Titel:
Anfechtung der Versäumung der Erbausschlagungsfrist durch den Insolvenzschuldner
Normenketten:
BGB § 119 Abs. 2, § 1956
InsO § 83 Abs. 1. S. 1§ 84 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Ein laufendes Insolvenzverfahren steht der Ausschlagung der Erbschaft durch die Insolvenzschuldnerin gem. § 83 Abs. 1 S. 1 InsO nicht entgegen. Diese Vorschrift erfasst nicht nur eine unmittelbare Ausschlagungserklärung, sondern auch die Ausschlagung durch Anfechtung der Annahme oder der Versäumung der Ausschlagungsfrist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Nachlassverbindlichkeit, Ausschlagung der Erbschaft, Erbschaftsannahme, Anfechtung
Vorinstanz:
AG Passau, Endurteil vom 09.03.2023 – 18 C 693/22
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 28.09.2023 – IX ZA 14/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2023 – IX ZA 14/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35712
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Passau vom 09.03.2023, Az. 18 C 693/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Amtsgerichts Passau ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren und das erstinstanzliche Verfahren auf 194.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass … zu 3/4 Erbin nach dem am 29.07.2013 verstorbenen … geworden sei.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
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Über das Vermögen der … (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) wurde am 22.07.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Treuhänder bestellt. Am 29.07.2013 verstarb …, der Ehemann der Beklagten und Vater der Insolvenzschuldnerin (im Folgenden: Erblasser). Es trat gesetzliche Erbfolge ein. Der Erblasser hinterließ neben der Beklagten und der Insolvenzschuldnerin noch eine Tochter aus erster Ehe, nämlich … . Mit Schreiben vom 03.03.2016 stellte das Finanzamt Passau gegen die Beklagte, die Insolvenzschuldnerin und … als Erben Steuerverbindlichkeiten des Erblassers in Höhe von 399.679,56 € fällig. Es handelte sich um Nachzahlungen auf Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag aus den Jahren 1998 und 1999 zuzüglich Zinsen. Diese Forderung, die den Wert der Aktiva des Nachlasses übersteigt, wurde nicht zum Insolvenzverfahren angemeldet. In der Folge schlug … die Erbschaft aus. Auch die Insolvenzschuldnerin erklärte mit notariell beglaubigtem Schreiben vom 05.04.2016 gegenüber dem Amtsgericht Passau – Nachlassgericht – wegen Irrtums über die Existenz der Steuerschuld die Anfechtung der Annahme bzw. der Versäumung der Ausschlagungsfrist und die Ausschlagung der Erbschaft. Mit Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 13.09.2016 wurde der Insolvenzschuldnerin die beantragte Restschuldbefreiung erteilt.
4
Der Berufungskläger beansprucht die Feststellung, dass die Insolvenzschuldnerin zu 3/4 Erbin nach dem Erblasser geworden sei. Er geht von der Unwirksamkeit der Ausschlagung der Erbschaft durch die Insolvenzschuldnerin aus. Ein Eigenschaftsirrtum habe nicht vorgelegen, da es sich bei der Forderung des Finanzamts um eine Insolvenzforderung gehandelt habe, sodass die Insolvenzschuldnerin, welche durch das Zwangsvollstreckungsverbot während des Insolvenzverfahrens und die erteilte Restschuldbefreiung geschützt sei, durch die Erbschaft wirtschaftlich profitiere, weil ihr die Aktiva zuflössen, sie jedoch wegen der Steuerschuld nicht in Anspruch genommen werden könne.
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Zunächst hatte der Kläger sein Petitum, für das er einen Streitwert von 170.000,00 € angesetzt hatte, im Rahmen eines Antrags auf Prozesskostenhilfe vor dem Landgericht Passau (Az. 1 O 277/22) verfolgt. Nachdem ihm die begehrte Prozesskostenhilfe vom Landgericht und auf sofortige Beschwerde vom Oberlandesgericht München versagt worden war, hat er sein Begehren durch Klage vor dem Amtsgericht – nunmehr unter Annahme eines Streitwerts von 4.000,00 € – weiterverfolgt. Mit Endurteil des Amtsgerichts Passau vom 09.03.2023, Az. 18 C 693/22, auf dessen tatsächliche Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, ist die Klage abgewiesen worden. Gegen das dem Berufungskläger am 13.03.2023 zugestellte Endurteil hat dieser mit Schriftsatz vom 23.03.2023, eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und diese auch begründet.
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Der Berufungskläger rügt Rechtsverletzungen der amtsgerichtlichen Entscheidung. Im Wesentlichen ist er der Auffassung, das Amtsgericht sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Steuerschuld in Höhe von 399.679,56 € den Nachlass belaste und dass die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte gesamtschuldnerisch für die Forderung haften würden. Wegen der zur Zeit der Ausschlagung unmittelbar bevorstehenden Restschuldbefreiung treffe die Nachlassverbindlichkeit die Insolvenzschuldnerin nämlich nicht. Das Amtsgericht sei fälschlich davon ausgegangen, dass es sich bei der Forderung des Finanzamts im Verhältnis zur Insolvenzschuldnerin nicht um eine Insolvenzforderung handele. Eine Überschuldung des Nachlasses scheide aus, da die Forderung des Finanzamts auf der Passivseite nicht eingestellt werden dürfe, da es sich um eine Forderung handele, die von der Insolvenzschuldnerin nicht bezahlt werden müsse. Weiter setze das Amtsgericht die im Rahmen der Anfechtung erforderliche Kausalität fälschlicherweise mit dem Irrtum gleich, was unzulässig sei. Zudem stelle die Anfechtung der Annahme der Erbschaft eine Verfügung dar, die die Insolvenzschuldnerin nach §§ 80, 81 InsO nicht wirksam habe vornehmen können. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 23.03.2023 und die Schriftsätze vom 04.05.2023 und 01.06.2023 verwiesen.
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Der Berufungskläger beantragt,
Unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Passau vom 09.03.23, Az: 18 C 693/22, wird festgestellt, dass die Klägerin zu 3/4 Erbin nach dem am 29.07.2013 verstorbenen Herrn … geworden ist.
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Die Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Berufungsbeklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Argumentation.
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Hinsichtlich der Einzelheiten sowie zur Vervollständigung wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und auf alle weiteren Aktenbestandteile Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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1. Zwar hat das Amtsgericht zu Unrecht seine sachliche Zuständigkeit angenommen. Gemäß §§ 1 ZPO, 23, 71 Abs. 1 GVG wäre das Landgericht sachlich zuständig gewesen, weil der nach § 3 ZPO zu bemessende Zuständigkeitsstreitwert die Summe von fünftausend Euro übersteigt. Der Kläger geht davon aus, der Insolvenzschuldnerin stünden bei wirtschaftlicher Betrachtung 3/4 der Aktiva des Nachlasses zu, die sich auf etwa 324.000 € beliefen (vgl. Schriftsatz vom 18.10.2022), während die Steuerschuld die Insolvenzschuldnerin nicht belaste. Unter Zugrundlegung seiner Auffassung flössen der Insolvenzmasse also Werte in Höhe von etwa 243.000 € zu, wenn sie Erbin zu 3/4 geworden wäre. Abzüglich eines Abschlages von 20%, der dem Umstand geschuldet ist, dass hier nur eine Feststellung und keine Leistung begehrt wird, errechnet sich ein Zuständigkeitsstreitwert in Höhe von 194.000 €. Der Auffassung des Klägers, dass bei dieser Sachlage abweichend von seiner ursprünglichen Einschätzung in dem PKH-Verfahren vor dem Landgericht Passau mit demselben Streitgegenstand (Az. 1 O 277/22) ein Streitwert von nur 4.000 € anzunehmen sei, kann daher nicht gefolgt werden. Auch durch rügelose Einlassung gemäß § 39 ZPO konnte die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht begründet werden, weil ein Hinweis nach § 504 ZPO nicht erteilt worden war.
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Indes hat die sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts im Berufungsverfahren gemäß § 513 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt zu bleiben. Ob diese Norm bei willkürlicher Annahme der Zuständigkeit unberücksichtigt zu bleiben hat (offengelassen von BGH NJW 2017, 393), bedarf hier keiner Entscheidung, weil die fehlerhafte Rechtsanwendung des Amtsgerichts nicht gänzlich unverständlich ist und sich daher auch nicht der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Immerhin hatte auch der Beklagte erstinstanzlich den Streitwert auf nur 4.500 € taxiert und sich dabei darauf berufen, dass es dem Kläger vor allem darum ginge, durch die Erlangung der Erbenstellung der Insolvenzschuldnerin Auskunft über den genauen Bestand des Nachlasses zu erzielen. Das ist – wenngleich unzutreffend – nicht gänzlich unvertretbar und damit nicht willkürlich.
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2. Auf Basis der festgestellten, im Berufungsverfahren als maßgeblich zu berücksichtigenden Tatsachen weist die amtsrichterliche Entscheidung im Übrigen keinen Rechtsfehler i. S. v. § 513 Abs. 1 Var. 1 i. V. m. § 546 ZPO auf. Im Ergebnis zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Anfechtung der Erbschaftsannahme und der Versäumung der Ausschlagungsfrist und die damit verbundene Ausschlagung durch die Insolvenzschuldnerin gemäß §§ 1953 ff. BGB wirksam war.
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a) Das laufende Insolvenzverfahren stand der Ausschlagung der Erbschaft durch die Insolvenzschuldnerin gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des Klägers erfasst diese Vorschrift nicht nur eine unmittelbare Ausschlagungserklärung, sondern vielmehr auch Ausschlagung durch Anfechtung der Annahme oder der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Dies folgt schon daraus, dass § 1957 Abs. 1 BGB die Anfechtung der Annahme der unmittelbaren Ausschlagung der Erbschaft gleichsetzt. Auch der Sinn und Zweck des § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO gebietet eine Auslegung im dargestellten Sinne. Die Norm beruht auf dem höchstpersönlichen Charakter der Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft. Dabei ist kein sachlicher Grund dafür gegeben, zwischen den verschiedenen Formen der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft zu differenzieren.
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b) Der Insolvenzschuldnerin stand der Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 2 BGB zur Seite. Als Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses ist eine Fehlvorstellung über eine erhebliche Nachlassverbindlichkeit, insb. eine dem Erben zunächst unbekannte Steuerschuld, anerkannt (BGHZ 106, 359 = NJW 1989, 2885; Staudinger/Otte, 2017, Rn. 13; Grüneberg/Weidlich Rn. 6; BeckOK BGB/Siegmann/Höger, 65. Ed. 1.5.2022, BGB § 1954 Rn. 9).
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Dies und den Umstand, dass die Steuerschuld im Verhältnis zum übrigen Nachlass erheblich war, stellt auch der Kläger grundsätzlich nicht in Abrede. Er ist allerdings der Auffassung, wegen des laufenden Insolvenzverfahrens und der vor der Ausschlagung unmittelbare bevorstehenden Restschuldbefreiung müsse die Insolvenzschuldnerin wegen der nicht zur Tabelle angemeldeten Steuerschuld nicht haften, so dass ihr bzw. der Insolvenzmasse die Aktiva des Nachlasses ungeschmälert zuflössen, womit die Steuerschuld irrelevant sei und damit nicht zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtige. Die Insolvenzschuldnerin füge sich also durch die Ausschlagung der Erbschaft einen finanziellen Nachteil zu, weil sie bei Annahme der Erbschaft die Aktiva in ihr Vermögen einverleiben könne, für die Steuerschuld indes nicht einstehen müsse. Dieser Einschätzung des Klägers folgt die Kammer indes nicht.
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aa) Freilich ist in Rechtsprechung und Literatur nicht unumstritten, was das insolvenzrechtliche Schicksal einer Nachlassverbindlichkeit bei zur Zeit des Erbfalls bestehender Eigeninsolvenz des Erben ist.
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Teilweise wird insoweit vertreten, dass zwar die Nachlass-Aktiva in die Masse fielen (§ 35 Abs. 1 Alt. 1. InsO), die Nachlass-Passiva dem Schuldner aber erst nach der Eröffnung des Verfahrens gem. § 1967 BGB zugewachsen würden. Sie seien deshalb Neuverbindlichkeiten und daher im Insolvenzverfahren nicht zu berücksichtigen (MüKoInsO/Siegmann/Scheuing, 4. Aufl. 2020, InsO § 331 Rn. 7, 8 mwN; Döbereiner in Gottwald/Haas, InsolvenzrechtsHandbuch, 6. Auflage 2020, § 117 Rn. 2). Dieser Auffassung hat sich offenbar das Amtsgericht angeschlossen und ist damit der Ansicht der für die Parallelverfahren zuständigen Gerichte (LG Passau, Beschluss vom 17.05.2022, Az. 1 O 277/22; OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, Az. 33 W 759/22; AG Passau, Beschluss vom 29.11.2018, Az. VI 1753/13 (2); OLG München, 31 Wx 296/20) gefolgt.
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Zum Teil wird auch angenommen, in derartigen Fällen sei von Masseverbindlichkeiten bei gegenständlich beschränkter Haftung auszugehen (Windel in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2007, § 83 Rn. 7).
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Die wohl überwiegende, wenn auch recht unreflektierte Auffassung in der Literatur geht indes davon aus, dass die Nachlassforderung als gewöhnliche Insolvenzforderung am Insolvenzverfahren teilnimmt (MüKoInsO/Schumann, 4. Aufl. 2019, InsO § 83 Rn. 6-10 mwN; BeckOKInsO/Riewe § 83 Rn. 14; Busch in: Graf-Schlicker, InsO, § 83 Rn. 3; Nerlich/Römermann-Wittkowski/Kruth, InsO, § 83 Rn. 5; Kayser in: Kayser/Thole, Insolvenzordnung (Heidelberger Kommentar), § 83 Rn. 8; Lüke in: Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, KPB – Kommentar zur Insolvenzordnung, § 83 Rn. 6), was dann ggf. auch eine diesbezügliche Restschuldbefreiung einschließen soll (Vallender NZI 2005, 318 (320) mwN).
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Der BGH hat sich – soweit ersichtlich – bislang zu der Frage nur knapp und etwas unklar dahin geäußert, dass, falls der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens Erbe geworden ist, der Nachlass vorläufig in die Masse falle (BGHZ 167, 352 ff. = NZI 2006, 461). Habe er die Erbschaft angenommen, trete hinsichtlich der Erbschaft Vollerwerb ein. Ab diesem Zeitpunkt sei der Nachlass endgültig Bestandteil der Insolvenzmasse, aus der die Nachlassgläubiger und die Eigengläubiger des Erben (Erbengläubiger) zu befriedigen seien, sofern nicht eine Trennung der Vermögensmassen herbeigeführt werde (BGH aaO).
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bb) Nach Auffassung der Kammer kann hier offenbleiben, welcher Ansicht zu folgen ist. Denn keine der zitierten Auffassungen führt im Ergebnis dazu, dass der Insolvenzschuldnerin oder ihren Eigengläubigern bei Annahme der Erbschaft die Aktiva zuflössen, ohne dass der Nachlassgläubiger aus diesen befriedigt werden müsste.
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Nimmt man an, es handle sich bei der Nachlassverbindlichkeit um eine Neuverbindlichkeit, die außerhalb des Insolvenzverfahrens steht, liegt das auf der Hand.
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Unter Zugrundlegung der Prämisse, es liege eine Masseverbindlichkeit vor, würde die Insolvenzschuldnerin jedenfalls deswegen zumindest mit den zugeflossenen Aktiva aus dem Nachlass haften, weil es sich bei der Nachlassverbindlichkeit um eine Steuerschuld handelt, bei der der Bundesfinanzhof auch nach einem Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung und trotz der dem Insolvenzverfahren grundsätzlich immanenten Haftungsbeschränkung bezüglich Masseverbindlichkeiten von einer Weiterhaftung des Schuldners ausgeht (BFH, Urteil vom 28.11.2017, Az. VII R 1/16).
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Aber auch wenn man mit dem Kläger und weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung davon ausgeht, dass eine gewöhnliche Insolvenzforderung inmitten steht, kommt man zu keinem anderen Ergebnis.
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In der hier vorliegenden Konstellation einer Erbengemeinschaft folgt dies schon daraus, dass der Klägerin bei Annahme der Erbschaft nicht etwa Aktiva und Passiva des Nachlasses getrennt und unmittelbar zufielen, womit sie die Aktiva genießen, die Passiva indes wegen der Restschuldbefreiung ignorieren könnte. Denn der Nachlass wäre gemäß §§ 2032 ff. BGB zunächst gesamthänderisch gebunden und bedürfte nach §§ 2042 ff. BGB der Auseinandersetzung, die gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens durchzuführen wäre.§ 2046 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass im Rahmen der Auseinandersetzung zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen wären. Nur der verbleibende Rest könnte unter den Erben verteilt und damit in die Insolvenzmasse fließen (vgl. BGH NZI 2007, 222 zu einem Gesellschaftsanteil). Da die Steuerschuld nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts die Aktiva des Nachlasses wertmäßig übersteigt (vgl. dort Seite 8 oben), bliebe hier kein Auseinandersetzungsguthaben übrig. Die Erbschaft stellt sich somit für die Insolvenzschuldnerin trotz der Restschuldbefreiung als wertlos dar.
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Dass die Auffassung des Klägers, die Erbschaft sei bei der Annahme, die Steuerschuld sei eine Insolvenzforderung, für die Insolvenzschuldnerin wegen der Restschuldbefreiung werthaltig, unrichtig ist, beruht indes nicht allein auf der dargestellten Besonderheit, dass zunächst die Erbengemeinschaft auseinanderzusetzen ist. Selbst wenn die Insolvenzschuldnerin Alleinerbin wäre, würde dies nämlich nichts daran ändern, dass man dem Nachlassgläubiger trotz Restschuldbefreiung einen (alleinigen) Zugriff auf die Nachlassaktiva ermöglichen muss. Der Nachlassgläubiger ist nämlich insofern schutzbedürftig, als sich seine vollstreckungsrechtliche Position durch den Eintritt des Erbfalls nicht verschlechtern darf. Es wäre nicht zu rechtfertigen, einem Gläubiger des Erblassers den Zugriff auf Vermögensgegenstände desselben zu entziehen, nur weil der Erbe sich zufällig in einem Insolvenzverfahren befindet und in den Genuss einer Restschuldbefreiung kommt. Umgekehrt ist der Insolvenzschuldner und Erbe in dieser Situation nicht schutzbedürftig. Der Zufluss der Aktiva aus dem Nachlass ohne die Verpflichtung, die Nachlassverbindlichkeiten zu tilgen, würde bei ihm zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Vermögensmehrung zu Lasten des Nachlassgläubigers führen. Dies erkennt auch der Bundesgerichtshof an, in dem er in seiner oben zitierten Entscheidung anführt, es müsse auch nach Zufluss der Erbschaft in die Insolvenzmasse eine Trennung der Vermögensmassen herbeigeführt werden können (BGH aaO). Jeder Nachlassgläubiger kann sich vor einer Verteilung des Nachlasses an die persönlichen Gläubiger des Schuldners dadurch schützen, dass er einen Antrag auf Nachlassverwaltung nach § 1981 Abs. 2 BGB oder auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nach § 317 Abs. 1 InsO stellt. Liegen die jeweiligen Voraussetzungen vor, so hat sowohl die Nachlassverwaltung als auch das Nachlassinsolvenzverfahren die Trennung der Vermögensmassen zur Folge (MüKoInsO / Schumann InsO § 83 Rn. 9 mwN). Gleichzeitig kann das nur bedeuten, dass insoweit eine Restschuldbefreiung des Insolvenzschuldners nicht eintritt, weil ansonsten der angestrebte Zweck der Aufspaltung der Vermögensmassen, nämlich der Schutz des Nachlassgläubigers, unterlaufen würde.
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Zum Zeitpunkt der Anfechtung der Erbschaftsannahme musste die Insolvenzschuldnerin daher davon ausgehen, dass selbst unter der für sie günstigen Prämisse, die Nachlassverbindlichkeit werde bei Annahme der Erbschaft zu einer Insolvenzforderung, der Nachlassgläubiger eine Trennung der Vermögensmassen herbeiführen würde, um in die Aktiva des Nachlasses ungeachtet einer etwaigen Restschuldbefreiung vollstrecken zu können.
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c) Ein Irrtum berechtigt gemäß § 119 Abs. 1 a. E. BGB zur Anfechtung nur, wenn ohne Irrtum statt der Annahme die Ausschlagung erklärt worden wäre oder umgekehrt (BayObLGZ 1983, 9 (12); MüKoBGB/Leipold Rn. 17). Bei dieser Beurteilung hat das wirtschaftliche Ergebnis besonderes Gewicht. Die Ursächlichkeit bei einer unbekannten Verbindlichkeit ist zu verneinen, wenn unter Berücksichtigung dieser Verbindlichkeit ein wesentlicher Reinnachlass verbleibt (BayObLG NJW-RR 1999, 590). Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts übersteigt die Steuerschuld die Aktiva des Nachlasses, sodass die erforderliche Kausalität zwischen Irrtum und Ausschlagung gegeben ist.
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d) Hinsichtlich der formalen Anforderungen an die Anfechtungserklärung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen, die die Berufung auch nicht angreift.
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e) Damit ist die Insolvenzschuldnerin nicht Erbin geworden, weswegen die Klage auf Feststellung ihrer Erbenstellung zu Recht abgewiesen worden ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Was das rechtliche Schicksal einer Nachlassforderung in der Insolvenz des Erben ist und wie sich insoweit insbesondere eine Restschuldbefreiung auswirkt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch weitgehend ungeklärt. Es ist davon auszugehen, dass sich die Problematik einer Vielzahl von Fällen auftut (so auch Vallender, NZI 2005, 318).
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Der Streitwertbeschluss ergibt sich aus §§ 47, 48 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit nach oben verwiesen. Die Änderung der Festsetzung des erstinstanzlichen Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.