Inhalt

OLG München, Endurteil v. 15.11.2023 – 7 U 1434/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen Verwendung eines Thermofensters

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das - wie hier das Thermofenster - nicht danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Fahrzeughersteller nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung (oder vergleichbarer Beeinflussungen) des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Thermofenster, bei dem die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von -24°C bis +70°C ohne Abrampung aktiv ist, stellt schon tatbestandlich keine Abschalteinrichtung dar. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den Nachweis für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typengenehmigung führen, wenn diese Genehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgeblichen Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typengenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Thermofenster, unvermeidbarer Verbotsirrtum, unzulässige Abschalteinrichtung, Emissionskontrollsystem, Abrampung
Vorinstanz:
LG Landshut, Urteil vom 11.02.2022 – 54 O 2890/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35928

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11.2.2022 (Az.: 54 O 2890/21) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ geltend.
2
Die Klagepartei erwarb am 14.7.2018 von einem Autohaus den streitgegenständlichen PKW Marke VW Tiguan bei einem Kilometerstand von 30 zum Kaufpreis von 38.900,- €. Das Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 288 (EU 6). Die Abgasreinigung erfolgt über einen SCR-Katalysator und erfordert die Verwendung von Ad-Blue. Die Klagepartei steht auf dem Standpunkt, die Motorsoftware des Fahrzeugs enthalte diverse unzulässige Abschalteinrichtungen, die dafür Sorge trügen, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalte. Hierfür habe die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB und anderen Anspruchsgrundlagen einzustehen.
3
Die Klagepartei hat beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 34.695,79 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf der Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …86.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klagantrags zu 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.626,49 € freizustellen.
4
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
6
Die Klagepartei beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 34.320,88 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …86.
Hilfsweise für den Fall, dass der Senat davon ausgeht, dass der Klägerpartei kein Anspruch aus § 826 BGB zusteht: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs VW Tiguan, FIN: …86, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 5.835,00 € betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.626,49 € freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
B.
8
Die Berufung erweist sich als unbegründet. Auch der in der Berufung neu gestellte Hilfsantrag, über den zu entscheiden war, weil die Bedingung, unter der er gestellt war (Verneinung von Ansprüchen aus § 826 BGB, dazu unten I.), eingetreten ist, hat keinen Erfolg, weil auch Ansprüche der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB nicht bestehen (dazu unten II.).
I.
9
Zu Recht hat das Landgericht Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) verneint. Denn es fehlt bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei.
10
1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (std. Rspr., vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwNachw). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O. Rz. 15).
11
Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeug- bzw. Motorherstellers vor, wenn dieser sich im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes [im folgenden: KBA] zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze macht (BGH a.a.O. Rz. 25). Dies ist der Fall, wenn der Automobilhersteller dem KBA zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer zu diesem Zweck entwickelten Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die Grenzwerte einhalten (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 17).
12
Dabei kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht mehr sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Verhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen (BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 30 ff.).
13
Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung (oder vergleichbarer Beeinflussungen) des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.1921 – VI ZR 433/19, Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20, Rz. 28). Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
14
2. Die Verwendung eines SCR-Katalysators in Verbindung mit einer Fahrkurvenerkennung (im Sprachgebrauch der Beklagten auch als „Akustikfunktion“ bezeichnet, vgl. Schreiben der Beklagten vom 29.12.2015, Anl. B 3, S. 3 unten) rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Nach dem Vortrag der Klagepartei soll die Fahrkurvenerkennung bewirken, dass im Prüfstand anders als im Realbetrieb zum einen die Abgasrückführungsrate erhöht und zum anderen vermehrt AdBlue eingespritzt werde. Die Beklagte hat bestritten, dass in dem gegenständlichen Fahrzeug eine Fahrkurvenerkennung zum Einsatz kommt.
15
Ob der Vortrag der Klagepartei zutrifft und ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der behaupteten und – unterstellt unzulässigen – Fahrkurvenerkennung ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Eine Fahrkurvenerkennung / Zykluserkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 48). Daran fehlt es.
16
Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat u.a. mit Auskunft vom 15.11.2020 gegenüber dem LG Bayreuth (Anl. B 15; vgl. auch die weiter vorgelegten Auskünfte gemäß Anlagenkonvolut B 40) zum Motortyp EA 288 ausdrücklich bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden. Speziell zur Motorkonfiguration mit EU 6 und 140 kw hat das KBA mit Auskünften vom 14.12.2020 gegenüber dem OLG Celle (Anl. B 22), vom 13.11.2020 gegenüber dem OLG Stuttgart (Anl. B 18) und vom 16.5.2022 gegenüber dem LG Aschaffenburg (Anl. BE 122) bestätigt, dass nach Tests keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens bestehe. Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission Volkswagen vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die V. AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.2015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
17
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen.
18
Zudem kann vorliegend das Verhalten der Beklagten in Bezug auf eine etwaige Fahrkurvenerkennung keineswegs mehr bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 14.7.2018 als verwerflich angesehen werden. Wie ausgeführt hatte die Beklagte das KBA schon mit Schreiben vom 29.12.2015 über die Fahrkurvenerkennung unterrichtet. Damit wäre selbst dann, wenn man die ursprünglich vorhandene Fahrkurve als geeigneten Anknüpfungspunkt für das Verdikt der Sittenwidrigkeit ansehen würde, aufgrund der mit der Offenlegung der Fahrkurve verbundenen Verhaltensänderung der Beklagten das Verhalten der Beklagten jedenfalls gegenüber der Klagepartei nicht mehr als besonders verwerflich anzusehen.
19
Die Behauptungen, die AdBlue-Zuführung beginne verspätet, die AdBlue-Tanks seien zu klein bemessen und die Beklagte habe sich mit anderen Herstellern kartellrechtswidrig über die Größe der Tanks verständigt, ist im Rahmen einer Haftung nach § 826 BGB nicht entscheidungserheblich. Die Größe der Tanks könnte allenfalls ein Indiz dafür sein, dass im realen Fahrbetrieb weniger AdBlue eingespritzt würde als auf dem Prüfstand. Indessen hält der Motor, wie vom KBA festgestellt, auch bei Abschaltung der Fahrkurvenerkennung und der damit verbundenen Funktionen, mithin auch bei der behaupteten geringeren AdBlue-Einspritzung die maßgeblichen Grenzwerte ein.
20
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den „Applikationsrichtlinien“ vom 18.11.2015 ableiten. Zum einen sind diese nach dem Vortrag der Beklagten mit dem KBA vereinbart worden; jedenfalls wurden sie dem KBA aber mit dem schon genannten Schreiben vom 29.12.2015 offengelegt. Dies spricht gegen eine Täuschungsabsicht der Beklagten. Zum anderen ergibt sich aus den Applikationsrichtlinien, dass die Fahrkurvenerkennung nicht zur Einhaltung der Grenzwerte verwendet werden dürfe und dass sie bei Modellen mit Produktionsstart nach der KW 22/16 nicht mehr in der Software enthalten sei.
21
Soweit dagegen eingewandt wird, es sei unklar, wieso die Beklagte eine Zyklus- bzw. Fahrkurvenerkennung einbaue, wenn diese keine Funktion habe, schlägt dieses Argument nicht durch. Auch wenn die Fahrkurvenerkennung wie von der Klagepartei behauptet zur Steuerung der Abgasrückführungsrate oder der AdBlue-Dosierung verwendet wurde, lässt sich daraus keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei ableiten, wie oben dargestellt.
22
Damit kommt es ferner nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es nicht.
23
3. Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend nicht. Denn es liegt unter den Umständen des Falles schon keine unzulässige Abschalteinrichtung vor.
24
a) Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig abhängig von der Umgebungstemperatur. Unklar sind allerdings die genauen Temperaturdaten, zu denen eine Verminderung oder Abschaltung erfolgen soll. Die Klagepartei äußert sich dazu in der Berufungsinstanz nicht mehr im einzelnen. Die Beklagte behauptet, dass die Abgasrückführung im Temperaturbereich zwischen -24°C und + 70 °C ohne Abrampung vollständig aktiv sei. Mangels konkreten Bestreitens durch die Klagepartei ist insoweit vom Vortrag der Beklagten auszugehen. Soweit erstinstanzlich ein Thermofenster von (nur) +20°C bis +30°C behauptet wurde, erachtet der Senat diesen Vortrag der Klagepartei als unbeachtlichen Vortrag ins Blaue hinein und damit nicht als substantiiertes Bestreiten des Beklagtenvortrages.
25
Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20, Rz. 23).
26
Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zur Reichweite des Thermofensters die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie sind genau auf die im NEFZ senatsbekannt vorgegebenen Temperaturen von +20°C bis + 30°C zugeschnitten, um das Thermofenster als prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung qualifizieren zu können. Hierfür gibt es aber keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dass ein Thermofenster in dem genannten engen Temperaturbereich evident gegen europäisches Recht verstoßen würde, drängt sich auf. Dennoch hat das KBA, das aufgrund der vorangegangenen Vorgänge um die Prüfstandserkennung im Motor EA 189 für Prüfstandserkennungen sensibilisiert war, das Thermofenster im Motor EA 288 bis heute nicht beanstandet; wäre es tatsächlich exakt auf die Prüfstandsbedingungen zugeschnitten bedatet, wäre zu erwarten gewesen, dass dies im Zuge der bereits dargestellten umfangreichen Untersuchungen des KBA entdeckt und beanstandet worden wäre. Von daher erscheint die erstinstanzliche klägerische Angabe eines genau auf die Prüfstandsbedingungen zugeschnitten Thermofensters von +20°C – +0°C ohne nähere Anhaltspunkte als spekulativ und ins Blaue hinein.
27
b) Ein Thermofenster, bei dem die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von -24° C bis +70°C ohne Abrampung aktiv ist, stellt schon tatbestandlich keine Abschalteinrichtung dar.
28
Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Vorliegend wird zwar die Temperatur ermittelt, um die Funktion der Abgasrückführung zu verändern bzw. zu reduzieren. Diese Reduzierung tritt jedoch nicht unter Bedingungen ein, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Denn Temperaturen von unter -24°C sind im Unionsgebiet allenfalls in wenigen nördlichen oder alpinen Gebieten an wenigen Tagen im Jahr und Temperaturen über +70°C sind im Unionsgebiet praktisch nicht zu erwarten. Bei den überwiegend vorherrschenden Umgebungstemperaturen und damit bei normalem Fahrbetrieb arbeitet die Abgasrückführung hingegen unbeeinflusst von der Umgebungstemperatur.
29
c) Keine andere Beurteilung rechtfertigt die Tatsache, dass die Beklagte in einigen Parallelverfahren, die ebenfalls Motoren vom Typ EA 288 betreffen, jeweils einen Schriftsatz vom 10.11.2023 eingereicht hat, in welchem für die dort streitgegenständlichen Motoren zumindest mittelbare Einflüsse der Umgebungstemperatur auf die Motorsteuerung auch im Bereich zwischen -24°C und +70°C angegeben wurden. Hiermit konfrontiert, haben die Sitzungsvertreter der Beklagten im Termin vom 15.11.2023 erklärt (vgl. Sitzungsniederschrift, Bl.403 ff. dort S. 2), dass ein vergleichbarer Schriftsatz im vorliegenden Verfahren nicht eingereicht wurde, weil die betreffende Funktion im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht hinterlegt sei. Damit sind die Erklärungen der Beklagten in den genannten Schriftsätzen vom 10.11.2023 im vorliegenden Verfahren nicht als Beklagtenvortrag Prozessstoff geworden.
30
4. Die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalten keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB und vermögen daher eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu rechtfertigen. Sie sind vielmehr nach den oben (I.3.a)) dargestellten Grundsätzen als Behauptungen ins Blaue hinein zu werten und verfehlen die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen.
31
a) Vorliegend bleibt bereits unklar, ob die Klagepartei überhaupt darlegt, dass der streitgegenständliche Fahrzeugmotor über die oben unter I.2 und I.3 diskutierten Abschalteinrichtungen hinaus noch eine weitere, der Umschaltlogik im EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung aufweise, die ausschließlich durch eine Prüfstandserkennung ausgelöst werde. Jedenfalls fehlen für eine derartige Umschaltlogik in den Schriftsätzen der Klagepartei jegliche Anhaltspunkte. Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist jedenfalls kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer über die oben dargestellten Abschalteinrichtungen hinausgehenden Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20, Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021 – III ZR 202/220, Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022 – VI ZR 435/20, Rz. 15).
32
b) Soweit die Klagepartei als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung auf anderweitige Messungen der DUH Bezug nimmt, dringt sie damit nicht durch. Zunächst ist auf vorstehende Ausführungen unter a) zu verweisen. Weiter ist zu bemerken, dass das KBA ausweislich des Berichts zur Untersuchungskommission Diesel (Anlage B 1) Messungen bezüglich des Motors EA 288 gerade nicht nur im NEFZ, sondern auch mit einer Reihe anderer Fahrzyklen auch außerhalb des Prüfstandes vorgenommen hat (Anl. B 1, S. 15 ff.). Hierbei hat das KBA bezüglich des Motors EA 288 nur solche Abweichungen von den Messungen im NEFZ festgestellt, die aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen zu erwarten waren, aber nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen schließen lassen (Anl. B 1, S. 12, S. 18, S. 60). Im Unterschied dazu wurden bei vergleichbaren Messungen bezogen auf den Motor EA 189 Abweichungen festgestellt, die nur durch eine Abschalteinrichtung zu erklären waren (Anl. B 1 S. 12, S. 114). Dabei hat das KBA auch eine Straßenmessung so durchgeführt, wie es der späteren RDE-Vorschrift, basierend auf dem RDE-Vorschlag der Europäischen Kommission entspricht (a.a.O. S. 17 unten). Abweichende Messungen der DUH im „realen Fahrbetrieb“ unter anderweitigen – unklaren – Parametern sind mithin nicht aussagekräftig und stellen kein Indiz für eine Manipulationssoftware dar.
33
Soweit die Klagepartei die Validität der Untersuchungen und die Ergebnisse des KBA anzweifelt, bleibt der entsprechende Vortrag ohne Substanz und ist daher prozessual unbeachtlich. Insbesondere wird, worauf die Beklagte hinweist, im Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen erläutert, wie die „Entnahme“ der Testfahrzeuge vonstatten ging, damit eine Einflussnahme der Hersteller ausgeschlossen werden konnte, und dass die Durchführung der Messungen durch kompetente unabhängige technische Dienste durchgeführt wurde (a.a.O. S. 14). Auch die Implikation der Klagepartei, die Felduntersuchungen seien auf eine Aufdeckung der aus EA 189 bekannten Abschalteinrichtungen ausgerichtet gewesen und könnten somit die komplexeren Mechanismen im EA 288 nicht aufdecken, verfängt nicht. Insoweit versäumt es die Klagepartei, sich mit dem umfangreichen Testprogramm der Untersuchungskommission Volkswagen, das z.B. gerade auch zur Aufdeckung von Zeitprogrammen diente, auseinanderzusetzen.
34
c) Nichts anderes folgt aus dem vorgetragenen Rückruf für Fahrzeuge VW T6. Ein derartiges Fahrzeug ist nicht streitgegenständlich.
35
d) Die Klagepartei behauptet des weiteren, die in dem Motor implementierte Software wirke auf das Getriebe des Fahrzeugs dergestalt ein, dass auf die Schaltpunkte Einfluss genommen werde, sobald das Lenkrad um mehr als 15 Grad gedreht werde. Da die Schaltpunkte des Getriebes ohne Lenkradeinschlag höher als nach einem Lenkradeinschlag seien, würden auf dem Prüfstand geringere Kohlenstoffdioxid- und Stickoxidwerte gemessen als im normalen Straßenverkehr. Das Landgericht ist diesem von der Beklagten bestrittenen Vorbringen aufgrund seiner Unsubstanziiertheit zu Recht nicht nachgegangen. Denn wie sich aus dem Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen (Anl. B 1) ergibt, hat das KBA im Rahmen der Messungen zur Vorbereitung dieses Berichts Test im normalen Straßenbetrieb, bei dem es offenbar zwangsläufig zu Lenkradeinschlägen kommt, vorgenommen, die allesamt keine Hinweise auf eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Lenkwinkeleinschlagerkennung ergaben.
36
Zwar ist eine Behauptung erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Auch unter Anwendung dieser strengen Maßstäbe fehlen aber für eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Lenkwinkelerkennung in den Schriftsätzen des Klägervertreters aus den oben bezeichneten Gründen jegliche Anhaltspunkte.
37
e) Das Argument, die Motoren EA 189 und EA 288 seien parallel entwickelt worden, trägt nicht. Daraus lässt sich keineswegs ein Indiz ableiten, dass die Motoren über die gleiche Abschalteinrichtung verfügten. Zudem hat das KBA den Motor wie ausgeführt mehrfach untersucht. Dabei erfolgten die ersten Untersuchungen gerade vor dem Hintergrund der 2015 aufgedeckten unzulässigen Umschaltlogik im Rahmen des EA 189. Dennoch hat das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt. Einen Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gibt es unstreitig nicht. Soweit die Klagepartei auf einen Rückruf betreffend ein Fahrzeug T 6 verwiesen hat, ändert dies an diesem Befund nichts, zumal nicht ersichtlich ist, dass dieser Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung auf einer unzulässigen Abschalteinrichtung fußte.
38
5. Der Senat vermag auch in der Gesamtschau der vorstehend unter I.2 – I.4 erörterten Umstände kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei zu erkennen.
II.
39
Das Begehren der Klagepartei kann auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt werden.
40
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus.
41
2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann. Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig ein Thermofenster implementiert. Dieses stellt auf der Basis des Sach- und Streitstandes jedoch keine unzulässige Abschalteinrichtung dar (vgl. oben). Die Klagepartei behauptet ferner das Vorliegen einer Fahrkurvenerkennung. Diesbezüglich kann aber letztlich offenbleiben, ob es sich insoweit um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt bzw. ob sie (noch) in dem Fahrzeug verbaut ist. Denn jedenfalls fehlt es vorliegend an dem gemäß § 823 Abs. 2 S. 2 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten.
42
Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH, a.a.O. Rz. 59). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (BGH, a.a.O. Rz. 63).
43
Den Nachweis für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typengenehmigung führen, wenn diese Genehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgeblichen Einzelheiten umfasst (BGH, a.a.O. Rz. 64). Zum anderen kann der Fahrzeughersteller sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typengenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung, BGH a.a.O. Rz. 65). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, a.a.O. Rz. 65). Für das Vorstellungsbild der Beklagten ist dabei auf den Zeitpunkt des Erwerbs des gegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei abzustellen (BGH, Urteil vom 25.9.2023 – VIa ZR 1/23, Rz. 13, 15), hier also auf den 14.7.2018.
44
Auf dieser Grundlage ist aufgrund der vorliegenden KBA-Auskünfte zum streitgegenständlichen Fahrzeug und zum streitgegenständlichen Aggregat sowie den Untersuchungen des KBA und deren Ergebnissen ein fahrlässiges Handeln der Beklagten im vorliegenden Verfahren zu verneinen, weil sich die Beklagte jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.
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Der Senat ist bei Würdigung des Sach- und Streitstandes davon überzeugt im Sinne von § 286 ZPO, dass die satzungsmäßigen Organe (Vorstandsmitglieder) und die ihnen nach § 31 BGB haftungsrechtlich gleichstehenden Mitarbeiter der Beklagten – das Vorhandensein einer unzulässigen Fahrkurve unterstellt – wie von ihr geltend gemacht (Schriftsatz vom 6.10.2023, dort S. 8) einem Verbotsirrtum unterlagen. Dass alle genannten Personen jedenfalls ab Herbst 2015 Kenntnis von der Dieselproblematik und der Thematik unzulässiger Abschalteinrichtungen hatten, ist angesichts des Hochkochens des Dieselskandals in diesem Zeitraum bei lebensnaher Würdigung nicht anders vorstellbar. Auch scheint angesichts der enormen Bedeutung des Dieselskandals für das Ansehen der Beklagten und den damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen nicht vorstellbar, dass das Schreiben vom 29.12.2015 gemäß Anlage B 5, mit dem dem KBA die Existenz einer Fahrkurve in EA288-Motoren offengelegt wurde, ohne Kenntnis und Befassung des Vorstandes versandt wurde. Von vorsätzlichem Rechtsbruch geht der Senat in Bezug auf die in Rede stehenden Abschaltvorrichtungen gerade nicht aus (siehe oben), so dass festzustellen ist, dass die für die Beklagte handelnden Organmitglieder und ihnen nach § 31 BGB haftungsrechtlich gleichstehenden Personen spätestens ab dem Jahreswechsel 2015/16 von der Fahrkurve wussten und von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns zumindest im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins sowohl im Zeitpunkt der Beantragung der Typengenehmigung als auch noch bei Kaufvertragsschluss am 14.7.2018 ausgingen.
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Der Irrtum war auch unvermeidbar. Denn die in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp VW Tiguan mit 140 kw und SCR-Katalysator jedenfalls zeitweise zum Einsatz kommende Fahrkurvenerkennung wurde vom KBA bislang als rechtmäßig und mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vereinbar angesehen. Dies hat das KBA insbesondere mit seiner Auskunft vom 16.5.2022 an das Landgericht Aschaffenburg (Anlage BE 122) bekundet.
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Die Auskünfte wurden erteilt, nachdem das KBA – wie oben dargelegt – den EA 288-Motor bereits dreimal eingehend und gezielt untersucht hatte, von Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Hieraus ist zu schließen, dass die Behörde der Beklagten eine entsprechende Auskunft auch bereits vor Erteilung der Typengenehmigung und auch noch im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 14.7.2018 gegeben hätte, wenn eine solche von der Beklagten unter Vorlage aller heute für erforderlich erachteten Informationen seinerzeit eingeholt worden wäre. Das KBA hätte bei der gegebenen Sachlage eine entsprechende Auskunft auch dann erteilt, wenn ihr alle Einzelheiten in der konkreten Ausführung und unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der (unterstellten) Fahrkurvenerkennung mit sonstigen Elementen der Motorsteuerung vorher bekannt gegeben worden wären (vgl. BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 64).
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Hiergegen sprechen nicht die Applikationsrichtlinien & Freigabevorlagen EA 288 (Anlage K 9; Applikationsrichtlinien, S. 5). Daraus ergibt sich zwar eine Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem KBA bzw. eine Zusage der Beklagten zur Ausbedatung der entsprechenden Softwarefunktion hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung für zukünftige Produktionsdaten. Für Fahrzeugmodelle mit einem SOP (Produktionsstartdatum) vor KW 22/2016 wurden aber die Umschaltungen anhand der Fahrkurven durch das KBA akzeptiert. Im übrigen ist hinsichtlich der Applikationsrichtlinien zu sehen, dass etwaige sich aus diesen Unterlagen ergebenden Vorbehalte des KBA gegen die Fahrkurvenerkennung im EA 288 ganz offensichtlich im weiteren Verlauf – nach eingehenden Prüfungen (siehe oben) – entkräftet wurden. Wenn das KBA nach eigenen bzw. eigenveranlassten umfassenden Prüfungen eine klare Aussage zur Zulässigkeit trifft, können ältere und – vor eigenen Prüfungen notwendig vorläufige – Einschätzungen aus dem Jahr 2015 nicht als Gegenargument für die hypothetische Genehmigung dienen.
49
Nach alledem kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums der Beklagten schon dem Grunde nach nicht in Betracht, so dass es auf die Frage des Vorliegens eines etwaigen Differenzschadens nicht ankommt.
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3. Vertragliche Schadensersatzansprüche (§ 280 Abs. 1 BGB) scheiden von vorneherein aus, weil zwischen den Parteien kein Schuldverhältnis besteht. Die Klagepartei hat das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Dritten erworben. Anhaltspunkte für ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB) sieht der Senat nicht.
C.
51
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
53
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Zu würdigen waren vorliegend die Umstände des Einzelfalles.

Verkündet am 13.12.2023