Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.12.2023 – 15 ZB 23.1692
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag der Beigeladenen gegen ein Urteil, mit dem eine Baugenehmigung für den Umbau von Wohnungen auf eine Nachbarklage hin aufgehoben wurde

Normenketten:
VwGO § 124
BGB § 1018
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 3
Leitsatz:
Zwar gilt bei der Vereinbarung der tatsächlichen Ausübung des Ausübungsorts das sachen- und grundbuchrechtliche Bestimmtheitsgebot für die Eintragung nicht in gleichem Maße wie bei der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung. Voraussetzung ist aber auch hier, dass die zugunsten des Berechtigten bestellte beschränkt persönliche Dienstbarkeit auch ohne rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Ausübungsstelle bzw. des Ausübungsorts den Inhalt der Belastung des betroffenen Grundstücks erkennen lässt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auslegung einer Grenzabstandsvereinbarung, Bestimmtheit, Bestimmung der Ausübungsstelle durch tatsächliche Ausübung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 03.08.2023 – Au 5 K 22.1759
Fundstellen:
BayVBl 2024, 821
LSK 2023, 35952
BeckRS 2023, 35952

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beigeladene wendet sich im Berufungszulassungsverfahren gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. August 2023. Mit diesem wurde die ihr vom Landratsamt Aichach-Friedberg mit Bescheid vom 1. August 2022 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 7. Juni 2023 erteilte Baugenehmigung zum Dachgeschossausbau und zum Umbau bestehender Wohnungen auf dem Baugrundstück FlNr. … Gemarkung M… auf die Klage des östlichen Nachbarn hin aufgehoben. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass das Bauvorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte und die im Grundbuch zulasten des im Eigentum des Klägers befindlichen Nachbargrundstücks eingetragene Grunddienstbarkeit aufgrund Bewilligung vom 17. März 1966, in der Urkunde als Grenzabstandsvereinbarung bezeichnet, dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genüge. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Beigeladene ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend.
2
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die von der Beigeladenen geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Beigeladene als Rechtsmittelführerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Rechtsmittelführer hat hierbei einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2022 – 15 ZB 22.610 – juris Rn. 3). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hier allerdings nicht.
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Die Beigeladene beruft sich hier darauf, dass der Ausübungsbereich der Abstandsflächenübernahme in der Grenzabstandsvereinbarung vom 17. März 1966 entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht rechtsgeschäftlich, sondern vielmehr durch tatsächliche Ausübung bestimmt worden sei. Diese Argumentation führt jedoch nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags.
6
Grundsätzlich steht es im Belieben der Beteiligten, ob sie die Bestimmung des Ausübungsorts rechtsgeschäftlich zum Inhalt der Dienstbarkeit machen oder der tatsächlichen Ausübung überlassen (vgl. BGH, B.v. 16.2.1984 – V ZB 8/83 – juris Rn. 7; U.v. 4.12.2015 – V ZR 22/15 – juris Rn. 36; Weber in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 1018 Rn. 67). Dabei gebietet das sachen- und grundbuchrechtliche Bestimmtheitsgebot, dass der Rechtsinhalt der Dienstbarkeit aufgrund objektiver Umstände bestimmbar und für den Betroffenen klar erkennbar und verständlich ist, sodass dieser in der Lage ist, die hieraus folgende höchstmögliche Belastung des Grundstückseigentümers einzuschätzen und zumindest eine ungefähre Vorstellung davon zu gewinnen, welche Bedeutung die Dienstbarkeit für das Grundstückseigentum konkret haben kann (vgl. BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – juris Rn. 30). Die erforderliche Bestimmtheit wird bei rechtsgeschäftlicher Festlegung regelmäßig durch die Bezugnahme auf einen Plan, eine Karte oder eine ausreichend klare Bezugnahme mit Worten auf in der Natur vorhandene Merkmale oder bereits errichtete Anlagen, die für jedermann dort ohne weiteres erkennbar sind, gewährleistet (vgl. Weber in Staudinger a.a.O. § 1018 Rn. 65). Bleibt dagegen die Festlegung des Ausübungsorts der tatsächlichen Ausübung durch den Betroffenen überlassen, besteht dieses Eintragungserfordernis – auch aus Gründen der Wahrung des Bestimmtheitsgebotes – nicht (vgl. BGH, U.v. 3.5.2002 – V ZR 17/01 – juris Rn. 17; Weber in Staudinger a.a.O. § 1018 Rn. 67 f.).
7
Das Verwaltungsgericht ist hier davon ausgegangen, dass die konkrete Absicherung dadurch erfolgt sei, dass das in Anspruch genommene Grundstück des Klägers mit einer Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB belastet wurde, mit dem Inhalt, dass die Abstandsflächen nicht überbaut werden dürften und das Bestimmtheitsgebot erfordere, dass der Umfang der Belastung der Grunddienstbarkeit aus der Eintragung selbst oder aus ihr in Verbindung mit der Eintragungsbewilligung ohne weiteres ersichtlich sei (UA S. 15) und hier die eingetragene Grunddienstbarkeit nicht dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgebot genüge (UA S. 17). Demgegenüber ist die Beigeladene der Ansicht, dass die Parteien der Grenzabstandsvereinbarung vom 17. März 1966 die Bestimmung des Ausübungsorts der tatsächlichen Ausübung überlassen hätten, weil sie keine Veranlassung gesehen hätten, auf eine zeichnerische Darstellung zu verweisen oder auf genau bezeichnete Pläne Bezug zu nehmen. Mit dieser Begründung zeigt die Beigeladene jedoch nicht auf, dass der Ausübungsort in der Grenzabstandsvereinbarung vom 17. März 1966 – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – der tatsächlichen Ausübung überlassen bleiben sollte. Denn die bloße Nichtbeilegung einer zeichnerischen Darstellung oder genau bezeichneter Pläne allein genügt nicht, um – ohne weitere Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Grenzabstandsvereinbarung – von der Vereinbarung einer tatsächlichen Ausübung und nicht von einer rechtsgeschäftlichen Festlegung ausgehen zu können. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da der Antrag auf Zulassung der Berufung auch für den Fall erfolglos bleibt, dass (teilweise) von der Vereinbarung einer tatsächlichen Ausübung des Ausübungsorts auszugehen sein sollte.
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Zwar gilt bei der Vereinbarung der tatsächlichen Ausübung des Ausübungsorts das sachen- und grundbuchrechtliche Bestimmtheitsgebot für die Eintragung nicht in gleichem Maße wie bei der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung. Voraussetzung ist aber auch hier, dass die zugunsten des Berechtigten bestellte beschränkt persönliche Dienstbarkeit auch ohne rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Ausübungsstelle bzw. des Ausübungsorts den Inhalt der Belastung des betroffenen Grundstücks erkennen lässt (vgl. BGH, U.v. 3.5.2002 – V ZR 17/91 – juris Rn. 17). Das Verwaltungsgericht hat hier – zu den Umständen der tatsächlichen Handhabung bei Auslegung der Dienstbarkeit – festgestellt, dass die Einbeziehung des südlichen Anbaus nicht eindeutig sei (UA S. 21). Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Insoweit kommt gerade dem Wortlaut der Eintragungsbewilligung maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, U.v. 3.5.2002 a.a.O. Rn. 14). Die Grenzabstandsvereinbarung vom 17. März 1966 ist hier aber entgegen der Behauptung der Beigeladenen keineswegs eindeutig und bezieht sich nicht klar auch auf den erst 1969 genehmigten südlichen Anbau, auch wenn dieser ursprünglich im Bauantrag vom 3. März 1966 zunächst noch enthalten war. Dies hat das Verwaltungsgericht durch Darstellung der Abläufe des Baugenehmigungsverfahrens, durch Beschreibung der baulichen Maßnahmen und den Gegenstand der Baugenehmigung vom 23. Mai 1966 sowie den Wortlaut der Grenzabstandsvereinbarung vom 17. März 1966 ausführlich begründet. Das Verwaltungsgericht stellt dabei maßgeblich auch auf die Formulierungen in der Grenzabstandsvereinbarung im Absatz betreffend die Einverständniserklärung mit der Nichteinhaltung der Abstandsfläche für die „Breite des Wohnhauses“ und die Übernahme einer Abstandsfläche von 3,30 Meter „entlang des aufzustockenden Wohnhauses“ ab, womit sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinandersetzt. Soweit die Beigeladene ausführt, der südliche Anbau sei ohne weiteres als Erweiterung des Wohnhauses anzusehen, gibt die Beigeladenen nur ihre eigene, gegenteilige Rechtsansicht wider, setzt sich aber nicht mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, das insoweit anführt, dass von der Baugenehmigung auch eine Erweiterung an der nord-östlichen Ecke umfasst gewesen sei und es sich bei dem südlichen Anbau weder um eine Aufstockung noch – wegen der Garagen im Erdgeschoss – nur um ein Wohnhaus handle. Nachforschungen zur genauen Betroffenheit (vgl. Weber in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 1018 Rn. 68) führen deshalb auch bei der von der Beigeladenen behaupteten Vereinbarung einer tatsächlichen Ausübung zu keinem eindeutigen Ergebnis.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, 3 Halbsatz 1 VwGO.
10
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).