Titel:
Gegenstandswert bei Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber um die Einrichtung einer Einigungsstelle
Normenketten:
ArbGG § 100
RVG § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, § 33
GKG § 48 Abs. 2
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6
Leitsätze:
1. Ein Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber um die Einrichtung einer Einigungsstelle ist als nicht vermögensrechtlicher Gegenstand gem. § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG zu bewerten; dabei ist der Ausgangswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache, zu erhöhen oder zu mindern. (Rn. 16)
2. Die Bedeutung der Sache leitet sich u.a. aus dem im Streit stehenden Mitbestimmungsrecht und der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ab. (Rn. 20)
3. Der Gegenstandswert erhöht sich bei einem weiteren Streit über die Person des Vorsitzenden und/oder die Anzahl der Beisitzer um jeweils 1/4. (Rn. 15)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Einigungsstellenbesetzungsverfahren, Streitwert, Mitbestimmungsrecht
Vorinstanz:
ArbG Regensburg, Beschluss vom 31.07.2023 – 5 BV 18/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35391
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 31.07.2023 – 5 BV 18/23 – teilweise wie folgt abgeändert:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Arbeitgeberin gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats im Verfahren nach § 100 ArbGG.
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Im Ausgangsverfahren verlangte der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Einrichtung einer Einigungsstelle betreffend die Regelung des Einsatzes und der Anwendung einer Software zur Nacharbeitserfassung/End-of-Line Prüfung im Betrieb A-Stadt, in dem ca. 170 Arbeitnehmer beschäftigt werden, mit dem Vizepräsidenten des LAG N. a. D. als Vorsitzenden und drei Beisitzern auf jeder Seite. Dem Antrag wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg stattgegeben. In diesem hielt das Arbeitsgericht fest, dass über die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer je Seite kein Streit bestanden habe (unter II. 2 b) der Gründe = S. 11 des Urteils bzw. Bl. 157 d. A). Die hiergegen seitens der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.
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Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss vom 31.07.2023 – 5 BV 18/23 – auf 7.500,00 € festgesetzt.
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Gegen diesen, ihr am 02.08.2023 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 11.08.2023 Beschwerde eingelegt. Für die Wertbemessung nach § 23 Abs. 3 RVG sei die vorliegend äußerst geringe Bedeutung des Mitbestimmungsrechts zu berücksichtigen. Zwar liege eine technische Einrichtung vor, aber sie werde faktisch nicht zur Leistungsüberwachung der Arbeitnehmer verwendet. Die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer sei gering. Nach dem aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit sei eine Erhöhung des Streitwerts für die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer je Seite nur in Betracht zu ziehen, wenn die Beteiligten darüber gestritten hätten, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Im Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Februar 2021 – 26 Ta (Kost) 6009/21 – sei bei einem Streit über das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG ¾ des Hilfswerts angemessen, wenn ca. 660 Personen betroffen wäre. Hieraus rechtfertige sich ein Gegenstandswert von 2.500,00 €.
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Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats verteidigen die erstinstanzliche Wertfestsetzung.
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Das Arbeitsgericht Regensburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Aufwand und Schwierigkeit des Verfahrens wichen vom Standardfall, der dem Streitwertkatalog zugrunde liege, erheblich ab. Es seien Rechtsfragen bzgl. der Reichweite des Mitbestimmungsrechts, Zuständigkeitsfragen gem. § 50 BetrVG, Wirksamkeitsfragen anderweitiger Gesamtbetriebsvereinbarungen bzw. eines Einigungsstellenspruchs und das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses zu prüfen gewesen. Auch den Streitgegenständen „Person des Vorsitzenden“ und „Anzahl der Beisitzer“ sei wegen der zumindest kursorischen Prüfung ein Wert zuzumessen.
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In ihrer Stellungnahme hierzu hält die Arbeitgeberin ihre Auffassung aufrecht. Mangels Beweisaufnahme sei die rechtliche Bestimmung des Mitbestimmungsrechts durchaus als einfach beantwortbar zu bewerten.
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Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wiesen darauf hin, dass die Arbeitgeberin ihr Einverständnis zum Schreiben vom 05.05.2023 betreffend die streitgegenständliche Einigungsstelle nicht gegeben habe.
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Die nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
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1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG.
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Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 €, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, denn bereits die einfache Gebührendifferenz zwischen dem festgesetzten (7.500,00 €) und dem begehrten Gegenstandswert (2.500,00 €) beträgt nach der Anlage 2 zum RVG 300,00 €.
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2. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Gegenstandswert ist auf 5.000,00 € festzusetzen, §§ 33 Abs. 1, 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG.
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a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
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b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2018, abgedruckt in NZA 2018, 497 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.) . Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
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c) Der aktuell gültige Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit enthält in Ziff. II.4. die Empfehlung, bei Streit über die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle höchstens den Hilfswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (II.4.1), bei Streit über die Person des Vorsitzenden/der Vorsitzenden grundsätzlich ¼ des Hilfswerts nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (II.4.2) und bei Streit über die Anzahl der Beisitzer grundsätzlich insgesamt ¼ des Hilfswerts nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (II.4.3) festzusetzen.
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Diese Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2018 berücksichtigen die gesetzlichen Vorgaben, weshalb sie auch von der erkennenden Beschwerdekammer zugrunde gelegt werden. Bei Anträgen auf Einsetzung einer Einigungsstelle handelt es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände, für die die Bewertung nach § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG vorzunehmen ist (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.11.2017 – 5 Ta 124/17 – Rn. 6; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.02.2021 – 26 Ta (Kost) 6009/21 – Rn. 5). Danach ist bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen der Gegenstandswert mit 5.000,00 €, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 € anzunehmen. In Anlehnung an § 48 Abs. 2 GKG wird dieser Wert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache bestimmt (vgl. Riedel/Sußbauer RVG/Potthoff, 10. Aufl. 2015, RVG § 23 Rn. 268; TZA ArbR-Streitwert/Paschke, Teil 1 B. Rn. 121; BAG, Beschluss vom 14.12.2016 – 7 ABR 8/15 – Rn. 40).
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d) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Wert von 5.000,00 € festzusetzen, der sich im Einzelnen wie folgt ergibt:
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aa) Zwischen den Beteiligten war die Einrichtung einer Einigungsstelle, nicht aber die Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer streitig. Dies folgt aus den Feststellungen des Arbeitsgerichts im Beschluss vom 12.07.2023, die seitens der Beteiligten auch nicht im Beschwerdeverfahren angegriffen worden sind. Das nunmehr vorgelegte Schreiben des Betriebsrats an die Arbeitgeberin vom 05.05.2023 rechtfertigt keine andere Bewertung. Da die Arbeitgeberin schon grundsätzlich die Einrichtung einer Einigungsstelle ablehnte, gab es keinen Anlass für sie, außergerichtlich vorsorglich ihr Einverständnis mit der vorgeschlagenen Besetzung zu erklären.
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bb) Der Antrag auf Einrichtung einer Einigungsstelle ist mit 5.000,00 € angemessen bewertet.
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Unter Berücksichtigung aller Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls war der Ausgangswert des § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG in Höhe von 5.000,00 € nicht zu mindern. Zwischen den Beteiligten bestand nicht nur über die Frage, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren nach § 100 ArbGG vorlag, Streit, sondern auch darüber, ob die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig war. Im Rahmen der offensichtlichen Unzuständigkeit stritten die Beteiligten sowohl über das Bestehen und den Umfang des Mitbestimmungsrechts als auch über die Frage, ob dem Mitbestimmungsrecht die Rahmengesamtbetriebsvereinbarung entgegenstehe. Mit dem Antrag war zudem ein bedeutsames Mitbestimmungsrecht im Streit. Die Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vor Eingriffen durch anonyme technische Kontrolleinrichtungen (vgl. ErfK/Kania, 23. Aufl. 2023, BetrVG § 87 Rn. 48). Von dem Regelungsgegenstand ist schließlich auch eine Vielzahl von Arbeitnehmer betroffen. Nach den Feststellungen des LAG München erfasst die streitgegenständliche Software bzgl. jeden Arbeitnehmers die produzierten Stückzahlen und die Qualität der Produktion sowie, wann die Anlage vom Anwender angemeldet worden ist; im Betrieb in A-Stadt sind unstreitig 170 Personen beschäftigt.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Da die Beschwerde nur teilweise zurückgewiesen wird, wird die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG auf die Hälfte ermäßigt.
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Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.