Titel:
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, Sachverständigengutachten, Alkoholmißbrauch, Alkoholabhängigkeit, Bestellung eines Betreuers, Rechtliche Betreuung, Persönliche Anhörung, Sachverhaltsaufklärung, Fortführung des Verfahrens, Alkoholismus, Betreuungsbehörde, Betreuerbestellung, ursächlicher Zusammenhang, Freie Willensbildung, Neufassung, ärztliches Zeugnis, Seelische Behinderung, Drogenabhängigkeit, Betroffenheit, BGH-Beschluss
Schlagworte:
Betreuungsanordnung, Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit, geistiges Gebrechen, freie Willensbildung, persönliche Anhörung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35598
Tenor
Das Verfahren wegen Anordnung einer Betreuung wird eingestellt.
Gründe
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Auf Anregung der Klinik vom 16.12.2022 wurde geprüft, ob für den Betroffenen ein rechtlicher Betreuer zu bestellen ist.
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Die Ermittlungen haben ergeben, dass die Anordnung einer Betreuung gemäß §§ 1814 ff. BGB nicht erforderlich ist bzw die gesetzlichen Voraussetzungen gegenwärtig nicht festgestellt werden können. Der Betroffene lehnt eine Betreuung ab.
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Dies ergibt sich insbesondere aus
- dem ärztlichen Zeugnis der Klinik und
- dem Bericht der Betreuungsbehörde am Landratsamt A..
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Danach fehlt es an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Eingangsvoraussetzung für jede Betreuerbestellung nach § 1814 BGB vorliegen, nämlich eine der dort aufgeführten Erkrankungen/Behinderungen. Anhaltspunkte bestehen für einen Alkoholmissbrauch, chronisch, mit körperlichen Folgeerkrankungen wie rezidivierenden Entzugsanfällen und Elektrolytenstörungen. Der Betroffene ist wohl nicht dauerhaft abstinent und hat nicht den konkreten Willen zur erforderlichen weiteren Behandlung seines chronischen Alkoholmissbrauchs. Betreuungsrechtlich relevant ist dabei gegenwärtig der Alkoholmissbrauch, gegebenenfalls die Annahme, dass bereits eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert werden könnte. Eine Alkoholabhängigkeit ist jedoch als solche ohne psychische Ursachen- bzw. Folgeerkrankung nicht ausreichend (BayObLG FamRZ 1999, 1306; zum neuen Recht: Jürgens/Brosey, 7. Aufl. 2023, BGB § 1814 Rn. 23). „Trunksucht (Alkoholismus) ist für sich allein XVII 500/22 – Seite 2 – betrachtet keine psychische Krankheit oder geistige oder seelische Behinderung […], so daß allein darauf in der Regel die Bestellung eines Betreuers und die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer Unterbringung nicht gestützt werden können (vgl. BayObLG NJW 1990, 775, 209; NJW-RR 1998, 1014/1015…). Etwas anderes gilt nur, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen steht oder ein darauf zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der dann – besonders bei hochgradigem Alkoholismus – die Annahme eines geistigen Gebrechens rechtfertigt (BayObLG FamRZ 1991, 608; NJW-RR 1998, 1014/1015 m.w.N.; …).“
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Eine geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung muss also entweder als Ursache oder als Folge der Alkohol- oder Drogenabhängigkeit feststellbar sein.
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Dies ist auch die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 18. Juli 2018 – XII ZB 167/18; BGH Beschluss vom 25.03.2015, XII ZA 12/15 BeckRS 2015, 08912; BGH FamRZ 2011, 1725 Rn. 11; zu § 1906 BGB erneut BGH Beschluss vom 13.4.2016 – XII ZB 95/16 NZFam 2016, 548). Auch das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt nichts abweichend hierzu verlautbart (vgl. BVerfG NJW 2015, 1666 Rz. 31).
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Die Neufassung der zentralen Norm für die Voraussetzungen einer rechtlichen Betreuung mit § 1814 BGB zum 01.01.2023 hat hieran nach bisherigem Stand gegenwärtig nichts geändert. Der potentielle Personenkreis, für den eine Betreuung als grundsätzlich in Betracht kommend im Gesetz beschrieben ist, sollte damit gegenüber dem vorher geltenden Recht nicht verändert werden, d.h. der Adressatenkreis sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ausgeweitet oder eingeschränkt werden. An dieser Rechtsprechung zu Abhängigkeitserkrankungen könne mit der Neufassung festgehalten werden (Gesetzentwurf Begründung Bundesrat Drucksache 564/20 S. 304/305).
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Der Hinweis im Attest auf einen C2-Abusus reicht somit nicht aus, auch wenn dieser bereits zu körperlichen Folgeschäden führt. Auch wenn man annähme, dass über den Missbrauch hinaus bereits eine Abhängigkeitserkrankung vorläge, würde dies den Anforderungen für die Errichtung einer rechtlichen Betreuung nicht gerecht werden. Da der Betroffene die Betreuung ablehnt müsste zudem anzunehmen sein, dass bereits die freie Willensbildung (nicht nur vorübergehend im Rahmen eines Entzugsdelirs) ausgeschlossen wäre (§ 1814 Abs. 2 BGB: gegen den freien Willen darf die Betreuung nicht angeordnet werden). Das ist nicht zu erkennen. Der Betroffene ist vielmehr gegenwärtig für seinen Alkoholkonsum rechtlich betrachtet eigenverantwortlich.
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Eine Betreuung war daher nicht anzuordnen und das Verfahren zu beenden. Tragfähige Anhaltspunkte für die Fortführung des Verfahrens gegen seinen Willen, etwa das Erzwingen eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, bestehen derzeit nicht, sodass auch diese verfahrensrechtlichen Eingriffsmaßnahmen zu unterbleiben haben.
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Von einer persönlichen Anhörung d. Betroffenen wurde abgesehen, weil eine weitere für die Entscheidung erhebliche Sachverhaltsaufklärung hiervon nicht zu erwarten war.
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Sollten dem Gericht Umstände bekannt werden, die nach sorgfältiger Güterabwägung die Bestellung eines Betreuers zur Abwendung erheblicher Gefahren dringend erforderlich erscheinen lassen, wird das Verfahren fortgeführt werden. Momentan aber ist der Betroffene für sein eigengefährdendes Verhalten alleine selber verantwortlich.