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OLG München, Hinweisbeschluss v. 16.11.2023 – 14 U 3996/23 e
Titel:

Folgenloser Belehrungsfehler durch Verlängerung der gesetzlichen Widerspruchsfrist

Normenketten:
VVG § 5a (idF bis zum 31.12.2007)
BGB § 242
Leitsätze:
Wird der Versicherungsnehmer in der Widerspruchsbelehrung zu einer im Policenmodell genommenen Lebensversicherung über eine längere (1 Monat) als die gesetzliche (30 Tage) Widerspruchsfrist informiert, bleibt der Belehrungsfehler wegen Geringfügigkeit folgenlos. (Rn. 23 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Wird der Versicherungsnehmer in der Widerspruchsbelehrung zu einer im Policenmodell genommenen Lebensversicherung über eine längere (1 Monat) als die gesetzliche (30 Tage) Widerspruchsfrist informiert, bleibt der Belehrungsfehler wegen Geringfügigkeit folgenlos. (Leitsatz der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensversicherung, Policenmodell, Europarechtswidrigkeit, Widerspruchsfrist, Belehrungsfehler, Geringfügigkeit, Treu und Glauben, Rechtsmissbrauch
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 13.09.2023 – 093 O 879/23
Weiterführende Hinweise:
Die Berufung wurde zurückgenommen.
Fundstellen:
NJOZ 2024, 109
BeckRS 2023, 35203
FDVersR 2024, 935203
LSK 2023, 35203

Tenor

A.
Hinweis:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13.9.2023 Az. 093 O 879/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

B.
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Hintergrund ist folgende Einschätzung des Senats:
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I.  Die Klagepartei beantragt in der Berufung:
1.  Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13.09.2023 – 093 O 879/23 – wird abgeändert.
2.  Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 41.118,00 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.09.2022 zu zahlen.
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Das entspricht dem erstinstanzlichen Begehren (EU S. 3).
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II. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils nimmt der Senat Bezug.
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1.  Als unstreitig legt das Landgericht, von der Berufung unangegriffen, folgenden Sachverhalt zugrunde:
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Der Kläger schloss 2004 bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag mit BU-Vorsorge ab, und zwar im Policenmodell. Das Policenschreiben vom 30.12.2004 (K 4/B 1) enthielt folgende Belehrung:
„Dieser Vertrag gilt als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen in Textform (z. B. schriftlich, per Telefax oder E-mail) – widersprechen. Um diese Frist einzuhalten, genügt es, Ihren Widerspruch rechtzeitig abzusenden.“
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Der Kläger bemühte sich im November 2016 vergeblich um die Streichung einer vertraglichen Ausschlussklausel im BU-Schutz. Im übrigen wurde das Vertragsverhältnis ohne Besonderheiten durchgeführt, bis der Kläger im August 2022 den Widerspruch erklärte. Den lehnte die Beklagte ab.
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2. – Das Landgericht hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen:
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Der Widerspruch sei verfristet. Die Belehrung habe die Widerspruchsfrist in Lauf gesetzt. Sie sei ausreichend drucktechnisch hervorgehoben (EU S. 4, von der Berufung nicht mehr bezweifelt). Auch die fristauslösenden Unterlagen seien vollständig bezeichnet (EU S. 6, von der Berufung nicht bezweifelt).
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Die Belehrung sei inhaltlich fehlerhaft, darauf könne sich der Kläger aber nicht berufen.
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Genauer: Die Belehrung sei fehlerhaft, weil ihre Angabe der Fristdauer (von „einem Monat“) sich nicht vollständig deckt mit der Gesetzeslage nach § 5a Abs. 1 S.2 VVG in der auf den Vertragsschluss anwendbaren Fassung, da dort nicht von „einem Monat“, sondern von 30 Tagen die Rede ist.
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Der Belehrungsfehler sei geringfügig und habe dem Kläger nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht unter im wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben wie ein vollständig korrekt belehrter Versicherungsnehmer (EU S. 4; BGH IV ZR 353/21). Ein fristgerechter Widerspruch des Klägers sei hier sogar begünstigt worden, denn indem die Beklagte ihm eine Frist von einem Monat einräumte, habe dem Kläger angesichts des Vertragsschlusses im Dezember real eine Frist von 31 Tagen (statt gesetzlicher 30) zur Verfügung gestanden. An der eingeräumten längeren Frist hätte sich die Beklagte rechtlich auch festhalten müssen, wenn es auf den einen Tag angekommen wäre (EU S.5). Der Belehrungsfehler sei daher von vornherein nicht geeignet gewesen, beim Kläger eine Fehlvorstellung auszulösen, aus der heraus er die Widerspruchsfrist versäumen hätte können oder die ihn in sonstiger Weise hätte hindern können, fristgerecht zu widersprechen, sofern er das gewollt hätte.
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Nicht mehr ankommen könne es hiernach auf die Frage, ob das Widerspruchsrecht verwirkt wäre (EU S.6).
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III.  Die Berufungsbegründung bringt vor:
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1.  Der Belehrungsfehler bezüglich der Widerspruchsfrist sei gewichtig (S.3) und führe zu Unklarheiten sowie zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten (S.4), weil sie je nach betroffenen Kalendermonaten unterschiedlich lange Widerspruchsfristen hätten.
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Darum werde die hier interessierende Belehrung nicht richtig und auch nicht relevanzlos dadurch, dass sie sich beim Kläger zufällig fristverlängernd ausgewirkt hat. Der Fehler könne daher nicht als geringfügig angesehen werden. Mangels korrekter Belehrung bleibe es beim „ewigen“ Widerspruchsrecht des Klägers.
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2.  Zu Unrecht gehe das Landgericht „vorliegend davon aus, dass der Einwand der Verwirkung greifen würde“. Es fehle hierzu am Umstandsmoment.
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3.  Der Kläger verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, indem er nach spätem Widerspruch Rückabwicklung begehrt.
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Das Policenmodell sei unionsrechtswidrig und der Vertrag damit ex tunc unwirksam. Das folge aus der Zielsetzung der Richtlinie, die dem Versicherungsnehmer ermöglichen wollte, die Vielfalt des neu geschaffenen einheitlichen Versicherungsmarktes zu nutzen, was voraussetze, dass er informiert werden muss, bevor (nicht während) er einen bestimmten Vertrag schließe.
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IV. Die Berufung ist ohne Erfolgsaussicht.
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Das transparent strukturierte und stringent begründete Urteil des Landgerichts leidet nicht an Rechtsfehlern (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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1. Der Belehrungsfehler bezüglich der Widerspruchsfrist ist marginal, gemessen daran, ob er geeignet war, den Kläger vom fristgerechten Widerspruch abzuhalten. Daran hat das Landgericht ihn zu Recht gemessen (BGH IV ZR 353/23 Rn 16, zitiert nach beck-online).
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1.1 Der Belehrungsfehler wird nicht dadurch „gewichtig“, dass er je nach Kalendermonat Unklarheiten erzeugen kann. Sondern es kommt auf den Kläger an. Dieser konnte von der hier gesehenen Unklarheit nur profitieren, solange es auf den einen Tag ankam.
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Vorliegend könnte man sich – „radikaler“ als das Landgericht – sogar fragen, ob begrifflich überhaupt noch ein Belehrungsfehler vorliegt: Räumt nämlich die Beklagte dem Kläger eine um einen Tag längere Frist ein als das Gesetz und muss sich die Beklagte hieran gebunden halten, so gilt objektiv-vertragsrechtlich zwischen den Parteien diese längere Frist. Diese längere Frist beschreibt die Belehrung logischerweise zutreffend. Sie ist so gesehen nicht fehlerhaft (auch nicht marginal fehlerhaft), sondern einfach richtig. Dass das Landgericht sie wegen der Abweichung vom Gesetz als (marginal) fehlerhaft ansieht, beschwert den Kläger nicht.
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1.2 Dass durch die hier eingeräumte, einen Tag längere Widerspruchsfrist eine „Ungleichbehandlung der Versicherten“ durch unterschiedlich lange Widerspruchsfristen einträte, verfängt aus folgenden Gründen nicht:
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1.2.1 Das Gesetz bezweckt in § 5a VVG a.F. keine Gleichbehandlung der Versicherungsnehmer untereinander, sondern deren individuellen Schutz; folglich kann es allenfalls darauf ankommen, welchen Schutzes der Kläger selbst bedurfte. Seine Bevorzugung (um einen Tag) gegenüber anderen Versicherungsnehmern beschwerte ihn nicht.
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1.2.2 Ginge es darum, alle Versicherungsnehmer gleichzubehandeln, so bedürfte es einer unterschiedslos für alle geltenden Höchstfrist mit mühelos feststellbaren Voraussetzungen – etwa in der Art, wie sie in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. und § 8 Abs. 5 S.4 VVG a.F gesetzlich geregelt war.
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Letztere Regelungen liefen aber leer, seit der BGH sie bei Lebensversicherungen „richtlinienkonform unangewendet“ lassen will (BGH IV ZR 76/11) mit der Begründung, dass diese Fristanläufe der praktischen Wirksamkeit und dem Regelungsziel der einschlägigen EU-Richtlinie entgegenstünden, wenn die Belehrung unterblieben ist. Seit – mit dem EuGH (19.12.2019, C-355/18) – die Gleichsetzung zwischen unterbliebener und fehlerhafter Belehrung entfallen ist, entfiele eigentlich auch jeder Grund, diese nationalen Höchstfrist-Regelungen weiterhin zu verwerfen. Der BGH hat deren „Wiederbelebung“ indessen gerade nicht unternommen, obwohl er der EuGH-Entscheidung dahin gefolgt ist, dass ein „ewiges Widerrufsrecht“ sich bei geringfügig fehlerhafter Belehrung nicht rechtfertigt (IV ZR 353/21). Für die Gleichbehandlungserwägungen des Klägers dürfte es schon deshalb weiter an einem geeigneten Aufsatzpunkt fehlen.
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1.2.3 Und schließlich erlaubte § 15a VVG a.F. Abweichungen von § 5a VVG zugunsten des Versicherungsnehmers, somit war jedem Versicherer unbenommen, mit dem Versicherungsnehmer eine günstigere Widerrufsfrist als die gesetzliche zu vereinbaren.
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1.3 Zu Recht hat das Landgericht nach alledem darauf abgestellt, dass die hier interessierende Belehrung sich im Falle des Klägers nur fristverlängernd ausgewirkt haben kann und daher, wenn schon fehlerhaft, so doch nur geringfügig fehlerhaft war in dem Sinne, dass der Kläger nicht davon abgehalten wurde, fristgerecht zu widersprechen, sofern er dies damals hätte tun mögen.
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Ein „ewiges“ Widerspruchsrecht des Klägers ist nicht gerechtfertigt.
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2.  Entgegen der Berufungsbegründung geht das Landgericht „vorliegend“ nirgends „davon aus, dass der Einwand der Verwirkung greifen würde“.
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Den lässt das Ersturteil vielmehr ausdrücklich unbehandelt.
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3. Stattdessen sieht das Landgericht zutreffend, dass der Kläger entgegen Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich handelt, indem er nach spätem Widerspruch Rückabwicklung eines jahrelang unproblematisch durchgeführten Versicherungsverhältnisses begehrt.
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Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist gleichermaßen
- dem „späten Widerruf“ entgegenzuhalten
- wie dem klägerischen Argument, das Policenmodell sei unionsrechtswidrig und der Vertrag damit ex tunc unwirksam.
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3.1 Zu letzterem überzeugt die Argumentation der Berufungsbegründung schon in sich nicht: Wollte die Richtlinie dem Versicherungsnehmer ermöglichen, die Vielfalt des neu geschaffenen einheitlichen Versicherungsmarktes zu nutzen, so war hierfür lediglich nötig, ihn davor zu bewahren, dass er ohne vollständige Information in einen Vertrag einwilligt, den er hernach nicht mehr beseitigen könnte. Davor bewahrt ihn das Widerspruchsrecht.
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3.2 Das kann aber dahingestellt bleiben: Sähe man das Policenmodell als unionswidrig an, so wäre dem Kläger dennoch vorliegend die Berufung hierauf versagt (BGH IV ZR 353/21 Rn 27 ff), weil sie sich als rechtsmissbraäuchlich darstellt unter Berücksichtigung des im nationalen Recht verankerten Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 (BGH ebd. Rn 33, Rn 37, Rn 38).
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3.3 Nichts anderes würde sich ergeben, wenn man – anders als der BGH (ebd. Rn 39) – annehmen wollte, der EuGH oder/und das Unionsrecht ließen den Rechtsmissbrauchsgedanken nur dann durchgreifen, wenn auf Seiten des Klägers eine subjektive Komponente hinzukommt (etwa unredliche Absicht oder gar Verschulden). Denn diese wäre hier nach ebendiesen unionsrechtlichen Maßstäben vorliegend anzunehmen:
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3.3.1 So hat der EuGH in verschiedenen Urteilen, etwa zum Familienrecht (C 456/12 Rn 58) und zum Steuerrecht (C 116/16, C117/16) den „allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots“ zum Tragen gebracht, wenn die Vorschriften des Unionsrechts „auf eine Weise geltend gemacht werden, die nicht mit ihrem Zweck in Einklang steht“ (C 116/14, Rn76), etwa bei „rein künstlicher Gestaltung“ (ebd. Rn 81), in der „Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden“. Diese Formel bestätigt der EuGH auch in der Entscheidung C 364/10, die in einem Konflikt zwischen zwei Mitgliedstaaten erging.
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3.3.2 Der EuGH hat zwar Ergebniskorrekturen mithilfe des Rechtsmissbrauchs-Gedanken harsch abgelehnt (C-33/20, C 155/20, C-187/20), soweit die Verbraucherkredit-RL 2008/14 „aufgerufen“ war: Hier müsse man den nicht ordnungsgemäß belehrenden Kreditgeber „bestrafen“ (ebd. Rn 124), und zwar „auch wenn zwischen Vertragsschluss und Widerruf erhebliche Zeit vergangen ist“. Die deutschen Gerichte haben letztere Entscheidung aber im Bereich der Versicherungs-Richtlinie (die hier interessiert) kaum rezipiert.
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Aus dem die RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 (Verbraucherkreditrichtlinie) betreffenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 09.09.2021 – C-33/20, C-155/20, C-187/20 (BeckRS 2021, 25389 – V. Bank GmbH) ergeben sich keine Folgerungen im Sinne des Klägers: Der Europäische Gerichtshof stellt insoweit ausdrücklich auf die Regelung des Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) RL 2008/48/EG ab, nach der die Widerrufsfrist erst an dem Tag beginnt, an dem der Verbraucher die Informationen gemäß Art. 10 RL 2008/48/EG erhält (EuGH, a.a.O., Rdnr. 114). Demgegenüber knüpft Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 90/619/EWG den Beginn der Rücktrittsfrist an den Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist. Daher kann die Aussage des o.g. Urteils, der Ausübung des Widerrufsrechts nach Art. 14 RL 2008/48/EG könne nicht der Einwand der Verwirkung bzw. des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden, wenn dem Verbraucher nicht die in Art. 10 Abs. 2 RL 2008/48/EG vorgesehenen zwingenden Angaben ordnungsgemäß erteilt worden seien, nicht auf den Anwendungsbereich der Richtlinien 90/619/EWG und 92/96/EWG übertragen werden, zumal die Regelung des Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 3 RL 90/619/EWG – anders als die Regelung des Art. 14 RL 2008/48/EG – die Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen des Rücktritts im Einzelnen den Mitgliedstaaten überlassen hat.
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Richtigerweise (OLG Brandenburg, 11 U 237/21 = VersR 2022, 1573 ff) wird man im übrigen auch kaum einen Anhaltspunkt dafür sehen können, dass der EuGH am 9.9.2021 (C-33/20, s.o) „etwas an der Rechtsprechung zu Widerspruchsbelehrungen in Versicherungsverträgen ändern wollte“, weshalb das OLG Brandenburg (ebd) auch von einer erneuten Vorlage an den EuGH abgesehen hat (ebenso Karlsruhe 9.2.2022, 12 U 80/21; ebenso Hamm 3.5.2022, 20 U 73/22).
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Betreffend die Frage eines „ewigen Widerspruchsrechts“ haben die deutschen Gerichte (bis hinauf zu BGH IV ZR 353/21) überwiegend (ungeachtet einzelner „Ausreißer“) auf EuGH 19.12.2019 (C 355/19 …) abgestellt – was keinesfalls gangbar wäre, solange man vorhätte, sich davon leiten zu lassen, was der EuGH in dem zum Bankenrecht auf der Grundlage der Verbraucherkredit-Richtlinie ergangenen Urteil vom 9.9.2021 (C-33/20) judiziert hat.
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3.3.3 Bisher hat zwar, soweit ersichtlich, kein deutsches Obergericht alleine aus dem „unionsrechtlichen Gedanken des Rechtsmissbrauchs“ abzuleiten versucht, dass die Ausübung des Gestaltungsrechts durch den (nicht nur marginal) fehlerhaft belehrten Versicherungsnehmer ausgeschlossen sei. Darum geht es hier aber nicht, sondern um folgenden Befund: Die Annahmen des Landgerichts widerstreiten dem Unionsrecht selbst dann nicht, wenn man auf Seiten des Klägers – anders als der BGH – eine „subjektive“ Komponente des Rechtsmissbrauchs fordern wollte. Denn das Unionsrecht sieht den Vorteil des Widerspruchs vor; der Kläger macht ihn in einer Weise geltend, die nicht mit seinem Zweck in Einklang steht: Es kann nach Jahren der Vertragsdurchführung ersichtlich nicht mehr darum gehen, dem Kläger die freie Auswahl eines geeigneten Vertrages zu ermöglichen, damit er die verbreiterte EUweite Angebotspalette an Versicherungen sinnvoll nutzen könnte.