Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.11.2023 – 1 CS 23.1574
Titel:

Versäumte Beschwerdebegründungsfrist - keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Normenkette:
VwGO § 60 Abs. 1, 2, § 146 Abs. 4 S. 1, 4
Leitsatz:
Die Wahrung von Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts bei Übernahme einer Prozessvertretung und ist von ihm eigenverantwortlich zu überwachen. Das schließt zwar nicht aus, dass die Berechnung, Notierung und Kontrolle der üblichen, in der Praxis häufig vorkommenden Fristen gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen wird. Gleichwohl hat der Rechtsanwalt in jedem Fall den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
versäumte Beschwerdebegründungsfrist, Anwaltsverschulden, keine Wiedereinsetzung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.07.2023 – M 9 S 23.1621
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35937

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Unter Abänderung von Ziffer III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 26. Juli 2023 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 22.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung und Duldungsanordnung bezüglich der Vermietung von Apartments an einen bestimmten Personenkreis. Die Antragstellerin zu 1 ist die Betreiberin der Wohnanlage und tritt als Vermieterin auf. Die Antragstellerin zu 2 ist die zur Duldung verpflichtete Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Nutzungsuntersagung ist mit einem Zwangsgeld in Höhe von 30.000 Euro bewehrt, die Duldungsverfügung mit einem Zwangsgeld in Höhe von 15.000 Euro.
2
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 26. Juli 2023, der dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 9. August 2023 zugestellt wurde, den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen gerichteten Klage abgelehnt. Die am 23. August 2023 eingelegte Beschwerde hat der Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 25. September 2023 begründet.
3
Der Berichterstatter wies mit Schreiben vom 17. November 2023 darauf hin, dass die Begründung der Beschwerde nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erfolgt ist. Mit Schriftsatz vom 28. November 2023 stellte der Bevollmächtigte der Antragsteller einen Wiedereinsetzungsantrag. Die Wiedereinsetzung sei zu gewähren, da die Antragsteller ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist gehindert gewesen seien. Der sehr erfahrenen, langjährigen Rechtsanwaltsfachangestellten, die nach der Büroorganisation Fristen berechnen und notieren dürfe, und auf deren Zuverlässigkeit er habe vertrauen können, sei bei der Fristberechnung ein Fehler unterlaufen, sodass die Beschwerdebegründungsfrist von ihr irrtümlich auf den 25. September 2023 im Fristenkalender der Kanzlei notiert worden sei. Es liege daher kein Organisationsverschulden, sondern ein nicht zurechenbares Büroversehen vor. Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin beigefügt.
4
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Die Beschwerde ist unzulässig und daher nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu verwerfen. Sie ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden.
6
Den Antragstellern kann auch nicht Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist gewährt werden, weil sie nicht ohne Verschulden an deren Einhaltung gehindert waren.
7
Die Wahrung von Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts bei Übernahme einer Prozessvertretung und ist von ihm eigenverantwortlich zu überwachen. Das schließt zwar nicht aus, dass die Berechnung, Notierung und Kontrolle der üblichen, in der Praxis häufig vorkommenden Fristen gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen wird. Gleichwohl hat der Rechtsanwalt in jedem Fall den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. BGH, B.v. 27.11.2013 – XII ZB 116/13 – NJW-RR 2014, 698; BVerwG, B.v. 7.3.1995 – 9 C 390.94 – NJW 1995, 2122). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in der Handakte (bzw. auf ihnen aufgehefteten Fristenzetteln) prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.2015 – 10 BN 3.14 – juris Rn. 6; BGH, B.v. 23.1.2013 – XII ZB 167/11 – NJW-RR 2013, 1010).
8
Hieran gemessen hätte der Bevollmächtigte der Antragsteller die korrekte Berechnung der Begründungsfrist für die Beschwerde bereits bei der Anfertigung der Beschwerdeschrift am 23. August 2023 selbst überprüfen und erkennen müssen, dass die von der Rechtsanwaltsgehilfin eingetragene Frist falsch war. Es liegt daher ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor, das den Antragstellern nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
9
Im Übrigen ist der Antrag auf Wiedereinsetzung auch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO gestellt worden. Mit der Bearbeitung der Akte zur Fertigung der Beschwerdebegründung am 25. September 2023 wäre auch der Hinderungsgrund der fehlerhaften Fristeintragung für die Einhaltung der Begründungsfrist entfallen. Der Wiedereinsetzungsantrag hätte innerhalb der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO gestellt werden müssen. Es bedurfte keines gerichtlichen Hinweises, um den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist in Gang zu setzen (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.2015 a.a.O.). Der Eingang des Wiedereinsetzungsantrags am 28. November 2023 war daher ebenfalls verspätet.
10
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.4, 1.5 Satz 1 und Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hiernach ist für die Bemessung des Streitwerts die Höhe des angedrohten Zwangsgelds anzusetzen, da dieses jedenfalls dem wirtschaftlichen Interesse an der Aussetzung der Grundverfügungen entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2020 – 15 ZB 19.2258 – juris Rn. 11). Die Abänderungsbefugnis des Senats für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).