Titel:
Übertragung der Alleinsorge bei getrennt lebenden Eltern
Normenkette:
BGB § 1671 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Anordung oder Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge kommt nicht in Betracht, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen (so auch KG BeckRS 2014, 16444). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gefahr einer solchen erheblichen Belastung des Kindes kann sich im Einzelfall auch aus der Nachhaltigkeit und der Schwere des Elternkonflikts ergeben. Dafür genügt die begründete Besorgnis, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen (so auch BGH BeckRS 2008, 2215). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
elterliche Sorge, getrennt lebende Eltern, Elternkonflikt, destruktiver Elternstreit, gerichtliche Auseinandersetzungen, erhebliche Belastung des Kindes, begründete Besorgnis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 28.06.2023 – 12 UF 433/23 e
VerfGH München, Entscheidung vom 15.11.2023 – Vf. 33-VI-23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35584
Tenor
1. Die elterliche Sorge für das gemeinsame minderjährige Kind K. K. F., geboren am …2017, wird dem Antragsteller übertragen.
2. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Übertragung der elterlichen Sorge wird zurückgewiesen.
3. Die Gerichtskosten des Verfahrens haben der Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragssteller und die Antragsgegnerin sind die nicht verheirateten Eltern des minderjährigen Kindes K. F., geboren am …2017.
2
Die Eltern des Kindes K. F. leben dauerhaft getrennt. Die Kindsmutter lebt und arbeitet in München. Das Kind K. F. hatte seit seiner Geburt zunächst seinen Aufenthalt bei der Kindsmutter. Der Kindsvater lebt mit seiner Lebensgefährtin und dem Sohn aus dieser neuen Beziehung in I. Am 19.03.2021 zeigte das Jugendamt M. eine Gefährdung des Kindes an, da das Kind im Kindergarten starke Auffälligkeiten zeigte, und nahm K. F. in Obhut. K. F. wurde in die Obhut seines Vaters gegeben. Das Jugendamt regte am 19.03.2021 beim Amtsgericht München an, nach § 1666 BGB i.V.m. § 8 SGB VIII das Aufenthaltbestimmungsrecht für K. auf den Kindsvater zu übertragen. Das Amtsgericht München übertrug mit Beschluss vom 22.04.2021, Az.:534 F 2692/21, im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Personensorge für das gemeinsame minderjährige Kind K. F. K., geboren am …2017, dem Kindsvater und wies den Antrag der Kindsmutter auf Herausgabe des Kindes zurück.
3
Der Antragsteller trägt vor, dass die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes nicht dienlich sei und es in seiner Entwicklung behindere bzw. gefährde. Dies lasse sich aus der Kommunikation der Kindesmutter in den vergangenen Jahren ableiten.
4
Der Antragsteller beantragt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie der Personensorge für das Kind K. F. K. auf den Antragsteller.
5
Die Antragsgegnerin beantragt im Wesentlichen den Antrag zurückzuweisen und die elterliche Sorge für das Kind K. F. K. auf die Antragsgegnerin zu übertragen.
6
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Kindsvater sei psychisch instabil und eine Gefahr für das Kind. Der Kindsvater sei schon in der Beziehung sehr eifersüchtig gewesen und habe Wutanfälle gehabt. Die Beziehung sei von ständig wechselnden Abwertungen und Demütigungen durch den Kindsvater geprägt gewesen. Sie habe verlangt, dass er eine Therapie mache. Das sei nie geschehen. Das Jugendamt wolle dies nicht erkennen. Vermutlich sei Korruption im Spiel. K. habe immer wieder von körperlicher und seelischer Gewalt erzählt. K. habe erzählt, dass der Kindsvater K. Giraffe in den Müll geworfen und ihn gehauen habe. Der Kindsvater wende psychische Gewalt an in Form von Liebesentzug und Alleinlassen, Vernichten von Kuscheltieren und körperliche Gewalt. Der Kindsvater sei bindungsintolerant, da er keinen Umgang mit der Kindsmutter zulasse. Die Verfahrensbeiständin habe wiederholt den Datenschutz verletzt. Sie lüge auch die Aufsichtsbehörde an. Die Verfahrensbeiständin habe bewusst Daten manipuliert. Der Kindsvater lüge alle an, weil er Ängste habe, ihr das Kind mitzugeben. K. könne irgendwann in 15 Jahren die Akten einsehen und werde dann sehen, was sein Vater ihm angetan habe. Dann werde er sich vom Vater abwenden. Der Elternkonflikt gehe nicht von ihr aus. Der Vater habe sie auch auf dem Telefon blockiert.
7
Am 05.09.2022 wurde das Kind K. F. angehört. Auf den Vermerk über die Kindesanhörung wird Bezug genommen.
8
Am 21.11.2022 fand ein Erörterungstermin statt. Auf den Vermerk über den Erörterungstermin wird Bezug genommen.
9
Das Gericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr. J. S. eingeholt zur Frage der elterlichen Sorge. Das Gutachten wurde am 18.11.2022 erstattet. Auf das Sachverständigengutachten wird Bezug genommen.
10
Das Gericht hat einen Verfahrensbeistand für das Kind bestellt. Das Gericht hat außerdem das Jugendamt angehört.
11
Die Entscheidung beruht auf § 1671 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht auf Antrag einem Elternteil die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht und zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
12
Danach war hier die elterliche Sorge auf den Kindesvater zu übertragen. Denn die gemeinsame elterliche Sorge entspricht nach Auffassung des Gerichts dem Kindeswohl nicht mehr und diese war daher nach Auffassung des Gerichts auf den Antragsteller zu übertragen, da dieser in der Lage ist diese besser auszuüben als die Antragsgegnerin.
13
Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens. Diese Kriterien stehen aber nicht kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Kindeswohl entspricht. Zu berücksichtigen sind dabei auch die durch Art. 6 II 1 GG gewährleisteten Elternrechte (Senat, BGHZ 185, 272 = NJW 2010, 2805 = FGPrax 2010, 184 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19f.).
14
Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist auch zu berücksichtigen, wenn es im Verhältnis der Eltern an einer Grundlage für ein Zusammenwirken im Sinne des Kindeswohls fehlt. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (Senat, NJW 2008, 994 = FamRZ 2008, 592 Rn. 11 mwN; BT-Drs. 17/11048, 17 mwN). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen (OLG Schleswig, NJOZ 2014, 1765 = FamRZ 2014, 1374 [1375]; KG, FamRZ 2014, 1375 = BeckRS 2014, 16444; OLG Koblenz, FamRZ 2014, 319 = BeckRS 2014, 03802; BT-Drs. 17/11048, 17; vgl. auch OLG Stuttgart [11. Zivilsenat], NJW 2015, 642 = FamRZ 2015, 674; OLG Brandenburg [2. Familiensenat], FamRZ 2014, 1856 = BeckRS 2014, 21368; OLG Köln, NJW-RR 2008, 1319 [1320]; Schilling, NJW 2007, 3233 [3238]). Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (Senat, NJW 2000, 203 = FamRZ 1999, 1646 [1648]). Die Gefahr einer erheblichen Belastung des Kindes kann sich im Einzelfall auch aus der Nachhaltigkeit und der Schwere des Elternkonflikts ergeben. Entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Meinung (OLG Brandenburg [4. Familiensenat], FamRZ 2016, 240 [243] = BeckRS 2015, 15835; OLG Celle [10. Zivilsenat], NJW 2014, 1309 = FamRZ 2014, 857; OLG Stuttgart [16. Zivilsenat], FamRZ 2014, 1715 [1716] = BeckRS 2014, 19240) muss die Belastung des Kindes nicht bereits tatsächlich bestehen. Es genügt die begründete Befürchtung, dass es zu einer solchen Belastung kommt (OLG Celle [15. Zivilsenat], FamRZ 2016, 385 [386] = BeckRS 2015, 14608; vgl. auch Senat, NJW 2008, 662 = FamRZ 2008, 251 Rn. 24). Dafür genügt die begründete Besorgnis, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen (Senat, NJW 2008, 994 = FamRZ 2008, 592 Rn. 15; Gödde, ZfJ 2004, 201 [207, 209]; vgl. auch Senat, NJW 2008, 662 = FamRZ 2008, 251 Rn. 24). Notwendig ist hierfür die Einschätzung im Einzelfall, ob der Elternkonflikt so nachhaltig und so tiefgreifend ist, dass gemeinsame, dem Kindeswohl dienliche Entscheidungen der Eltern in den wesentlichen Belangen der elterlichen Sorge auch für die Zukunft nicht gewährleistet sind (vgl. Senat, NJW 2008, 662 = FamRZ 2008, 251 Rn. 23).
15
Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass keine hinreichende Kooperationsfähigkeit der Eltern gegeben ist. Dies zeigt sich bereits anhand des gesamten Verfahrensverlaufs. Hierdurch ist hinreichend deutlich geworden, dass eine vernünftige Kommunikation zwischen den Eltern nicht stattfindet und auch in der Zukunft nicht zu erwarten ist. Es ist den Eltern weder im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens noch währenddessen gelungen Einigkeit in Bezug auf anstehende Entscheidungen für das gemeinsame Kind herzustellen. Vielmehr hat die ablehnende Haltung der Kindesmutter gegenüber dem Kindesvater mittlerweile zur Folge, dass eine einigermaßen sinnvolle Kommunikation und Absprachefähigkeit der Eltern untereinander nicht mehr gegeben ist. Dieser bestehende Elternkonflikt ist auch durch Vermittlung fachlicher Stellen nicht mehr auflösbar. So lehnt die Kindesmutter jegliche Hilfsangebote seitens des Jugendamtes ab. Es besteht insoweit die Gefahr, dass das Kind bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge künftig erheblich durch den elterlichen Konflikt belastet würde. Die Kindesmutter hat sich in der Vergangenheit nicht dazu in der Lage gezeigt, Spannungen zwischen den Kindeseltern vom Kind fernzuhalten. Die elterliche Sorge war daher auf einen Elternteil zu übertragen.
16
Das Gericht ist der Meinung, dass der Antragsteller besser in der Lage ist, die elterliche Sorge im wohlverstandenen Interesse des Kindes auszuüben, als die Antragsgegnerin. Der Antragsteller betreut das Kind im Alltag und hat den besten Einblick in die Sorgen und Nöte des Kindes. Er ist in den vergangenen Jahren hierdurch auch die engere Bezugsperson. Aufgrund des besseren Einblicks in die Belange des Kindes im Alltag ist der Antragsteller besser in der Lage das Kind zu fördern und Handlungsbedarf zu erkennen. Es sprechen daher im Ergebnis der Kontinuitätsgrundsatz, das Förderprinzip und die enge Bindung des Kindes zum Antragsteller dafür, diesem die elterliche Sorge alleine zu übertragen.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.
18
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 FamGKG.