Titel:
Baueinstellungsverfügung für Stadel im Außenbereich
Normenketten:
VwGO § 144 Abs. 4
BauGB § 35
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. c, Art. 75 Abs. 1 S. 1
BayWaldG Art. 9 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt nur voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Auslegung des Merkmals „Dienen“ ist auch bei Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. c BayBO der Grundgedanke des § 35 BauGB, dass der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll, zu beachten; durch ihn wird die Privilegierung eingeschränkt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, Baueinstellung, Errichtung eines Stadels im Außenbereich, Keine Verfahrensfreiheit, Rodung, landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb, Dienen, Verfahrensfehler
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 16.03.2023 – M 11 K 21.6658
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35938
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen eine Baueinstellungsverfügung für einen Stadel im Außenbereich.
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Die gegen die streitgegenständliche Baueinstellungsverfügung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Vorhaben sei formell rechtswidrig, weil für die Errichtung des Stadels eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre. Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO komme nicht in Betracht. Der Stadel sei zweigeschossig errichtet worden. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
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Mit dem Zulassungsantrag verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Gericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass die Zwischendecke nach der mündlichen Verhandlung herausgenommen worden sei. Die Entscheidung weise darüber hinaus Verfahrensfehler auf.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen. Auf die vorgetragenen baulichen Änderungen komme es nicht entscheidungserheblich an, da die Klageabweisung im Ergebnis zu Recht erfolgt sei. Auch bei Annahme des Bestehens eines landwirtschaftlichen Betriebs fehle es an einem Dienen des Stadels für diesen Betrieb. Zudem verstoße der Stadel gegen Waldrecht. Eine Rodungserlaubnis sei nicht eingeholt worden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), die im Stil einer Berufungsbegründung verfasst sind, liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich ungeachtet des Umstands, dass es darauf abgestellt hat, dass eine Verfahrensfreiheit des Vorhabens nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO nicht in Betracht komme, weil der Stadel zweigeschossig errichtet worden ist, aus anderen Gründen als offensichtlich zutreffend. Denn unabhängig von dem klägerischen Vortrag, dass das Gericht nicht berücksichtigt habe, dass es sich nach Herausnahme der Zwischendecke nunmehr um ein einstöckiges Gebäude handle, ist die Baueinstellung aus anderen Gründen gerechtfertigt. Für die erfolgte Rodung der Bäume liegt weder ein Antrag vor noch wurde die erforderliche Erlaubnis nach Art. 9 Abs. 2 BayWaldG erteilt. Damit kommt in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542; BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 12 f.). Eines gesonderten Hinweises des Senats bedurfte es hier nicht, weil der Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinn des Art. 55 Abs. 2 BayBO im erstinstanzlichen Verfahren und im Schreiben des Beklagten vom 19. September 2023 thematisiert wurden.
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Entscheidend dafür, ob die Voraussetzungen für eine Baueinstellungsverfügung vorliegen, ist, ob die Behörde im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung nach den ihr erkennbaren objektiven Umständen annehmen durfte, dass die von ihr festgestellten Arbeiten die Ausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens darstellen. Mit der Baueinstellung soll verhindert werden, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden. Es soll geprüft werden können, ob das Vorhaben mit dem öffentlichen Recht vereinbar ist, bevor ein rechtswidriger Zustand entstanden ist oder sich verfestigt (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 1 CS 21.449 – juris 12). Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt nur voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2020 – 1 CS 20.396 – juris Rn. 2). So liegt der Fall hier.
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Die Behörde konnte nach den Erkenntnissen der Baukontrolle davon ausgehen, dass die Rodung der Bäume auf dem Vorhabengrundstück gegen Waldrecht und damit gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinn des § 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO verstößt. Der Gesetzgeber hat ein grundsätzliches Verbot der Beseitigung von Waldboden statuiert, soweit nicht die Erlaubnis zur Rodung erteilt wird (Art. 9 Abs. 2 BayWaldG; sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Die gerodeten Bäume waren Bestandteil des angrenzenden Waldes, der als Bodenschutzwald ausgewiesen und gemäß Waldfunktionsplanung als Erholungswald Stufe 1 und Wald mit besonderer Bedeutung als Lebensraum und für die biologische Vielfalt kartiert ist. Einen Antrag auf Rodung der Bäume hat der Kläger nicht gestellt. Auch eine (nachträgliche) Erlaubnis zur Rodung wurde nicht erteilt. Besondere Gründe, um eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen, wurden weder dargelegt noch sind sie ersichtlich.
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Im Übrigen bestehen nach den vorliegenden Unterlagen erhebliche Zweifel daran, dass der Stadel dem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb dient. Bei der Auslegung des Merkmals „Dienen“ ist auch bei Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO der Grundgedanke des § 35 BauGB, dass der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll, zu beachten; durch ihn wird die Privilegierung eingeschränkt. Wenngleich die Frage des Standorts keine Frage des „Dienens“ ist, spricht einiges dafür, dass es bei dem nahe der Hofstelle des Klägers errichteten Stadel an der funktionalen Zuordnung zu dem landwirtschaftlichen (Nebenerwerbs-)Betrieb fehlen könnte. Die Klärung dieser Frage bleibt dem Landratsamt vorbehalten.
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2. Auch die sinngemäß behaupteten Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
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2.1. Der Kläger sieht sinngemäß einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) darin, dass das Verwaltungsgericht nach dem Schreiben vom 27. März 2023, in dem über die Herausnahme der Zwischendecke informiert wurde, die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet hat (§ 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Unabhängig von dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers beruht die Entscheidung jedoch nicht darauf, weil sich die Baueinstellungsverfügung aus den vorgenannten Ausführungen jedenfalls aus anderen Gründen als rechtmäßig erweist.
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2.2. Soweit der Kläger behauptet, dass das Urteil erst am 15. Juni 2023 unterzeichnet worden sei und davon auszugehen sei, dass die Frist des § 116 Abs. 2 VwGO nicht eingehalten worden sei, trifft das nicht zu. Ersetzt – wie hier – die Zustellung die Verkündung (§ 116 Abs. 2 VwGO), so ist das (vollständig abgefasste) Urteil binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übermitteln. Allerdings ist auch hier § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO anwendbar, sodass die Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel innerhalb dieser zwei Wochen ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.1971 – I CB 4.69 – BVerwGE 38, 220). Nachdem die mündliche Verhandlung am 16. März 2023 stattgefunden hat, ist die Übermittlung des Urteilstenors an die Geschäftsstelle am 29. März 2023 (Bl. 49, Rückseite der Prozessakte des Verwaltungsgerichts) fristgerecht erfolgt. Die Versendung der vollständigen Abfassung des Urteils am 15. Juni 2023 entspricht den Vorgaben des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).