Titel:
Kein Schadensersatz, auch kein Differenzschaden im Zusammenhang mit vom Diesel-Abgasskandal potentiell betroffenem Fahrzeug
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2 S. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Abschalteinrichtung kann auch dann die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist; in diesem Fall kann aber nicht schon aus der Funktionsweise der Abschalteinrichtung auf eine als sittenwidrig zu bewertende Gesinnung der Herstellerin geschlossen werden, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Umstände. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer hypothetischen Genehmigung kommt in Betracht, wenn das KBA in Kenntnis der Wirkungsweise der Funktion beim konkreten Fahrzeug diese Funktion nicht als unzulässig erachtet und einen zunächst insoweit erlassenen verpflichtenden Rückruf wieder zurücknimmt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, Differenzschaden, hypothetische Genehmigung, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Restwert, Software-Update
Vorinstanz:
LG Landshut, Urteil vom 11.02.2021 – 82 O 2685/20
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35784
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt weiterhin, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11.02.2021, Az. 82 O 2685/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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1. Der Senat hält daran fest, dass das Landgericht zu Recht einen Anspruch aus § 826 BGB verneint hat. Auf den Hinweis vom 16.05.2022 wird Bezug genommen.
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a) Der Senat hat nicht verkannt, dass eine Abschalteinrichtung auch dann die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen kann, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist. In diesem Fall kann aber nicht schon aus der Funktionsweise der Abschalteinrichtung auf eine als sittenwidrig zu bewertende Gesinnung der Beklagte geschlossen werden, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Umstände (vgl. Hinweisbeschluss vom 15.05.2022, S. 4, 3. Absatz). Diese Auffassung des Senats steht im Einklang mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, u.a. der von der Gegenerklärung zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.09.2021 (Az. VII ZR 126/21). Entgegen der Auffassung des Klägers genügt die Qualifizierung einer Abschalteinrichtung als unzulässig gerade nicht, um eine sittenwidrige Schädigungsabsicht zu bejahen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721/3722, Rn. 15 ff).
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b) Mit dem Gutachten … vom 12.11.2020 (Anlage BK 2) kann der Kläger nicht belegen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet ist. Das Gutachten befasst sich – wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt – mit der Kühlmittelsollregelung in einem Fahrzeug der Schadstoffklasse EU 5. Das streitgegenständliche Fahrzeug weist jedoch unstreitig die Schadstoffklasse EU 6 auf (vgl. Klageschrift S. 7, Klageerwiderung S. 6). Für Fahrzeuge der Schadstoffklasse EU 6 gelten die im Gutachten getroffenen Feststellungen aber gerade nicht: Die aus Sicht des Gutachters nicht sinnvolle Absenkung der Solltemperatur bei niedriger Motorlast bei dem untersuchten Modell der Schadstoffklasse EU 5 findet bei den Fahrzeugen der Schadstoffklasse EU 6 gerade nicht statt (vgl. Gutachten BK 2, S. 3, 1. Absatz a.E. und 2. Absatz a.E.). Unzutreffend ist auch die Auffassung des Klägers, die Beklagte habe insoweit nicht hinreichend substantiiert bestritten. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, hat die Beklagte bereits in erster Instanz im Schriftsatz vom 07.01.2021 (S. 8) dargelegt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über die Funktion des geregelten Kühlmittelthermostats verfügt. Aus dem – hier nicht vorgelegten – Gutachten des Sachverständigen … … aus einem anderen Verfahren, das sich mit der Kühlmittelsollregelung in einem Fahrzeug GLK 220 CDI befasst, kann für das streitgegenständliche Fahrzeug deshalb nichts hergeleitet werden.
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3. Entgegen der bisherigen Auffassung des Senats kommt zwar § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Anspruchsgrundlage in Betracht. Der geltend gemachte Anspruch auf „großen“ Schadensersatz kann auf diese Vorschriften jedoch nicht gestützt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 19 ff).
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Dass im streitgegenständlichen Fahrzeug im Zusammenhang mit der Harnstoff-Eindüsung eine Abschalteinrichtung vorhanden ist, hat der Kläger substantiiert dargelegt (vgl. Berufungsbegründung S. 17 ff.). Er hat mit der Auskunft des KBA vom 13.03.2021 gegenüber dem Landgericht Oldenburg (Anlage BK 3) belegt, dass die zwei unterschiedlichen Regelstrategien vom KBA als unzulässig angesehen werden, wenn sie nicht vergleichbar effektiv sind. Die Beklagte sich darauf beschränkt, den diesbezüglichen Vortrag des Klägers als unsubstantiiert zu bezeichnen und darauf zu verweisen, dass die Funktionen im Fahrbetrieb unter gleichen Bedingungen ebenso arbeiten wie auf dem Prüfstand (Berufungserwiderung S. 14). Das ist angesichts des detaillierten Vortrags des Klägers kein hinreichend substantiiertes Bestreiten der Funktionsweise und der Auswirkung dieser Strategien, zumal der Vortrag des Klägers auch durch den Umstand gestützt wird, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zunächst einem Rückruf unterlegen hat. Dass das KBA diesen später zurückgenommen hat, belegt nicht, dass die zunächst als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandete Funktion unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausnahmsweise zulässig ist, denn die für die Änderung der Auffassung des KBA maßgeblichen Gründe hat die Beklagte nicht mitgeteilt.
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Auch wenn die im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig vorhandene Strategie des Wechsels zwischen zwei unterschiedlichen Modi zur Eindüsung von AdBlue als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen ist, ergibt sich daraus jedoch kein Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Kaufvertrags.
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Zudem setzt auch der Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Verschulden des Fahrzeugherstellers voraus. Insoweit kommt die Annahme einer hypothetischen Genehmigung in Betracht (vgl. BGH a.a.O. Rn. 65 ff). Denn das KBA hat in Kenntnis der Wirkungsweise der Funktion beim konkreten Fahrzeug diese zuletzt nicht als unzulässig erachtet und den zunächst erlassenen verpflichtenden Rückruf vom 03.08.2018 mit Bescheid vom 06.08.2020 zurückgenommen.
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Im Übrigen ist auch im Rahmen des – hier nicht geltend gemachten – Differenzschadens eine schadensmindernde Berücksichtigung später eingetretenen Umstände vorzunehmen. Das ist etwa dann der Fall, wenn Nutzungsvorteile und Restwert des Fahrzeugs dessen Wert bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen, oder wenn eine nachträgliche Verbesserung des Fahrzeuges durch ein Software-Update stattgefunden hat, wenn und soweit dieses die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert (BGH a.a.O. Rn. 80). Hier steht unstreitig ein Software-Update zur Verfügung (vgl. Anlage R 1 c), das der Beseitigung der zunächst vom KBA als unzulässig eingestuften Abschalteinrichtung dient.
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Der Senat legt dem Kläger nahe, aus Kostengründen die Berufung zurückzunehmen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (Ziffer 1222 KV-GKG).