Inhalt

OLG München, Endurteil v. 30.11.2023 – 14 U 161/22
Titel:

Anspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster und AdBlue-Dosierung auf Ersatz des Differenzschadens

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 1, Abs. 4
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 3 Nr. 35, Art. 26 Abs. 5, Art. 46
Leitsatz:
Art. 3 Nr. 35, Art. 26 Abs. 5 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG iVm Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 schützen neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSv Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist. In der Folge sind diese Vorschriften und – in unionsrechtskonformer Auslegung – auch die nationalen Ausführungsbestimmungen der § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 4 EG-FGV drittschützend iSv § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, AdBlue-Dosierung, EG-Typgenehmigung, Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 17.12.2021 – 35 O 751/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35498

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 17.12.2021, Az. 35 O 751/21, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
1.1 Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.993,00 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2023 zu zahlen.
1.2 Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 85 % und die Beklagte 15 %.
3. Dieses Urteil und auch das angefochtene Urteil, soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist, sind vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

(abgekürzt gemäß § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
I.
1
Der vom Kläger auch in der Berufung als Hauptantrag weiterverfolgte Sachantrag, die Beklagte zur Zahlung von EUR 29.339,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 12.681,99 an die Klägerpartei Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Insignia mit der Fahrgestellnummer … zu verurteilen (Schriftsatz vom 16.10.2023, Bl. 340 ff d.A.), ist nach den der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen unbegründet. Die Berufung ist insoweit zurückzuweisen.
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1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB, da aufgrund des Vortrags der Beklagten in der Berufung, dem der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ist, nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger seitens der Beklagten durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs sittenwidrig geschädigt worden ist. Auch wenn in dem streitgegenständlichen Fahrzeug – noch zum Zeitpunkt des Verkaufs an den Kläger – mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut waren, so waren diese nicht prüfstandsbezogen.
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1.1 Zwar hat der Kläger in erster Instanz – anders als vom Landgericht angenommen – zulässigerweise und nicht unbeachtlich ins Blaue hinein behauptet, in dem von ihm erworbenen Fahrzeug seien die im Tatbestand des angefochtenen Endurteils näher dargestellten Abschalteinrichtungen verbaut. Da der Kläger nicht Adressat des unstreitigen mit dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründeten Rückrufbescheids war, durfte er sich darauf beschränken zu behaupten, das KBA habe den Rückruf wegen einer manipulierten Software angeordnet, für die er zudem behauptete, sie sei prüfstandsbezogen (s. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – VII ZR 471/21 –, Rn. 16, juris).
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Allerdings hat die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast – insbesondere in der Berufung – substantiiert zur genauen Wirkungsweise der vom KBA beanstandeten Funktionen und auch zur Ausgestaltung des sog. Thermofensters vorgetragen. Diesem Vortrag ist der Kläger nicht in substantiierter Art und Weise entgegen getreten, sodass von dem diesbezüglichen substantiierten Vortrag der Beklagten auszugehen ist.
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Auch wenn dieser Vortrag – jedenfalls zum Teil – neu in der Berufung erfolgt ist, war er gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Das Landgericht ist – anders als das Berufungsgericht – davon ausgegangen, dass der Vortrag des Klägers zu einer sittenwidrigen Schädigung seitens der Beklagten durch Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung unbeachtlich, weil ins Blaue hinein vorgebracht, sei. Der Beklagten war daher nach entsprechendem Hinweis, dass dieser Vortrag genügte, Gelegenheit zu diesbezüglichen Vorbringen zu geben (s. Musielak/Voit/Ball, 20. Aufl. 2023, ZPO § 531 Rn. 17).
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1.2 Ausgehend vom – durch die Stellungnahme des KBA vom 12.09.2023 (B18) bestätigten – Vortrag der Beklagten wurde beim streitgegenständlichen Fahrzeug die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung (SCR-Katalysator) zwar in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern reduziert. Nach Ansicht des KBA erfolgte diese Reduzierung zwar ohne hinreichende Begründung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) bis c) der VO (EG) Nr. 715/2007, nach unbestrittenem (und auch vom KBA bestätigtem) Vortrag aber gleichermaßen im normalen Fahrbetrieb. Ein Prüfstandsbezug der Parametrierung liegt – genauso wie beim unstreitig vorhandenen Thermofenster – nicht vor.
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1.3 Auch andere Gesichtspunkte, die eine sittenwidrige Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs begründen könnten, ergeben sich weder aus dem – nunmehr substantiierten – Vortrag der Beklagten noch aus dem – weiterhin unsubstantiierten – Klagevorbringen.
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2. Ein – an dieser Stelle nicht näher zu prüfender – Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder – im konkreten Fall näher liegend – gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 4 EG-FGV begründet keinen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Gewährung „großen“ Schadensersatzes dahingehend, so gestellt zu werden, als hätte er das streitgegenständlich Fahrzeug nicht erworben (s. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 18 ff, juris). Damit kann daher der Hauptantrag nicht begründet werden.
II.
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Dagegen ist der vom Kläger in der Berufung zulässigerweise nach § 264 Nr. 3 hilfsweise gestellte Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 4.400,85 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, zum Teil, nämlich in Höhe von 2.993,00 € zuzüglich Zinsen begründet. Der Kläger hat gemäß einen entsprechenden Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 4 EG-FGV.
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1. Der Senat geht davon aus, dass Art. 3 Nr. 35, Art. 26 Abs. 5 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (EuGH NJW 2023, 1111). In der Folge sind diese Vorschriften und – in unionsrechtskonformer Auslegung – auch die nationalen Ausführungsbestimmungen der §§ 13 Abs. 1, 27 Abs. 4 EG-FGV drittschützend i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Als Käufer des streitgegenständlichen, mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen (dazu im Folgenden Punkt 3.) Kfz unterfällt der Kläger dem persönlichen Schutzbereich der genannten Normen; auch der sachliche Schutzbereich ist eröffnet.
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Aufgrund derselben Erwägungen, angesichts derer der Bundesgerichtshof ausgesprochen hat, dass Art. 3 Nr. 36, 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist, gilt dies auch für Art. 3 Nr. 35, Art. 26 Abs. 5 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 im Fall der Erteilung einer Einzelgenehmigung. In der Folge sind diese Vorschriften und – in unionsrechtskonformer Auslegung – auch die nationalen Ausführungsbestimmungen der § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 4 EG-FGV drittschützend i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.
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Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller hat der Europäische Gerichtshof aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet; dem folgend hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass das unionsrechtlich geschützte Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart geschützt ist (s. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 32, juris).
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Zwar ist für das streitgegenständliche Fahrzeug keine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben worden, mit der eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Fahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bestätigt wurde, es wurde aber – auf Grundlage der Angaben der Beklagten und der von ihr vorgelegten Systemgenehmigungen (s. hierzu Schriftsatz der Beklagten vom 22.09.2023, S. 22/23 = Bl. 327/328 d.A. und diesbezügliche Angaben des Zeugen L., Sitzungsprotokoll vom 26.10.2023, S. 5 = Bl. 409 d.A.) – eine Einzelgenehmigung gemäß § 13 Abs. 1 EG-FGV (deutsche Umsetzung von Art. 24 RL 2007/46/EG) erteilt. Voraussetzung für deren Erteilung war gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (in Umsetzung von Art. 24 Abs. 7 RL 2007/46/EG), dass das Fahrzeug (ebenso wie ein typengenehmigtes Fahrzeug) den Bestimmungen der Richtlinie 2007/46/EG und den jeweiligen in deren Anhang IV oder Anhang XI aufgeführten Rechtsakten entsprach. Für den Fall, dass das Fahrzeug dem genehmigten Sachverhalt nicht entsprach, sah § 13 Abs. 6 Nr. 1 EG-FGV die Möglichkeit des (eventuell nur teilweisen) Widerrufs oder der Rücknahme der Genehmigung vor.
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Nachdem der Käufer eines Fahrzeugs mit einer Einzelgenehmigung gemäß § 27 Abs. 4 EG-FGV auf den Bestand der Einzelgenehmigung und damit – ebenso wie der Käufer eines typengenehmigten Fahrzeugs – auf die Einhaltung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 durch den Fahrzeughersteller angewiesen ist, um es zur Verwendung im Straßenverkehr selbst in Betrieb nehmen oder veräußern zu dürfen, ist aufgrund der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des BGH davon auszugehen, dass Art. 3 Nr. 35, Art. 26 Abs. 5 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 auch dem Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers dienen, und dem entsprechend die nationalen Ausführungsbestimmungen der § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 4 EG-FGV drittschützend i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB sind.
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2. Ein Verstoß gegen §§ 13 Abs. 1, 27 Abs. 4 EG-FGV ist gegeben, weil im streitgegenständlichen Fahrzeug bereits nach dem – insoweit vom Kläger nicht bestrittenen – Beklagtenvortrag zwei unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.v. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zum Einsatz gekommen sind: eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster, dazu 3.1) und eine so nicht zulässige u.a. temperaturabhängige Ad-Blue-Dosierung (dazu 3.2). Die Steuerung sowohl bezüglich der Abgasrückführung wie auch der AdBlue-Dosierung erfolgte zudem unzulässigerweise in Abhängigkeit von anderen Parametern (dazu 3.3).
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2.1 Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.
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Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer Abschalteinrichtung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 715/2007) trägt der Kläger.
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2.2 Die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 muss dagegen die Beklagte darlegen und beweisen. Von einer solchen kann nur (ausnahmsweise) unter folgenden Voraussetzungen ausgegangen werden:
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2.2.1 Die Abschalteinrichtung muss ausschließlich dazu notwendig sein, die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen.
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2.2.2 Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH GRUR-RS 2022, 30274 Rn. 89 ff., 95).
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2.2.3 Schließlich kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20 –, Rn. 82, juris)
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3. Bei den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Funktionen handelt es sich (nach dem eben unter 2.1 dargelegten Maßstab) um Abschalteinrichtungen, die (nach dem eben unter 2.2 dargelegten Maßstab) unzulässig sind. Bei deren konkreter Ausgestaltung geht der Senat vom Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 22.09.2023 aus (dort insbesondere auf Seiten 6 bis 14 = Blatt 311 bis 319 der Akten). Der Kläger ist diesem substantiierten Vortrag, der aufgrund des Hinweises des Senats zur sekundären Vortragslast der Beklagten mit Verfügung vom 18.07.2023 (Blatt 303/305 der Akten) erfolgt ist, nicht (substantiiert) entgegen getreten.
3.1 Zum Thermofenster:
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3.1.1 Vor dem Hintergrund der Entscheidungen des EuGH vom 08.11.2022 (EuGH BeckRS 2022, 30274) und vom 14.07.2022 (EuGH BeckRS 2022, 16621 und 16622) ist schon auf der Grundlage des insoweit zwischen den Parteien unstreitigen Sachvortrages davon auszugehen, dass es sich bei dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofenster um eine Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handelt. Es bewirkt unstreitig, dass bei bestimmten Außentemperaturen die innermotorische Rückführung der Abgase reduziert wird, wodurch die Verbrennungstemperatur steigt und höhere NOx-Emissionen entstehen. Dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug auf diese Weise gesteuert wird, ist zwischen den Parteien unstreitig; insoweit hat die Beklagte den Klagevortrag (S. 20/21 der Replik vom 12.10.2021, Blatt 58/140 der Akten) nicht bestritten.
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3.1.2 Die Beklagte hat nicht dargetan, dass das Thermofenster erforderlich war, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Bei der Gefahr der Verrußung und Versottung, deren Vermeidung das Thermofenster nach Angaben der Beklagten diente (s. Klageerwiderung S. 10 = Bl. 39 der Akten) handelt es sich um einen allmählich eintretenden Vorgang, der kein unmittelbares Risiko für den Motor darstellte; die Beklagte hat – auch nach diesbezüglichem konkreten Hinweis des Senats unter Punkt 3. c. der Verfügung vom 18.09.2023 (Blatt 280/283 der Akten) – nicht vorgetragen, dass durch das Thermofenster unmittelbare Risiken für den Motor vermieden werden mussten.
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3.1.3 Das – ursprünglich, zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens und auch noch des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs (vor dem Softwareupdate) implementierte – Thermofenster ist zudem auch deswegen als unzulässig einzustufen, weil es unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres zu einer Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führte. Es führte nach dem Vortrag der Beklagten dazu, dass die AGR zwar in einem Temperaturband von -10 °C bis +32 °C aktiv war, sie jedoch von der tiefsten Temperatur iterativ erhöht wurde, bis sie bei +16 °C die höchste AGR-Rate erreichte (siehe Seite 7 des Schriftsatzes vom 22.09.2023 = Blatt 312 der Akten). Im Klartext heißt das aber, dass das Thermofenster bereits bei Temperaturen unter +16 °C zu einer Veränderung der Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems führte, die zu einer Verringerung dessen Wirksamkeit geführt hat.
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Temperaturen von unter 16 °C sind allgemein bekannt in Europa nicht außergewöhnlich. In Deutschland lag im Jahr 2022 die Durchschnittstemperatur nur in den Monaten Juni, Juli und August über 18 °C (s. DWD Jahrbuch 2022, Seite 30, allhttps://www.dwd.de/DE/leistungen/jahresberichte_dwd/jahresberichte_pdf/jahresbericht_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2).
3.2 Zur AdBlue-Dosierung
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3.2.1 Auch die ursprüngliche Steuerung der AdBlue-Dosierung ist vor dem Hintergrund der Entscheidungen des EuGH vom 08.11.2022 (EuGH BeckRS 2022, 30274) und vom 14.07.2022 (EuGH BeckRS 2022, 16621 und 16622) schon auf der Grundlage des (insoweit von Klageseite nicht bestrittenen) Sachvortrages der Beklagten als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen. Sie bewirkte unstreitig, dass der SCR-Katalysator unterhalb von +17 °C sowie zwischen 33 °C und 50 °C in einem Modus betrieben wurde, „in dem jeweils so viel Harnstoff (AdBlue) eingedüst wird, um die angestrebte Zielgröße der NOx-Reduktion zu erreichen und gleichzeitig einen umweltschädlichen Ammoniakschlupf zu vermeiden“ (S. 10 des Beklagtenschriftsatzes vom 22.09.2023 = Blatt 315 der Akten). Im Klartext heißt das, dass in einem Temperaturbereich zwischen +17 °C und +32 °C mehr Ad-Blue in den SCR-Katalysator eingedüst wurde als außerhalb dieses Temperaturbereichs, und außerhalb die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vermindert war.
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3.2.2 Auch diesbezüglich hat die Beklagte nicht dargetan, dass dies erforderlich war, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Als Ziel nennt sie vielmehr nur die Verhinderung umweltschädlichen Amoniakschlupfs.
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3.2.3 Diese AdBlue-Dosier-Strategie ist zudem auch deswegen als unzulässig einzustufen, weil sie unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres zu einer Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führte. Wie bereits unter Punkt 4.1.3 dargestellt, sind Temperaturen unter +16 °C in Europa häufiger als solche über +16 °C.
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3.3 Auch soweit die Verringerung der Abgasrückführungsrate und die der AdBlue-Eindüsung in Abhängigkeit von anderen Parametern (AGR: Reduzierung ab ca. 700 m Höhe über NN und ab einer Drehzahl von 2.900 U/min; AdBlue-Eindüsung; Reduzierung ab einer Fahrzeuggeschwindigkeit von 145 km/h und oberhalb einer Drehzahl von 2.750 U/min) erfolgt ist, handelte es sich dabei um Abschalteinrichtungen, da auch insoweit in Abhängigkeit von einem bestimmten Parameter (Höhe bzw. Luftdruck, Drehzahl, Geschwindigkeit) die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems verändert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wurde. Auch insoweit hat die Beklagte jeweils nicht dargetan, dass dies zur Vermeidung einer unmittelbaren Motorschädigung erforderlich gewesen wäre.
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4. Der Kläger hat kausal durch diese Schutzgesetzverletzung einen Schaden erlitten.
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4.1 Es ist bereits aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass der Kläger einen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 39 bis 44, juris).
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4.2 Zur Erwerbskausalität kann sich der Kläger auf den Erfahrungssatz stützen, dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 55). Denn der Käufer eines zugelassenen Fahrzeuges wird regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können (BGH a.a.O., Rn. 56).
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Die Beklagte hat nichts vorgetragen, was die Anwendung dieses Erfahrungssatzes in Frage stellen würde. Dass der Kläger aus den Medien erfahren haben könnte, dass (auch) in Fahrzeugen der Beklagten Thermofenster zum Einsatz kommen, erschüttert den Erfahrungssatz nicht.
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Soweit sich die Beklagte (wenn auch unter den Aspekten eines Wegfalls einer etwaigen Sittenwidrigkeit oder eines etwaigen Verschuldens) auf eine Verhaltensänderung beruft (Schriftsatz vom 22.09.2023 S. 21 = Bl. 327 der Akten), könnte eine solche diesen Erfahrungssatz zwar in Frage stellen, dies allerdings nur, wenn die Beklagte die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hätte, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlicht hätte (s. BGH a.a.O., Rn. 57). Nach ihrem eigenen Vortrag (Schriftsatz vom 22.09.2023 S. 18 bis 22 = Bl. 323/327 d.A.) hat die Beklagte, die auch jetzt noch darauf beharrt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen sei, keine öffentlichen Äußerungen getätigt, die auch nur halbwegs deutlich zum Ausdruck gebracht hätten, dass ihre Fahrzeuge mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen gewesen seien. In der Stellungnahme vom 17.05.2016 (B 19) erklärt „Opel-Chef“ Dr. N. ausdrücklich, dass keine illegalen Abschalteinrichtungen vorhanden seien, und dass alle diesbezüglichen Anschuldigungen gegen Opel falsch seien. Gleiches gilt für die Pressemitteilung der Adam O. AG vom 20.05.2016 (B 20), in der zwar einzelne Parameter genannt werden, aber insgesamt auch für einen objektiven Dritten nicht der Eindruck entstand, der Erwerb des Fahrzeugs könnte mit einem Risiko verbunden sein.
5. Die Beklagte hat schuldhaft, nämlich fahrlässig, gegen ein Schutzgesetz (§§ 13 Abs. 1, 27 Abs. 4 EG-FGV) verstoßen. Die von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 59) hat die Beklagte nicht widerlegt.
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Der Schuldvorwurf entfällt nicht aufgrund einer Verhaltensänderung der Beklagten.
37
Zwar mag einem Fahrzeughersteller nicht mehr der Vorwurf einer fahrlässigen Schädigung von Käufer gemacht werden, die ein Fahrzeug erworben haben, nachdem er die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekanntgegeben hat, die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lässt, und er eine Beseitigung der betreffenden Abschalteinrichtung allgemein, insbesondere nicht nur für neue, sondern auch für gebrauchte Kraftfahrzeuge veranlasst hat (s. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 61, juris). Wie bereits dargelegt (s. Punkt 4.2), hat die Beklagte auch nach ihrem eigenen Vortrag nicht bekanntgegeben, dass es bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Motorisierung zur Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gekommen sei.
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Zu dem von ihr geltend gemachten (unvermeidbaren) Verbotsirrtum hat die Beklagte weder substantiiert dargetan noch gar bewiesen, sich jemals in einem solchen befunden zu haben. Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs wie auch für den für die Beurteilung der Schuld maßgeblichen Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrags (s. hierzu: BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23 –, Rn. 15, juris).
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Will ein Fahrzeughersteller sich auf einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum berufen, muss er darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23 –, Rn. 14, juris).
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5.1 Dem genügt der Vortrag der Beklagten bereits deshalb nicht, weil die Beklagte nur für den Zeitpunkt März 2015 zu einem Verbotsirrtum vorgetragen hat (s. Schriftsatz vom 22.09.2023 Tz. 51 und Tz. 53).
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5.2 Unabhängig hiervon hat die Beklagte für keinen Zeitpunkt konkret vorgetragen, dass sich sämtliche Vorstandsmitglieder in einem Verbotsirrtum befunden hätten. Auch zu einer Ressortaufteilung ist kein Vortrag erfolgt.
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5.3 Schließlich konnte der Zeuge L. dem Gericht für keinen Zeitpunkt die Überzeugung verschaffen, dass auch nur ein (1) Vorstandsmitglied sich in einem Verbotsirrtum befunden hätte.
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Der Zeuge konnte von keinem einzigen eigenen Kontakt mit einem Vorstandsmitglied berichten, aufgrund dessen er über einen eventuellen Verbotsirrtum dieses Vorstandsmitglieds Bescheid gewusst hätte. Er konnte letztendlich nur darlegen, dass der Vorstand im Jahr 2008 ein „Compliance Board“ ins Leben gerufen hatte, dem er als Teil des Emissionierungsteams zu berichten hatte. Aufgrund eines entsprechenden Beschlusses, wusste der Zeuge, dass das „Compliance Board“ als normale Betriebsbedingungen eines Fahrzeugs diejenigen auffasste, wie sie im NEFZ-Zyklus herrschten. An Gesprächen, wie es zu dieser Meinungsbildung kam, hat er nach seinen Bekundungen nicht teilgenommen.
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Der Zeuge konnte daher zu den Vorstellungen der Vorstandsmitglieder oder anderer Repräsentanten nichts berichten.
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5.4 Nachdem ein Verbotsirrtum weder dargelegt noch bewiesen ist, bedarf es keiner Ausführungen zu dessen eventueller Unvermeidbarkeit.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten (s. Rn. 3 des Schriftsatzes vom 20.11.2023) muss ein Fahrzeughersteller, der sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen will, nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konkret darlegen. Ausdrücklich formuliert der Bundesgerichtshof, dass der Nachweis der Unvermeidbarkeit eines konkret dargelegten (und im Falle des Bestreitens des Geschädigten nachgewiesenen Verbotsirrtums) vom Fahrzeughersteller mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 64, juris; Unterstreichung durch den Senat erfolgt) oder auch einer hypothetischen Genehmigung (BGH, a.a.O., Rn. 65) geführt werden könne.
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Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht der Beklagten (s. Rn. 2 des Schriftsatzes vom 20.11.2023) wäre ein (Verbots-) Irrtum des „Compliance-Boards“ dem Vorstand nicht zurechenbar. Dies bedarf allerdings keiner näheren Auseinandersetzung, weil der Zeuge L. auch über die konkreten Vorstellungen der Mitglieder des „Compliance-Boards“ nichts mitteilen konnte. Ihm waren – wie eben dargelegt – nur dessen Beschlüsse bekannt.
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6. Die Beklagte ist auch nicht aufgrund der von ihr erhobenen Verjährungseinrede (S. 12 des Schriftsatzes vom 22.10.2021 = Bl. 154 der Akten) berechtigt, gemäß § 214 Abs. 1 BGB die Leistung des von ihr geschuldeten Schadensersatzes zu verweigern. Auch wenn seit dem Jahr 2016 einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewesen sein mag, dass in allen Dieselfahrzeugen temperaturgesteuerte Emissionskontrollsysteme zum Einsatz kamen, ist damit – selbst bei Unterstellung, auch dem Kläger sei dies bekannt gewesen – nicht dargetan, dass dem Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen bekannt waren. Für eine solche Kenntnis hätte dem Kläger zumindest die ungefähre Parametrierung bekannt sein müssen, da von einer Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 überhaupt nur ausgegangen werden kann, wenn durch sie die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen verringert wird, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Dass dem Kläger diese Parametrierung auch nur grob bekannt gewesen sei, trägt die Beklagte nicht vor. Die Beklagte stellt sich zudem bis jetzt – anders als die V. AG bei Fahrzeugen mit EA 189-Motoren – auf den Standpunkt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vom Dieselabgasskandal betroffen sei. Sie hat auch – nach ihrem eigenen Vortrag – im Zusammenhang mit der Verbesserung des Emissionskontrollsystems nicht bekanntgegeben, dass dieses zuvor unzulässig gewesen sei, oder Tatsachen bekanntgegeben, aufgrund derer dies zu erkennen gewesen wäre.
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7. Es ist von einem (Differenz-) Schaden der Klagepartei auszugehen, den der Senat unter Berücksichtigung der vom BGH aus dem Unionsrecht hergeleiteten Vorgaben nach § 287 ZPO im konkreten Einzelfall auf 10 % des gezahlten Kaufpreises und damit auf 2.933,90 € schätzt. Die Berücksichtigung des unstreitigen Restwerts des klägerischen Fahrzeugs in Höhe von 8.400,00 € und der von ihm gezogenen Nutzungen, die der Senat ausgehend von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km auf 17.481,55 € schätzt (für 145.529 gefahrene Kilometer), führen zu keinem Abzug im Weg des Vorteilsausgleichs. Einen auszugleichenden Vorteil durch das unstreitig durchgeführte Software-Update hat die Beklagte nicht hinreichend dargetan.
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7.1 Die Schadenschätzung ist das Ergebnis einer Gesamtabwägung, in welche der Senat die erlittenen Nachteile des Klägers (insb. das Risiko behördlicher Anordnungen), den Umfang und die Eintrittswahrscheinlichkeit der in Betracht kommenden Betriebsbeschränkungen, das Gewicht des Verstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte und den Grad des Verschuldens eingestellt hat. Zur Differenzierung innerhalb des unionsrechtlich vorgegebenen Spielraums (5 bis 15 %) wurden dabei vor allem solche Gesichtspunkte herangezogen, die den vorliegenden Fall von anderen Fällen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen unterscheiden.
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Vor diesem Hintergrund hat der Senat zunächst berücksichtigt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug jedenfalls zwei unterschiedliche unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind. Der Senat geht zugleich davon aus, dass beide Abschalteinrichtungen keinen Prüfstandsbezug aufweisen: Schon aus der festgestellten Funktionsweise von Thermofenster und SCR-Katalysator folgt, dass beide Abschalteinrichtungen auf der Straße genauso funktionieren wie auf dem Prüfstand (vgl. OLG München BeckRS 2023, 405 Rn. 25 für die AdBlue-Dosierung). Der Grad des Verschuldens erscheint vor diesem Hintergrund eher gering, zumal davon auszugehen ist, dass der Verwendung von Thermofenstern – im umkämpften Pkw-Markt – ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag (OLG Schleswig BeckRS 2023, 6575). Die Gefahr von Betriebsbeschränkungen war mit Blick auf das Thermofenster eher theoretischer Natur, mit Blick auf die Steuerung der Abgasnachbehandlung per SCR-Katalysator nach dem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes durchaus real, sie konnte aber durch das Aufspielen eines Softwareupdates – noch vor Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Kläger – bis dato abgewendet werden.
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7.2 Das unstreitig durchgeführte Software-Update führt zu keiner Schadensminderung, die im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen wäre. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, kann damit eine Schadensminderung indessen nur verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert. Das wiederum kann nur dann der Fall sein, wenn es nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung beinhaltet (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 80, juris). Zwar wird – bei Wahrunterstellung des Vortrags unter Rn. 4 des Schriftsatzes vom 17.10.2023 (Bl. 387/388 d.A.) – kaum mehr davon die Rede sein können, dass die beiden Abschalteinrichtungen unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres zu einer Veränderung der Funktion des Emissionskontrollsystems führen werden. Bei den beiden unteren Grenzen, ab denen die Abschalteinrichtung nach Beklagtenvortrag jeweils zu einer Reduzierung der Abgasreinigung führt (unter +2 °C und unter 0 °C) handelt es sich allerdings durchaus um in Europa normale Betriebsbedingungen, unter denen auch noch normaler Straßenverkehr stattfindet. Dazu inwieweit die beiden Abschalteinrichtungen in der nunmehrigen Ausgestaltung notwendig i.S.d. Art. 5 Abs. 2 a VO (EG) 715/2007 sind, ist kein hinreichender Sachvortrag der insoweit vortrags- und beweisbelasteten Beklagten erfolgt.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO erfolgt. Schuldnerschutzanordnungen hatten gemäß § 713 ZPO nicht zu erfolgen.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da sämtliche in diesem Rechtsstreit relevanten Rechtsfragen durch aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere die Urteile vom 26.06.2023 in den Verfahren VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22, geklärt sind. Mit diesen Urteilen hat der Bundesgerichtshof auch ausgesprochen, dass ein Fahrzeughersteller, der sich auf einen Verbotsirrtum berufen will, das Vorliegen eines Verbotsirrtums konkret darzulegen hat.