Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz (auch nicht Differenzschaden) wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes Benz GLK 220 CDI 4Matic)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1
EG-FGV § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
ZPO § 287, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. auch zur Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779; OLG KOblenz BeckRS 2020, 31540; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 35775 sowie OLG Stuttgart BeckRS 2021, 33101; BeckRS 2022, 51626; BeckRS 2022, 40422 mit weiteren Nachweisen in Ls. 1; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens zu, wenn dieser bei Anrechnung des Restwerts des Fahrzeugs und der gezogenen Nutzungen der Höhe nach vollständig aufgezehrt ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Restwert kann auf Grundlage entsprechender Verkaufsangebote der Verkaufsplattform www.mobile.de geschätzt werden, wobei ein Abschlag zu machen ist, weil der Verkäufer bei einem Privatverkauf keine Händlerspanne erzielen kann und bei Privatverkäufen der angebotene Verkaufspreis durch Verhandlungen möglicherweise reduziert werden kann. (Rn. 53 und 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, Kühlerjalousie, Timerfunktion, Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 19.09.2022 – 025 O 4669/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35779
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.09.2022, Aktenzeichen 025 O 4669/21, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 31.10.2022, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Abgasmanipulationen.
2
Der Kläger erwarb am 5.2.2015 bei der P. P. GmbH & Co. KG in 8. N. ein Gebrauchtfahrzeug Mercedes Benz Typ GLK 220 CDI 4Matic, Fahrzeugidentifikationsnummer … zum Kaufpreis von 38.200,00 € brutto.
3
Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des in ihm verbauten Dieselmotors vom Typ OM651, 125 kW. Für das Fahrzeug mit Erstzulassungsdatum 4.6.2014 wurde eine Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
4
Die Abgasrückführung erfolgt in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat für das streitgegenständliche Fahrzeug die implementierte Regelung des Kühlmittelthermostats gerügt.
5
Der Kilometerstand betrug am 5.2.2015 14.520 km und am 14.9.2023 117.179 km.
6
Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das Ersturteil vom 19.9.2022 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
7
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen.
8
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klagepartei stünden weder aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder §§ 6, 27 EG-FGV i.V.m. der Richtlinie 2007/46/EG Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Es könne dahinstehen, ob sich in dem klägerischen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung befinde bzw. ob der diesbezügliche Vortrag des Klägers als ausreichend substantiiert anzusehen sei. Jedenfalls fehle es am notwendigen Vorsatz bzw. am Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Zudem fehle es am substantiierten Vortrag zu einem Schaden.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger, der sein erstinstanzliches Begehren mit seiner Berufung im Wesentlichen weiterverfolgt.
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In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger (Bl. 281/282 d.A.):
A. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.09.2022 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs
Fahrzeug-ldentifizierungs-Nummer (FIN): …
an den Kläger einen Betrag in Höhe von 38.200,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis × (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung – Kilometerstand bei Kauf)
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden angemessenen Schadensersatz in Höhe von 5 % bis 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs (38.200,00 €) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Antrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.296,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
B. nur hilfsweise: Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, insbesondere weil das Deliktsrecht von unterschiedlichen Rechtsprechungsströmungen geprägt ist und die hier relevanten Rechtsprobleme grundsätzliche Bedeutung haben.
11
Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Handeln der Beklagten erfülle den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Der Kläger habe substantiiert zu den im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen vorgetragen. So sei die temperaturbedingte Abschalteinrichtung unzulässig. Auch habe der Kläger substantiiert zur Funktionsweise der unzulässigen Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung vorgetragen. Auch das Gutachten des … bestätige die Verwendung acht illegaler Abschalteinrichtungen. Die Beklagte habe die verwendete Software bewusst verschwiegen und das KBA getäuscht. Zudem stehe dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB zu, da die Kraftfahrzeug-Rahmenrichtlinie drittschützende Wirkung habe.
12
Wegen des weiteren Berufungsvortrags des Klägers wird auf die Berufungsbegründung vom 10.11.2022 und seine Stellungnahmen vom 30.3.2023, 7.9.2023 und 20.9.2023 Bezug genommen.
13
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
14
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Es sei vertretbar, die außentemperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung und die im Fahrzeug verbaute Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung als zulässig anzusehen. Hinsichtlich der temperaturbedingten Abgasrückführung habe das Landgericht zu Recht keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung angenommen. Auch das im Fahrzeug verbaute geregelte Kühlmittelthermostat halte nach Auffassung der Beklagten die einschlägigen regulatorischen Anforderungen ein. Sittenwidrigkeit scheide deshalb aus.
15
Wegen des weiteren Berufungsvortrags wird auf die Schriftsätze vom 28.9.2022, 23.12.2022 und vom 12.10.2023 Bezug genommen.
16
Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.9.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 31.10.2022 entspricht der Sach- und Rechtslage.
17
Der Senat bleibt bei seiner in den Hinweisen vom 10.1.2023 und vom 18.8.2023 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
18
Zu den ergänzenden Stellungnahmen des Klägers vom 30.3.2023, 7.9.2023 und 20.9.2023 nimmt der Senat wie folgt Stellung:
19
1. Soweit der Kläger meint, es liege ein substantiierter klägerischer Vortrag zu den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen vor, geht dies teilweise fehl und hilft im Übrigen auch nicht weiter. Es fehlen greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware im klägerischen Fahrzeug. Hinsichtlich des im Fahrzeug verbauten Thermofensters sowie der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung hat der Kläger jedenfalls die objektive Sittenwidrigkeit und den Schädigungsvorsatz nicht substantiiert dargetan. Soweit er das Vorliegen (weiterer) unzulässiger/prüfstanderkennender Abschalteinrichtungen behauptet, handelt es sich um unsubstantiierte Behauptungen ins Blaue hinein. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf S. 2 ff. des Senatshinweises vom 10.1.2023 Bezug genommen.
20
Soweit der Kläger erneut die Öffnung der Kühlerjalousie benennt, wird auf S. 17 des Senatshinweises vom 10.1.2023 verwiesen.
21
2. Soweit der Kläger erneut zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und zu einem Gutachten des … ausführt, hilft dies ebenfalls nicht weiter. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen auf S. 9 ff. des Senatshinweises vom 10.1.2023 Bezug genommen.
22
Auch das Gutachten des … (nunmehr vorgelegt als Anlage R 1) hilft nicht weiter. Dieses Gutachten betrifft das Fahrzeug Mercedes Benz E 250 der Abgasnorm Euro 5 mit OM 651-Motor, Erstzulassungsdatum 27.6.2013 und 150 kW. Weshalb dieses Fahrzeug mit streitgegenständlichem Fahrzeug vergleichbar sein soll, ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich.
23
Zudem ist diesem Gutachten nicht zu entnehmen, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung eine Prüfstanderkennungssoftware darstellt. So erklärte … dass die Motorsteuerungssoftware auf geringe Motordrehzahlen und geringen Luftmassenstrom reagiere. Zudem erklärte er auf S. 4 seines Gutachtens, dass er nicht in der Lage sei zu beurteilen, ob die ermittelten Werte ausschließlich auf dem Prüfstand oder auch im realen Fahrbetrieb eine Rolle spielten. Konkret führte er aus:
„Ob die hier beschriebene Absenkung der Kühlmittelsolltemperatur auch im normalen Fahrbetrieb auftreten kann, oder ob, umgekehrt, die Umschaltung auf die normale Kühlmittelsolltemperatur beim NEFZ möglich ist, kann ein KFZ-Sachverständiger besser beurteilen. Die Berechnung von Luftmassenströmen und Drehzahlen bei verschiedenen Fahrtzuständen fällt nicht in meinen Fachbereich.“
24
Auch soweit der Kläger zu einem Bericht des Bayerischen Rundfunks und zur „Timerfunktion“ vorträgt, genügt dies nicht. Seine Ausführungen bleiben pauschal und ohne konkreten Bezug zum klägerischen Fahrzeug. Selbst wenn sich die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung nur innerhalb eines kurzen Zeitraums auswirkt, ändern dies nichts daran, dass insoweit eine Prüfstandbezogenheit zu verneinen wäre (vgl. Beschluss des BGH vom 29.9.2021, VII ZR 126/21).
25
Soweit er zu einem Rechtsgutachten von … ausführt, hilft auch dies nicht weiter, da auch insoweit ein konkreter Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug fehlt. Damit ist keine manipulative Prüfstanderkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug substantiiert dargetan ist.
26
3. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 30.3.2023 ergänzend zur Funktionsweise des im Fahrzeug verbauten Thermofensters ausführt, hilft auch dies nicht weiter.
27
Unbeschadet der Frage des verspäteten Vorbringens fehlt substantiierter Vortrag zum Vorliegen einer Prüfstanderkennung (vgl. hierzu bereits S. 5 des Senatshinweises vom 10.1.2023).
28
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das im klägerischen Fahrzeug verbaute Thermofenster eine Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt. Denn nach dem substantiierten Vorbringen der Beklagten ist das AGR-System im streitgegenständlichen Fahrzeug selbst bei zweistelligen Minusgraden noch aktiv.
29
Jedenfalls fehlt es aber insoweit an der substantiierten Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes.
30
Soweit der Kläger meint, der NOx-Ausstoß werde „nur in einem Temperaturbereich minimiert, der den genormten Temperaturen des NEFZ entspricht, also zwischen ca. 15-30° C“, und in diesem Zusammenhang auf Gutachten des … und … verweist, genügt auch dieser pauschale Vortrag nicht. Auch hier fehlt substantiierter Vortrag zum streitgegenständlichen Fahrzeug.
31
Der – senatsbekannte – Messbericht des … vom 12.2.2020 hilft jedenfalls nicht weiter. Zum einen betrifft dieser Bericht einen Mercedes Benz C 250 CDI 4Matic mit OM651-Motor und Baujahr 2011 (vgl. hierzu auch Schriftsatz der Beklagten vom 12.10.2023). Weshalb dieses Fahrzeug mit hiesigem PKW vergleichbar sein soll, ist weder substantiiert dargetan noch ersichtlich. Zum anderen führte … lediglich aus, dass Außentemperaturen, die deutlich unter 20° C liegen, einen starken Einfluss auf die NOx-Emissionen haben (Hervorhebung durch den Senat). Damit ist eine exakte Prüfstanderkennung klägerseits nicht dargetan.
32
Hinsichtlich des Gutachtens von … wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 17 f. des Senatshinweises vom 10.1.2023 Bezug genommen.
33
4. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die Einschätzung des … vom 5.9.2019 bzw. 16.10.2019, die Ausführungen des … und das Rechtsgutachten der … meint, die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung sei nicht zwingend notwendig gewesen, da es durch andere technische Mittel hätte ersetzt werden können, hilft auch dies nicht weiter. Die klägerischen Ausführungen bleiben pauschal und ohne konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug. Sein Vortrag ist nicht geeignet, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im klägerischen Fahrzeug zu begründen. Es ist unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Entwicklung des Fahrzeugs andere technische Möglichkeiten gab, mit denen auch bei geringerer Reduzierung der Abgasrückstände das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich weitere Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten. Unabhängig davon, ob solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen waren, kann es keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen, wenn ein Kfz-Hersteller nicht Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42).
34
5. Soweit der Kläger ausführt, die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt; es erscheine weltfremd, der Beklagten den Vorsatz zu versagen, hilft auch dies nicht weiter. Der Vortrag bleibt pauschal und ohne konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug. Damit kann das Ersturteil nicht zu Fall gebracht werden.
35
Soweit er in diesem Zusammenhang erneut ausführt, die Beklagte habe spätestens September 2015 bezüglich der Einhaltung der Abgasgrenzwerte und deren legaler Optimierung höchst sensibilisiert gewesen sein müssen, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 14 des Senatshinweises vom 10.1.2023 Bezug genommen.
36
Soweit er zu „internen Dokumenten aus den Kartellabsprachen von Bosch mit den Fahrzeugherstellern“ ausführt, genügt auch dies nicht. Auch dieser Vortrag bleibt pauschal und ohne konkreten Bezug zum klägerischen Fahrzeug.
37
6. Soweit der Kläger ausführt, es bestehe ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und in diesem Zusammenhang hilfsweise einen Differenzschaden in Höhe von (5 bis) 15 % des gezahlten Kaufpreises geltend macht, hilft auch dies nicht weiter.
38
Hierbei kann im Ergebnis dahinstehen, ob im Fahrzeug des Klägers implementierte Abgasreinigungsstrategien objektiv als unzulässige Abschalteinrichtungen einzuordnen sind.
39
Denn ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens ist bei Anrechnung des Restwerts des Fahrzeugs und der gezogenen Nutzungen der Höhe nach vollständig aufgezehrt.
40
Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (Urteil des BGH vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21).
41
Ausgangspunkt der Berechnung ist die Differenz zwischen dem Wert eines mangelfreien und eines mangelhaften Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Diese Differenz ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls zwischen 5 und 15 % des Kaufpreises anzusetzen, der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es hierfür nicht (Urteil des BGH vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21).
42
Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. Urteile des BGH 24.1.2022, VIa ZR 100/21, und vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21).
43
Nach Maßgabe des Vorstehenden ergibt sich hier Folgendes:
44
Der Senat schätzt den Schaden gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auf 15 % des gezahlten Bruttoeinkaufspreises von 38.200,00 Euro, mithin 5.730,00 €.
45
Hierbei hat der Senat zugunsten des Klägers die Unzulässigkeit der temperaturbedingten Abgasrückführung sowie der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung unterstellt sowie den Grad des Verschuldens der Beklagten berücksichtigt und auch das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug, dessen implementierte Regelung des Kühlmittelthermostats vom KBA gerügt wurde, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 5.2.2015 bewertet.
46
Der tatsächliche Wert des Fahrzeugs betrug demnach bei Vertragsschluss 32.470,00 €.
47
Der Nutzungsvorteil des Klägers berechnet sich wie folgt (vgl. Urteile des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19):
Nutzungsvorteil =
|
Bruttokaufpreis × gefahrene Strecke (seit Erwerb)
|
erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
|
48
Soweit der Kläger meint, es sei eine Gesamtfahrleistung von mindestens 300.000 km heranzuziehen, hilft dies nicht weiter.
49
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere des genauen Fahrzeugtyps (Mercedes Benz Typ GLK 22 CDI 4Matic, Fahrzeugidentifikationsnummer … Dieselmotor vom Typ OM651, 125 kW, Erstzulassungsdatum 4.6.2014) und der bisherigen Laufleistung des vom Kläger am 5.2.2015 erworbenen Gebrauchtfahrzeugs schätzt der Senat im konkreten Fall die Gesamtlaufleistung auf 250.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat auch innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung und zwar nicht am unteren Rand (vgl. hierzu schon Urteil des BGH vom 24.7.2021, VI ZR 812/290).
50
Den aktuellen Kilometerstand hat der Senat – zugunsten des Klägers – mit dem von ihm am 14.9.2023 angegebenen Kilometerstand von 117.179 km angesetzt.
51
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Berechnungsformel hat der Senat den Bruttokaufpreis vom 38.200,00 € mit der gefahrenen Strecke seit Erwerb (117.179 km – 14.520 km = 102.659 km) multipliziert, durch die zu erwartende Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (250.000 km – 14.520 km = 235.480 km) dividiert und hieraus einen Nutzungsvorteil in Höhe von 16.653,53 € errechnet.
52
Zum Restwert des Fahrzeugs hat der Kläger pauschal geäußert, dass sich dieser auf 20.800,28 € belaufe.
53
Die Beklagte hat hierzu substantiiert ausgeführt, dass der Restwert des klägerischen Fahrzeugs mindestens 21.900,00 € betrage. Mit dem streitgegenständlichem Fahrzeug hinsichtlich Zulassungsdatum und Laufleistung vergleichbare Fahrzeuge desselben Typs würden auf Gebrauchtwagenbörsen zum Preis von ca. 22.700,00 € angeboten. Hierzu legte die Beklagte auch entsprechende Verkaufsangebote der Verkaufsplattform www.mobile.de vor.
54
Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.
55
Der Senat schätzt gemäß § 287 ZPO nach Abwägung der Gesamtumstände den aktuellen Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf mindestens 21.700,00 €.
56
Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass die von der Beklagten vorgelegten Angebotspreise von Privatpersonen und Autohändlern zwischen 21.900,00 € und 23.500,00 € lagen. Der durchschnittliche Preis betrug 22.590,00 €. Hiervon hat der Senat einen Abschlag von 800 € gemacht und diesen Betrag noch nach unten gerundet, weil der Kläger bei einem Privatverkauf keine Händlerspanne erzielen kann und bei Privatverkäufen der angebotene Verkaufspreis durch Verhandlungen möglicherweise reduziert werden kann (vgl. hierzu auch Beschluss des OLG Hamm von 31.8.2023, 8 U 153/22).
57
Vor diesem Hintergrund beträgt die Summe der zu berücksichtigenden Vorteile des Klägers (Nutzungsentschädigung und Restwert des Fahrzeugs) mindestens 38.353,53 €. Sie übersteigt damit den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt (32.470,00 €) um 5.883,53 €.
58
Der inmitten stehende (maximale) Differenzschaden in Höhe von 5.730,00 € wird hierdurch vollständig aufgezehrt.
59
7. Mangels Hauptforderung kann der Kläger auch weder Zinsen noch die Erstattung seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen. Auch der Feststellungsantrag geht ins Leere.
60
Nach alledem erweist sich das Ersturteil als zutreffend.
61
Die Berufung des Klägers war daher – wie angekündigt – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
63
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
64
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG festgesetzt.