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OLG München, Endurteil v. 13.12.2023 – 7 U 667/22
Titel:

Kein Schademsersatzanspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster und Fahrkurvenerkennung

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Fahrzeughersteller wäre nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (hier verneint). (Rn. 39)  (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Fahrzeughersteller kann sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, EA 288, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Differenzschaden, Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 02.12.2021 – 8 O 1637/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35936

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 02.12.2021, Az. 8 O 1637/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Kläger sind die Erben des ursprünglichen Klägers R. B. Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Der ursprüngliche Kläger erwarb am 08.02.2019 von der O.GmbH & Co KG in M. zu einem Preis von 28.800,00 € brutto den von der Beklagten hergestellten VW CC Sport, 2,0 TDI, Fahrzeug-Identifikationsnummer …89 als Gebrauchtfahrzeug. Das 2016 für den koreanischen Markt produzierte und dann für den deutschen Markt zurück gerüstete Fahrzeug wurde am 23.11.2018 erstmals zugelassen. Es wies im Zeitpunkt des Erwerbs durch den ursprünglichen Kläger eine Laufleistung von 100 km auf. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 288 mit Schadstoffklasse Euro 6 und 135 kw Leistung verbaut. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus innermotorischer Abgasrückführung (AGR-Rate) und einem NOx-Speicher-Katalysator (NSK) statt. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.
3
Die jetzigen Kläger veräußerten das streitgegenständliche Fahrtzeug am 30.09.2023 bei einer Laufleistung von 48.000 km zu einem Preis von 15.000 €.
4
Die Klagepartei behauptete, die Beklagte habe bei dem Motor EA 288 den von dem Motor EA 189 bekannten Betrug einfach fortgesetzt. Wie bei Fahrzeugen mit dem Vorgängermotor EA 189 seien auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug illegale Abschalteinrichtungen verbaut, um allein auf dem Prüfstand die für die Schadstoffklasse Euro 6 gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte einhalten zu können. Das Fahrzeug verfüge über eine hierfür notwendige Zykluserkennung und ein Thermofenster. Im Prüfstandsmodus werde ein Teil der Verbrennungsgase mit Frischluft vermengt und in die Zylinder des Motors zurück geführt und durch Kraftstoff neu gezündet und/oder die Funktion des NSK aktiviert oder deaktiviert.
5
Außerdem bestehe ein Thermofenster, welches die Funktionsweise des verbauten Dieselmotors durch eine Software beeinflusse. In der Prüfkammer des NEFZ herrschten stets Temperaturen zwischen 20° C und 30° C. Die Software könne erkennen, welche Außentemperaturen bestünden. Bei niedrigeren oder höheren Außentemperaturen als in der Prüfkammer werde die Stickstoffreduktion zurück gefahren bzw. komplett ausgesetzt. Zudem habe die Beklagte das Onbord-Diagnosesystem (OBD) manipuliert.
6
Die Klagepartei beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klagepartei Schadensersatz i.H.v. 26.408,80 € (abzüglich eines weiteren Betrages in Höhe von 491,49 € hinsichtlich dessen die Hauptsache einseitig für erledigt erklärt werde) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW CC mit der FIN …89.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW CC mit der FIN …89 seit dem 25.06.2021 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 762,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2021 zu zahlen.
7
Die Beklagte schloss sich der Teilerledigterklärung nicht an und beantragte, die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Beklagte erwiderte, dass in dem betroffenen Motor, insoweit anders als in dem Vorgängermotor EA 189, keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
9
Der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung sei nicht unzulässig. Bei dem streitgegenständlichen Motor werde durch die Prüfstandserkennung die Abgasreinigung nicht in einer grenzwertkausalen Weise beeinflußt. In ihrer ursprünglichen Form habe die Fahrkurve hinsichtlich des Abgasreinigungssystems lediglich bewirkt, dass die auch im normalen Fahrbetrieb ca. alle 5 km erforderliche Regeneration des NSK im Prüfstandsbetrieb allein streckenbezogen erfolge, während diese außerhalb des Prüfstands strecken- und beladungsabhängig erfolge. Da der Prüfzyklus des NEFZ 11 km betrage, bestünde andernfalls die Gefahr, dass je nach Beladungszustand am Beginn des Prüfzyklus während des Prüfzyklus zwei oder drei Regenerationsvorgänge des NSK aufträten. Nur ein Test mit anfänglich leerem NSK stelle sicher, dass der Test tatsächlich diejenigen NOx-Emissionen abbildet, die während des Fahrzyklus entstehen. Die Beklagte habe ab 2015 vollumfänglich mit dem KBA kooperiert und dem KBA die Fahrkurve in den Motoren des Typs EA 288 Ende 2015 vorgestellt. Für Neufahrzeuge bei denen der Produktionsstart ab der KW 22/2016 liege, sei die Fahrkurve von Anfang an entfernt worden. Bei anderen NSK-Fahrzeugen sei die Fahrkurvenerkennung anlässlich von Softwareänderungen ab KW 04/2018 ausgebaut worden. Das KBA habe ab Oktober 2015 Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 288 intensiv auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen untersucht und das Nichtvorhandensein mehrfach bestätigt.
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Die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich zwischen -24° C und 70° C zu 100% aktiv, eine Abrampung finde nicht statt. Bei Temperaturen unterhalb von -24° C und oberhalb von 70° C sei die Deaktivierung der Abgasrückführung zum Schutz des Motors erforderlich.
11
Mit Endurteil vom 02.12.2021, Az. 8 O 1637/21, wies das Landgericht Traunstein die Klage ab.
12
Zur Begründung führt das Landgericht aus, es sei aufgrund der unstreitig erteilten EG-Typengenehmigung von einer Zulässigkeit der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtung jedenfalls im Zeitpunkt der Erstzulassung sowie zum Zeitpunkt des Kaufes auszugehen. Hinsichtlich des Motors EA 288 habe das KBA keine Rückrufe veranlasst. Der Klagevortrag reiche zur schlüssigen Darlegung eines deliktischen Handelns nicht aus. Bezüglich einer Täuschung des KBA durch die Beklagte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens habe die Klagepartei keinen substantiierten Tatsachenvortrag gebracht.
13
Mit ihrer Berufung verfolgte die Klagepartei zunächst ihr erstinstanzliches Klageziel unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrags weiter. Zuletzt (Schriftsatz vom 22.08.2023) machte die Klagepartei allerdings nurmehr einen Differenzschaden geltend. Hierzu führen die Kläger aus, das Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Damit bestehe die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung. Dies stelle einen Schaden dar, der bezogen auf den Zeitpunkt des Kaufes mit 15% des Kaufpreises zu bemessen sei. Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt, sie könne sich nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.
14
Die Klagepartei beantragte daher unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts bei Zurücknahme der Berufung im Übrigen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 4.320,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 762,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.06.2021 zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
16
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Auch ein Anspruch auf Differenzschaden sei vorliegend nicht gegeben. Das Thermofenster stelle bereits tatbestandlich keine Abschalteinrichtung dar. Hinsichtlich der Fahrkurve hätte sich die Beklagte, auch wenn man alle weiteren Voraussetzungen zu Gunsten der Kläger unterstellt, in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Zudem habe die Beklagte im allein maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses ihr Verhalten diesbezüglich bereits geändert.
17
Der Senat hat am 15.11.2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2023, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
18
Die Berufung ist zulässig. Soweit man in dem Übergang auf den Differenzschaden überhaupt eine Klageänderung sehen will (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 45: Unterschiedliche Methode der Schadensberechnung), ist diese jedenfalls sachdienlich und damit ebenfalls zulässig.
19
Die Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg, weil die zulässige Klage im Ergebnis nicht begründet ist und sich das Urteil des Landgerichts deshalb als im Ergebnis zutreffend erweist. Im Einzelnen:
I.
20
Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte, die Herstellerin des Fahrzeugs, aber nicht Verkäuferin ist, kommen nicht in Betracht. Anhaltspunkte für ein vorvertragliches Schuldverhältnis sieht der Senat nicht.
II.
21
Das Landgericht hat Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Recht verneint, denn die Voraussetzungen für einen Anspruch gem. §§ 826, 31 BGB liegen nicht vor.
22
1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14).
23
Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeugherstellers vor, wenn dieser sich im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts (KBA) zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze macht (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 25). Dies ist der Fall, wenn der Automobilhersteller dem KBA zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 17).
24
Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28). Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
25
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Kläger nicht vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt.
26
a) Soweit die Klagepartei eine der Umschaltlogik im Motor EA 189 vergleichbaren Abschalteinrichtung behauptet, enthält ihr Vortrag keine greifbaren Anhaltspunkte hierzu und vermag eine Beweisaufnahme daher nicht zu rechtfertigen.
27
aa) Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021, VII ZR 190/20, juris Rz. 23).
28
bb) Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zu einer der Umsachaltlogik des EA 189 vergleichbaren Motorsteuerung die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vergleichbar unzulässigen Abschalteinrichtung.
29
Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer dem EA 189 vergleichbaren Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, juris Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021, III ZR 202/220, juris Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022, VI ZR 435/20, juris Rz. 15).
30
Soweit die Klagepartei als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung auf anderweitige Messungen der DUH Bezug nimmt, dringt sie damit nicht durch. Das KBA hat ausweislich des Berichts zur Untersuchungskommission Diesel (Anlage B 1) Messungen bezüglich des Motors EA 288 gerade nicht nur im NEFZ, sondern auch mit einer Reihe anderer Fahrzyklen auch außerhalb des Prüfstandes vorgenommen (Anl. B 1, S. 15 ff.). Hierbei hat das KBA bezüglich des Motors EA 288 nur solche Abweichungen von den Messungen im NEFZ festgestellt, die aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen zu erwarten waren, aber nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen schließen lassen (Anl. B 1, S. 12, S. 18, S. 60). Im Unterschied dazu wurden bei vergleichbaren Messungen bezogen auf den Motor EA 189 Abweichungen festgestellt, die nur durch eine Abschalteinrichtung zu erklären waren (Anl. B 1 S. 12, S. 114). Sodann hat das KBA auch eine Straßenmessung so durchgeführt, wie es der späteren RDE-Vorschrift, basierend auf dem RDE-Vorschlag der Europäischen Kommission entspricht (a.a.O. S. 17 unten). Abweichende Messungen der DUH im „realen Fahrbetrieb“ unter anderweitigen – unklaren – Parametern sind mithin nicht aussagekräftig und stellen kein Indiz für eine Manipulationssoftware dar.
31
Auch dass die Beklagte die bei Fahrzeugen mit EA 288, Beginn der Produktion vor KW 22/2016 und NSK anfänglich unstreitig vorhandene Fahrkurve (“Bedatung“) nachträglich entfernt hat, ist kein Indiz für eine der Abschaltlogik des Motors EA 189 vergleichbare Manipulationshandlung der Beklagten. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, das freiwillige Software-Update sei im Rahmen des Nationalen Forums Diesel vereinbart worden, habe aber nichts mit einem drohenden Rückruf durch das KBA zu tun. Ein Zusammenhang mit einer bewussten und bewusst unzulässigen Manipulation ist daher nicht erkennbar. Dagegen spricht, dass das KBA für den streitgegenständlichen Motortyp stets bestätigt hat, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei (s. etwa Auskunft des KBA vom 26.10.2020, Anlage B16). Es spricht daher nichts dafür, dass die Beklagte die Fahrkurve in der Motorsteuerung nur entfernt, um verpflichtenden Rückrufen zuvorzukommen; die gegenteilige Annahme der Klagepartei bewegt sich dem gegenüber auf der Ebene der Spekulation.
32
Das Argument, die Motoren EA 189 und EA 288 seien parallel entwickelt worden, trägt gleichfalls nicht. Daraus lässt sich keineswegs ein Indiz ableiten, dass die Motoren über die gleiche Abschalteinrichtung verfügten. Zudem hat das KBA den Motor wie ausgeführt mehrfach untersucht. Dabei erfolgten die ersten Untersuchungen gerade vor dem Hintergrund der 2015 aufgedeckten unzulässigen Umschaltlogik im Rahmen des EA 189. Dennoch hat das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt. Einen Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gibt es unstreitig nicht. Soweit die Klagepartei auf einen Rückruf betreffend ein Fahrzeug T 6 verwiesen hat, ändert dies an diesem Befund nichts, da dies nicht das hier streitgegenständliche Fahrzeug ist.
33
b) Auch die Verwendung des NSK in Verbindung mit einer Fahrkurvenerkennung rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Unstreitig hat die Beklagte in EA 288-Motoren ursprünglich eine Fahrkurvenerkennung implementiert, mittels derer sichergestellt wurde, dass am Ende der dem NEFZ vorgeschalteten Präkonditionierungsfahrt (Precon) der NSK vollständig regeneriert wurde. Damit wurde sichergestellt, dass der NSK zu Beginn des NEFZ nahezu vollständig geleert war. Während des NEFZ wurde sodann eine rein streckengesteuerte Regeneration des NSK nach jeweils 5 km, insgesamt mithin zweimal im Rahmen der 11 km des NEFZ, durchgeführt. Außerhalb des NEFZ fand die Regeneration nicht nur strecken-, sondern auch beladungsabhängig und daher nicht stets nach 5 km statt.
34
Ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann im Rahmen der Ansprüche nach § 826 BGB dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der behaupteten und – unterstellt unzulässigen – Fahrkurvenerkennung und der streckenabhängigen Regeneration ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Die Beklagte hat ausführlich und von den Klägern letztlich unangegriffen dargelegt, dass die anfängliche Verwendung der Fahrkurve zur Steuerung der Auslösemomente für die NSK-Regeneration letztlich dazu dienten, die Prüfergebnisse reproduzierbar zu machen und sicherzustellen, dass bei den Messungen nur die während des Zyklus angefallenen Stickoxide gemessen werden (s. Schriftsatz der Beklagten vom 06.09.2021, dort S. 22 ff.). Es fehlen daher greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat u.a. mit Auskünften vom 13.11.2020 zum Motortyp EA 288 ausdrücklich bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden (Anlage B18).
35
Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission V. vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die V. AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
36
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen.
37
Zudem kann vorliegend das Verhalten der Beklagten in Bezug auf eine etwaige Fahrkurvenerkennung keineswegs mehr bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 04.03.2019 als verwerflich angesehen werden. Wie ausgeführt hatte die Beklagte das KBA schon mit Schreiben vom 29.12.2015 über die Fahrkurvenerkennung unterrichtet. Damit wäre selbst dann, wenn man die ursprünglich vorhandene Fahrkurve als geeigneten Anknüpfungspunkt für das Verdikt der Sittenwidrigkeit ansehen würde, aufgrund der mit der Offenlegung der Fahrkurve verbundenen Verhaltensänderung der Beklagten das Verhalten der Beklagten jedenfalls gegenüber der Klagepartei nicht mehr als besonders verwerflich anzusehen.
38
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den „Applikationsrichtlinien“ vom 18.11.2015 ableiten. Zum einen sind diese nach dem Vortrag der Beklagten mit dem KBA vereinbart worden; jedenfalls wurden sie dem KBA aber mit dem schon genannten Schreiben vom 29.12.2015 offengelegt. Dies spricht gegen eine Täuschungsabsicht der Beklagten. Zum anderen ergibt sich aus den Applikationsrichtlinien, dass die Fahrkurvenerkennung nicht zur Einhaltung der Grenzwerte verwendet werden dürfe und dass sie bei Modellen mit Produktionsstart nach der KW 22/16 nicht mehr in der Software enthalten sei.
39
c) Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 13.; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28).
40
Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (BGH v. 16.9.2021 VI ZR 190/20, juris Rz. 30). Soweit die Klagepartei dies behauptet, ist der erkennbar ins Blaue hinein gemachte Vortrag prozessual unbeachtlich. Dem oben zitierten Vortrag der Klagepartei kann gerade nicht entnommen werden, das Thermofenster sei speziell auf die Prüfbedingungen des NEFZ abgestimmt worden. Denn im Rahmen des NEFZ sind nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei in den Standardprüfzyklen Temperaturen von 20° C bis 30° C vorgegeben. Von einer Abschalteinrichtung, die exakt auf die Prüfbedingungen im NEFZ abgestimmt ist, kann damit schon nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei keine Rede sein (vgl. auch schon BGH vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 20, 24).
41
Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben (BGH vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (BGH, Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 15; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 26; Urteil vom 24..2022, III ZR 270/20, juris Rz. 22; Urteil vom 18.9.2023, VIa ZR 1508/22, juris Rz. 22).
42
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 32; Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 23).
43
d) Der weitere Vortrag der Kläger zu einer angeblichen Modifikation des Onbord-Diagnose-Systems (OBD) und zu einer Lenkwinkelerkennung ist ebenfalls nicht geeignet, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte auch nur darzulegen. Auch insoweit fehlen jegliche tatsächliche Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung durch die Beklagte.
III.
44
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus. Im übrigen würde es bei Gebrauchtwagen an einer Stoffgleichheit zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden der Klagepartei fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, juris Rz. 19 ff.).
IV.
45
Die Kläger haben im Ergebnis auch keinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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1. Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann. Voraussetzung hierfür ist aber, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind und dass sich die Beklagte als typengenehmigungsverantwortliche Fahrzeugherstellerin von der sie aufgrund der objektiven Verletzung des Schutzgesetzes treffenden Vermutung (mindestens) fahrlässigen Handelns nicht entlasten kann.
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2. Hinsichtlich des Thermofensters haben die hierzu darlegungsbelasteten Kläger eine Abschalteinrichtung schon nicht substantiiert vorgetragen. Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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Die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Fahrbedingungen ist daher nach dem Regelungsmodell der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG Teil der durch den Kläger darzulegenden (BGH Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 53) Tatbestandsvoraussetzungen der Abschalteinrichtung und nicht Teil der vom Fahrzeughersteller darzulegenden ausnahmsweisen Zulässigkeit (Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG) einer Abschalteinrichtung. Die Kläger haben hierzu ohne jeden weiteren tatsächlichen Anhaltspunkt und damit auch nach den oben unter II.2. a) aa) angegebenen Maßstäben „ins Blaue hinein“ behauptet, die Abgasreinigung sei nur innerhalb eines Temperaturkorridors zwischen 10° C und 30° C wirksam. Demgegenüber hat die Beklagte ausdrücklich angeführt, die Abgasreinigung sei zwischen -24° C und 70° C voll wirksam. Die Beklagte hat hierzu insbesondere dargelegt, dass im Rahmen der Untersuchungskommission Diesel Versuche unternommen wurden, bei denen die Standardparameter des NEFZ einschließlich der Umgebungstemperatur gezielt verändert wurden. Sie hat vorgetragen, dass auch bei diesen Kontrollversuchen unter veränderten Bedingungen Schadstoffwerte gemessen wurden, die belegen, dass das Emmissionskontrollsystem wirksam war. Mit Blick hierauf konnten die Kläger der sie treffenden Darlegungslast nicht dadurch genügen, dass sie den Vortrag der Beklagten zur Weite des Thermofensters schlicht bestreiten und eine Wirksamkeit der Abgasreinigung allein unter sehr viel engeren Temperaturbedingungen lediglich behaupten. Ein Temperaturfenster zwischen -24° C und 70° C bildet die in Europa (und darüber hinaus) zu erwartenden Klimabedingungen vollständig ab, sodass das Thermofenster bereits tatbestandlich keine Abschalteinrichtung darstellt.
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3. Hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung ist ebenfalls anzuführen, dass die Kläger – soweit diese an einer Fahrkurvenerkennung als unzulässiger Abschalteinrichtung überhaupt festhalten, s. Schriftsatz vom 22.08.2023 – letztlich nicht hinreichend darlegen, dass die Fahrkurvenerkennung die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Fahrbedingungen verringert. Hierfür wäre erforderlich, substantiiert vorzutragen, dass bei einer rein streckengesteuerten Auslösung der NSK-Regeneration geringere Schadstoffwerte ermittelt werden, als bei einer strecken- und beladungsgesteuerten Auslösung und dass infolgedessen die Fahrkurve dazu führt, dass außerhalb des Prüfzyklus das Emissionskontrollsystem weniger wirksam ist als innerhalb des Prüfzyklus. Dies versteht sich aber aus Sicht des Senats schon deshalb nicht von selbst, weil die Speicherkapazität des NSK insgesamt von den für die Regenerationszyklen maßgeblichen Auslösetatbeständen unabhängig ist.
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Vorzutragen wäre darüber hinaus, dass nicht nur generell in den 2015 und (anfangs) 2016 produzierten Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 und NSK, sondern gerade auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die entsprechende Fahrkurve vorhanden war. Auch dies versteht sich vorliegend nicht von selbst, da das streitgegenständliche Fahrzeug ursprünglich 2016 für den koreanischen Markt produziert und sodann für den europäischen Markt zurück gerüstet und erst im November 2018 erstzugelassen und am 08.02.2019 von dem ursprünglichen Kläger gekauft wurde (s. dazu Anlage K1, dort S. 1 unten). Die Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgte daher zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte nach ihrem Vortrag bereits begonnen hatte, auch bei Bestandsfahrzeugen mit dem Motor EA 288 und NSK die Fahrkurve zu entfernen.
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4. Letztlich kann indes dahinstehen, ob das Fahrzeug mit der Fahrkurve ausgestattet war und ob die Fahrkurve in Kombination mit dem Regenerationszyklus des NSK eine Abschalteinrichtung darstellt (insoweit offengelassen von BGH Urteil vom 12.10.2023, VIa ZR 412/21, juris Rz.14). Denn jedenfalls kann sich die Beklagte diesbezüglich entlasten.
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Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH, Urteil vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH, a.a.O. Rz. 59). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (BGH, a.a.O. Rz. 63).
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Den Nachweis für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typengenehmigung führen, wenn diese Genehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgeblichen Einzelheiten umfasst (BGH, VIa ZR 335/21, juris Rz. 64). Zum anderen kann der Fahrzeughersteller sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typengenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung, BGH a.a.O. Rz. 65). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, a.a.O. Rz. 65). Voraussetzung für eine Entlastung des Herstellers ist aber, dass dieser sowohl den Verbotsirrtum als solchen, als auch dessen Unvermeidbarkeit konkret darlegt und ggf. beweist (BGH Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, juris Rz. 13 f.)
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Auf dieser Grundlage ist aufgrund der vorliegenden KBA-Auskünfte zum streitgegenständlichen Fahrzeug und zum streitgegenständlichen Aggregat sowie den Untersuchungen des KBA und deren Ergebnissen ein fahrlässiges Handeln der Beklagten im vorliegenden Verfahren zu verneinen, weil sich die Beklagte jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.
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Der Senat ist bei Würdigung des Sach- und Streitstandes davon überzeugt im Sinne von § 286 ZPO, dass die Beklagte – das Vorhandensein einer unzulässigen Fahrkurve unterstellt – wie von ihr geltend gemacht (Schriftsatz vom 06.10.2023) einem Verbotsirrtum unterlag. Von vorsätzlichem Rechtsbruch geht der Senat insoweit gerade nicht aus (siehe oben), so dass festzustellen ist, dass die für die Beklagte handelnden Personen von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns zumindest im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins ausgingen. Dafür streitet entscheidend, dass im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den ursprünglichen Kläger am 08.02.2019 die Untersuchungen zu den Manipulationen des Motors EA 189 weit fortgeschritten und die damit verbundenen straf- und zivilrechtlichen Folgen für die Organwalter der Beklagten offen zu Tage getreten waren. Auch ist beachtlich, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt dem KBA die ursprüngliche Bedatung der Motorsteuerung bei Motoren des EA 288 mit NSK bereits offenbart hatte und das KBA dies akzeptiert, jedenfalls aber nicht zum Gegenstand eines verpflichtenden Rückrufs gemacht hatte.
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Der Irrtum war auch unvermeidbar. Denn die in diesem Fahrzeugtyp jedenfalls zeitweise applizierte Fahrkurvenerkennung wurden vom KBA bislang als rechtmäßig und mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vereinbar angesehen. Dies hat das KBA insbesondere mit seiner Auskunft vom 12.10.2020 an das Landgericht Freiburg (Teil des Anlagenkonvoluts B 40) bekundet.
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Nach alledem kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV schon dem Grunde nach nicht in Betracht, so dass es auf die Frage des Vorliegens eines etwaigen Differenzschadens nicht ankommt.
V.
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Da somit ein Anspruch auf Schadensersatz insgesamt nicht besteht, besteht bereits infolgedessen auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
C.
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Der Ausspruch zu den Kosten ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegt.

Verkündet am 13.12.2023