Titel:
Es besteht keine Verkehrssicherungspflicht für den Betreiber eines Ladenlokals Kunden davor zu schützen, dass diese sich beim Anheben eines handelsüblichen Einkaufskorbs aus Metall einen Faden an der Kleidung ziehen
Normenkette:
BGB § 823 Abs. 1, § 280 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei handelsüblichen Einkaufskörben, die mit Metallstäben ausgerüstet sind, besteht immer die Gefahr, dass Kleidungsstücke Schaden nehmen können, wenn der Korb zu nah am Körper getragen wird. Dieser Umstand alleine begründet keine Verkehrssicherungspflicht für den Betreiber eine Ladenlokals mit Publikumsverkehr. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zieht sich ein Kunde beim Anheben eines solchen Korbes an seiner Jacke einen Faden, unterfällt dies dem allgemeinen Lebensrisiko. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grenzen der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Ladenlokals, Beschädigung einer hochwertigen Jacke einer Kundin durch Kontakt mit einer scharfen Kante eines von ihr getragenen Einkaufskorbs, Verkehrssicherungspflicht, Ladenlokal, Einkaufskorb, Kleidung, Schaden, allgemeines Lebensrisiko
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35597
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 680,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aus einem Ereignis vom 17.12.2021.
2
Die Klägerin hat sich am 17.12.2021 gegen 13.45 Uhr gemeinsam mit Ihrem Ehemann in die Filiale der Beklagten in 8... N., begeben. Die Klägerin trug ihre grau-beige M. Damenjacke. Durch eine Mitarbeiterin wurde die Klägerin aufgefordert, einen Einkaufskorb zu nehmen, da dies zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Corona-Pandemie zur Begrenzung der sich im Laden befindlichen Kunden vorgeschrieben war. Die Klägerin hat daher einen hierfür zur Verfügung gestellten Einkaufskorb genommen und ihren Einkauf in der Filiale der Beklagten durchgeführt. Als die Klägerin sich an der Kasse anstellte, musste sie den Einkaufskorb anheben, um die in dem Einkaufskorb befindliche Ware auf das Förderband der Kasse zu legen. Nachdem die Klägerin an der Kasse bezahlt hatte und zusammen mit ihrem Ehemann die waren im Auto verstaut hatte, begab sie sich noch mal in den Markt und erklärte gegenüber der Marktleiterin…, ihr Mantel sei durch die scharfe Kante der Oberseite des Einkaufskorbs beschädigt worden. Sie zeigte der Marktleiterin die Schadensstelle. Hinsichtlich der Schadensstelle wird verwiesen auf die Lichtbilder in Anlage 2 zur Klageschrift.
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Nachdem sich die Haftpflichtversicherung der Beklagten geweigert hat, die Haftung für den verfahrensgegenständlichen Schaden anzuerkennen, haben ihre anwaltlichen Vertreter die Haftpflichtversicherung mit anwaltlichem Schreiben vom 16.05.2022 unter Fristsetzung bis einschließlich zum 30.05.2022 aufgefordert, den Zeitwert der beschädigten Jacke in Höhe von 680,00 € zu erstatten. Eine Zahlung erfolgte nicht.
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Die Klägerin trägt vor, beim Hochheben des Korbes sei die scharfe Oberseite des Einkaufkorbes gegen die Jacke der Klägerin geraten und habe diese hierdurch irreparabel beschädigt. Ob der gegenständliche Korb bauartbedingt über eine scharfe Oberkante verfüge oder ob die scharfe Kante Folge einer vorherigen Beschädigung des gegenständlichen Einkaufkorbes darstelle, sei der Klägerin nicht bekannt. Durch diese scharfe Kante sei die Jacke der Klägerin, welche die Klägerin im September 2019 zu einem Neupreis in Höhe von 850,00 € gekauft gehabt habe, irreparabel beschädigt worden.
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Die Klägerin hat folgende Anträge gestellt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 680,00 € zzgl. Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 91,87 € zzgl. Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Sie hat den gesamten Vorfall, wie er von der Klägerin geschildert, mit Nichtwissen bestritten. Sie führt weiter aus, selbst wenn sich der Vorfall jedoch, wie von Klägerseite behauptet, zugetragen hätte, so stünden der Klägerin keine Schadenersatzansprüche zu, da der Beklagten keine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf die Beschädigung der Jacke durch einen Einkaufskorb vorzuwerfen sei. Vielmehr habe sich das mit der Benutzung des Einkaufskorbes verbundene allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, sollte tatsächlich die klägerische Jacke dadurch beschädigt worden sein, dass die Oberseite des Einkaufskorbes gegen die Jacke der Klägerin gekommen und hierdurch ein Faden gezogen worden ist. Der Sinn von Verkehrssicherungspflichten liege nicht darin, den Verkehr vor allen denkbaren Gefahren zu warnen oder ihn jeder eigenen Sorgfalt zu entheben; sie diene vielmehr dazu, den Verkehr vor solchen Gefahren zu schützen, die er bei Anwendung der erwartenden eigenen Sorgfalt nicht erkennen und auf die er sich deshalb nicht sachgerecht einstellen könne. Vorliegend hätte die Klägerin bei Anwendung der erforderlichen eigenen Sorgfalt die Gefahr vom Einkaufskorb möglicherweise ausgehenden Metallstäben ohne Weiteres erkennen und sich hierauf sachgerecht einstellen können. Dies bedeute, dass sie den streitgegenständlichen Einkaufskorb nicht derart nah am Körper hätte anheben dürfen. Ausgehend von der unstreitig vorhandenen Beschaffenheit des Einkaufskorbs sei für die Klägerin die besondere Gefahr dieses konkreten Einkaufskorbes für Kleidungsstücke erkennbar gewesen, wenn dieser zu nah an der Person getragen oder angehoben wird. Dass normale Einkaufskörbe über Kanten verfügen, die spitz bzw. scharf sind, sei im Übrigen allgemein bekannt und müsse auch der Klägerin im konkreten Fall bekannt sein. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin vortrage, eine relativ hochpreisige Markenjacke getragen zu haben, was zu einem besonders aufmerksamen Umgang mit Gegenständen führe, die in die Nähe der Jacke kommen.
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Hinsichtlich des weiteren Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat mündlich verhandelt am 02.02.2023. In dem Termin wurde die Klägerin persönlich angehört. Des Weiteren wurden ihr Ehemann … sowie die Marktleiterin … uneidlich als Zeugen einvernommen. Auf das Sitzungsprotokoll (Blatt 43 ff) wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage war abzuweisen.
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Das Gericht weist vorweg darauf hin, dass es die Schilderung der Klägerin im Hinblick auf die Verursachung des Schadens an ihrer Jacke durch den von ihr getragenen Einkaufskorb durchaus für glaubwürdig hält. Die Darstellung der Klägerin wurde auch von ihrem als Zeugen vernommenen Ehemann vollumfänglich bestätigt.
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Dennoch kann der Klägerin kein Ersatz ihres materiellen Schadens aufgrund der Beschädigung ihrer Jacke durch einen Einkaufskorb zugesprochen werden. Aus Sicht des Gerichts ist nicht nachgewiesen, dass der Schaden Folge einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beklagten gewesen ist. Somit sind weder vertragliche noch deliktische Ansprüche gegeben.
13
Dem Betreiber eines Ladenlokals mit Publikumsverkehr obliegt die vertragliche, aber auch die allgemeine Rechtspflicht, Vorkehrungen zum Schutze seiner Kunden und der Personen zu treffen, die sich befugt in dem Geschäftslokal aufhalten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Vielmehr sind nur diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach den Erwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, eine Gefährdung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach dem, was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Einerseits hat der Geschäftsinhaber dafür zu sorgen, dass seine Kunden möglichst gefahrlos das Geschäftslokal begehen und dabei Waren aussuchen können, andererseits darf er aber auch darauf vertrauen, dass sich diese in vernünftiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen (OLG Hamm VersR 1994, 830; OLG Schleswig VersR 1989, 627).
14
Im vorliegenden Fall ist zum einen zu sehen, dass bei handelsüblichen Einkaufskörben, die mit Metallstäben ausgerüstet sind, zwangsläufig immer die Gefahr besteht, dass Kleidungsstücke Schaden nehmen können, wenn der Korb zu nah am Körper getragen wird. Normale Einkaufskörbe verfügen, wie allgemein bekannt ist, über Kanten. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin, wie sie glaubwürdig vorgetragen und auch nachgewiesen hat, eine hochpreisige Markenjacke getragen hat, war von ihr ein besonders aufmerksamer Umgang mit dem Einkaufskorb zu erwarten. Dass sich die Klägerin beim Anheben des Korbes an der Jacke einen Faden gezogen hat, unterliegt aus Sicht des Gerichts dem allgemeinen Lebensrisiko. Gleichartige Vorfälle ereignen sich nach Überzeugung des Gerichts täglich hundertfach in deutschen Geschäften. Würde jeder gezogene Faden eine Schadensersatzpflicht des Ladenbetreibers nach sich ziehen, so würde dies zu einer erheblichen Verteuerung der entsprechenden Versicherungsprämien führen, was letztlich die Allgemeinheit über Preiserhöhungen im Laden zu tragen hätte.
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Unabhängig davon vermag das Gericht im vorliegenden Fall keine schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf Seiten der Geschäftsinhaber erkennen. Sicherlich gehört es zur Verkehrssicherungspflicht der Ladeninhaber, ihren Bestand an Einkaufskörben regelmäßig auf Schäden zu untersuchen. Auch kann von den Ladenbetreibern verlangt werden, schadhafte Einkaufskörbe unverzüglich auszusondern, um so einer Gefahr der Schädigung von Kunden vorzubeugen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Korb, den die Klägerin getragen hat, eine schadhafte Stelle an der Kante hatte, so steht in keiner Weise fest, wann ein solcher Schaden entstanden ist. Die Zeugin E. hat glaubwürdig und nachvollziehbar angegeben, dass Kunden manchmal beim Zurückstellen der Körbe durchaus unsanft mit diesen umgehen. Dies kann sicher dazu führen, dass sich mit der Zeit ein Metallstab des Einkaufskorbs aus einer Verstrebung löst und zu einer besonderen Gefahrenquelle wird. Selbst wenn dies beim streitgegenständlichen Einkaufskorb der Fall gewesen sein sollte, steht wie ausgeführt der Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht fest. Insbesondere steht in keiner Weise fest, dass der Schaden schon länger bestand und bei einer Routinekontrolle erkennbar gewesen wäre. Der Schaden kann theoretisch auch erst am Vorfallstag in den Vormittagsstunden eingetreten sein. Für die Ladenbetreiber ist es schlicht unmöglich, ständig und fortlaufend alle Einkaufskörbe auf mögliche Schäden zu untersuchen, um jegliche Schädigung von Kunden auszuschließen. Wie ausgeführt, kann allerdings von den Ladenbetreibern verlangt werden, dass Körbe, die als schadhaft erkannt wurden, unverzüglich ausgesondert werden. Genau das hat aber die Marktleiterin im vorliegenden Fall getan. Vorliegend steht mithin schlicht nicht fest, dass die Schädigung der Klägerin auf eine schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Ladenbetreiber zurückzuführen gewesen wäre.
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Die Klage war nach alledem abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziffer 11 und 711 ZPO.