Titel:
Zurückstellung von Dienstleistungen durch die Bundeswehr wegen ernstlicher Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr – Ermessensausübung
Normenketten:
SG § 67 Abs. 5
VwVfG § 40
Leitsätze:
1. Beim Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr in der Regelung des § 67 Abs. 5 SG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. IRd § 67 Abs. 5 Hs. 2 Alt. 2 SG ist die Behörde nach dem Wortlaut ("kann") zu einer Ermessensausübung verpflichtet. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Heranziehung zu weiteren Dienstleistungen für die Bundeswehr, ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr, Ermessensausübung, Rd § 67 Abs. 5 SG, Zwischenfeststellungsklage, Rechtskrafterstreckung, Oberstleutnant der Reserve, Zurückstellung von Dienstleistungen durch die Bundeswehr, Ermessen, Reserveoffizier
Rechtsmittelinstanzen:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 24.05.2024 – 2 B 2.24
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 04.09.2024 – 2 B 27.24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34981
Tenor
1. Der Bescheid vom 21. Oktober 2021 und der Widerspruchs- bescheid vom 4. Mai 2022 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Zurückstellung von Dienstleistungen durch die Bundeswehr.
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Der 1970 geborene Kläger leistete von … bis … Wehrdienst als Soldat auf Zeit und in der Folgezeit noch mehrfach Dienstleistungen in Form von Wehrübungen. Im … wurde er zum Oberstleutnant der Reserve ernannt.
3
Der Kläger ist zudem Geschäftsführer („Managing Director“) einer in London ansässigen Firma namens „…“.
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Am 24. und 25. August 2017 traf sich der Kläger mit Vertretern des irakischen Verteidigungsministeriums und des Ministeriums der Peshmerga. Unter dem 25. August 2017 verfasste er in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Firma „…“ ein Schreiben an den irakischen Verteidigungsminister. In diesem Brief warb der Kläger für seine Firma, die militärische Unterstützung, Ausbildung und Ausrüstung anbiete und mit dem deutschen Verteidigungsministerium zusammenarbeite. Er bot dem irakischen Verteidigungsminister die Hilfe seiner Firma bei der Abwicklung eines Hilfsprogramms des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) für den Irak in Höhe von 100 Mio. Euro an. Die Gelder müssten durch eine deutsche Firma fließen. Aufgrund ihres militärischen Hintergrundes und ihrer Verbindungen sei seine Firma die einzige deutsche Firma, die diese Dienste leisten könne.
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Im Rahmen einer Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung („EIBReg“) sind im Bundeshaushalt seit 2016 insgesamt 130 Mio. Euro bereitgestellt, um krisengefährdete Länder (Schwerpunktländer Irak, Tunesien, Mali, Nigeria und Jordanien) im Rahmen von ausgewählten Projekten vor Ort finanziell dabei zu unterstützen, Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen. Kooperationsprojekte können etwa Reformen des Sicherheitssektors, Hilfe bei der Grenzsicherung oder Maßnahmen zur Abrüstung und Rüstungskontrollen sein. Das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium beschließen gemeinsam, welche Projekte gefördert werden (vgl. https://www.bmvg.de/de/aktuelles/ertuechtigungsmassnahmen-11314, abgerufen am 18.8.2022).
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Ende 2017 forderte das irakische Verteidigungsministerium das BMVg zu einer schriftlichen Stellungnahme zum Schreiben des Klägers vom 25. August 2017 auf. Die damalige Bundesministerin der Verteidigung Frau Ursula von der Leyen wurde zudem im Rahmen einer Reise vom 9. bis 11. Februar 2018 nach Bagdad und Erbil in einem persönlichen Gespräch mit dem irakischen Verteidigungsminister mit dem Vorwurf konfrontiert, die Bundesrepublik Deutschland halte dem Irak Gelder in Höhe von 100 Mio. Euro vor. Im Nachgang zu dem Besuch verfasste das BMVg erneut ein Schreiben an das irakische Verteidigungsministerium. Der zuständige Bearbeiter wurde zum Gespräch in das irakische Verteidigungsministerium einbestellt (vgl. Gerichtsakte VG Würzburg W 1 K 21.396 S. 36 ff.).
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Mit Schreiben vom 18. Mai 2018 wies das BMVg die Firma des Klägers darauf hin, dass der im Schreiben vom 25. August 2017 geschilderte Sachverhalt jeglicher Grundlage entbehre. Es habe zu keinem Zeitpunkt offizielle oder geschäftliche Verbindungen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Unternehmen des Klägers gegeben. Die irakische Seite sei vom BMVg über den tatsächlichen Sachverhalt informiert worden. Die Firma werde aufgefordert, in allen zukünftigen Geschäftsbeziehungen auf die Referenz einer angeblichen Verbindung zum BMVg zu verzichten. Bei einer etwaigen Zuwiderhandlung behalte sich das BMVg rechtliche Schritte vor.
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Mit Schreiben vom 13. Juni 2018 stellte das Karrierecenter der Bundeswehr … den Kläger bis einschließlich 31. März 2035 von Dienstleistungen zurück. Das Verhalten des Klägers gegenüber seinen Geschäftspartnern mit Bezug auf Verbindungen zur Bundeswehr schade dem Ansehen der Bundeswehr und lasse damit eine Heranziehung zu Dienstleistungen nach den Vorschriften des Soldatengesetzes nicht mehr zu.
9
Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die gegen die Zurückstellung des Klägers von Dienstleistungen erhobene Klage mit der Begründung als unzulässig ab (U.v. 26.5.2020, W 1 K 19.675), dass der Kläger nicht über die erforderliche Klagebefugnis verfüge. Die streitgegenständliche Zurückstellung von Dienstleistungen habe keine belastende, sondern ausschließlich begünstigende Wirkung. Auch das Vorbringen des Klägers, er werde durch den Bescheid verleumdet, führe nicht zur Klagebefugnis. Der Bescheid sei lediglich gegenüber dem Kläger bekannt gegeben worden. Unerheblich sei auch, dass der Kläger nicht zuvor angehört worden sei. Die Verpflichtung zur Anhörung bestehe nur bei belastenden Verwaltungsakten, nicht jedoch bei einem hier vorliegenden rein begünstigenden Verwaltungsakt. Die Klage sei auch deshalb unzulässig, weil der Kläger vor Erhebung der Anfechtungsklage kein Vorverfahren durchgeführt habe.
10
Auf die Revision des Klägers hin hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück (vgl. U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris). Mit seinen jeweils entscheidungstragenden Überlegungen zum Fehlen der Klagebefugnis und zum Erfordernis des Vorverfahrens verletze das Urteil des Verwaltungsgerichts Bundesrecht. Habe die Bundeswehr die Zurückstellung von Dienstleistungen auf der Grundlage von § 67 Abs. 5 SG mit der Begründung verfügt, die Heranziehung des Betroffenen würde das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden, so stehe dem Betroffenen aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für die hiergegen erhobene Anfechtungsklage die Klagebefugnis zu, wenn die konkrete Maßnahme der Bundeswehr, wie hier, ihre Grundlage gerade in dem persönlichen Verhalten des Betroffenen habe. Der Zulässigkeit der Anfechtungsklage stehe auch nicht entgegen, dass hier kein Vorverfahren gemäß § 83 Abs. 1 SG durchgeführt worden sei. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei allgemein anerkannt, dass es keines Vorverfahrens bedürfe, wenn dessen Zweck bereits Rechnung getragen sei oder der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden könne, weil von vornherein feststehe, dass die Behörde das Ersuchen des Klägers ablehne. Beim Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Das Verwaltungsgericht werde im erneuten Gerichtsverfahren aufzuklären haben, ob die Firma des Klägers mit dem BMVg etwa bei der Umsetzung von militärischen Unterstützungsprojekten des Verteidigungsministeriums für Armeen anderer Staaten zusammengearbeitet habe und ob und ggf. wie nachhaltig das Verhältnis der Beklagten zum Irak auf dem Gebiet der militärischen Zusammenarbeit durch das Schreiben des Klägers vom 25. August 2017 belastet worden sei. Werde festgestellt, dass das Merkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr im Falle der zukünftigen Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen erfüllt sei, sei zu beachten, dass § 67 Abs. 5 SG der zuständigen Behörde Ermessen eröffne, das diese entsprechend den Vorgaben des § 40 VwVfG auszuüben habe. Zu den gesetzlichen Grenzen des Ermessens gehöre auch der bei jeder hoheitlichen Maßnahme zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Schriftwechsel im Anschluss an das streitgegenständliche Schreiben vom 13. Juni 2018 angedeutet habe, sein Verhalten zukünftig ändern zu wollen. Zudem stelle sich die Frage, ob eine bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs reichende Zurückstellung von Dienstleistungen, mithin hier für einen Zeitraum von 17 Jahren, im Hinblick auf das konkrete Verhalten des Klägers noch angemessen sei.
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Mit rechtskräftigem Urteil vom 24. August 2021 hob das Verwaltungsgericht Würzburg (W 1 K 21.396) den Bescheid des Karrierecenters der Bundeswehr … vom 13. Juni 2018 auf. Die angefochtene Entscheidung erweise sich als materiell rechtswidrig. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vor, die Beklagte habe aber ihr durch die Vorschrift eingeräumtes Ermessen insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Zurückstellung nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die Firma „…“, für die der Kläger als „Managing Director“ das an das irakische Verteidigungsministerium gerichtete Schreiben vom 25. August 2017 unterschrieben habe, zuvor nicht mit dem BMVg zusammengearbeitet habe, sodass die im Schreiben erwähnte Kooperation mit dem deutschen Verteidigungsministerium nicht den Tatsachen entsprochen habe. Entscheidend sei darauf abzustellen gewesen, dass die Angaben im Schreiben geeignet gewesen seien, einen unzutreffenden Eindruck zu erwecken. Dass die Handlung des Klägers dem Ziel des eigenen wirtschaftlichen Vorteils gedient habe, läge auf der Hand. Dadurch sei das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Irak auf dem Gebiet der militärischen Zusammenarbeit belastet worden. Die deutsche Seite sei im Rahmen einer ministeriellen Reise zu Erklärungen gegenüber einem anderen Staat gezwungen gewesen. Dadurch sei das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet worden, da der Bundeswehr unterstellt werden habe können, gegenüber ausländischen Partnern wichtige Informationen unterschlagen zu haben. Es löse allein schon die Rechtfertigungspflicht gegenüber einem ausländischen Staat eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr aus, unabhängig von der Frage, ob und wie schnell es den deutschen Vertretern gelungen sei, die Desinformation im Schreiben richtigzustellen. Zudem sei durch das Schreiben der Eindruck erweckt worden, Deutschland halte 100 Mio. Euro für den Irak vor und das BMVg sei nicht willens, dem irakischen Militär diese Summe zukommen zu lassen. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die Summe von 100 Mio. Euro nicht allein für den Irak bereitgestellt worden sei. Das Schreiben der Firma des Klägers habe jedoch dazu geführt, dass das irakische Verteidigungsministerium Deutschland auf höchster Ressortleiterebene mit dem Vorwurf des Zurückhaltens von für den Irak vorgesehenen Finanzmitteln konfrontiert habe. Der Kläger als Unterzeichner des Schreibens vom 25. August 2017 habe zudem in diesem Schreiben ausdrücklich auf seinen militärischen Hintergrund verwiesen und damit gerade selbst die Verknüpfung zu seiner Reservistenstellung hergestellt. Dadurch habe der Kläger letztlich seine militärische Stellung als Reserveoffizier missbraucht. Die Kammer stelle allerdings auf Grund der für sie bindenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3. Februar 2021 (2 C 29.20, Rn. 26) fest, dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung vom 13. Juni 2018 ermessensfehlerhaft gehandelt habe, so dass diese Entscheidung aufzuheben gewesen sei. Die Rechtsauffassung der Beklagten, bei Vorliegen einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung verböten sich weitere Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit, widerspreche der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts, an die die Kammer gebunden sei. Zwar müsse aus der bisherigen Rechtsprechung gefolgert werden, dass es sich bei den Entscheidungen nach § 67 Abs. 5 SG und der gleichlautenden Vorschrift des § 55 Abs. 5 SG um intendierte Entscheidungen handele, bei denen jede Entscheidung diesseits der Willkürgrenze auch ermessensgerecht sei, allerdings sehe sich die Kammer gemäß § 144 Abs. 6 VwGO an die rechtliche Bewertung des Revisionsgerichts gebunden, wonach vorliegend zu den gesetzlichen Grenzen des Ermessens auch der bei jeder hoheitlichen Maßnahme zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehöre. Dies zugrunde gelegt stelle die Kammer fest, dass die Behörde bei der Entscheidung vom 13. Juni 2018 keine Ermessenserwägungen hinsichtlich einer möglichen Verhaltensänderung des Klägers und auch keine Ermessenserwägungen hinsichtlich der Länge der Zurückstellung von Dienstleistungen angestellt habe. Dahinstehen könne, ob die Bindungswirkung auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur angeblichen Andeutung des Klägers umfasse, sein Verhalten zukünftig ändern zu wollen. Eine solche angekündigte Verhaltensänderung vermöge die Kammer aus den Ausführungen des Klägers im gerichtlichen Verfahren gerade nicht festzustellen, da er wiederholt bekräftigt habe, alles richtig gemacht zu haben.
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Mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 stellte die Beklagte den Kläger (erneut) bis einschließlich 31. März 2035 von Dienstleistungen nach dem 4. Abschnitt des Soldatengesetzes zurück. Der Kläger gehöre zwar zum Personenkreis des § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG und sei Dienstleistungspflichtiger i.S.d. § 67 Abs. 5 SG. Die Zurückstellung erfolge aber gemäß § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG, wobei ausschlaggebend für die Zurückstellungsentscheidung das seitens des Klägers unterzeichnete Schreiben vom 25. August 2017 der Firma „…“ sei, deren Geschäftsführer der Kläger sei. Mit besagtem Schreiben habe sich der Kläger an das irakische Verteidigungsministerium gewandt und den Eindruck erweckt, in einer Geschäftsbeziehung zum BMVg zu stehen und durch dieses autorisiert zu sein. Die vom Kläger behauptete Kooperation mit dem BMVg habe nicht den Tatsachen entsprochen. Das Schreiben habe dazu geführt, dass das irakische Verteidigungsministerium die Bundesrepublik Deutschland auf höchster Ressortleiterebene mit dem Vorwurf des Zurückhaltens von für den Irak vorgesehenen Finanzmitteln konfrontiert habe. Es habe einiger diplomatischer Aktivitäten mit den Ansprechpartnern im Irak bedurft, um eine Klärung der Situation vorzunehmen und einer sich anbahnenden negativen Ausstrahlung auf die Reputation Deutschlands entgegenzuwirken. Die Hürden für eine Zurückstellung nach § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG seien geringer als bei einer Entlassung aus dem Wehrdienst. Es sei keine schuldhafte Dienstpflichtverletzung notwendig, insbesondere kein konkretes Fehlverhalten. Vielmehr gehe es darum, in welchem Licht die Bundeswehr in den Augen eines unbefangenen Dritten dastehe, wenn dieser erfahre, dass sie eine bestimmte Person bei sich Dienst leisten lasse und das „ohne Not“, da es keinerlei subjektives Recht auf Wehrdienst gebe und umgekehrt die Bundeswehr jedenfalls in Friedenszeiten nicht verpflichtet sei, Reservistinnen und Reservisten zu Dienstleistungen heranzuziehen. Bereits die Möglichkeit der ernstlichen Ansehensschädigung der Bundeswehr sei ausreichend, um die Zurückstellung von Dienstleistungen des Klägers zu rechtfertigen. Vorliegend löse bereits die Rechtfertigungspflicht gegenüber einem anderen Staat eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr aus. Die Zurückstellung von Dienstleistungen verfolge einen legitimen Zweck, sei geeignet, erforderlich und angemessen und damit verhältnismäßig. Schutzgut des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG sei allein das Ansehen der Bundeswehr. Mit der Zurückstellung des Klägers von Dienstleistungen werde das Ansehen der Bundeswehr geschützt, was ein legitimer Zweck sei. Die Zurückstellung sei auch geeignet, da mit ihr eine ernstliche Ansehensgefährdung der Bundeswehr, die durch die erneute Heranziehung des Klägers entstünde, ausgeschlossen sei. Da keine andere diesem Zweck entsprechende Norm existiere, sei die Zurückstellung auch erforderlich. Letztlich sei diese auch angemessen, da ein möglicher Nachteil für den Kläger nicht außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg, nämlich dem Schutz des Ansehens der Bundeswehr, stehe. Die reine Zurückstellung von Dienstleistungen sei, auch wenn sie subjektiv als belastend empfunden werde, aus rechtlicher Sicht begünstigend. Für die Bundeswehr hingegen wäre eine Ansehensschädigung, die die erneute Heranziehung des Klägers nach sich zöge, ein erheblicher Nachteil. Die Dauer der Zurückstellung sei angemessen. Zwar seien Zurückstellungen auf Dauer grundsätzlich unzulässig, § 67 Abs. 5 SG habe jedoch insoweit eine Sonderstellung, da hier ausnahmsweise die Zurückstellung im Interesse der Bundeswehr geregelt sei. Gegen eine befristete Zurückstellung sprächen auch die wiederholten Bekräftigungen des Klägers im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, alles richtig gemacht zu haben. Dies zeuge – auch nach mehreren Jahren – weder von Einsicht, noch dem Willen, sein Verhalten künftig zu ändern. Abgesehen davon gebe es keine Garantie, dass der Kläger sein Verhalten auch tatsächlich ändern werde und nicht wieder versuchen würde, einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil aus seiner Verbindung zur Bundeswehr zu ziehen oder seine militärische Stellung anderweitig zu missbrauchen. Schwer wiege hier auch, dass der Kläger als Reserveoffizier eine Führungsposition und Vorbildfunktion innehabe. Weiterhin lasse sich eine Ansehensschädigung zeitlich nicht messen. Entweder bewerte ein objektiver Dritter das Verhalten des Klägers als negativ und das Ansehen der Bundeswehr wäre durch die erneute Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen ernstlich gefährdet oder eben nicht. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein objektiver Dritter nach einer negativen Bewertung des klägerischen Verhaltens plötzlich und ohne dass es eine Grundlage oder Garantie für sein zukünftig tadelloses Verhalten gebe, den Sachverhalt anders bewerten würde. Damit wäre das Ansehen der Bundeswehr im Falle der erneuten Heranziehung des Klägers dauerhaft gefährdet. Die Bundeswehr unterliege gegenüber der Öffentlichkeit einem dauerhaften Rechtfertigungsdruck, sollte der Kläger erneut herangezogen werden. Dies gelte vor allem, da die Bundeswehr selbst das zukünftige Verhalten des Klägers nicht vorhersehen könne und der Kläger auch keinen Anspruch auf die Ableistung von Wehrdienst habe bzw. die Bundeswehr insbesondere in Friedenszeiten nicht verpflichtet sei, den Kläger zu Dienstleistungen heranzuziehen. Ein dauerhafter Schutz des Ansehens der Bundeswehr sei daher nur durch die dauerhafte Zurückstellung von Dienstleistungen zu gewährleisten, wobei dauerhaft bedeute, dass der Kläger bis zum Ablauf des Monats, in dem er das 65. Lebensjahr vollenden wird, nicht zu Dienstleistungen herangezogen werde, da der Kläger sich gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SG freiwillig schriftlich verpflichtet habe, bis zum Ablauf des 65. Lebensjahres Dienstleistungen zu erbringen.
13
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2022 zurück. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Verwaltungsgericht Würzburg hätten in ihren Entscheidungen festgestellt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Zurückstellung erfüllt seien. Das eingeräumte Ermessen sei nach den Vorgaben des § 40 VwVfG auszuüben. Die gerichtliche Überprüfung der Nichtheranziehungsentscheidung beinhalte – wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach festgestellt habe – stets nur eine Willkürkontrolle. Da im vorliegenden Fall durch die Wehrersatzbehörde eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr durch die weitere Heranziehung des Wehrpflichtigen bejaht worden sei und keine Gesichtspunkte erkennbar seien, die zu Gunsten des Klägers Berücksichtigung finden müssten, halte sich die Entscheidung innerhalb des Ermessensspielraumes und sei nicht willkürlich.
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Über seinen Bevollmächtigten hat der Kläger am 7. Juni 2022 hiergegen beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben lassen, dass das Verfahren mit Beschluss vom 18. Juli 2022 wegen örtlicher Unzuständigkeit an das hiesige Gericht verwiesen hat.
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In der Klageschrift führt der Kläger aus, dass er sich auf irakischen Wunsch am 24. und 25. August 2017 mit Vertretern des irakischen Verteidigungsministeriums und des Ministeriums der Peshmerga getroffen habe, um über die Möglichkeiten zu sprechen, ein stärkeres Engagement des BMVg im Südirak zu erreichen. Zur Sprache gekommen sei, dass laut Aussagen der Vertreter des irakischen Verteidigungsministeriums von Seiten des BMVg zum damaligen Zeitpunkt nur minderwertiges Sanitätsmaterial zur Verfügung gestellt worden sei, das ohne zugehörige Ausbildung nutzlos sei. In dem Bescheid lege die Beklagte mehrfach falsche Tatsachen zugrunde. Laut Internetauftritt des BMVg existiere sehr wohl ein gemeinsames Budget des Auswärtigen Amtes und des BMVg für Ertüchtigungsmaßnahmen, das auch für Ertüchtigungsmaßnahmen der irakischen Armee Verwendung finden könne. Darüber hinaus habe der Kläger in seinem Brief an das irakische Verteidigungsministerium geschrieben, dass er mit dem BMVg „kooperiere“, d.h. nicht, dass er „geschäftliche Verbindungen“ zum BMVg unterhalte. Das Schreiben vom 25. August 2017 sei gemeinsam mit Vertretern des irakischen Verteidigungsministeriums erstellt worden, was für das Verwaltungsgericht Würzburg nicht nachvollziehbar, aber auch irrelevant gewesen sei. Dies werde jedoch weiter als relevant und klärungsbedürftig erachtet. Ebenso wie der Beweis der Tatsache, dass das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Irak auf dem Gebiet der militärischen Zusammenarbeit durch das Schreiben nicht belastet worden sei. Das irakische Verteidigungsministerium habe sich bei einem in Berlin stattgefundenen Treffen mit dem Kläger im Oktober 2017 sehr zufrieden mit dem Kläger und seiner Firma gezeigt. In dem quasi identischen Bescheid vom 21. Oktober 2021 habe die Beklagte erneut ohne Eingehen auf die vom Kläger dargelegten Fakten bzw. das gemeinsame Verfassen des Schreibens die Zurückstellung des Klägers von etwaigen Reservistendienstleistungen bis ins Jahr 2035 verfügt. Es werde bemängelt, dass keinerlei Beweisaufnahme durch die bisher befassten Gerichte stattgefunden habe. Das Verwaltungsgericht Würzburg habe sich entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts darauf beschränkt, den schrift-sätzlich von der Beklagten getätigten Aussagen Glauben zu schenken und keinen einzigen Zeugen zu hören. Unvoreingenommene Bürger würden persönliche Befindlichkeiten zwischen einzelnen deutschen und irakischen (Ex-)Ressortleitern zudem nicht im Ansatz interessieren. Kein zufällig ausgewählter Bürger würde sich der Ansicht anschließen, dass der Kläger aufgrund seines völlig unspektakulären Schreibens vom 25. August 2017 (bis ins Jahr 2035) eine „dauerhafte Ansehensgefährdung“ für die Bundeswehr darstelle.
16
Der Kläger beantragt zuletzt,
- 1.
-
Der Bescheid des Karrierecenters der Bundeswehr … vom 21. Oktober 2021 und der Widerspruchsbescheid des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 4. Mai 2022 werden aufgehoben.
- 2.
-
Es wird im Wege der Zwischenfeststellungsklage festgestellt, dass das Schreiben vom 25. August 2017, das der Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Firma „…“ an den irakischen Verteidigungsminister verfasst hat, nicht dazu führt, dass die Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen das Ansehen der Bundeswehr im Sinne des § 67 Abs. 5 SG ernstlich gefährdet.
17
Die Beklagte beantragt Klageabweisung und bezieht sich zur Begründung auf den angegriffenen Bescheid sowie den Widerspruchsbescheid.
18
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des Verfahrens sowie der vorangegangenen Verfahren am Verwaltungsgericht Würzburg (W 1 K 19.675, W 1 K 21.396) und die jeweils vorgelegten Behördenakten verwiesen. Für die mündliche Verhandlung am 11. August 2023 wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
19
Die Klage ist zulässig und begründet, soweit der Kläger mit dem Klageantrag zu 1. die Aufhebung des Bescheides des Karrierecenters der Bundeswehr … vom 21. Oktober 2021 und des Widerspruchsbescheides des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 4. Mai 2022 begehrt. Die Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten (vgl. Ziffer 1). Im Übrigen ist die Klage unbegründet (vgl. Ziffer 2).
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1. Der Bescheid vom 21. Oktober 2021, mit dem die Beklagte den Kläger gemäß § 67 Abs. 5 SG von Dienstleistungen für die Bundeswehr zurückgestellt hat, und der Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2022 sind rechtswidrig und daher aufzuheben. Zwar ist die Beklagte, die über diese Frage mangels Rechtskrafterstreckung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. August 2021, W 1 K 21.396, erneut entscheiden durfte (a), zurecht der Auffassung, dass der Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG vorliegend verwirklicht ist und eine Heranziehung des Klägers das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde (b), allerdings hat die Beklagte bei der Zurückstellungsentscheidung im Bescheid vom 21. Oktober 2021 und im Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2022 das ihr im Rahmen des § 67 Abs. 5 SG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt (c).
21
a) Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Würzburg zum Vorliegen des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG sind nicht gemäß § 121 VwGO von der Rechtskraft des Urteils vom 24. August 2021, W 1 K 21.396, erfasst und hinderten die Beklagte nicht daran, eine neue Sachentscheidung über die Zurückstellung des Klägers gemäß § 67 Abs. 5 SG zu treffen. Mangels entgegenstehender Rechtskraft war die Beklagte insoweit auch nicht an die Rechtsauffassung des Gerichts gebunden.
22
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verhindert die Rechtskraft eines Urteils in erster Linie, dass ein Streitgegenstand, über den bereits rechtskräftig entschieden worden ist, in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Beteiligten erneut sachlich überprüft wird (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 501.93 – juris Rn. 9; U.v. 18.9.2001 – 1 C 4.01 – juris Rn. 13). Rechtskräftige Urteile binden jedoch nur insoweit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, der durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge sowie durch den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 a.a.O. Rn. 9; B.v. 14.11.2007 – 8 B 81.07 – Rn. 5 jeweils m.w.N.). Die gerichtliche Entscheidung ist demgemäß die im Entscheidungssatz des Urteils sich verkörpernde Rechtsfolge als Ergebnis der Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz, also der konkrete Rechtsschluss vom Klagegrund auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der begehrten Rechtsfolge anhand des die Entscheidung unmittelbar tragenden Rechtssatzes. Auf diesen unmittelbaren Gegenstand des Urteils ist die Rechtskraft beschränkt. Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf die einzelnen Urteilselemente, also nicht auf die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale und sonstige Vorfragen oder Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 a.a.O. Rn. 10 m.w.N.; BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 15.10 – juris Rn. 20).
23
Bei einem einer Anfechtungsklage stattgebenden Urteil geben erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber, weshalb der geltend gemachte Aufhebungsanspruch durchgreift; deshalb nehmen diese im Sinne von § 121 VwGO an der Rechtskraft des Urteils teil (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 7.8.2008 – 7 C 7.08 – juris Rn. 18 m.w.N.). Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.1992 – 1 C 12.92 – juris Rn. 12; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 12, B.v. 24.8.2016 – 9 B 54.15 – juris Rn. 7). Hat das Gericht den Verwaltungsakt allein wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers, eines Ermessens- oder Beurteilungsfehlers aufgehoben, hindert die Rechtskraft die Behörde nicht, unter Vermeidung des gerügten Fehlers die gleiche Regelung erneut zu treffen (vgl. Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 44. EL März 2023 mit Hinweis auf BVerwG, B.v.11.4.2003 – 7 B 141.02 – juris Rn. 10).
24
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass der Rechtskraft des die Zurückstellungsentscheidung vom 13. Juni 2018 aufhebenden Urteils hinsichtlich der Verwirklichung des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG keine bindende Wirkung in Bezug auf das hier in Rede stehende Begehren auf Aufhebung der Entscheidungen vom 21. Oktober 2021 und vom 4. Mai 2022 zukommt. Prozessualer Anspruch und Klagegrund des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Würzburg war die begehrte Aufhebung des Bescheides vom 13. Juni 2018 aufgrund der behaupteten Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Die durch das Urteil vom 24. August 2021 ausgesprochene Rechtsfolge war die Aufhebung des Bescheides vom 13. Juni 2018, weil die Beklagte das ihr bei der Zurückstellung des Klägers von Dienstleistungen zustehende Ermessen im Rahmen des § 67 Abs. 5 SG fehlerhaft ausgeübt habe. Das sind die das Urteil tragenden Gründe, die die Beteiligten insoweit auch binden. Weder vom Entscheidungssatz noch vom Streitgegenstand des Verfahrens erfasst und damit nicht rechtskräftig entschieden wurde jedoch die Frage, ob eine Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen das Ansehen der Bundeswehr im Sinne des § 67 Abs. 5 SG ernstlich gefährden würde. Da bzgl. des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG die Sach- und Rechtslage gegenüber dem vorangegangenen Verfahren unverändert blieb, ergibt sich die fehlende Rechtskrafterstreckung nicht bereits dadurch, dass vorliegend verschiedene Verwaltungsakte zur Entscheidung stehen. Die fehlende Bindungswirkung ergibt sich vielmehr daraus, dass es sich bei der Frage, ob der Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG durch das Verhalten des Klägers verwirklicht ist, um eine die Aufhebungsentscheidung in der Sache nicht tragende Vorfrage handelt. Vor der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ausgeübten Ermessens hat das Gericht den das Ermessen auslösenden Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG zu subsumieren, da sich die Frage nach Ermessensfehlern erst dann stellt, wenn vorher festgestellt wurde, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen Norm erfüllt sind und die Behörde überhaupt Ermessen ausüben durfte (vgl. Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 01.07.2023, § 114 Rn. 13). Die Entscheidung einer Vorfrage nimmt jedoch an der Rechtskraft nicht teil, sofern sie nicht Gegenstand einer besonderen Zwischenfeststellung ist (vgl. § 322 Abs. 1, § 256 Abs. 2 ZPO; BVerwG, U.v. 18.9.2001 – 1 C 4.01 – juris Rn. 15; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 121 VwGO Rn. 20, BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 15.10 – juris Rn. 22). Eine solche wurde in dem vorausgegangenen Verfahren beim Verwaltungsgericht Würzburg nicht erhoben.
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Insofern durfte und musste die Beklagte im Bescheid vom 21. Oktober 2021, den sie in dem Bestreben erlassen hat, den Beanstandungen des Verwaltungsgerichts Würzburg Rechnung zu tragen und eine rechtmäßige Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung des richtigen Maßstabes und derjenigen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu treffen, die in die Abwägungsentscheidung der ersten Zurückstellungsentscheidung vom 13. Juni 2018 keinen Eingang gefunden hatten, auch über die Verwirklichung des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG befinden.
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b) Die Beklagte hat dabei zurecht die Auffassung vertreten, dass der Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG vorliegend verwirklicht ist und eine Heranziehung des Klägers das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.
27
Gemäß § 67 Abs. 5 SG kann ein Dienstleistungspflichtiger von Dienstleistungen unter anderem dann zurückgestellt werden, wenn seine Heranziehung die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.
28
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter dem Merkmal „Ansehen der Bundeswehr“ der „gute Ruf“ der Streitkräfte oder auch einzelner Truppenteile bei außenstehenden Personen oder der Öffentlichkeit zu verstehen. Beim Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Beurteilungsspielraumes liegen nicht vor. Die Frage der Schädigung des Ansehens der Bundeswehr ist nicht nach nur den Behörden der Bundeswehr zugänglichen, sondern nach allgemein gültigen objektiven Maßstäben zu beurteilen. Ob das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet ist, ist nicht aus der Sicht der Bundeswehr, sondern aus der Sicht eines den betreffenden Lebensverhältnissen gegenüber aufgeschlossenen und objektiv wertenden Beobachters zu beurteilen. Maßgeblich ist, wie ein vernünftiger Betrachter die Heranziehung des betreffenden Leistungspflichtigen zu Dienstleistungen im Hinblick auf das Ansehen der Bundeswehr bewerten würde (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 22 f.).
29
Im vorliegenden Fall wies das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass es das Bestreben der Beklagten sein könne, auf der Grundlage von § 67 Abs. 5 SG solche Personen von Dienstleistungen für die Bundeswehr auszuschließen, die sich gegenüber Außenstehenden besonders guter Beziehungen zum Bundesministerium der Verteidigung berühmen und damit im Interesse ihres eigenen wirtschaftlichen Vorteils einen sachlich unzutreffenden Eindruck erwecken oder gar gegen Geheimhaltungsvorschriften verstoßen würden (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 24).
30
Dies zugrunde gelegt, ist die Kammer der Auffassung, dass der Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG durch das Verhalten des Klägers zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier des Erlasses des Widerspruchsbescheides – verwirklicht ist.
31
Zum einen hat sich der Kläger im Schreiben vom 25. August 2017 gegenüber dem irakischen Verteidigungsministerium besonders guter Beziehungen zum Bundesministerium der Verteidigung berühmt, obwohl dies nicht den Tatsachen entsprach. So gab der Kläger in dem Einleitungssatz des Schreibens an, seine Firma „…“ „cooperates“ (deutsche Übersetzung laut https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/cooperate?q=to+cooperate: „zusammenarbeiten“, „kooperieren“) mit dem deutschen Verteidigungsministerium. Allerdings hatten die bisherigen Verbindungen lediglich aus einem Treffen zwischen einem anderen Unternehmen des Klägers namens „…“ mit Vertretern des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums im Jahr 2016 bestanden. Zu einem Vertragsabschluss ist es in der Folge nicht gekommen (vgl. Gerichtsakte VG Würzburg W 1 K 21.396, S. 22, 69). Eine etwaige Kooperation oder Zusammenarbeit des Unternehmens des Klägers „…“ mit dem deutschen Verteidigungsministerium entsprach damit entgegen den Ausführungen des Klägers im Schreiben an das irakische Verteidigungsministerium nicht den Tatsachen. Hierbei handelte es sich aber um ein nicht unbedeutendes Faktum, nachdem gerade die Verbindungen des Klägers zu deutschen öffentlichen Stellen die Seriosität, Kompetenz und ggf. sogar Autorisierung der klägerischen Firma verdeutlichten sollten.
32
Zum anderen enthielt das Schreiben des Klägers unrichtige Angaben zu dem Ertüchtigungsprogramm „EIBReg“ der Bundesrepublik Deutschland, obwohl der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung angab, grundsätzlich in Kenntnis des aufgelegten Programmes war. So gab der Kläger in seinem Schreiben unrichtigerweise an, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Budget von fast 100 Mio. Euro für Ausstattung, Beratung und Training der irakischen Armee bereitgestellt habe, dieses Budget durch eine deutsche Firma verausgabt werden müsse und die Firma des Klägers aufgrund ihres militärischen Hintergrundes und ihres politischen Netzwerkes die einzige Firma sei, die diese Dienstleistungen anbieten könne.
33
Laut Internetauftritt des BMVg sind die Ertüchtigungsmaßnahmen jedoch nicht ausschließlich für den Irak, sondern auch für Tunesien, Mali, Nigeria und Jordanien vorgesehen. Aus den Informationen zum aufgelegten Programm ergibt sich auch nicht, dass die Gelder über eine deutsche Firma verausgabt werden müssen (wobei es sich bei der Firma „…“ auch gar nicht um eine deutsche Firma handelt). Dass die Firma des Klägers aufgrund ihres militärischen Hintergrundes und des politischen Netzwerkes darüber hinaus die Einzige sei, die die Ertüchtigungsmaßnahmen leisten könne, hält die Kammer ebenfalls für zweifelhaft, u.a. nachdem die Firma des Klägers dem irakischen Verteidigungsministerium medizinisches Material in Form von gängigem Bedarf, wie beispielsweise Helmen, Erste Hilfe Kästen und Masken angeboten hat (vgl. Gerichtsakte VG Würzburg W 1 K 19.675, S. 11) und das Firmenportfolio selbst ad hoc um diese Produkte erweitern konnte, als der Kläger von einem entsprechenden Bedarf der irakischen Seite erfahren hat.
34
Das Schreiben des Klägers führte auf Seiten des irakischen Verteidigungsministeriums zu falschen Vorstellungen und Unverständnis, was es gegenüber dem BMVg auf höchster Ressortleiterebene geäußerte. Die Beklagte war mehrfach zu entsprechenden diplomatischen Reaktionen und Rechtfertigungen gezwungen (vgl. Gerichtsakte VG Würzburg W 1 K 21.396 S. 36 ff.), um entstandene Missverständnisse auszuräumen, wodurch das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Irak auf dem Gebiet der militärischen Zusammenarbeit insgesamt belastet wurde.
35
Der schriftsätzlich vorgebrachten Anregung des Klägers (ein förmlicher Beweisantrag unter Nennung eines bestimmten Beweismittels wurde in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt), Beweis zu erheben über die Tatsache, dass das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Irak auf dem Gebiet der militärischen Zusammenarbeit durch das Schreiben nicht belastet worden sei, musste die Kammer im Rahmen ihrer Amtsermittlungsplicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht nachgehen, da der Kläger dem Sachvortrag der Beklagten zu den das Schreiben ausgelösten Reaktionen und diplomatischen Verwicklungen in keiner Weise substantiiert entgegengetreten ist und auch sonst kein Anlass zu weiterer Aufklärung ersichtlich war. Der Einwand des Klägers, das irakische Verteidigungsministerium habe sich im Oktober 2017 bei einem in Berlin stattgefundenen Treffen sehr zufrieden mit dem Kläger und seiner Firma gezeigt, konnte dabei als wahr unterstellt werden, da das bilaterale Verhältnis zwischen dem Kläger und dem irakischen Verteidigungsministerium nichts über die ausgelösten diplomatischen Spannungen zwischen dem Irak und der Bundesrepublik Deutschland besagt.
36
Nach Auffassung der Kammer würde eine Heranziehung des Klägers zu weiteren Dienstleistungen für die Bundeswehr das Ansehen dieser bzw. den guten Ruf der Streitkräfte oder auch einzelner Truppenteile ernstlich schädigen. Bei dem Schreiben vom 25. August 2017 hat der Kläger seine militärische Stellung und Kontakte für seine persönlichen und wirtschaftlichen Interessen als Geschäftsführer missbraucht. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hat er versucht, die Leistungen seiner eigenen Firma besonders hervorzuheben und dieser einen Auftrag im Rahmen der Ertüchtigungsmaßnahme „EIBReg“ zu verschaffen. Dabei hat er explizit auf seine eigenen militärischen Erfahrungen und politischen Kontakte bzw. die seiner Firma hingewiesen. Neben der Intention helfen zu wollen (die die Kammer dem Kläger aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks durchaus zuerkennt), war das Verhalten des Klägers von der eindeutigen Absicht getragen, sich und seiner Firma einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Der Kläger hat es nicht dabei belassen, die irakische Seite auf das Ertüchtigungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland und vorhandene Geldmittel aufmerksam zu machen, sondern hat proaktiv seine eigenen wirtschaftlichen Interessen bzw. die der „…“ verfolgt. Bei alledem hat der Kläger nicht die gebotene Gewissenhaftigkeit und Sensibilität an den Tag gelegt, die von ihm als Oberstleutnant der Reserve verlangt werden kann. Er hätte wissen müssen, dass falsche Angaben und Erwartungen gegenüber anderen Staaten diplomatische Verwicklungen verursachen können. Dabei wäre es ihm ein Leichtes gewesen, solche zu vermeiden und zu überprüfen, ob die Aussagen zur Ertüchtigungsinitiative „EIBReg“ den Tatsachen entsprechen. Bei etwaigen Unsicherheiten hätte er beim BMVg oder dem Auswärtigen Amt nachfragen und einen offiziellen Kontakt zwischen den deutschen Behörden und dem irakischen Verteidigungsministerium herstellen können. Auch hätte es nahegelegen, die irakische Seite bei der Anbahnung eines Projekts im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative „EIBReg“ auf den offiziellen Dienstweg zu verweisen, nicht zuletzt, weil die Interessenkollision zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen des Klägers und den der Beklagten auf der Hand lag. Stattdessen hat der Kläger das Schreiben vom 25. August 2017 ohne vorherige Rücksprache mit seinem Dienstherrn, aber – was die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit als wahr unterstellen kann – gemeinsam mit Vertretern des irakischen Verteidigungsministeriums verfasst. Ein erneuter Einsatz des Klägers zu Dienstleistungen könnte bei einem den betreffenden Lebensverhältnissen gegenüber aufgeschlossenen und objektiv wertenden Beobachter den Eindruck entstehen lassen, die Bundeswehr dulde solch ein Verhalten und vertraue dem Kläger ohne weitere Konsequenzen eine führende Position an.
37
c) Die Kammer erachtet die Entscheidungen der Beklagten vom 21. Oktober 2021 und 4. Mai 2022 allerdings deshalb als rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr gemäß § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG eingeräumte Ermessen nicht entsprechend dem Zweck des § 67 Abs. 5 SG ordnungsgemäß ausgeübt hat. Die Beklagte hat nicht erkannt, dass sie eine vollumfängliche Ermessensausübung im Sinne des § 40 VwVfG (aa) durchzuführen hat. Die Kammer sieht darin im Rahmen ihrer gerichtlichen Kontrollkompetenz gemäß § 114 VwGO einen Ermessensausfall, der die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen zur Folge hat (bb).
38
aa) Im Rahmen des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG ist die Behörde nach dem Wortlaut („kann“) zu einer Ermessensausübung verpflichtet. Ihr wird sowohl ein Entschließungsermessen, d.h. die Entscheidung darüber, ob der Soldat überhaupt zurückgestellt werden soll, als auch ein Auswahlermessen hinsichtlich der Dauer der Rückstellung des Soldaten eingeräumt (zu Letzterem vgl. BVerwG, U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 26; Metzger in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 67 Zurückstellung von Dienstleistungen Rn. 2, 8; zur Differenzierung zwischen Erschließungs- und Auswahlermessen, vgl. Prof. Dr. Arne Pautsch in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, § 40 Ermessen – juris Rn. 5). Weder ein eingeschränktes oder intendiertes Ermessen (aaa) noch ein gerichtlich im Interesse der Wehrpflichtigen auf eine bloße Willkürkontrolle überprüfbares weites Auswahl- und Organisationsermessen der (Wehrersatz-)Behörde (bbb) liegen vor. Bei § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG ist im Fall der Zurückstellung eines Soldaten aufgrund seines persönlichen Verhaltens von einem von der bisherigen Rechtsprechung zu Entlassungsentscheidungen nach § 55 Abs. 5 SG bzw. bei der Nichtheranziehung zu Dienstleistungen losgelösten Ermessensverständnis auszugehen (ccc).
39
Im obiter dictum des Urteils vom 3.2.2021 – 2 C 29.20, in dem sich das Bundesverwaltungsgericht in Rn. 26 – soweit ersichtlich – erstmals zu dem Ermessensmaßstab des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG (oder dem gleichlautenden § 12 Abs. 5 Wehrpflichtgesetz – WPflG) äußert, führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
„Ist festgestellt, dass das Merkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr im Falle der zukünftigen Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen erfüllt ist, ist zu beachten, dass § 67 Abs. 5 SG der zuständigen Behörde Ermessen eröffnet, das diese entsprechend den Vorgaben des § 40 VwVfG auszuüben hat. Zu den gesetzlichen Grenzen des Ermessens gehört auch der bei jeder hoheitlichen Maßnahme zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Schriftwechsel im Anschluss an das streitgegenständliche Schreiben vom 13. Juni 2018 angedeutet hat, sein Verhalten zukünftig ändern zu wollen. Zudem stellt sich die Frage, ob eine bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs reichende Zurückstellung von Dienstleistungen, mithin hier für einen Zeitraum von 17 Jahren, im Hinblick auf das konkrete Verhalten des Klägers noch angemessen ist.“
40
aaa) Darin findet sich kein Hinweis darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht die Zurückstellung des Soldaten als den in § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG angelegten Regelfall oder das Ermessen eingeschränkt oder intendiert ansehen würde.
41
Im Fall der ähnlich geregelten fristlosen Entlassungsmöglichkeit eines Soldaten auf Zeit in § 55 Abs. 5 SG („Ein Soldat auf Zeit kann während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde“) wird vom Bundesverwaltungsgericht vertreten, dass die Frage der Angemessenheit einer fristlosen Entlassung zur Abwendung einer drohenden Gefahr in Form der Gefährdung der militärischen Ordnung und Ansehensgefährdung für die Bundeswehr bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG bereits in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen durch die Vorschrift selbst konkretisiert worden sei. Deshalb sei im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen und ob der Soldat auf Zeit im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar sei. Zwar könnten Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handele oder mildernde Umstände hinzutreten würden. Im Rahmen der Prüfung, ob eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung bestehe, könne zu berücksichtigen sein, ob dieser Gefahr auch durch eine Disziplinarmaßnahme als ein notwendiges, aber auch milderes Mittel begegnet werden könne mit der Folge, dass Schaden für die militärische Ordnung nicht zu befürchten sei. Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 2 C 17.91 – Rn. 15; BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 9; U.v. 28.7.2011 – 2 C 28.10 – juris Rn. 11).
42
Von Teilen der Rechtsprechung wird daraus gefolgert, dass das der zuständigen Behörde eingeräumte Ermessen („kann entlassen werden“) im Sinne einer sogenannten „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-) Fälle zu beschränken sei (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2020 – 6 ZB 20.342 – juris Rn. 16; U.v. 25.7.2001 – 3 B 96.1876 – juris Rn. 60 ff. unter Berufung auf BVerwG, U.v. 9.6.1971 – VIII C 180.67 – juris; BayVGH, B.v. 21.2.2020 – 6 CS 19.2403 – juris Rn. 18; B.v. 16.1.2023 – 6 CS 22.2380 – juris Rn. 24; OVG NRW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009.04 – juris Rn. 36 m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 19.10.2015 – 2 LB 25.14 – juris Rn. 42 f.; Sohm in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 55 Entlassung Rn. 64; offengelassen vgl.: OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 25.10.2022 – 1 L 4.22 – juris Rn. 45). Im Fall des intendierten oder gelenkten Ermessens ist die Intention des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtet, das nur ausnahmsweise in atypischen Fällen anders ausfallen kann. Eine echte Ermessensausübung durch die Behörde findet dann nicht mehr statt. Die Behörde wird darauf beschränkt, Ermessenserwägungen nur dann anzustellen, wenn statt des vorgesehenen Regelfalles ein atypischer Fall als Ausnahme vorliegt. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind (vgl. Schoch/Schneider/Geis, 3. EL August 2022, VwVfG § 40 Rn. 27; im Subventionsrecht: BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – juris Rn. 14; U.v. 23.5.1996 – 3 C 13.94 – juris Rn. 51).
43
Auf die zu § 55 Abs. 5 SG ergangene Rechtsprechung nimmt das Bundesverwaltungsgericht jedoch im Rahmen des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG nur insoweit Bezug, als es das Tatbestandsmerkmal der „ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr“ als unbestimmten Rechtsbegriff der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen sieht („Insoweit kann auf die vergleichbare Vorschrift des § 55 Abs. 5 SG verwiesen werden“, vgl. BVerwG, U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 22). Ein Verweis auf einen etwaig vergleichbaren Ermessensmaßstab unterbleibt, da § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG eine das behördliche Ermessen einschränkende gesetzliche Wertung auch nicht vorsieht. Die Entlassungsmöglichkeit in § 55 Abs. 5 SG entscheidet sich trotz des ebenfalls enthaltenen Tatbestandsmerkmals „[…] die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde“ dadurch, dass darin zwei weitere, die gesetzgeberische Wertung wesentlich prägende Tatbestandsmerkmale enthalten sind, angesichts derer sich für § 55 Abs. 5 SG ein intendiertes Ermessen vertreten lässt. Anders als bei der Zurückstellung von Dienstleistungen nach § 67 Abs. 5 SG lässt § 55 Abs. 5 SG die Personalmaßnahme der Entlassung eines Soldaten auf Zeit nämlich lediglich während der ersten vier Dienstjahre zu und verlangt zudem eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung. Beides zeichnet die fristlose Entlassung als den gesetzlichen Regelfall vor.
44
bbb) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sich die Ermessensausübung auch nicht lediglich in den Grenzen des Willkürverbots zu bewegen.
45
Grundsätzlich erkennt das Bundesverwaltungsgericht den Wehrersatzbehörden (gemäß § 14 WPflG jetzt: Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, Karrierecenter der Bundeswehr) ein gerichtlich nicht überprüfbares Auswahl- und Organisationsermessen zu. Im Fall von Entscheidungen über die Heranziehung früherer Soldaten zu Dienstleistungen, die wie die Heranziehung zur Wehrdienstleistung allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr diene (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 23.14 – juris Rn. 19 f.), sei der Überprüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichts insofern modifiziert, als der Leistungspflichtige nur verlangen und – die Erfüllung der engen Voraussetzungen einer Klagebefugnis vorausgesetzt – gerichtlich nachprüfen lassen könne, dass die zuständige Behörde über seine Heranziehung oder Nichtheranziehung ohne die Absicht entscheidet, ihn in sachwidriger Weise zu benachteiligen. In einem derartigen Fall („Willkürentscheidung“) liege nicht nur ein Missbrauch des der Behörde eingeräumten Ermessens und damit eine Verletzung von objektivem Recht, sondern darüber hinaus auch ein Übergriff in die verfassungsrechtlich geschützte Individualrechtssphäre des Wehrpflichtigen vor, die dieser abzuwehren berechtigt sei. Denn kein Bürger brauche im Rechtsstaat eine ihn gezielt benachteiligende Willkürentscheidung der Behörde zu dulden; vielmehr könne er unter Berufung auf das jeweils berührte Grundrecht die Aufhebung dieser Entscheidung oder ihrer benachteiligenden Wirkungen erreichen. Diesem Ansatz entsprechend habe das Bundesverwaltungsgericht bereits in früheren Entscheidungen für den Fall einer willkürlich diskriminierenden Heranziehung zum Wehrdienst eine Verletzung der subjektiven Rechte des Wehrpflichtigen für möglich gehalten. Ein Anspruch darauf, dass die Behörde das ihr in diesem Zusammenhang zustehende Ermessen rechtmäßig ausübt, bestehe nicht (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2003 – 6 C 18.02 – juris Rn. 23 f.; U.v. 17.9.2003 – 6 C 4.03 – juris Rn. 19 f., 28; U.v. 25.11.2004 – 2 C 46.03 – juris Rn. 14, B.v. 4.8.2017 – 6 B 34.17 – juris Rn. 7).
46
Auf die vorgenannte Rechtsprechung nimmt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG nicht Bezug, sondern grenzt sich mit der Begründung davon ab, der Grundgedanke der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Entscheidung über die Heranziehung zum Wehrdienst allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Deckung des Personalbedarfs der Bundeswehr diene und nicht zugleich auch den privaten Interessen der Betroffenen, sei nicht maßgeblich, wenn die konkrete Maßnahme der Bundeswehr, wie hier, ihre Grundlage gerade in dem persönlichen Verhalten des Betroffenen habe und bereits die gesetzliche Grundlage – hier § 67 Abs. 5 SG – für diese Entscheidung Umstände voraussetze, die in der Person des betreffenden Dienstpflichtigen liegen (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 13, 16). Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folge, dass der Betroffene die Möglichkeit haben müsse, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme der Bundeswehr gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn die dauerhafte Zurückstellung mit seinem persönlichen Verhalten begründet werde. Dementsprechend folge aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch der Anspruch, nachteilige Bewertungen des eigenen Verhaltens durch die Exekutive, die sogar zum Erlass von Verwaltungsakten führen würden, nur dann hinnehmen zu müssen, wenn zumindest die tatsächliche Grundlage der Schlussfolgerung der Behörde zutreffe und die Behörde ferner bei ihrer Bewertung allgemein anerkannte Maßstäbe beachtet habe. Damit müsse einem Dienstleistungspflichtigen, gegenüber dem sich die Bundeswehr bei der Zurückstellung auf die Gefahr der ernstlichen Gefährdung ihres Ansehens berufe, die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung der Bundeswehr eröffnet sein (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 13 f.).
47
ccc) Damit fordert das Bundesverwaltungsgericht in konsequenter Fortsetzung seiner Überlegungen zur Klagebefugnis mehr als nur eine Ermessensausübung der Behörde in atypischen Fällen oder eine Entscheidung, die sich im Rahmen des Willkürverbots zu halten habe. Verdeutlicht wird dies dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig die Notwendigkeit anmahnt, dass die Behörde im Rahmen ihres Ermessens, „das diese entsprechend den Vorgaben des § 40 VwVfG auszuüben [habe]“, die Interessen des Klägers – nämlich eine etwaig klägerseits angedeutete Verhaltensveränderung – berücksichtigen müsse (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 26). Es wäre widersprüchlich, würde das Bundesverwaltungsgericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Behörde anmahnen, das Ermessen aber als indiziert ansehen oder der Behörde gleichzeitig ein weites, gerichtlich nicht überprüfbares Auswahl- und Organisationsermessen zugestehen, das dem Einzelnen aber keinen Anspruch vermittelt, dass die Behörde das ihr in diesem Zusammenhang zustehende Ermessen rechtmäßig ausübt.
48
Im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens muss die Behörde gemäß § 40 VwVfG das ihr eingeräumte Ermessen erkennen und ausüben. Der ermächtigten Behörde wird damit eine Entscheidungsfreiheit eröffnet, unter pflichtgemäßer Abwägung der privaten und öffentlichen Belange eine Rechtsfolge auszuwählen. Die Ausübung wird bei schriftlichen Entscheidungen dadurch dokumentiert, dass die Behörde gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG in der Begründung des Bescheides die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Die Ausübung des Ermessens muss entsprechend dem Zweck der Ermächtigung erfolgen. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens ergeben sich z.B. aus dem Grundsatz des Vorbehalts und des Vorrangs der Verwaltung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), so dass die Behörde keine gesetzeswidrige Entscheidung treffen darf. Eine weitere Grenze der Ermessensausübung wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen (Niesler in: Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 14. Ermessen, Rn. 192; vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rn. 13 f.).
49
bb) Nach § 114 VwGO ist eine Ermessensentscheidung seitens des Gerichts dahingehend zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Vorliegend hat die Beklagte den ihr eingeräumten Ermessensspielraum verkannt (Ermessensausfall) und damit nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG entsprechenden Weise davon Gebrauch gemacht.
50
Ermessenserwägungen der Beklagten in den Entscheidungen vom 21. Oktober 2021 und 4. Mai 2022 fehlen. Die Beklagte lässt nicht erkennen, dass sie sich überhaupt ihres im Rahmen des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG bestehenden Entschließungsermessens bewusst ist und weiß, dass ihr auch die Entscheidung über das „ob“ der Zurückstellungsentscheidung obliegt, weil diese gerade nicht zwingend aus dem vorliegenden Tatbestand des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG folgt (siehe so jedoch im Bescheid vom 21. Oktober 2021 S. 3 zweiter / dritter Absatz, Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2022 S. 5 zweiter / dritter Absatz). Auch Erwägungen zu Gunsten des Klägers fanden keinen Eingang. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2022, Seite 5, finden sich im Rahmen des Obersatzes zur Ermessensausübung gemäß § 40 VwVfG Ausführungen, dass „keine Gesichtspunkte erkennbar seien […], die zu ihren Gunsten Berücksichtigung finden müssten, so dass sich die Entscheidung innerhalb des Ermessensspielraums [halte] und […] nicht willkürlich [sei]“. Die Beklagte unterlässt es damit, sämtliche erkennbaren öffentlichen Belange sowie die Interessen des Klägers im vorliegenden Fall herauszuarbeiten, in ihre Entscheidung einzustellen und schließlich abzuwägen. Die Beklagte nimmt zwar eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, d.h. eine ausführliche Subsumtion, ob die Zurückstellungsentscheidung einem legitimen Zweck folgt, geeignet, erforderlich und angemessen ist, die fehlenden Erwägungen zum Entschließungsermessen können aber nicht durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung ersetzt werden (a.A.: noch VG Münster, U.v. 17.6.2019 – 5 K 6567.17 – juris Rn. 75 mit Hinweis auf Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 67, Rn. 37 sowie § 55, Rn. 74, 76; VG Magdeburg, U.v. 23.6.2022 – 5 A 143.20 MD – juris Rn. 67). So trennt das Bundesverwaltungsgericht gerade in der im vorliegenden Fall ergangenen Rechtsprechung (U.v. 3.2.2021 – 2 C 29.20 – juris Rn. 26) die Tatbestandsebene des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG eindeutig von der Ebene des Ermessens („Ist festgestellt, dass das Merkmal der ernstlichen Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr […] erfüllt ist, ist zu beachten, dass § 67 Abs. 5 SG der zuständigen Behörde Ermessen eröffnet […]“) und sieht neben der Subsumtion des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 2. Hs. 2. Alt. SG eine eigenständige Ermessensausübung mit Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Auf seine Rechtsprechung zu § 55 Abs. 5 SG, wonach das Gesetz mit dem Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr insoweit selbst das Gesetz die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zum erstrebten Zweck entscheide und so mit der Begrenzung der Entlassung auf die ersten vier Dienstjahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konkretisiere, sodass für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein Raum sei (vgl. unter Ziffer 1.c) aa) aaa) zit. Rechtspr.), nimmt das Bundesverwaltungsgericht nicht Bezug.
51
Ist die Ermessensausübung fehlerhaft, besteht im Fall der Anfechtungsklage schon allein aus diesem Grund ein Anspruch auf Aufhebung des ermessensfehlerhaften und damit rechtswidrigen Verwaltungsaktes (vgl. Schoch/Schneider/Riese, 43. EL August 2022, VwGO § 114 Rn. 72; OVG NRW, B.v. 7.2.2013 – 1 A 305.12 – juris Rn. 5).
52
2. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass im Wege der Zwischenfeststellungsklage festgestellt wird, dass das Schreiben vom 25. August 2017, das der Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Firma „…“ an den irakischen Verteidigungsminister verfasst hat, nicht dazu führt, dass die Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen das Ansehen der Bundeswehr im Sinne des § 67 Abs. 5 SG ernstlich gefährdet.
53
a) Die Zwischenfeststellungklage ist gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 256 Abs. 2 ZPO analog zulässig.
54
Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde. Zweck der Zwischenfeststellungsklage ist die Ausdehnung der Rechtskraft auf das dem Anspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das sonst von der Rechtskraftwirkung nicht erfasst würde. Sie ist ein Ersatz dafür, dass die Elemente der Entscheidung zum Grund der Klage nicht in Rechtskraft erwachsen. Voraussetzung ist daher, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von dem Bestehen des Rechtsverhältnisses abhängt. Ein weiteres (rechtliches) Interesse an der alsbaldigen Feststellung ist dagegen nicht erforderlich. Das Feststellungsinteresse wird durch die Vorgreiflichkeit ersetzt. Voraussetzung der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO ist damit, dass ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten streitig ist, und dass von der Feststellung dieses Rechtsverhältnisses die Entscheidung in der Hauptsache abhängt; dabei ist unerheblich, dass die Hauptklage erst im Laufe des Verfahrens „nachgeschoben“ wird (vgl. BVerwG, B.v. 14.2.2011 – 7 B 49.10 – juris Rn. 20). Die Frage der Vorgreiflichkeit wird in der Rechtsprechung aus prozessökonomischen Gründen großzügig beurteilt. Danach reicht die bloße Möglichkeit, dass das inzidenter ohnehin zu klärende Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten noch über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung hat oder gewinnen kann. Eine solche „extensive“ Auslegung der Voraussetzungen der Zwischenfeststellungsklage ist unter Zurückstellung dogmatischer Bedenken aus prozessökonomischen Gründen jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn mit der Zwischenfeststellungsklage eine umfassende Streitbereinigung erreicht werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 22.12.1998 – 1 B 94.3288 – juris Rn. 78 – 79).
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Das zugrunde gelegt, ist hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen das Ansehen der Bundeswehr im Sinne des § 67 Abs. 5 SG nicht ernstlich gefährden würde, die beantragte Zwischenfeststellung zulässig. Ob eine Heranziehung des Klägers das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde oder nicht, ist für das Anfechtungsbegehren des Klägers vorgreiflich (siehe bereits vorstehend unter Ziffer 1.a). Mit der Zwischenfeststellungsklage kann erreicht werden, dass sich die materielle Bindungswirkung des vorliegenden Urteils im Sinne des § 121 VwGO auch auf den Tatbestand des § 67 Abs. 5 SG erstreckt. Die Frage der Verwirklichung des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG hat zudem nicht nur für das konkret geltend gemachte Anfechtungsbegehren Bedeutung, sondern auch für etwaige künftige Entscheidungen der Beklagten im Rahmen des § 67 Abs. 5 SG bezogen auf das Schreiben des Klägers vom 25. August 2017. Die Zwischenfeststellung vermeidet damit, dass die Frage erneut zur Entscheidung steht und insoweit die „Früchte“ des hiesigen Verfahrens gesichert werden, womit auch der Prozessökonomie gedient ist (vgl. Nellesen/Wiedmeyer, NVwZ 2022, 1759). Weitere Streitigkeiten werden vermieden, da die Frage der Verwirklichung des Tatbestandes des § 67 Abs. 5 SG im Rahmen der Zwischenfeststellungsklage für beide Beteiligten mit Wirkung auch für die Zukunft geklärt wird. Hinsichtlich der Rechtweite der Rechtskrafterstreckung gilt, dass ein Urteil, das – wie vorliegend – eine auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage abweist, grundsätzlich dieselbe Rechtskraftwirkung hat wie ein Urteil, das das kontradiktorische Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt. Die Rechtskraft eines Urteils, durch das eine Feststellungsklage abgewiesen wird, ist identisch mit einer rechtskräftig gewordenen gegenteiligen Feststellung (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 2 B 71.10 – juris Rn. 6. m.w.N.).
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b) Die Zwischenfeststellungsklage ist jedoch unbegründet. Entgegen der seitens des Klägers beantragten Zwischenfeststellung steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine erneute Heranziehung des Klägers zu Dienstleistungen der Bundeswehr das Ansehen dieser im Sinne des § 67 Abs. 5 SG ernstlich gefährden würde (siehe bereits vorstehend unter Ziffer 1.b).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da der Kläger lediglich hinsichtlich der Zwischenfeststellungsklage, die sich materiell-rechtlich bereits weitgehend im Klageantrag zu 1. erschöpft, nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, § 84 Satz 2 SG, §§ 135, 132 Abs. 2, § 133 VwGO.