, der sich wegen einer Schnittverletzung an der Hand zur medizinischen Behandlung im Klinikum A. befand. Entgegen der Dienstanweisung für die Krankenhausbewachung von Gefangenen vom 26. März 2009 und entgegen der Anordnung im Beschluss des Amtsgerichts München vom 21. August 2016, den Gefangenen bei der Ausführung zu fesseln, ließ ihn der Beamte ohne Hand- und Fußfesseln aus dem Krankenbett aufstehen, weil er auf die erfolgte Hand-Operation Rücksicht nehmen und verhindern wollte, dass der Gefangene stolpern könnte. Er empfand eine Fesselung in dieser Situation als entwürdigend. Gegen 20:40 Uhr erlaubte er dem Gefangenen, sich – ungefesselt – in einem Versorgungsraum einen Tee zuzubereiten, wobei der Beklagte am Eingang des Raums stehen blieb und den Z. nicht ununterbrochen aus nächster Nähe im Blick behielt. Diese Gelegenheit nutzte der Gefangene – womit der Beklagte nicht rechnete – spontan, um durch ein geöffnetes Fenster im 2. Stock der Klinik über das Vordach zu entkommen und ins Ausland zu entfliehen.
12
3. Aus dem Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft München I – 231 Js 168456/17 – vom 24. Juli 2017, mit dem dem Beklagten wegen vorsätzlicher unbefugter Übermittlung von Gegenständen an einen Gefangenen (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) ein Bußgeld in Höhe von 550 Euro auferlegt wurde (Tenor Nr. 2), ergibt sich zudem folgender Sachverhalt: „Am 24. Januar 2017…stellte der [Beklagte] dem Gefangenen A. mindestens 15 Packungen Tabak für eine Gegenleistung zur Verfügung. Konkret begab sich der [Beklagte], der an diesem Tag in der Station X eingesetzt war, unangemeldet und heimlich in gebückter Haltung und erkennbar etwas unter seiner Dienstjacke versteckend, auf die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Station Y und dort in den Haftraum des Gefangenen A., wo er mindestens 15 Packungen Tabak für den Gefangenen versteckte.“ Zur Art der Gegenleistung enthält der Bußgeldbescheid keine Angaben. Der Beklagte, der Kontakte zum sozialen Umfeld des Gefangenen A. unterhielt, hat den Vorwurf in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht München am 1. Dezember 2017 eingeräumt. Das Bußgeldverfahren hinsichtlich des weiteren Vorwurfs, einem anderen Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt einen verbotenen Gegenstand (Mobiltelefon) verkauft und verschafft zu haben, wurde in der mündlichen Verhandlung gemäß § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt.
II.
13
Im angefochtenen Urteil vom 5. April 2022 stellt das Verwaltungsgericht fest, dass der Beklagte durch die drei Sachverhalte ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen begangen habe. Zum einen habe er in voller Kenntnis der fehlenden Genehmigungsfähigkeit der beiden weit über das zeitlich zulässige Maß hinausgehenden Nebentätigkeiten diese ausgeübt und daher nicht nur gegen die Verpflichtung zur Beachtung der Gesetze, sondern auch gegen seine Verpflichtung, sich mit vollem Einsatz dem Beruf zu widmen, verstoßen. Zudem habe er seine Nebentätigkeiten auch an neun Tagen während seiner Krankschreibung ab 30. Januar 2017 ausgeübt. Sein eigenmächtiges Zuwiderhandeln gegen die Dienstanweisung, einen Untersuchungsgefangenen während des Krankenhausbesuchs gefesselt zu halten, stelle eine Pflichtverletzung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG dar, und habe dessen Flucht erst ermöglicht. Gegen diese Pflicht habe er weiter durch die unerlaubte Übergabe von Tabak an einen Gefangenen verstoßen. Das Dienstvergehen wiege derart schwer, dass ein vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit eingetreten sei, der die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordere. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil vom 5. April 2022 Bezug genommen.
III.
14
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Beklagte vor, das Verwaltungsgericht habe trotz deutlicher Hinweise auf eine zumindest verminderte Schuldfähigkeit die vorliegenden ärztlichen Berichte zum psychischen Zustand im Zeitpunkt der Geschehnisse nicht ausreichend gewürdigt. Dabei diagnostiziere die nervenärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 30. November 2017 rückwirkend eine seit mindestens Herbst 2016 vorliegende schwer ausgeprägte depressive Episode. Sie werde mit dem Antidepressivum Escitalopram und im Rahmen einer seit Mai 2017 laufenden psychotherapeutischen Behandlung bei einer Diplompsychologin (Stellungnahme von Fr. L. v. 8.1.2018) behandelt. Der Facharzt habe eine Wiedererlangung der Dienstfähigkeit als realistisch bezeichnet, jedoch nur unter der Voraussetzung der wesentlichen Änderung des Einsatzgebiets, da die Überstunden und der Tätigkeitsumfang seine Gesundheit schädigten. Das Entweichen des Häftlings sei Folge des gesundheitlichen Zustands des Beklagten, der den Dienst eine Stunde früher als geplant übernehmen und ohne Pause allein habe ableisten müssen. Die Flucht habe sich dann am Ende des langen Arbeitstags ereignet, als sich der Beklagte in einer von Gedanken über sein Leben geplagten Black-Out-Situation befunden habe. An der Ausübung von Nebentätigkeiten habe der Beklagte auch während der Dienstunfähigkeit festgehalten, da er andernfalls psychisch weiter abgeglitten und ohne jegliche Strukturierung seiner Tage verblieben wäre. Als psychisch kranker Mensch habe er komplett vergessen, sich um die Genehmigungen für die Ausübung seiner Nebentätigkeit zu kümmern, andere Gründe, die Verlängerung nicht zu verlangen, gebe es nicht. Auch die unerlaubte Weitergabe der Tabakpäckchen am 15. Januar 2017 sei Folge dessen, dass sich der Beklagte nicht mehr dem Druck seitens der Gefangenen habe entziehen können. So habe er schließlich den Tabak zu einem Gefangenen geschmuggelt, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Nach all dem resultiere das Fehlverhalten auf einer psychischen Erkrankung. Die Stellungnahme von Dr. R. vom 4. März 2019 zeige, dass sich der Gesundheitszustand seit der letzten Begutachtung im Dezember 2017 kaum gebessert habe.
15
Der Beklagte beantragt,
16
das angefochtene Urteil abzuändern und die Disziplinarklage abzuweisen.
17
Der Kläger beantragt,
18
die Berufung zurückzuweisen.
19
Der Kläger erwidert, das Verwaltungsgericht habe die beiden im Verfahren vorgelegten nervenärztlichen/psychotherapeutischen Stellungnahmen (Neurologe und Psychiater Dr. K. v. 30.11.2017, u. Psychologin L. v. 8.1.2018) in den Urteilsgründen (UA Rn. 50, 67f., 72) sehr wohl gewürdigt. Das Urteil gehe zurecht und ohne Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes davon aus, dass weder eine Aufhebung noch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beklagten bei Begehung der festgestellten Dienstpflichtverletzungen vorgelegen habe. Der Beklagte habe in schwerwiegender Weise gegen beamtenrechtliche Kernpflichten und weitere wichtige sicherheitsrelevante Dienstpflichten verstoßen. Er habe – sogar während krankheitsbedingter Abwesenheitszeiten – nicht genehmigte und nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeiten ausgeübt, einem gefährlichen Untersuchungsgefangenen durch die vorschriftswidrige Abnahme der Fesselung die Flucht aus dem Krankenhaus ermöglicht und unerlaubte Gegenstände an einen Gefangenen abgegeben. Es treffe nicht zu, dass sich aus den vorliegenden Stellungnahmen ergebe, die schwere depressive Episode habe bereits seit mindestens Herbst 2016 bestanden. Dr. K. habe den Beklagten erstmalig am 27. März 2017 untersucht, sodass aussagekräftige Atteste über seinen Gesundheitszustand im relevanten Zeitraum von Januar 2015 bis Februar 2017 fehlten und eine ahndungsmildernde Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nicht bestanden habe. Soweit sich der Beklagte bewusst und aktiv über bekannte Dienstvorschriften hinweggesetzt habe, könne dies nicht als Auswirkung eines Erschöpfungszustands aufgefasst werden. Vielmehr komme darin ein schon aus dienstlichen Beurteilungen und dem Persönlichkeitsbild herzuleitender Charakterzug zum Ausdruck, wonach der Beklagte Anforderungen von Vorgesetzten nur ungern erfülle und die gebotene Distanz zu Gefangenen nicht ausreichend gewahrt habe. Das Vorbringen, die Beantragung der Nebentätigkeitsgenehmigung vergessen zu haben, sei als Schutzbehauptung zu werten.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Disziplinarakte, die Personalakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 13 BayDG) erkannt. Entscheidungserhebliche Mängel des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens bestehen nicht und sind auch nicht geltend gemacht. In der Sache kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beklagte durch die drei Tatkomplexe ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat (I.), welches bei Abwägung sämtlicher disziplinarrechtlich relevanter Gesichtspunkte mit der Aberkennung des Ruhegehalts zu ahnden ist (II.). Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
I.
22
Die dem Beklagten zur Last gelegten Sachverhalte, wie sie im Tatbestand (I.1. bis 3.) wiedergegeben sind, wurden allesamt von ihm eingeräumt, zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 5. April 2022, bestätigt von seiner Bevollmächtigten in der Berufungsverhandlung am 15. November 2023. Auch die verschiedenen, dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten bestätigen die Richtigkeit der im Disziplinarverfahren gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe.
23
1. Durch die Ausübung der Nebentätigkeiten ohne entsprechende Genehmigungen hat der Beklagte gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (Art. 81 BayBG) sowie gegen die Pflicht, sich mit vollem Einsatz dem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG in der bis zum 14.6.2017 geltenden Fassung – a.F.), verstoßen. Die Ausübung der Nebentätigkeiten während Zeiten der Krankschreibung führt ebenfalls zu einem Verstoß gegen § 34 Satz 1 BeamtStG a.F., denn danach ist der Beamte auch zur Erhaltung seiner Gesundheit verpflichtet, und stellt zugleich ein vertrauensschädigendes Verhalten im Sinn von § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. dar. Die Missachtung der Fesselungsanordnung bedeutet eine Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung des Beklagten, dienstliche Anordnungen auszuführen (§ 35 Satz 2 BeamtStG in der bis zum 6.12.2018 geltenden Fassung). Durch die unerlaubte Abgabe von Tabak an einen Gefangenen schließlich hat der Beklagte wiederum gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze verstoßen (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 115 OWiG).
24
2. Allen drei Tatkomplexen liegt eine vorsätzliche Begehungsweise zugrunde. Die angegebenen Gründe dafür, warum er sich über die ihm bekannten dienstlichen Anordnungen zur Fesselung des Untersuchungsgefangenen hinweggesetzt hat, lassen nur den Schluss auf ein vorsätzliches Verhalten zu. Entsprechendes gilt auch für den mit Bußgeldbescheid geahndeten Verstoß gegen § 115 OWiG. Auch das Unterlassen, die erforderlichen Genehmigungen für weitere Nebentätigkeiten ab Januar 2015 einzuholen, stellt sich als bewusste Entscheidung und damit vorsätzliches Handeln dar.
25
3. Sämtliche Dienstpflichtverletzungen sind innerdienstlicher Natur. Dies gilt auch für die unerlaubte Ausübung von Nebentätigkeiten, denn sie war unmittelbar mit der dienstlichen Tätigkeit des Beklagten verknüpft und erlangte ihre Eigenschaft als Nebentätigkeit gerade aufgrund der Dienststellung des Beklagten. Das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten war in die mit seinem Amt verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11; U.v. 6.6.2007 – 1 D 8.06 – juris Rn. 19).
26
4. Die Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten, der Verstoß gegen die Fesselungsanordnung und die unerlaubte Weitergabe von Tabak an einen Häftling bilden ein einheitliches Dienstvergehen. Das Disziplinarrecht wird durch den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens geprägt. Soweit die Vorwürfe Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, ist das durch mehrere Pflichtenverstöße zutage getretene Fehlverhalten eines Beamten danach einheitlich zu würdigen, zumal die einzelnen Verfehlungen sämtlich in einem äußeren (zeitlichen) Zusammenhang stehen (BVerwG, U.v. 8.9.2004 – 1 D 18.03 – juris Rn. 42). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es im Disziplinarrecht nicht allein um die Feststellung und Maßregelung einzelner Verfehlungen geht, sondern vor allem um die dienstrechtliche Bewertung des Gesamtverhaltens des Beamten, das im Dienstvergehen als der Summe der festgestellten Pflichtverletzungen seinen Ausdruck findet. Der Beamte wird disziplinarisch nicht gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt hat, sondern weil er dadurch Persönlichkeitsmängel offenbart, die eine Pflichtenmahnung oder eine Beendigung des Beamtenstatus für geboten erscheinen lassen (BVerwG, B.v. 11.2.2014 – 2 B 37.12 – juris Rn. 17).
II.
27
Auf der Grundlage der erhobenen Feststellungen hat der Beklagte durch die schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Pflichten (I.1.) nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG ein schweres Dienstvergehen begangen, das bei einer Gesamtwürdigung sämtlicher maßgeblichen Umstände nach Art. 14 BayDG zur Aberkennung des Ruhegehalts führt. Die während seiner Zeit als aktiver Beamter begangenen Pflichtverletzungen hätten – wäre er noch im Dienst – dazu geführt, dass er aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
28
1. Den Ausgangspunkt für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme (Art. 6 Abs. 2 BayDG) bildet die Schwere des Dienstvergehens (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in den Beamten beeinträchtigt worden ist. Hat ein Beamter durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Der endgültige Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen (BVerwG, B.v. 5.7.2010 – 2 B 121.09 – juris Rn. 5). So liegt der Fall hier.
29
2. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 2 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen (BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 62.11 – juris Rn. 39). Setzt sich – wie vorliegend – das Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, U.v. 23.2.2005 – 1 D 1.04 – juris Rn. 113).
30
Das Schwergewicht des Dienstvergehens wird hier eindeutig durch die Pflichtverletzungen geprägt, die der Beklagte im Zusammenhang mit den verschiedenen nebentätigkeitsrechtlichen Verstößen begangen hat; demgegenüber treten die in den beiden anderen Tatkomplexen (2 und 3) an den Tag gelegten (jeweils einmaligen) Zuwiderhandlungen gegen für einen Justizvollzugsbeamten elementare Verhaltensvorschriften in den Hintergrund.
31
3. Für die disziplinare Ahndung ungenehmigter Nebentätigkeiten steht wegen der Vielfalt der möglichen Pflichtverstöße grundsätzlich der gesamte disziplinarrechtliche Maßnahmenkatalog zur Verfügung. Hierbei kommt es auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Nebentätigkeiten an. Weiterhin muss berücksichtigt werden, ob der Ausübung der Nebentätigkeiten gesetzliche Versagungsgründe entgegenstanden, d.h. ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig war, und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat. Erschwerend wirkt sich aus, wenn ein Beamter ungenehmigte Nebentätigkeiten in Zeiten der Krankschreibung wahrgenommen hat (zum Bundesdisziplinargesetz: BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 2 B 4.18 – juris Ls. 1 u. Rn. 20 m.w.N.). Die genannten Kriterien müssen nicht kumulativ erfüllt sein; sie sind schon deshalb nicht abschließend, weil daneben die allgemeinen Kriterien für jede disziplinare Maßnahmebemessung (Art. 14 BayDG) zu beachten sind (BVerwG, B.v. 28.8.2018 a.a.O. Ls. 2 u. Rn. 22). Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte sämtliche der aufgeführten Kriterien erfüllt.
32
3.1 So weisen bereits „Dauer, Häufigkeit und Umfang“ der Nebentätigkeiten auf das erhebliche Gewicht der Pflichtverletzungen hin. Nachgewiesen sind eine nicht genehmigte Erwerbstätigkeit bei einer Sicherheitsfirma (Januar 2015 bis Februar 2017) und eine als Nachtportier eines Hotels (März 2016 bis Februar 2017). Damit liegen Nebentätigkeiten in erheblichem Umfang (zwei verschiedene Nebentätigkeiten) über erhebliche Zeiträume (zum einen mehr als zwei Jahre, zum anderen etwa ein Jahr) vor. Die monatlichen Stundenzahlen bewegen sich in beträchtlicher Höhe und überschreiten durchweg – zum Teil erheblich – acht Wochenstunden (vgl. hierzu: 3.2). Der Beklagte hat sich auf diese Weise eine beachtliche Erhöhung seiner Dienstbezüge verschafft, ohne seinen Dienstherrn hierüber in Kenntnis zu setzen.
33
Gerade in den beiden Monaten, in denen sich die Tatkomplexe zu I.2 und 3. abgespielt haben – also im August 2016 und Januar 2017 – ist der Beklagte jeweils weit über 100 Stunden seinen Nebentätigkeiten nachgegangen. Zu Recht stellt das Verwaltungsgericht (UA Rn. 59) dabei einen Zusammenhang zwischen dem erheblichen zeitlichen Umfang der rechtswidrig ausgeübten Nebentätigkeiten (im Sicherheitsgewerbe und als Nachtportier) des Beklagten und seinen Dienstpflichtverletzungen her. Eines konkreten – etwa medizinischen – Nachweises bedarf es hierfür nicht (BVerwG, U.v. 1.6.1999 – 1 D 49.97 – juris Rn. 51; B.v. 17.7.2013 – 2 B 27.12 – juris Rn. 8).
34
3.2 Erhebliches Gewicht kommt weiter dem Umstand zu, dass die ab Januar 2015 ohne entsprechende Genehmigungen ausgeübten Nebentätigkeiten auch materiell rechtswidrig waren, sie also nicht hätten genehmigt werden können. Nach Art. 81 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 BayBG ist eine Genehmigung nämlich zu versagen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden; eine derartige Besorgnis besteht, wenn die Nebentätigkeit den Beamten so stark in Anspruch nimmt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten behindert werden kann. Dieser Versagungsgrund wird in Art. 81 Abs. 3 Satz 3 BayBG dahingehend konkretisiert, dass er „in der Regel“ als erfüllt gilt, wenn die zeitliche Beanspruchung durch eine oder mehrere Nebentätigkeiten in der Woche acht Stunden überschreitet.
35
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zu Recht herausgestellt, dass der Beklagte mit seiner Tätigkeit als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes spätestens ab Januar 2015, erst recht nach seiner Aufnahme einer weiteren Nebentätigkeit als Nachtportier (März 2016), über den genehmigungsfähigen Zeitrahmen von acht Wochenstunden teilweise weit hinaus erwerbstätig war. Die Überschreitungen dieser zeitlichen Grenze ergeben sich ohne weiteres aus einer überschlägigen Betrachtung der vom Januar 2015 bis Februar 2017 festgestellten Stunden absolvierter Nebentätigkeit(en).
36
Über die als Regelvermutung ausgestaltete zeitliche Grenze von acht Wochenstunden war der Beklagte im Übrigen schon durch die ihm in den Jahren 2012 bis 2014 erteilten Erlaubnisse, in denen Art. 81 Abs. 3 BayBG jeweils ausdrückliche Erwähnung gefunden hat, informiert. Vor diesem Hintergrund ist sein neuerlicher Vortrag, er habe – beginnend mit dem Jahr 2015 – die jährlich erforderlichen Antragstellungen wegen seines sich verschlechternden psychischen Zustands „vergessen“, nicht glaubhaft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er ab Januar 2015 in Kenntnis der fehlenden Genehmigungsfähigkeit bewusst keine weiteren Anträge auf Nebentätigkeitsgenehmigung mehr gestellt hat, um ablehnende Bescheide zu vermeiden.
37
3.3 Das Dienstvergehen des Beklagten erhält weiteres Gewicht dadurch, dass er durch die Ausübung zweier Nebentätigkeiten an neun Tagen im Zeitraum vom 30. Januar bis 16. Februar 2017 während des Krankenstandes gegen seine beamtenrechtliche Gesunderhaltungs- bzw. Genesungspflicht verstoßen und nicht alles für eine rasche Wiederherstellung seiner Gesundheit getan hat. Ein Beamter, der in einem besonderen Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn steht, ist im Falle krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit gehalten, alles ihm Zumutbare zu tun, um seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederherzustellen. Dem widerspricht es, wenn er währenddessen anderweitigen Erwerbstätigkeiten nachgeht, die generell geeignet sind, seine Genesung zu beeinträchtigen, ohne dass es insoweit eines konkreten medizinischen Nachweises bedarf (BVerwG, U.v. 4.11.2001 – 1 D 60.00 – juris Rn. 20).
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Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des öffentlichen Dienstes ist in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn – wie hier – ein Beamter, der aufgrund einer Erkrankung außerstande ist, Dienst zu verrichten, dennoch in dieser Zeit der Dienstunfähigkeit, in der er von seinem Dienstherrn alimentiert wird, einer privaten Erwerbstätigkeit nachgeht. Denn damit zeigt er ein Verhalten, das auf Unverständnis stößt und geeignet ist, das Vertrauen in die Loyalität der Beamtenschaft generell zu beeinträchtigen. Gerade durch die Alimentierung auch während der Dienstunfähigkeit wird sichergestellt, dass sich ein Beamter schonen kann, um seine Genesung bestmöglich zu fördern, und gerade nicht gezwungen ist, eine anderweitige Tätigkeit aufzunehmen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Geht der Beamte aber ohne zwingende Notwendigkeit aus Eigennutz einer privaten Nebentätigkeit nach, erweckt er zumindest den Eindruck, nicht so krank zu sein, dass er zur Dienstleistung außerstande ist, dass er also seine Dienstbezüge erhält, ohne zugleich seine wiederhergestellte Arbeitskraft seinem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen (BVerwG, U.v. 1.6.1999 – 1 D 49.97 – juris Rn. 58; BayVGH, B.v. 15.5.2020 – 3 ZB 20.863 – juris Rn. 5; OVG NW, U.v. 23.10.2019 – 3d A 3489/18.O – juris Rn. 216; Baunack in Köhler/Baunack, Bundesdisziplinargesetz, 7. Aufl. 2021, S. 207 Rn. 22).
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3.4 Zu Lasten des Beklagten ist weiter anzuführen, dass er von der vorgeworfenen Handlungsweise auch nicht abgelassen hat, als gegen ihn wegen der unterlassenen Fesselung des Untersuchungsgefangenen und dessen Flucht am 26. August 2016 (Sachverhalt I.2) ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde (vgl. OVG NW, U.v. 10.05.2017 – 3d A 971/15.O – juris 119). Dass er dennoch davon unbeeindruckt beide Nebentätigkeiten ohne Genehmigung, in neun Fällen Anfang des Jahres 2017 sogar noch während der Zeiten einer Krankschreibung fortgeführt hat, zeigt ganz besonders den hohen Stellenwert, den der mit den Nebentätigkeiten erzielte finanzielle Vorteil für den Beklagten besaß, den er offenbar um keinen Preis aufgeben wollte. Auf diesem Wege hat er seine Besoldung in jedem Monat um mehrere hundert Euro „aufgestockt“, etwa im März und September 2016 um jeweils ca. 720 Euro, im August 2016 sogar um ca. 1.200 Euro.
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3.5 Die beiden weiteren, im Vergleich zu den nebentätigkeitsrechtlichen Pflichtverletzungen untergeordneten Pflichtverletzungen erhöhen das Gewicht des Dienstvergehens weiter. Dass sich der Beklagte eigenmächtig über die Fesselungsanordnung hinweggesetzt hat, ohne zuvor seinen Vorgesetzten über seine (angeblich) hiergegen bestehenden Bedenken zu informieren, beweist eine völlig unzureichende Dienstauffassung insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Bewachung des im Übrigen unter dem Tatverdacht eines vorsätzlichen Tötungsdelikts stehenden Untersuchungshäftlings gerade die Kernaufgabe seiner Tätigkeit am fraglichen Tag darstellte. Der Eindruck mangelnder Dienstauffassung wird noch verstärkt durch die (offenbar unter dem Druck eines Gefangenen erfolgte) unerlaubte Weitergabe von Tabakwaren an diesen, der damit – obwohl selbst Nichtraucher – in die Lage versetzt wurde, den Tabak quasi als „Währung“ zur Erreichung eigener anstaltsinterner Vorteile einzusetzen. Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, ob der Beklagte tatsächlich – wie angegeben und nicht nachweisbar – keine Gegenleistung erhalten hat, denn schon allein die Bevorzugung eines Gefangenen unter Verstoß gegen anstaltsinterne Vorschriften kann nicht hingenommen werden. In der Summe entspricht dieses Verhalten seinem in den dienstlichen Beurteilungen festgestellten Persönlichkeitsbild; danach fiel es ihm schwer, dienstlichen Anordnungen ohne weiteres nachzukommen, und er hatte Schwierigkeiten, die gebotene Distanz zu Anstaltsinsassen in ausreichender Weise zu wahren.
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4. Angesichts der dargestellten, für das Gewicht des Dienstvergehens maßgeblichen Erschwerungsgründe kommt nur der Ausspruch der Höchstmaßnahme in Betracht. Die zugunsten des Beklagten vorgetragenen oder sonst ersichtlichen Milderungsgründe sind bei weitem nicht geeignet, eine andere Disziplinarmaßnahme oder gar die beantragte Abweisung der Disziplinarklage zu rechtfertigen.
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4.1 Umstände, die eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinn von § 21 i.V.m. § 20 StGB begründen könnten, bei deren Vorliegen die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann, sind nicht nachgewiesen.
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Erheblich verminderte Schuldfähigkeit setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinn von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Die Erheblichkeitsschwelle liegt dabei umso höher, je schwerer die in Rede stehende Dienstpflichtverletzung wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Bei der Verpflichtung eines Justizvollzugsbeamten, seine gesamte Arbeitskraft in vollem Umfang dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen und daneben private Erwerbstätigkeiten nur im begrenzten zeitlichen Umfang und nur nach vorheriger Genehmigung durch den Dienstherrn auszuüben, sowie seiner Pflicht zur Befolgung von nicht zur Disposition stehenden dienstlichen Anordnungen, gerade auch im Umgang mit Strafgefangenen, deren sichere Verwahrung seine Hauptaufgabe ist, handelt es sich um grundlegende, einfach zu befolgende und sofort einsehbare Dienstpflichten. Deshalb wird die Erheblichkeitsschwelle in diesen Fällen nur in seltenen Ausnahmen erreicht sein (VGH BW, U.v. 1.4. 2014 – DL 13 S 2383/13 – juris Rn. 58).
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Im vorliegenden Fall liegt dem Senat schon keine fachärztliche Bestätigung über den Bestand eines der in § 20 StGB genannten Merkmale für den hier maßgeblichen Zeitraum der Dienstpflichtverletzungen von Januar 2015 bis Frühjahr 2017 vor. Die in der Berufung hervorgehobene nervenärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 30. November 2017 ist nicht bekannt; es dürfte sich vielmehr um diejenige des Neurologen Dr. K. (unter gleichem Datum) handeln, die das Verwaltungsgericht in seinem Urteil anspricht. Soweit ersichtlich, hat der Beklagte erstmals am 27. März 2017 fachärztliche Hilfe mit der Folge „sofortiger medikamentöser Behandlung“ in Anspruch genommen, ohne dass die von ihm vorgetragene Behauptung, die Erkrankung sei „rückwirkend zum Spätsommer/Herbst 2016“ (so Berufungsbegründung v. 30.6.2022, S. 3) diagnostiziert worden, nachvollzogen werden kann. Erst im Mai 2017 hat er sich dann in psychotherapeutische Behandlung der attestierten depressiven Störung begeben (Attest Dipl.-Psych. L. v. 8.1.2018). Selbst wenn man einen Milderungsgrund (psychische Erkrankung unterhalb der Schwelle des § 21 StGB, vgl. UA Rn. 71) bereits im Herbst 2016 als gegeben ansehen wollte, sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass hierdurch die Einsichtsfähigkeit des Beklagten in das „Unrecht“ der von ihm begangenen nebentätigkeitsrechtlichen Verstöße erheblich vermindert war. Eine unterhalb der Erheblichkeitsgrenze liegende Auswirkung der psychischen Erkrankung ist zwar im Grundsatz zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigen, vermag jedoch die (unter 3.) dargestellten, zu seinen Lasten gehenden Erschwernisgründe bei weitem nicht aufzuwiegen.
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4.2 Entsprechendes gilt auch für die weiteren, bereits vom Verwaltungsgericht angesprochenen mildernden Umstände, etwa die fehlende strafrechtliche und disziplinarische Vorbelastung, die weitgehende Geständigkeit des Beklagten, das Scheitern seiner Ehe und Trennung im Jahr 2016 und die Aufnahme einer Psychotherapie. Diese Aspekte sind letztlich nicht geeignet, den durch das Dienstvergehen verursachten vollständigen Vertrauensverlust rückgängig zu machen.
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5. Nach alldem war die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge des Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG zurückzuweisen. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).