Inhalt

OLG München, Beschluss v. 24.10.2023 – 5 U 8740/21
Titel:

Inhaltliche Anforderungen an eine Berufungsbegründung (hier: Diesel-Abgasskandal; Nachkauf)

Normenketten:
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 522 Abs. 1
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Verneint das Erstgericht einen kausalen Schaden, da dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs beim Kauf ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass ein Rückruf wegen der Motorsteuerungssoftware angeordnet wurde, genügt eine Berufungsbegründung, die durchgehend von einer „verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung“ ausgeht, nicht den Zulässigkeitsanforderungen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vgl. auch zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung bei Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung BGH BeckRS 2022, 15339; BeckRS 2022, 12026; BeckRS 2021, 22315; BeckRS 2021, 22776; BeckRS 2021, 21518; BeckRS 2021, 23185; BeckRS 2021, 45088; BeckRS 2023, 34919; OLG Hamm BeckRS 2020, 47700. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Berufungsbegründung, unzulässig, mehrere tragende Erwägungen, kausaler Schaden, Nachkauf, Rückruf, Kenntnis
Vorinstanz:
LG München II, Urteil vom 17.11.2021 – 2 O 3613/20
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35782

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17.11.2021 (Az. 2 O 3613/20) wird verworfen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43.862,45 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin verlangt im Berufungsverfahren noch von der Beklagten zu 1) Schadensersatz wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Diesel-Fahrzeug.
2
Das Landgericht München II wies die Klage mit dem Urteil vom 17.11.2021 als unbegründet ab. Wegen der Einzelheiten wird nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
3
Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 07.12.2021 (Bl. 304 d.A.) Berufung ein, die sie mit Schriftsatz vom 07.02.2022 (Bl. 315 d.A.) begründete.
4
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 17.11.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München II die Beklagte zu 1) entsprechend der Anträge im Schriftsatz vom 07.02.2022 zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen (Bl. 315/316 d.A.). Mit Schriftsatz vom 18.10.2023 (Bl. 402 d.A.) beantragt sie hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Differenzschaden, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber einen Betrag von 7.440,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
5
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 02.10.2023 (Bl. 400 d.A.) wurde die Klägerin auf Bedenken gegenüber der Zulässigkeit der Berufung hingewiesen. Hierzu nahm sie mit Schriftsatz vom 18.10.2023 (Bl. 402 d.A.) Stellung.
II.
6
Die Berufung wurde nicht ordnungsgemäß begründet und ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
7
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021- VI ZB 18/20 –, Rn. 8, juris).
8
b) Letzteres ist hier der Fall. Die Berufungsbegründung vom 07.02.2022 (Bl. 315 d.A.) ist nicht auf das angefochtene Urteil des Landgerichts München II vom 17.11.2021 und dessen tragende Erwägungen zugeschnitten, sondern enthält eine Zusammenstellung allgemeiner Rügen und Ausführungen bei Dieselklagen, ohne das konkrete Verfahren zu erfassen.
9
aa) Das landgerichtliche Urteil wies die Klage ab, weil die Klägerin keinen Schaden erlitten habe.
10
Das Landgericht verneinte unter Ziffer I. der Entscheidungsgründe sowohl ein sittenwidriges Handeln der Beklagten als auch einen kausalen Schaden der Klagepartei. Auch die Haftung aus Betrug oder §§ 826, 831 BGB, die unter Ziffer II. angesprochen wurde, wurde aus den „oben genannten“ Gründen abgewiesen. Die Abweisung einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB wurde zudem auf die fehlende Schutzgesetzeigenschaft der europarechtlichen Vorschriften gestützt.
11
Der vorliegende Sachverhalt zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass der Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrages vom 05.07.2019 ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass ein Rückruf wegen der Motorsteuerungssoftware angeordnet wurde (siehe landgerichtliches Urteil, Seite 2 im Tatbestand). In der Folge verneinte das Landgericht einen kausalen Schaden der Klägerin, da sie trotz der von ihr in der Anhörung eingeräumten Kenntnis von diesem Umstand das Fahrzeug erworben habe (siehe landgerichtliches Urteil, Seite 8 in den Entscheidungsgründen). Daher fehle es an einem Kausalzusammenhang zwischen einem möglichen vorsätzlichen sittenwidrigen Handeln von Vorständen und Repräsentanten der Beklagten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs und einem der Klagepartei bei Erwerb entstandenen Schaden. Dieser selbständig tragende Grund liegt der Klageabweisung in allen ihren Begründungen zugrunde.
12
bb) Die Berufungsbegründung vom 07.02.2022 (Bl. 315 d.A.) setzt sich damit nicht auseinander und nimmt diesen vom Landgericht im Urteil festgestellten Sachverhalt nicht zur Kenntnis. Die Ausführungen zum Schaden auf Seite 41 (Bl. 355 d.A.) sind ersichtlich nicht auf den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt zugeschnitten, sondern verharren auf einer abstrakten Ebene. Im Gegenteil geht die Berufungsbegründung ohne Rückbeziehung auf den Vortrag im Verfahren und auf die Anhörung der Klägerin von einer „verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung“ aus (Seite 42 = Bl. 356 d.A.). Gleiches gilt für den Schriftsatz vom 18.10.2023 (Seite 2 = Bl. 403 d.A.), wenn dort unter dem Stichwort „Erwerbskausalität“ auf den Erfahrungssatz abgestellt wird, dass ein Käufer den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte, und ein Herstellerverhalten referiert wird, wonach die mit dem Kauf verbundenen Risiken dem Erwerber zu verdeutlichen sind. Die Berufung nimmt damit weiterhin nicht zur Kenntnis, dass das landgerichtliche Urteil einen Sachverhalt festgestellt hat, bei dem der Erwerber aufgeklärt wurde, und dass es (auch) aus diesem Grund eine Haftung der Beklagten zu 1) verneint hat. Warum diese Ausführungen unrichtig sein sollten, wird von der Berufungsbegründung (und auch in den ergänzenden Ausführungen) nicht dargestellt.
13
c) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO, die Streitwertfestsetzung aus § 3 ZPO, §§ 39, 40, 47 Abs. 1 GKG.