Titel:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Stellenbesetzung bei fehlerhafter Durchführung des Bewerbungsverfahrens - fingierte Bewerbungen
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2
ArbGG § 62 Abs. 2
ZPO § 935, § 940
KSchG § 9, § 10
Leitsätze:
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Stellenbesetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist stattzugeben, wenn das Bewerbungsverfahren rechtlich fehlerhaft durchgeführt worden ist und bei Vermeidung des Fehlers eine Besetzung der Stelle mit dem Rechtsschutz begehrenden unterlegenen Bewerber möglich erscheint (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 25.11.2015 – 2 BvR 1461/15 – NJW 2016, 309). (Rn. 25 – 27)
1. Wieviel "Mühe" ein Bewerber sich mit seinem Bewerbungsschreiben und den weiteren Bewerbungsunterlagen gegeben hat, wie ansprechend seine Präsentation ist und wie eindringlich und überzeugend er ein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle bekundet hat, kann ein Umstand sein, der für die konkrete Auswahlentscheidung des Arbeitgebers den Ausschlag geben kann (unter Hinweis auf BAG BeckRS 2017, 112923 Rn. 136). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zum Begriff der Eignung iSv Art. 33 Abs. 2 GG gehört auch die persönliche Eignung. Diese umfasst im engeren Sinne insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die in dem angestrebten Amt von Bedeutung sind. Geeignet iSv Art. 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbes. rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (unter Hinweis auf BAG BeckRS 2012, 75543 Rn. 40 mwN). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliges Verfügungsverfahren, Konkurrentenstreitverfahren, Bewerbungsverfahrensanspruch, mögliche Auswahl, Einstweilige Verfügung, Stellenbesetzung, Untersagung, Eignung, fingierte Bewerbungen
Vorinstanz:
ArbG München, Endurteil vom 14.06.2023 – 29 Ga 54/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 35388
Tenor
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 14.06.2023 – 29 Ga 54/23 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Besetzung der Stelle „Arbeitsvermittler/-in (w/m/d) Arbeitgeberservice (Arbeitsort Z)“.
2
Die Verfügungsbeklagte schrieb Anfang 2023 die oben genannte Stelle in der Dienststelle Agentur für Arbeit Y öffentlich aus. Zu den Aufgaben des Stelleninhabers gehörte u.a. die Neuakquise von Arbeitgebern, die Beratung kleiner und mittelständischer Unternehmen hinsichtlich ihrer Außenwirkung, Eingliederungsleistungen und Optimierung ihrer Personalplanung und -entwicklung, die Entwicklung individueller Besetzungsstrategien von Ausbildungs- und Arbeitsstellen sowie die Vertretung der Verfügungsbeklagten z. B. auf Jobmessen und bei Job-Speed-Datings. Für den weiteren Inhalt der Stellenausschreibung wird auf Bl. 11 d. A. Bezug genommen.
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Der am ... geborene Verfügungskläger hat ein BWL-Studium mit dem Studienschwerpunkt Personal und eine pädagogische Zusatzausbildung absolviert. Er verfügt über umfassende Berufserfahrung als pädagogischer Mitarbeiter bei Bildungsträgern. Bereits 2012 und 2013 hat der Verfügungskläger erfolgreich Klageverfahren gegen die Verfügungsbeklagte in Bezug auf Ansprüche aus Art. 33 Abs. 2 GG geführt. Seit Ende 2022 hat sich der Verfügungskläger dreimal bei der Verfügungsbeklagten beworben; die Bewerbungsverfahren sind Gegenstand der Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht München zu den Az. 8 SaGa 4/23, 5 SaGa 8/23 und 11 SaGa 13/23. Des Weiteren ist ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht München zum Az. 2 Ga 70/23 rechtshängig.
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Durch Urteil vom 04.05.2022 hat der BGH eine Verurteilung des Verfügungsklägers und seines Bruders, der ihn in diversen Prozessen vertreten hat, wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Bezug auf 35 Einzelvorfälle im Zusammenhang mit fingierten Bewerbungen bei Arbeitgebern aufgehoben und an das LG München I zur neuen Verhandlung und Entscheidung wegen einer möglichen Strafbarkeit wegen Prozessbetrugs zurückverwiesen.
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Der Verfügungskläger bewarb sich mit der hier streitigen Bewerbung innerhalb der bis zum 15.03.2023 laufenden Bewerbungsfrist über die seitens der Verfügungsbeklagten zur Verfügung gestellte Bewerbungsmaske unter dem angegebenen Referenzcode. Unter Betreff nannte er „Bewerbung als Arbeitsvermittler/Arbeitgeberservice im Jobcenter Z“ und den Referenzcode. Seine Absicht einer beruflichen Veränderung begründete er unter Hinweis auf seine derzeitige Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter und Coach bei einem Bildungsträger, der seine Aufträge vom Jobcenter erhalte und eng mit diesem zusammenarbeite. Auch mache es ihm viel Spaß und Freude, Menschen bei ihrer sozialen und beruflichen Integration behilflich zu sein und ihnen Chancen und Perspektiven des Arbeitsmarktes aufzuzeigen. Durch seine bisherigen Tätigkeiten habe er bereits Erfahrungen und diverse Einblicke in die Arbeit des Jobcenters gewinnen können und sich Kenntnisse im SGB II aneignen sowie Einblicke in die Arbeitsweisen und organisatorischen Strukturen des Jobcenters gewinnen können. Der Bewerbung waren u. a. ein Lebenslauf mit Datum 01.08.2022 und verschiedene Zeugnisse beigefügt. Zum 01.05.2023 wurde der Verfügungskläger arbeitslos. Ohne den Verfügungskläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, teilte die Verfügungsbeklagte ihm mit Schreiben vom 17.05.2023 mit, dass sie sich für eine andere Person entschieden habe.
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Mit Schreiben vom 18.05.2023 ließ der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte über seinen als Prozessbevollmächtigen auftretenden Bruder auffordern, ihm die dem Auswahlverfahren zugrundeliegende schriftliche Dokumentation zukommen zu lassen, um das Auswahlverfahren auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu können und bis zur Klärung offener Fragen mit der Besetzung der Stelle abzuwarten. Hierauf antwortete die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 30.05.2023. Der Bewerbung habe es an der notwendigen Ernsthaftigkeit, Sorgfalt und Interesse gefehlt. Sie habe sich nicht auf eine Position bei der Agentur für Arbeit, sondern im Jobcenter ... bezogen. Der Verfügungskläger habe die Erfahrungen und diversen Einblicke in die Arbeit eines Jobcenters hervorgehoben. Offensichtlich habe sich der Verfügungskläger nicht mit der ausgeschriebenen Stelle eines Arbeitsvermittlers im Arbeitgeberservice bei der Agentur für Arbeit ... beschäftigt. Der Schwerpunkt läge hier in der Arbeitgeberbetreuung im Rahmen des SGB III und nicht in der Betreuung von Kunden/innen im Jobcenter im Rahmen des SGB II. Der Verfügungskläger habe das Bewerbungsschreiben auf andere Stellen als Arbeitsvermittler im Jobcenter wortgleich übernommen. Der Lebenslauf datiere vom 01.08.2022. Die dort angegebenen Laufzeiten würden teils nicht mit den vorgelegten Zeugnissen übereinstimmen. Die Zeugnisse seien nicht vollständig vorgelegt worden.
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Mit Klage vom 02.06.2023 hat der Verfügungskläger Rechtsschutz durch Untersagung der Stellenbesetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren begehrt. Es bestehe ein Verfügungsanspruch, weil die Verfügungsbeklagte den Bewerbungsverfahrensanspruch des Verfügungsklägers verletzt habe. Aufgrund seiner objektiven Qualifikation hätte die Verfügungsbeklagte ihn zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen.
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Dass er keine Einladung erhalten habe, begründe sich aus dem „Sperrvermerk“ seiner Person, den die Verfügungsbeklagte im Personalverwaltungssystem aus „Rache“ wegen der Geltendmachung seiner Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG in 2012/2013 hinterlegt habe. Die Verfügungsbeklagte berufe sich auch in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise auf die angeblich fehlende „Motivation“ und „Ernsthaftigkeit“. Der Verfügungskläger bemühe sich ausweislich der laufenden Gerichtsverfahren, eine der seit Ende 2022 ausgeschriebenen Stellen zu bekommen. Er müsse davon ausgehen, dass eine tatsächlich existierende schriftliche Dokumentation des Auswahlverfahrens nicht vorliege, weil sie ihm trotz außergerichtlicher Aufforderung nicht zur Verfügung gestellt worden sei. Schließlich habe ihm die Verfügungsbeklagte nicht mitgeteilt, wann die Stelle endgültig besetzt werde. Deshalb liege eine Eilbedürftigkeit seines Antrags vor.
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Die Verfügungsbeklagte hat die Zurückweisung des Antrags beantragt.
10
Das Arbeitsgericht München hat durch Urteil vom 14.06.2023 – 29 Ga 54/23 – die Klage abgewiesen. Es fehle an einem Verfügungsanspruch. Die Verfügungsbeklagte habe zu Recht die Bewerbung des Verfügungsklägers nicht im Bewerbungsverfahren berücksichtigt, weil sie sich inhaltlich eindeutig nicht auf die ausgeschriebene Stelle bezogen habe.
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Gegen dieses, seinem Prozessbevollmächtigten am 16.06.2023 zugestellte Urteil hat der Verfügungskläger am 23.06.2023 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese am 10.07.2023 begründet.
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Der Kläger habe sich auf die streitgegenständliche Stelle beworben. Eine Zuordnung zu einer anderen Stelle sei schon deshalb nicht möglich gewesen, weil die Verfügungsbeklagte für diese konkrete Stelle eine Bewerbungsmaske eingestellt habe und sich der Verfügungskläger über diese unter Angabe des Referenzcodes beworben habe. Die Bewerbung sei seitens der Verfügungsbeklagten im Bewerbungsverfahren um die streitgegenständliche Stelle bearbeitet worden.
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Das Auswahlverfahren leide an einem unheilbaren und schwerwiegenden Verfahrensfehler, weil es keine schriftliche Dokumentation gebe. Soweit die Verfügungsbeklagte im Berufungsverfahren erstmals einen „Auswahlvermerk“ vorlege, sei dieser im Hinblick auf das fehlende Datum und die fehlende Unterschrift ohne Aussagekraft. Der Auswahlvermerk sei ausschließlich für dieses Bewerbungsverfahren angefertigt worden, um dem Berufungsgericht zu suggerieren, dass eine schriftliche Dokumentation tatsächlich vorläge. Dass es sich um eine sog. „Fake-Dokumentation“ handele, ergebe sich schon daraus, dass sie in Bezug auf den Verfügungskläger nahezu exakt die gleiche Wortwahl verwende, wie sie sich in der mutmaßlichen Dokumentation im Auswahlverfahren finde, das Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München zum Az. 2 Ga 70/23 gewesen sei. Aus dem vorgelegten Auswahlvermerk springe die dem Verfügungskläger widerfahrene „Sonderbehandlung“ ins Auge, weil die Bewerber Nr. 1 und Nr. 5 trotz Aufforderung keine Nachweise nachgereicht hätten und ihnen dennoch nicht fehlende „Motivation“ oder „Ernsthaftigkeit“ attestiert worden sei. Schließlich leide der Auswahlvermerk unter dem Mangel, dass sich aus ihm nicht ergebe, welcher Bewerber mit welchen Qualifikationen schlussendlich aus welchen Gründen ausgewählt worden sei; er stelle keine „Dokumentation“ des Auswahlverfahrens dar.
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Darüber hinaus leide das Auswahlverfahren unter dem groben Auswahlfehler, dass der Verfügungskläger nicht über die Person der/des ausgewählten Bewerbers/Bewerberin in Kenntnis gesetzt worden sei.
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Zudem bedinge der in Bezug auf die Bewerbung des Verfügungsklägers angebrachte Sperrvermerk (Anl. A7 = Bl. 38 d. A.), dass der Verfügungskläger lebenslang nicht bei der Verfügungsbeklagten eingestellt werde.
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Schließlich sei das Auswahlverfahren deshalb rechtswidrig, weil die Verfügungsbeklagte ihre Zweifel an der Motivation des Verfügungsklägers nicht durch dessen Einladung zum Vorstellungsgespräch ausgeräumt habe. Das Kriterium der Sorgfalt sei kein Kriterium des Anforderungsprofils und sei bei Bewerbern, die trotz Aufforderung fehlende Nachweise oder Zeugnisse nicht vorgelegt hätten, nicht bemängelt worden. Auch seien die Bewerbungsschreiben anderer Bewerber nicht vorgelegt worden, deren Fehlerhaftigkeit ebenfalls Rückschluss auf die mangelnde Sorgfalt gegeben hätte. Die Verfügungsbeklagte habe sich auch nicht auf die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung berufen können, weil sie im Zeitpunkt der Bewerbungsabsage am 07.05.2023 bereits gewusst habe, dass der Verfügungskläger drei Hauptsacheverfahren und drei einstweilige Verfügungsverfahren anhängig gemacht hatte, was belege, dass der Verfügungskläger ein erhebliches Kostenrisiko eingehe und einen erheblichen Zeitaufwand in Kauf nehme, um schlussendlich eine der Stellen zu erhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfe nicht von der Mühe bzw. fehlenden Mühe, die ein Bewerber auf die Erstellung eines Bewerbungsschreibens aufgewendet habe, auf die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit geschlossen werden. Die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit sei rechtlich im Bereich des § 242 BGB zu verorten und finde im Bereich des Art. 33 Abs. 2 GG keine Anwendung.
17
Der Verfügungskläger beantragt,
Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 14. Juni 2023 – Az: 29 Ga 54/23 – abgeändert und neu gefasst wie folgt:
„Der Verfügungsbeklagten wird untersagt, – unter Androhung eines hinsichtlich der zu verhängenden Höhe in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Ordnungsgeldes – die Stelle als „Arbeitsvermittler (m/w/d) – Arbeitgeberservice (Standort Z) – Referenzcode 2023_E_000000“ bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu besetzen.“
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Verfügungsklägers zurückzuweisen.
19
Die Bewerbung des Verfügungsklägers sei nicht ernst gemeint gewesen, sondern hätte dem Verfügungskläger lediglich dazu dienen sollen, den formalen Status als Bewerber zu erhalten mit dem alleinigen Ziel, später eine Entschädigung geltend zu machen. Dies ergebe sich zum einen aus der „juristischen Historie“ des Verfügungsklägers und seines Prozessbevollmächtigten. Es ergebe sich aber auch und vor allem daraus, dass sich der Verfügungskläger gar nicht auf die ausgeschriebene Stelle, sondern auf eine ganz andere, nicht ausgeschriebene Stelle beworben habe. Zur Begründung dieser Ansicht wiederholt und vertieft die Verfügungsbeklagte den Inhalt ihres Schreibens vom 30.05.2023. Wegen seiner nicht ernst gemeinten Bewerbung stehe dem Verfügungskläger der Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG nicht zur Seite. Jedenfalls sei das Auswahlverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Aktenvermerk, der zur Akte gereicht worden sei, sei nur deshalb nicht mit Datum versehen und unterschrieben worden, weil er eine anonymisierte Fassung sei. Im SAP-Personalverwaltungssystem der Verfügungsbeklagten werde das Kandidatenprofil eines jeden Bewerbers als „gesperrt“ geführt, um sicherzustellen, dass die von den Bewerberinnen und Bewerbern im Online-Bewerbungsverfahren eingegebenen persönlichen Daten nicht durch die Verfügungsbeklagte bearbeitet bzw. verändert werden könnten.
20
Inzwischen ist ein Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht München zum Az. 20 Ca 5294/23 rechtshängig gemacht worden.
21
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
23
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
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Die Berufung ist jedoch unbegründet. Es fehlt an dem erforderlichen Verfügungsanspruch, um der Verfügungsbeklagten wie beantragt die anderweitige Stellenbesetzung gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935, 940 ZPO zu untersagen.
25
1. Art. 33 Abs. 2 GG garantiert jedem Stellenbewerber um ein Amt im öffentlichen Dienst ein als verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch bezeichnetes subjektives Recht auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren (vgl. BAG, Urteil vom 19.05.2015 – 9 AZR 837/13 – Rn. 16; vom 27.07.2021 – 9 AZR 326/20 – Rn. 21). Die Bewerber können verlangen, dass die Auswahlentscheidung nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Auswahlkriterien erfolgt (vgl. BAG, Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 277/08 – Rn. 15). Zu dem Bewerbungsverfahrensanspruch gehört in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Dokumentation des Auswahlprozesses zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) des übergangenen Bewerbers. Danach sind der Leistungsvergleich und die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich zu dokumentieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.07.2007 – 2 BvR 206/07 – zu III. 2. b) der Gründe; vom 25.11.2015 – 2 BVR 1461/15 – Rn. 14; BAG, Urteil vom 10.08.2010 – 8 AZR 347/09 – Rn. 26; vom 21.01.2003 – 9 AZR 72/02 – unter II. 2. b) bb) der Gründe). Die fehlende schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen stellt einen während des gerichtlichen Verfahrens nicht heilbaren erheblichen Verfahrensmangel dar (vgl. BAG, Urteil vom 17.08.2010 – 9 AZR 347/06 – Rn. 26).
26
Wird das subjektive Recht eines Bewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung verletzt, kann der unterlegene Bewerber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Aussichten, im Fall eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens zum Zuge zu kommen, offen sind, d.h. seine Auswahl muss als möglich erscheinen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.11.2019 – 2 BVR 1461/15 – Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 VR 5/12 – Rn. 22; LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.06.2018 – 12 Sa 135/18 – Rn. 73; LAG Hamm, Urteil vom 04.07.2019 – 11 SaGa 13/19 – Rn. 26; LAG Köln, Urteil vom 28.02.2020 – 4 SaGa 22/19 – Rn. 59).
27
Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gegen die unberechtigte Nichtberücksichtigung der Bewerbung kann im Wege einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO erwirkt werden, um einer endgültigen anderweitigen Stellenbesetzung vorläufig entgegenzuwirken. Der Verfügungsgrund für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ergibt sich aus dem Rechtsschutzbegehren, das auf die sofortige Verpflichtung des potenziellen Arbeitgebers gerichtet ist und daher bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 01.12.2020 – 9 AZR 192/20 – Rn. 33).
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze, denen sich die erkennende Kammer anschließt, hat der Verfügungskläger keinen Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob ein Bewerbungsverfahren rechtlich fehlerhaft durchgeführt worden ist, erscheint bei Vermeidung des Fehlers eine Besetzung der Stelle mit dem rechtsschutzbegehrenden Verfügungskläger nicht möglich.
29
a) Wieviel „Mühe“ ein Bewerber sich mit seinem Bewerbungsschreiben und den weiteren Bewerbungsunterlagen gegeben hat, wie ansprechend seine Präsentation ist und wie eindringlich und überzeugend er ein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle bekundet hat, kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Umstand sein, der für die konkrete Auswahlentscheidung des Arbeitgebers den Ausschlag geben kann (vgl. BAG, Urteil vom 26.01.2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 136).
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Das Anschreiben des Verfügungsklägers, das als Bewerbung auf die streitgegenständliche Stelle jedenfalls wegen Angabe der Kennziffer zu verstehen ist, passt in keiner Weise zu der ausgeschriebenen Stelle. Dies beginnt mit der Bezeichnung der falschen Dienststelle – Jobcenter ... statt Agentur für Arbeit ... –, den Bezug auf Arbeitsuchende statt auf Arbeitgeber und die Begründung der speziellen Qualifikation des Verfügungsklägers mit Kenntnissen im SGB II statt Kenntnissen im SGB III. Darüber hinaus ist der Lebenslauf mit Datum 01.08.2022 bei einer Bewerbung Anfang 2023 offensichtlich veraltet. Es bestehen zwischen dem Lebenslauf und vorgelegten Zeugnissen zeitliche Diskrepanzen. Darüber hinaus sind die Zeugnisse nicht vollständig vorgelegt worden.
31
Aus diesen Umständen durfte die Verfügungsbeklagte schließen, dass es der Verfügungskläger auch in ihren Belangen an Sorgfalt fehlen lassen würde, wenn er diese schon nicht in eigenen Angelegenheiten anlegt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verfügungskläger – wie er hervorhebt – wegen seiner Arbeitslosigkeit ab 01.05.2023 dringend auf einen neuen Erwerb angewiesen sein sollte.
32
Auch die Annahme der Verfügungsbeklagten, es fehle dem Verfügungskläger an Motivation für die ausgeschriebene Stelle, ist nachvollziehbar und spricht gegen die Annahme, der Verfügungskläger würde bei einem erneuten Auswahlverfahren zu berücksichtigen sein. Die Stellenausschreibung beschreibt die Aufgaben und Tätigkeiten eines Arbeitsvermittlers/-in Arbeitgeberservice umfassend und leicht verständlich. Es ist daher nicht ersichtlich und von dem Verfügungskläger im hiesigen Verfahren auch nicht erklärt worden, wie er dennoch ein Bewerbungsschreiben einreichen kann, das sich mit diesen Aufgaben nicht auseinandersetzt, sondern stattdessen auf den „Spaß und (die) Freude“ verweist, Menschen bei ihrer sozialen und beruflichen Integration behilflich zu sein. Eine vergleichbare Diskrepanz ergibt sich bei den Anforderungen der Stellenausschreibung. Hier verweist der Verfügungskläger mit Kenntnissen im SGB II gerade auf den Bereich des Sozialrechts, der für die ausgeschriebene Stelle nicht verlangt wird. Warum der Verfügungskläger nach dem Bewerbungsschreiben für die Verfügungsbeklagte erkennbar dennoch motiviert sein sollte, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, erschließt sich nicht. Sein Hinweis auf die weiteren, bereits angestrengten Eil- und Hauptsacheverfahren vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht München zeigt nicht das Interesse des Verfügungsklägers an der ausgeschriebenen Stelle, da diese Verfahren andere Stellen der Verfügungsbeklagten betreffen. Soweit der Verfügungskläger vorbringt, die Verfügungsbeklagte habe bei anderen Bewerbern fehlende Nachweise und Zeugnisse nicht bemängelt, nimmt er nicht auf deren Bewerbungsschreiben Bezug. Im Übrigen wurden auch diese Bewerber als „nicht geeignet“ nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, nachdem die Aufforderung vergeblich blieb.
33
Auch ist der Schluss der Verfügungsbeklagten, es handele sich nicht um eine ernsthafte Bewerbung, ist nachvollziehbar und berechtigt die Verfügungsbeklagte, den Verfügungskläger in einem erneuten Auswahlverfahren nicht zu berücksichtigen. Der Verfügungskläger ist Dipl.-Betriebswirt mit Studienschwerpunkt Personalmanagement und hat eine entsprechende Zusatzqualifikation. Aus der Vielzahl der in den vergangenen Jahren geführten Bewerbungsverfahren gegen andere Arbeitgeber ist zu schließen, dass der Kläger über eine große Bewerbungserfahrung verfügt. Wenn er dennoch eine Bewerbung abgibt, die nicht lediglich einen Schreibfehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit enthält, die jedem jederzeit passieren könnte, sondern nach ihrem gesamten Inhalt nicht auf die ausgeschriebene Stelle zugeschnitten ist, lässt dies nur den Schluss zu, dass der Kläger nicht ernsthaft daran interessiert war, die ausgeschriebene Stelle anzutreten.
34
Schließlich besteht keine Verpflichtung der Verfügungsbeklagten aus Art. 33 Abs. 2 GG, dem Verfügungskläger trotz formaler und inhaltlicher Mängel seiner Bewerbung durch Einladung zu einem Bewerbungsgespräch eine Chance zu geben, sich persönlich (besser) vor- und darzustellen. Die Auswahl nach der Papierform ist eine übliche Vorgehensweise bei Auswahlverfahren und ist ersichtlich auch von der Verfügungsbeklagten zugrunde gelegt worden. Wiche sie von diesen selbstgesetzten Anforderungen ab, würde sie den Bewerbungsverfahrensanspruch anderer Bewerber verletzen, die mehr Mühe als der Verfügungskläger auf ihre Bewerbung aufgewandt haben. In diesem Zusammenhang besteht auch keine Pflicht der Verfügungsbeklagten, dem Verfügungskläger die Bewerbungen anderer Bewerber zur Kenntnis zu bringen. Selbst wenn es weitere Bewerbungen mit Mängeln gegeben hätte, bliebe es bei der nachvollziehbaren Bewertung der Bewerbung des Verfügungsklägers, dieser fehle es an Sorgfalt, Motivation und Ernsthaftigkeit.
35
b) Darüber hinaus fehlt es dem Verfügungskläger an der erforderlichen Eignung für die ausgeschriebene Stelle.
36
Zum Begriff der Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG gehört auch die persönliche Eignung. Diese umfasst im engeren Sinne insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die in dem angestrebten Amt von Bedeutung sind. Geeignet im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere rechtsstaatliche Regeln einzuhalten (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.2011 – 6 AZR 339/11 – Rn. 40 m.w.N.).
37
Die Verfügungsbeklagte hat unbestritten vorgetragen, dass der Verfügungskläger in Bezug auf 35 Einzelvorwürfe im Zusammenhang mit fingierten Bewerbungen bei Arbeitgebern derzeit in einem Strafverfahren vor dem Landgericht A-Stadt I wegen Prozessbetrugs angeklagt ist. Dieser Strafvorwurf ist von dem Bundesgerichtshof in Betracht gezogen worden. Zu den Aufgaben des Verfügungsklägers als Arbeitsvermittler im Arbeitgeberservice gehört es, für Arbeitgeber passendes Personal zu finden und individuelle Besetzungsstrategien von Ausbildungs- und Arbeitsstellen zu erarbeiten. Kleine und mittelständische Unternehmen sollen durch ihn hinsichtlich der Optimierung ihrer Personalplanung und -entwicklung beraten werden. Auch soll ein Arbeitsvermittler im Arbeitgeberservice individuelle Besetzungsstrategien von Ausbildungs- und Arbeitsstellen erarbeiten. Der Verfügungskläger wäre damit bei Einstellung als Arbeitsvermittler im Arbeitgeberservice „auf der anderen Seite“ des Bewerbungsprozesses tätig, dessen deliktische Aufklärung noch aussteht. Darüber hinaus würde er im Rahmen seiner Arbeitsaufgaben die Verfügungsbeklagte z.B. auf Jobmessen und bei Job-Speed-Datings vertreten, obwohl derzeit Zweifel an seiner Redlichkeit im Zusammenhang mit Bewerbungen bei Arbeitgebern bestehen. Diese Erwägungen stehen nicht der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung entgegen. Diese bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit einer Anklage zu entscheiden hat. Daraus ergibt sich nicht, dass aus einem anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren für den Beschuldigten überhaupt keine Nachteile entstehen dürfen. Es ist deshalb anerkannt, dass die Frage nach noch anhängigen Straf- oder Ermittlungsverfahren zulässig sein kann, wenn solche Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers begründen können (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 270/11 – Rn. 24).
38
Darüber hinaus steht die fachliche Eignung des Verfügungsklägers in Zweifel, sollte er seine Bewerbung ernsthaft erwogen haben. Denn in diesem Fall würde er nicht bzw. nicht jederzeit über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, gegenüber Dritten Angelegenheiten sachlich korrekt zu vertreten und erforderliche Unterlagen bereitzuhalten.
39
c) Schließlich erscheint die Auswahl des Verfügungsklägers in einem wiederholten Auswahlverfahren deshalb als nicht möglich, weil das Verhältnis zur Verfügungsbeklagten bereits jetzt in einem Maße belastet ist, wie es im Rahmen eines gerichtlichen Antrags nach §§ 9, 10 KSchG zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde (diesen Umstand berücksichtigend LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.06.2018 – 12 Sa 135/18 – Rn. 74). Auflösungsgründe im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09 – Rn. 21). Derartige Umstände liegen mit dem Schriftsatz des Verfügungsklägers vom 06.08.2023 vor. Ohne eine schriftliche Erwiderung oder die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 10.08.2023 abzuwarten, unterstellt der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten, dass der Auswahlvermerk ganz speziell für dieses Berufungsverfahren angefertigt worden sei, um dem Berufungsgericht zu suggerieren, dass eine schriftliche Dokumentation tatsächlich vorläge. Auch mit der weiteren Behauptung, dass es sich vorliegend um eine sog. „Fake-Dokumentation“ handele, bezichtigt der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte faktisch des Prozessbetrugs. Es ist der Verfügungsbeklagten nicht zuzumuten, einen Bewerber in die Auswahl um die Besetzung einer Position einzubeziehen, der ihr ohne entsprechende Tatsachenfeststellungen ein betrügerisches Verhalten nachsagt. Die „nahezu exakt“ gleiche Wortwahl der hiesigen Dokumentation wie in dem Auswahlverfahren, das Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München zum Az. 2 Ga 70/23 war, kann sich auch darin erklären, dass der Verfügungskläger in beiden Verfahren dieselbe nicht passende Bewerbung abgegeben sowie Lebenslauf und Zeugnisse unvollständig und mit Widersprüchen eingereicht hat. Darüber hinaus hat die Verfügungsbeklagte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung eine mit Datum und Unterschrift versehene Kopie des Aktenvermerks zur Einsicht vorgelegt. Ob dies prozessual ausgereicht hätte, mag dahinstehen. Jedenfalls ist die nicht erwiesene Behauptung des Verfügungsklägers, „diese Anlage B5 (sei) schlichtweg ausschließlich für dieses Berufungsverfahren angefertigt“ worden geeignet, eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien auszuschließen.
40
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
41
4. Gegen diese Entscheidung ist die Revision nach § 72 Abs. 4 ArbGG nicht zulässig.