Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 14.02.2023 – AN 3 K 20.00520
Titel:

kein Kompensationsanspruch der Gemeinde für außerplanmäßige Ausgaben

Normenketten:
BayKAG Art. 19 Abs. 9 S. 1, S. 3 Nr. 2
BayGO Art. 63, Art. 65 Abs. 2
Leitsatz:
Art. 19 Abs. 9 S. 3 Nr. 2 BayKAG kann mangels planwidriger Regelungslücke nicht auf außerplanmäßige Ausgaben erweitert werden, da der Gesetzgeber die Erstattungsansprüche der Gemeinden wegen Wegfall der Straßenausbaubeiträge abschließend regeln und nur in den gesetzlich geregelten Fällen Kompensationen leisten wollte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kein Erstattungsanspruch der Gemeinde für entgangene Straßenausbaubeiträge bei außerplanmäßiger Ausgabe, Keine analoge Anwendung von Art. 19 Abs. 9 KAG auf außerplanmäßige Ausgaben, Straßenausbaubeiträge, Erstattungsanspruch, Haushaltsansatz, Einzelveranschlagung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3489

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von entgangenen Straßenausbaubeiträgen im Zuge deren Abschaffung in Bayern zum 1. Januar 2018.
2
Die Klägerin ist eine kreisangehörige Gemeinde und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft … Wohl im Jahr 1971 wurde die auf dem Gemeindegebiet liegende Erschließungsstraße „…“ erstmalig endgültig hergestellt. Seit dem Jahr 2012 ist in der Gemeinde eine Straßenausbaubeitragssatzung (ABS) in Kraft.
3
Im Jahr 2014 erneuerte der Zweckverband zur Wasserversorgung (ZVM) mehrere Wasserleitungen in der … Nach Abschluss der Rohrlegearbeiten war der Straßenbelag der … stark beschädigt. Ein seitens der Klägerin in Auftrag gegebenes Gutachten der … vom 18. Mai 2015 empfahl, die Straßendecke komplett zu erneuern. Die Klägerin und der ZVM einigten sich darauf, dass die Klägerin die Kosten für 242 m² von insgesamt 442 m² und der ZVM die Kosten von 200 m² von insgesamt 442 m² übernimmt. Am 20. Mai 2015 beschloss der Gemeinderat der Klägerin, die Straßendecke vollständig zu erneuern (neue Trag- und Deckschicht). Die Arbeiten erfolgten vom 18. Juni 2015 bis zum 3. Juli 2015. Die Abschlussrechnung vom 10. August 2015 belief sich auf 36.333,59 EUR, von denen auf die Gemeinde gemäß obigem Maßstab 19.908,28 EUR entfielen. Unter Anwendung von § 7 Abs. 2 der ABS ergab sich ein hiervon abzuziehender Gemeindeanteil von 35%. Der umlagefähige Aufwand wurde i.H.v. 12.940,38 EUR angenommen.
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Mit Antragsschreiben der Klägerin vom 9. Mai 2019 beantragte diese die Erstattung von 12.940,38 EUR bei der Regierung von Mittelfranken gemäß Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG. Zusammen mit dem ausgefüllten Antragsformular wurden im Wesentlichen die Schlussrechnung des bauausführenden Unternehmens nebst handschriftlicher Kostenaufteilung, ein Datenexport aus dem EDVbasierten Haushaltsführungsprogramm der Klägerin (OK.fis), ein Lageplan, diverse Fotografien der …, ein beglaubigter Beschlussbuchauszug zum Beschluss des Gemeinderats über die Durchführung der Baumaßnahme, die gutachterliche Stellungnahme vom 18. Mai 2015 sowie die ABS vorgelegt. Auf schriftliche Bitte der Regierung übermittelte die Klägerin am 29. Januar 2020 ergänzend einen Auszug aus ihrem Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2014. Weiterhin teilte ein Mitarbeiter der Klägerin auf telefonische Nachfrage am 13. Februar 2020 aktenkundig mit, dass die Baumaßnahme an der … nicht in einem anderen Haushaltsplan als dem für das Haushaltsjahr 2015 enthalten sei. Der Mitarbeiter teilte mit, dass eine Veranschlagung der Maßnahme im Vermögenshaushalt nicht nachgewiesen werden könne. Er bitte um Erlass eines Ablehnungsbescheids.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 14. Februar 2020 wurde der Erstattungsantrag der Klägerin abgelehnt. Zur Begründung führt der Bescheid im Wesentlichen aus, Rechtsgrundlage der Ablehnung sei Art. 19 Abs. 9 Satz 3 KAG. Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch seien in Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nrn. 1 – 4 KAG kumulativ formuliert. Fehle es an einer der Voraussetzungen, bestehe kein Erstattungsanspruch. Nach Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG setze ein Anspruch auf Erstattung entgangener Straßenausbaubeiträge voraus, dass die Gemeinde für eine beitragsfähige Maßnahme in einem der Rechtsaufsichtsbehörde nach Art. 65 Abs. 2 GO spätestens am 11. April 2018 vorgelegten Haushaltsplan Ausgaben im Vermögenshaushalt, Auszahlungen aus Investitionstätigkeit oder Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt habe. Das Haushaltsrecht obliege gem. Art. 63 GO der Mitgliedsgemeinde, sodass für die Beurteilung der Veranschlagung der Haushalt der Mitgliedsgemeinde entscheidend sei. Nachdem die Klägerin ihren Haushalt kameralistisch führe, sei die Veranschlagung von Ausgaben im Vermögenshaushalt oder Verpflichtungsermächtigungen notwendig. Die Veranschlagung im Haushalt bedeute, dass Finanzmittel für die durchgeführte Maßnahme im Vermögenshaushalt bereitgestellt und ausgewiesen oder entsprechende Verpflichtungsermächtigungen für diese Maßnahme eingegangen worden seien. Dabei sei es ausreichend, wenn die Maßnahme in irgendeinem Haushaltsplan vor dem 11. April 2018 veranschlagt worden sei. Ausgehend vom Grundsatz der Einzelveranschlagung seien die einzelnen Investitionen im Vermögenshaushalt getrennt voneinander zu veranschlagen (§ 7 Abs. 3 Satz 4 KommHV – Kameralistik). Abzubilden seien alle Maßnahmen an Gemeindestraßen. Mit den Unterlagen zum Antrag vom 9. Mai 2019 sei kein Haushaltsauszug der Gemeinde … vorgelegt worden. Mit Schreiben vom 29. Januar 2020 sei der Haushaltsplan 2015 vorgelegt worden. In diesem seien im Vermögenshaushalt der Gemeinde keine finanziellen Mittel für investive Maßnahmen in der … ausgewiesen. Auch sei nicht erkennbar, dass dafür Verpflichtungsermächtigungen eingegangen worden seien. Somit fehle es an einer wirksamen Veranschlagung für die Maßnahme der Erneuerung der … Da die Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG nicht erfüllt seien, bestehe auch kein Erstattungsanspruch. Der Antrag sei daher abzulehnen gewesen.
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Mit Schriftsatz vom 18. März 2020 – hier eingegangen am 20. März 2020 – erhob die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid. Mit Schriftsatz vom 21. April 2020 wurde die Klage dahingehend begründet, dass der Zweckverband im Jahr 2014 die Wasserleitungen in der … erneuert habe und deswegen die Straßenoberfläche stark beschädigt gewesen sei. Aus diesem Grund habe die Verwaltung bei der LGA Bayern bezüglich der Wiederherstellung der Straße um einen Vorschlag für eine wirtschaftliche Lösung angefragt. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 18. Mai 2015 sei empfohlen worden, eine Erneuerung und nicht eine Instandsetzung der Straße durchzuführen. Daraufhin habe der ZVM der Klägerin ein Angebot unterbreitet, die Kosten entsprechend aufzuteilen. Aufgrund dieses Kostenbeteiligungsangebots, der Stellungnahme der LGA und der Gewährleistungspflicht der Verkehrssicherheit sei eine sofortige Erledigung der Baumaßnahme erforderlich gewesen. Die Erneuerung der … sei somit aufgrund der geschilderten Dringlichkeit in den Monaten Juni und Juli 2015 erfolgt. Hierzu verweist die Klägerseite auf Stellungnahmen der Tiefbauabteilung und der Kämmerei vom 20. Februar 2020. Im Haushaltsplan der Klägerin von 2015 sei bei der Haushaltsstelle 1.6300.9500 (Tiefbaumaßnahmen an Straßen) ein Gesamtbetrag i.H.v. 203.000,00 EUR veranschlagt gewesen. Die Beschlussfassung über den Ausbau der … durch den Gemeinderat sei in der Sitzung vom 20. Mai 2015 erfolgt. Unter Fortgeltung des alten Rechts hätte die Klägerin für diese Erneuerungsmaßnahme, unabhängig von der haushaltsmäßigen Veranschlagung, Ausbaubeiträge erheben können und müssen. Es sei erklärter Wille des Freistaats gewesen, den Gemeinden diejenigen Beiträge zu erstatten, die ihnen dadurch entgingen, dass sie aufgrund der Rechtsänderung keine Ausbaubeiträge mehr erheben könnten (Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG). Daher dürfe es im Einzelfall nicht darauf ankommen, ob und ggf. wie die konkrete Maßnahme haushaltsrechtlich veranschlagt worden sei. Ohne die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge wäre eine Abrechnung mit den Bürgern ohne weiteres möglich gewesen. Somit sei der Klägerin ein finanzieller Schaden entstanden.
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Mit Schriftsatz vom 18. März 2020 beantragt die Klägerin:
Der Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2020 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, die am 9. Mai 2019 beantragte Summe von 12.940,38 EUR zu erstatten.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei, da der Klägerin gem. Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG ein Anspruch auf Erstattung nicht zustehe. Der Anspruch nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG sei an bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen gebunden, welche insbesondere in Art. 19 Abs. 9 Satz 3 KAG im Einzelnen vorgegeben seien. Gemäß Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG setze ein Erstattungsanspruch u.a. voraus, dass die Gemeinde für die dem Antrag zugrundeliegende, beitragsfähige Maßnahme in einem der Rechtsaufsichtsbehörde nach Art. 65 Abs. 2 GO spätestens am 11. April 2018 vorgelegten Haushaltsplan Ausgaben im Vermögenshaushalt, Auszahlungen aus Investitionstätigkeit oder Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt habe. Seien die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach Art. 19 Abs. 9 Satz 3 KAG nicht erfüllt, könne nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Erstattung erfolgen.
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Rein vorsorglich bleibe festzuhalten – für den Fall, dass es bei der Beurteilung des Sachverhalts im Hinblick auf das Veranschlagungserfordernis des Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG darauf überhaupt ankäme, ob die antragstellende Gemeinde u.U. rechtmäßig Ausgaben im Vermögenshaushalt nicht habe veranschlagen müssen –, dass die von der Klägerin vorgetragenen Gesamtumstände keine hinreichend tragfähige Rechtfertigung für eine unabweisbare, außerplanmäßige Ausgabe i.S.d. Art. 68 Abs. 3 Nr. 1 GO darstellten. Entschließe sich eine Gemeinde, nach Erlass der Haushaltssatzung im Haushaltsplan bisher nicht veranschlagte, investive Baumaßnahmen durchzuführen, so sei deren haushaltsrechtsmäßige Behandlung insbesondere an Art. 66 und 68 GO zu messen. Gemäß Art. 68 Abs. 2 Nr. 3 GO habe eine Gemeinde unverzüglich eine Nachtragshaushaltssatzung zu erlassen, wenn Ausgaben des Vermögenshaushalts für bisher nicht veranschlagte Investitionen oder Investitionsförderungsmaßnahmen geleistet werden sollten. Eine Ausnahme hiervon bestehe gem. Art. 68 Abs. 3 Nr. 1 GO lediglich dann, wenn diese nicht erheblich und unabweisbar seien. Hiermit regle Art. 66 Abs. 1 GO, dass überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben nur zulässig seien, wenn sie unabweisbar seien und die Deckung gewährleistet sei. In Art. 66 Abs. 3 GO werde mit Verweis auf Art. 68 Abs. 2 GO nochmals klargestellt, dass die planabweichende Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln i.S.d. Art. 66 GO nicht unbeschränkt möglich sei. Insbesondere sei – umso mehr bei investiven Vorhaben – das bloße Vorhandensein von Deckungsmitteln im Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 66 GO nicht ausreichend. Vorliegend käme allenfalls eine außerplanmäßige Ausgabe in Betracht, da der Ausbau der … – wie oben ausgeführt – im Haushaltsplan nicht veranschlagt gewesen sei (§ 87 Nr. 4 KommHV – Kameralistik). Erheblichkeit und Unabweisbarkeit der Planabweichung und damit einhergehend die Erforderlichkeit einer Nachtragshaushaltssatzung seien anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine Unabweisbarkeit werde im Regelfall dann anzunehmen sein, wenn das Verfahren zur Satzungsänderung wegen des erforderlichen Zeitaufwands zu unnötigen wirtschaftlichen Schäden führen würde, also Unaufschiebbarkeit vorliege. Für das Verfahren zum Erlass der Nachtragshaushaltssatzung seien die Verfahrensvorschriften zum Erlass der Haushaltssatzung zu beachten (insbesondere Art. 65 GO). Mit Blick auf die durch außerplanmäßige Ausgaben beeinträchtigten Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit (Art. 64 Abs. 1 GO) und das Etatrecht des Gemeinderats sei an die Unabweisbarkeit ein strenger Maßstab anzulegen. Weder sei seitens der Klägerin dargetan, warum der Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung in der Zeit zwischen dem Gemeinderatsbeschluss am 20. Mai 2015 und Beginn der Bauausführung am 18. Juni 2015 – mithin mehr als 4 Wochen – nicht möglich gewesen sei, noch warum angesichts der behaupteten Gefährdung der Verkehrssicherheit ein Zuwarten von mehr als 4 Wochen noch vertretbar erschien, ein weiteres Zuwarten bis zum Abschluss des Erlassverfahrens für eine Nachtragshaushaltssatzung hingegen unvertretbar gewesen sei, noch in welcher Weise die Ausspülung des Rohrleitungsgrabens die Verkehrssicherheit der … konkret gefährdet haben soll. Hinsichtlich des Kostenbeteiligungsangebots des ZVM sei ein Zusammenhang zur zeitlichen Unabweisbarkeit der Baumaßnahme schon weder vorgetragen noch ersichtlich, zumal zumindest fraglich erscheine, ob nicht ohnehin eine (anteilige) Kostentragungspflicht des Zweckverbands im Rahmen der Wiederherstellung der durch die Erneuerung der Wasserleitung aufgebrochenen Straßenoberfläche bestanden habe. Unabhängig von der Abrechenbarkeit der Straßenbaumaßnahme dem Bürger gegenüber sei nach alledem nicht ersichtlich, dass sich aufgrund haushaltsrechtsmäßigen Verhaltens der Klägerin ein berechtigtes Vertrauen habe bilden können.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2020 teilte die Klägerin mit, dass sie nach Erhalt der Klageerwiderung mitteile, dass ihr keine weiteren Erkenntnisse vorlägen und auf die bisher abgegebene Begründung verwiesen werde.
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Mit Schriftsätzen vom 6. Juli 2021 und 13. Juli 2021 verzichteten Klägerseite und Beklagter auf Durchführung der mündlichen Verhandlung.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage (vgl. VG Augsburg, U.v. 22.4.2021 – Au 2 K 20.946 – BeckRS 2021, 51188 Rn. 16) zulässig, aber unbegründet, da der Ablehnungsbescheid der Regierung vom 14. Februar 2020 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr entgangenen Straßenausbaubeiträge.
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Die Klage ist unbegründet, da die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG, welche neben Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG (1.) erfüllt sein müssen, nicht erfüllt sind und auch eine analoge Anwendung der Vorschriften nicht in Betracht kommt (2.).
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1. Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch ist Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG oder Art. 19 Abs. 9 Satz 6 KAG. Während Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG das „positive Interesse“ erstattungsfähig macht, zielt Art. 19 Abs. 9 Satz 6 KAG auf das „negative Interesse“ ab. Nach Satz 1 der Vorschrift erstattet der Freistaat Bayern den Gemeinden auf Antrag diejenigen Beträge, die ihnen unmittelbar dadurch entgehen, dass sie infolge der Änderung des KAG zum 1. Januar 2018 Beiträge für Straßenausbaubeitragsmaßnahmen nicht mehr erheben können. Bei Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG handelt es sich um eine gebundene Norm, die der jeweiligen Gemeinde einen Rechtsanspruch auf Erstattung einräumt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen, welche sich auch aus Art. 19 Abs. 9 Sätze 2 und 3 KAG ergeben, erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2022 – 6 ZB 21.1543 – juris Rn. 6, Matloch/Wiens „Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis“ Rn 2207). Grundvoraussetzung ist jedoch das Entstehen einer sachlichen Beitragspflicht für Straßenausbaubeiträge bis zum 31. Dezember 2017 oder das Verhindern einer solchen Entstehung aufgrund der Gesetzesänderung (BayVGH, B.v. 28.3.2022 – 6 ZB 21.1543 – juris Rn. 7). Aus diesem Grund kommt eine Erstattung etwa dann nicht in Betracht, wenn aufgrund des Vorrangs des Erschließungsbeitragsrechts vorrangig Erschließungsbeiträge zu erheben wären (BayVGH a.a.O.) oder weil schon bis zum 31. Dezember 2017 Festsetzungsverjährung eingetreten war (LT-Drs. 17/21586 S. 11).
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Die obigen Maßstäbe stehen vorliegend nicht in Frage, da die … – zwischen den Beteiligten unstreitig – im Jahr 1971 endgültig technisch hergestellt wurde (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB) und auch eine Verjährung aufgrund der erst am 10. August 2015 ausgestellten Schlussrechnung keinesfalls bis 31. Dezember 2017 eintreten konnte. Insofern sind der Klägerin – unter Zugrundelegung der Kostenteilung mit dem Zweckverband und ihres Eigenanteils von 35% nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 ihrer Straßenausbeitragssatzung – Straßenausbaubeiträge in Höhe von 12.940,38 EUR entgangen.
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2. Der Anspruch nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG ist allerdings noch von weiteren, kumulativen Voraussetzungen abhängig, die in Art. 19 Abs. 9 Satz 3 KAG aufgezählt sind. Nach Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG ist für eine Erstattung nötig, dass die Gemeinde für die demnach beitragsfähige Maßnahme in einem der Rechtsaufsichtsbehörde nach Art. 65 Abs. 2 GO spätestens am 11. April 2018 vorgelegten Haushaltsplan Ausgaben im Vermögenshaushalt, Auszahlungen aus Investitionstätigkeit oder Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt hatte.
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Die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG sind nicht erfüllt. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die von der Vorschrift geforderte Veranschlagung haushaltsrechtskonform erfolgt sein muss oder ob auch eine haushaltsrechtswidrige Veranschlagung ausreichen könnte. Für Letzteres könnte die Gesetzesbegründung sprechen, denn der Gesetzgeber beabsichtigte jedenfalls die Wirksamkeit des Haushaltsplans nicht zur Voraussetzung für eine Erstattung zu machen (LT-Drs. 17/21586 S. 12). Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG müssen jedoch „für die beitragsfähige Maßnahme“ Ausgabeansätze in bestimmter Form „veranschlagt“ worden sein. Ein objektiv ermittelbarer und finaler Bezug zwischen der konkreten Straßenausbaubeitragsmaßnahme und dem Haushaltsansatz („für“) muss mithin erkennbar sein.
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2.1 Ein mit dem Grundsatz der Einzelveranschlagung im Vermögenshaushalt (Art. 120 Abs. 1 Nr. 1 GO i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 4 KommHV-Kameralistik) konformer Ausgabeansatz ist in keinem der vorgelegten Unterlagen ersichtlich, da eine Straßenbaumaßnahme „…“ nirgendwo erkennbar ist. Dies hat die Klägerseite im Kern bereits aktenkundig gegenüber der Regierung am 13. Februar 2020 eingeräumt. Auch die Stellungnahme der Kämmerei vom 20. Februar 2020 zeigt, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, dass keine Veranschlagung im Haushaltsplan 2015 erfolgte, da dort ausgeführt wird, dass es „wie im vorliegenden Fall, nicht selten vorkomme, dass Baumaßnahmen, die ursprünglich nicht für den Haushalt angemeldet waren, aufgrund Dringlichkeit dennoch mit erledigt werden müssen.“ Soweit die Klägerseite das Dokument „ergänzende Erläuterungen zum Haushaltsplan 2018“ vorgelegt hat, sind dort auf der hier nicht maßgeblichen Einnahmenseite des Vermögenshaushalts (Haushaltsstelle 6300.3525) mit einem Ansatz von 0 EUR „entgangene Einnahmen“ ausgewiesen (Ziffer 2.1 VVKommHSyst-Kameralistik i.V.m. Anlage 1 und 2 hierzu). Dies stellt keinen hier relevanten Ausgabeansatz dar.
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2.2 Auch soweit man anstatt einem dem Grundsatz der Einzelveranschlagung entsprechenden Einzelansatz eventuell einen kumulierten oder pauschalierten Haushaltsansatz für eine „Veranschlagung“ ausreichen lassen will (bejahend Matloch/Wiens „Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis“ Rn 2205), fehlt es vorliegend jedenfalls an dem nach Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG geforderten Zweckbezug zwischen Ausgabeansatz und Maßnahme. Richtig ist, worauf sich auch die Klägerin bezieht, dass im Haushaltsplan 2015 unter der Haushaltsstelle 6300.9500 ein Ausgabeansatz im Vermögenshaushalt für „Tiefbaumaßnahmen“ in Höhe von 203.000 EUR veranschlagt war. Unstreitig ist auch, dass die Klägerin den Haushaltsansatz im Haushaltsvollzug (aufgrund dort vorhandener Mittel) dafür nutzte, um am 29. September 2015 die Schlussrechnung über die Straßenausbaubeitragsmaßnahme zu begleichen. Dies alleine rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass im Sinne von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG der Ausgabeansatz auch „für“ die beitragsfähige Maßnahme – also mit Zweckbezug – veranschlagt wurde. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass sich der veranschlagte Haushaltsansatz „Tiefbaumaßnahmen“ gemäß dem Vorbericht zum Haushaltsplan 2015 (§ 3 Satz 2 Nr. 3 KommHV-Kameralistik) inhaltlich und betragsmäßig aus 5 Einzelmaßnahmen zusammensetzt, von denen keine die Sanierung der … betrifft. Ein Ansatz für die Sanierung der … ist aus dem kumulierten Ansatz „Tiefbaumaßnahmen“ damit weder dem Grund noch der Höhe nach ableitbar. Auch dies räumt die Klägerin in der Stellungnahme ihrer Kämmerei vom 20. Februar 2020 letztlich ein.
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2.3 Schließlich kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob die Klägerin berechtigt war, die Sanierungsmaßnahme an der … „aufgrund Dringlichkeit“ über den Haushaltsansatz „Tiefbaumaßnahmen“ im Haushaltsplan 2015 abzuwickeln. Das Gericht muss nicht klären, ob die Auftragsvergabe oder das Bezahlen der entsprechenden Schlussrechnung eventuell den Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung nach Art. 68 Abs. 2 Nr. 2 GO erfordert hätte, da der Erlass jedenfalls nicht erfolgt ist und schon deswegen nicht von einer „Veranschlagung“ im Sinne von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG gesprochen werden kann. Ebenfalls irrelevant ist die Frage, ob – ohne Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung – jedenfalls die Sanierung aufgrund „Unabweisbarkeit“ nach Art. 66 Abs. 1 GO als außerplanmäßige Ausgabe zu Recht getätigt wurde. Die Tätigung einer außerplanmäßigen Ausgabe ist – ob nun zu Recht oder nicht – nicht mehr unter das Tatbestandsmerkmal „veranschlagt“ aus Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG zu subsumieren, da eine außerplanmäßige Ausgabe gerade dann vorliegt, wenn kein Haushaltsansatz veranschlagt wurde (§ 87 Nr. 4 KommHV-Kameralistik). Bei anderer Betrachtung hätte der (anspruchseinschränkende) Tatbestand von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG für das Gericht keinen erkennbaren Anwendungsbereich mehr.
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Einzig über eine Analogie wäre eventuell denkbar, Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG auch auf außerplanmäßige Ausgaben zu erweitern. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen jedoch nicht vor, da der Gesetzgeber die Erstattungsansprüche der Gemeinden wegen Wegfall der Straßenausbaubeiträge abschließend regeln und nur in den gesetzlich geregelten Fällen Kompensationen leisten wollte (LT-Drs. 17/21586 S. 10). Mangels planwidriger Regelungslücke kann Art. 19 Abs. 9 KAG nicht analog angewendet werden.
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2.4 Ein Erstattungsanspruch kommt auch nicht nach Art. 19 Abs. 9 Satz 6 KAG in Betracht, da dies ebenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG erfordert.
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3. Nach alledem ist die Klage abzulehnen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.