Titel:
Beihilfe: Abrechnung einer stationären Knieoperation
Normenketten:
BBhV § 6
GOÄ § 4 Abs. 2a S. 1, S. 2, Ziff. 70, 2074, 2354
Leitsätze:
1. Unter GOÄ-Ziff. 70 kann die einfache Befundmitteilung, die der Übermittlung von erhobenen Befunden entspricht, nicht abgerechnet werden, da sie bereits Bestandteil der durchgeführten diagnostischen Leistungen und mit der Abrechnung dieser abgegolten ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gebührenziff. 2353 ist unabhängig von Art und Anzahl der Implantatmaterialien lediglich einmalig für die vollständige Metallentfernung am jeweiligen Knochen (hier: der Patella) erstattungsfähig. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufwendungen im Rahmen einer Patella-Osteosynthese, Kein mehrfacher Ansatz der Ziffer 2354 GOÄ bei Entfernung mehrerer Implantatmaterialien, Beihilfe, Knieoperation, Patella, Osteosynthese, Implantatmaterial, Befundmitteilung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3487
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 433,56 EUR aufgrund einer stationären Knieoperation zu gewähren.
2
Der Kläger ist Sohn und gemäß dem Erbschein des Amtsgerichts … vom 22. November 2021 Alleinerbe der zwischen dem … 2021 verstorbenen und bei der Beklagten mit einem Bemessungssatz von 70% beihilfeberechtigten … Die Beihilfeberechtigte befand sich vom 17. September 2018 bis zum 29. September 2018 in stationärer Behandlung. Mit an die …krankenkasse gerichtetem Antrag vom 17. Oktober 2018 begehrte sie die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 2.483,19 EUR, die ihr mit Rechnung der … vom 12. Oktober 2018 für eine Operation am rechten Knie nach zweiter Re-Fraktur der Patella aufgrund eines Sturzes durch das … in Rechnung gestellt worden waren.
3
Auf Grundlage der Rechnung vom 12. Oktober 2018 und des Operationsberichts vom 18. September 2018 wurde durch die … am 15. November 2018 ein durch die Beklagte in Auftrag gegebenes ärztliches Kurzgutachten nach Aktenlage erstellt. Der Gutachter empfahl unter anderem, die GOÄ-Ziffer 2354 vom fünffachen auf den einfachen Ansatz zu reduzieren, da es sich nur um eine Metallentfernung an der Patella gehandelt habe. Auch sei die GOÄ-Ziffer 2074 vom dreifachen auf den einfachen Ansatz zu reduzieren, da nur eine McLaughlin-Cerclage erfolgt sei.
4
Mit Schreiben vom 27. November 2018 übersandte die Beihilfeberechtigte eine Stellungnahme der …, wonach die Leistung nach GOÄ-Ziffer 70 erbracht und dokumentiert worden und daher zu berechnen sei. Da sich die Kürzung augenscheinlich einzig auf die individuellen Versicherungs- bzw. Beihilfebedingungen der Beihilfeberechtigten beziehe, seien die Kosten von dieser als Selbstbehalt zu tragen. Zudem übermittelte die Beihilfeberechtigte prä- und postoperative Röntgenbilder und drei Begutachtungsschreiben des … vom 17. September 2018, 20. September 2018 und 28. September 2018. In einer Stellungnahme der … vom 29. Januar 2019 korrigierte diese ihre Rechnung vom 12. Oktober 2018 und führte zudem unter anderem hinsichtlich der GOÄ-Ziffer 2354 aus, es seien ausweislich des Operationsberichts sämtliche Cerclagen ausgerissen. Es seien daher entsprechende Maßnahmen erfolgt, u.a. mittels Mc-Laughlin-Schlinge und zwei Verriegelungsbolzen an verschiedenen Lokalisationen. Die korrigierte Rechnung belief sich auf einen Gesamtbetrag von 2.384,07 EUR.
5
In einem daraufhin eingeholten ausführlichen Gutachten durch die … vom 20. März 2019 führte der Gutachter aus, hinsichtlich der GOÄ-Ziffer 2354 habe sich ausweislich des Operationsberichts und der vorliegenden Röntgenbilder die Mc-Laughlin-Cerclage ausgerissen gezeigt. Der einliegende XS-Nagel sei belassen, lediglich einzelne Drähte des XS-Nagels entfernt worden. Diese könnten allerdings nicht alle separat berechnet werden. Zumal sei die Ziffer für die Patella gar nicht anwendbar, da es sich um einen kleinen Knochen handele und somit die Ziffer 2353 zum Tragen komme. Der Gutachter empfahl daher, die GOÄ-Ziffer 2354 für die Entfernung der Mc-Laughlin-Cerclage, die durch einen großen Röhrenknochen laufe, einmal anzuerkennen und für die Teilmetallentfernung an der Patella einmal die GOÄ-Ziffer 2353 anzuerkennen. Bezüglich des Ansatzes der GOÄ-Ziffer 2074 sei nicht nachvollziehbar, weshalb diese dreimal berechnet worden sei. Die Re-Osteosynthese der Patella sei separat berechnet worden. Wenn man die Anlage einer Mc-Laughlin-Cerclage großzügig als Muskel-/Sehnenverpflanzung gelten lasse, so könne diese Ziffer nur einmal berechnet werden.
6
Mit erneuter Stellungnahme vom 4. April 2019 führte die … betreffend die GOÄ-Ziffer 2354 aus, die Angaben des Gutachters seien gebührenrechtlich nicht korrekt; der Leistungstext der Ziffer spreche von „einer Nagelung oder Drahtung und/oder Verschraubung […]“. Die GOÄ stelle auf die Einzahl ab. Seien demnach mehrere Nagelungen zu entfernen, könne die betreffende Leistung auch mehrfach in Ansatz kommen. Hinsichtlich der GOÄ-Ziffer 2074 erfolge der mehrfache Ansatz aufgrund der Neuanlage der Äquatorial-Cerclage (1), PDS-Kordel (2) und der Mc-Laughlin-Schlinge (3). Da der Leistungstext in der GOÄ nur von einer Verpflanzung spreche, stehe dem dreifachen Ansatz nichts entgegen.
7
Eine durch die Beihilfeberechtigte eingeleitete Befassung der Bayerischen Landesärztekammer mit der Streitigkeit blieb ohne Ergebnis.
8
Mit erneutem ausführlichen Gutachten durch die … vom 13. Juni 2019 führte der Gutachter betreffend GOÄ-Ziffer 2354 aus, der Abrechnungsstelle sei zu widersprechen, da es sich um die Revision eines (XS-)Nagels gehandelt habe. Es habe auch „nur“ die Fraktur eines Knochens (der Patella) vorgelegen. Abzurechnen sei daher lediglich einmal die GOÄ-Ziffer 2354 sowie einmal die Ziffer 2353. Auch die GOÄ-Ziffer 2074 könne nur einmalig anerkannt werden. Die eingebrachte Äquatorial-Cerclage sei im Rahmen der Osteosynthese erfolgt und damit bereits mit den oben genannten Ziffern ausreichend berechnet. Die PDS-Kordel sei verwendet worden, um die Mc-Laughlin-Schlinge durchzuführen.
9
Mit Bescheid vom 5. November 2018 sowie Nacherstattungsbescheiden vom 20. November 2018 und 25. März 2019 erstattete die Beklagte einen Gesamtbetrag von 1.764,29 EUR, wovon 528,99 EUR auf Versicherungsleistungen der …krankenkasse und 1.235,30 EUR auf Beihilfeleistungen im Auftrag der … entfielen.
10
Die Schreiben der Beihilfeberechtigten vom 27. November 2018 und 28. März 2019 wertete die Beklagte jeweils als Widerspruchserhebung.
11
Mit Schreiben vom 24. Juni 2019 zeigte sich die Klägerbevollmächtigte gegenüber der Beklagten an und bat um abschließende Stellungnahme zur streitigen Rechnung. Mit Widerspruchsbescheid zur Entscheidung der Beihilfe vom 24. Juli 2019, zugegangen am 26. Juli 2019, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hinsichtlich der GOÄ-Ziffern 2354 und 2074 wurde zur Begründung auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten verwiesen. Auch der Ansatz der GOÄ-Ziffer 70 könne nicht anerkannt werden. Erfasst seien von der Ziffer ausdrücklich nur kurze Bescheinigungen und Zeugnisse wie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Über einen solchen Umfang hinausgehende schriftliche Äußerungen des Arztes seien entweder als ausführlicher schriftlicher Krankheitsbericht nach GOÄ-Ziffer 75 oder als schriftliche gutachtliche Äußerung nach GOÄ-Ziffer 80 bzw. 85 berechnungsfähig. Von diesen berechnungsfähigen Leistungen seien die Befundmitteilung oder der einfache Befundbericht zu unterschieden, welche mit der Gebühr für die zugrundeliegende ärztliche Leistung abgegolten seien. Weder aus den Rechnungen noch aus den Stellungnahmen der … gehe allerdings hervor, für welche medizinisch notwendige Bescheinigung die GOÄ-Ziffer 70 berechnet worden sei, sodass ein Ansatz entfalle.
12
Die Beihilfeberechtigte hat mit Schriftsatz vom 29. Juli 2019, eingegangen am 30. Juli 2029, durch ihre Bevollmächtigte Klage unter dem Aktenzeichen AN 18 K 19.01461 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhoben und sinngemäß beantragt
13
I. Die Bescheide der Beklagten vom 5. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2019, Az.: …, werden aufgehoben.
14
II. Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 433,56 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
15
Zur Begründung wird ausgeführt, aufgrund der von Seiten der Beklagten gestifteten Verwirrung im Rahmen der wiederholten Nacherstattungen und des gesonderten Widerspruchsbescheids für die Beihilfe unter dem Briefkopf der Beklagten habe die Beihilfeberechtigte die Klagefrist gegen die abschließende Entscheidung der Beihilfe versäumt, sodass ihr ein Teilbetrag in Höhe von 437,77 EUR (619,78 EUR ./. 182,01 EUR) verlustig gehe. Hinsichtlich des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2019 sei in Höhe von 185,93 EUR fristgerecht Klage zum zuständigen Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben worden.
16
Streitig seien ausschließlich die GOÄ-Ziffern 2354 und 2074 hinsichtlich der Häufigkeit der Berechenbarkeit sowie die Kürzung der GOÄ-Ziffer 70. Der Leistungstext der GOÄ-Ziffer 2354 laute „Entfernung einer Nagelung/Drahtung/Verschraubung aus großen Röhrenknochen“. Es werde insofern eindeutig auf die Einzahl abgestellt. Seien demnach mehrere Nägel zu entfernen, könne die betreffende Leistung auch mehrmals in Ansatz gebracht werden. Eine anderweitige Auslegung lasse die sprachlich eindeutige Regelung nicht zu. Auch hinsichtlich GOÄ-Ziffer 2074 spreche der Leistungstext eindeutig von einer Sehnen- oder Muskelverpflanzung, das heißt von der Einzahl. Im Rahmen der streitigen Operation sei eine Neuanlage der Äquatorial-Cerclage, der PDS-Kordel und der Mc-Laughlin-Schlinge erfolgt. Es handele sich um drei jeweils berechenbare Einzelleistungen. Hinsichtlich der GOÄ-Ziffer 70 habe sich der Gutachter der Beklagten nicht geäußert.
17
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 16. August 2019,
18
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2019 und die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten. Soweit in der Klageschrift auf eine versäumte Klagefrist hinsichtlich des Widerspruchsbescheids in der Beihilfe verwiesen werde, sei dies insoweit nicht nachvollziehbar, als in eben diesem Schriftsatz Klage gegen den entsprechenden Widerspruchsbescheid erhoben und die Gewährung weiterer Beihilfe geltend gemacht werde.
19
Mit Beschluss vom 11. September 2019 wurde das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart – Az.: 12 K 4689/19 – ausgesetzt.
20
Mit Schriftsatz vom 31. August 2021 teilte die Bevollmächtigte mit, dass die Beihilfeberechtigte verstorben sei. Gemäß dem durch das Amtsgericht … ausgestellten Erbschein vom 22. November 2021 wird sie beerbt durch ihren Sohn, …, als Alleinerben, der das Verfahren klägerseits fortführt.
21
Mit Urteil vom 15. September 2021 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage im Verfahren 12 K 4689/19 abgewiesen. Das Urteil ist seit dem 26. Oktober 2021 rechtskräftig. Mit Beschluss vom 21. April 2022 wurde das Verfahren AN 18 K 19.01461 unter dem neuen gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 22.01103 fortgesetzt.
22
Die Beteiligten haben jeweils schriftsätzlich einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
24
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, bleibt ohne Erfolg und war daher abzuweisen.
25
I. Der Kläger begehrt nach sachgerechter Auslegung seiner Klage (§ 88 VwGO) die Verpflichtung der Beklagten, weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 433,56 EUR zu gewähren. Der Klage liegt allein die o.g. korrigierte Rechnung vom 28. Januar 2019 anlässlich einer stationären Patella-Operation in Gesamthöhe von 2.384,07 EUR zugrunde.
26
Die zulässige, insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2019 erhobene Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist unbegründet. Die Versagung weiterer Beihilfegewährung hinsichtlich der Rechnung der … vom 28. Januar 2019 für ärztliche Leistungen im Rahmen eines stationären Aufenthalts durch Bescheid der …krankenkasse vom 5. November 2018 sowie Nacherstattungsbescheide vom 20. November 2018 und 25. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2019 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dem Kläger steht nach den insoweit maßgeblichen Bestimmungen der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) sowie der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) kein Anspruch auf Beihilfeleistung über diejenige, die ihm mit den streitgegenständlichen Beihilfebescheiden bislang zugebilligt worden ist, hinaus zu.
27
Die rechtlichen Grundlagen der Beihilfeabrechnung sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Für die Beamten der Postnachfolgeunternehmen, der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation und für die Versorgungsberechtigten der früheren Deutschen Bundespost erbringt die …kasse Beihilfedienste. Zu den Beihilfediensten im Auftrag gehören unter anderem die Bearbeitung der Beihilfe und der Erlass von Widerspruchsbescheiden der Beihilfe. Die mittlerweile verstorbene … war mit einem Bemessungssatz von 70% beihilfeberechtigt. Die zu Lebzeiten entstandenen Beihilfeansprüche sind mit dem Tod der Beihilfeberechtigten auf den Alleinerben und nunmehr Kläger … übergegangen (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.2010 – 2 C 77.08 – juris).
28
Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheitsfällen richtet sich nach § 80 BBG i.V.m. den Bestimmungen der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV). Für die rechtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe verlangt wird, maßgeblich (BVerwG, U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – juris Rn. 12 m.w.N.). Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BBhV gelten Aufwendungen als zu dem Zeitpunkt entstanden, zu dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Die der streitgegenständlichen Rechnung zugrundeliegende Operation fand im September 2018 statt; maßgeblich ist daher die Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV) vom 13. Februar 2009 in der Fassung der 8. Änderungsverordnung vom 24. Juli 2018 (BGBl. I S. 1232), welche am 31. Juli 2018 in Kraft getreten ist (im Folgenden: alte Fassung – a.F.).
29
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV a. F. sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig. Über die Notwendigkeit und die wirtschaftliche Angemessenheit von Aufwendungen nach § 6 BBhV entscheidet die Festsetzungsstelle, gegebenenfalls unter Einholung eines Sachverständigengutachtens, § 51 Abs. 1 Satz 1 und 4 BBhV a.F. Aufwendungen für ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Leistungen sind gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV a.F. wirtschaftlich angemessen, wenn sie sich innerhalb des in der einschlägigen Gebührenordnung vorgesehenen Gebührenrahmens halten. Auch gesondert in Rechnung gestellte Aufwendungen für ärztliche Leistungen im Rahmen der Abrechnung von Krankenhausleistungen in Krankenhäusern ohne Zulassung sind gemäß § 26a Abs. 2 BBhV a.F. nur beihilfefähig, sofern die Abrechnung nach der Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte erfolgt.
30
Gemessen an diesen Vorschriften ergibt sich im Hinblick auf die klägerseits begehrte Erstattung betreffend die GOÄ-Ziffern 70, 2354 und 2074 kein weiterer Beihilfeanspruch.
31
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der an drei postoperativen Tagen mit einem Faktor von 2,24 jeweils unter der Leistungsbeschreibung „AU/Kurzbescheinigung“ abgerechneten Leistungen nach GOÄ-Ziffer 70. Erfasst werden von der Ziffer in Abschnitt B „Grundleistungen und allgemeine Leistungen“, Unterabschnitt VI „Berichte, Briefe“ des Gebührenverzeichnisses gemäß dem Leistungstext kurze Bescheinigungen oder kurze Zeugnisse sowie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Nicht abgerechnet werden kann die einfache Befundmitteilung, die der Übermittlung von erhobenen Befunden entspricht, da sie bereits Bestandteil der durchgeführten diagnostischen Leistungen und mit der Abrechnung dieser abgegolten ist (Hermanns, GOÄ 2019, 13. Auflage, S. 124). Da aus den dem Gericht vorgelegten Unterlagen – insbesondere weder aus der Rechnung vom 28. Januar 2019, noch aus den Stellungnahmen des Rechnungserstellers vom 30. November 2018, 29. Januar 2019 und 4. April 2019 oder dem klägerischen Vortrag im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren – nicht hervorgeht, zu welchem Zweck die entsprechenden Bescheinigungen ausgestellt wurden und es dem Kläger obliegt, die jeweils anspruchsbegründenden Tatsachen vorzubringen, fehlt es diesbezüglich bereits an der Darlegung der medizinischen Notwendigkeit dieser Leistungen. Auch eine Beihilfefähigkeit der Aufwendungen gemäß § 12 Satz 3 BBhV a.F. kommt nicht in Betracht, da keine ambulanten Leistungen vorlagen und nicht dargetan wurde, dass es sich bei den Bescheinigungen um Arbeits-/ bzw. Dienstunfähigkeitsbescheinigungen gehandelt haben soll, zumal die Beihilfeberechtigte im Zeitpunkt der Operation bereits … Jahre alt war.
32
2. Der Kläger hat auch im Hinblick auf die GOÄ-Ziffer 2354 keinen Anspruch auf eine über die bereits mit den streitgegenständlichen Beihilfebescheiden erfolgte hinausgehende Gewährung von Beihilfeleistungen. Ausweislich des Operationsberichts zeigten sich sämtliche im Rahmen der vorhergehenden Frakturbehandlung angelegten Cerclagen und die Mc-Laughlin-Schlinge ausgerissen, sodass diese entfernt wurden. Zudem wurden zwei von vier freiliegenden Verriegelungsbolzen entfernt. Abgerechnet wurde diesbezüglich die Gebührenziffer 2354 (Entfernung einer Nagelung und/oder Drahtung und/oder Verschraubung (mit Metallplatten) aus großen Röhrenknochen) mit fünffachem Ansatz unter der Leistungsbeschreibung „gr. Röhrenkn., Entfernung Nagelung u.ä., vermehrter ärztlicher Aufwand, weil operationstechnische Erschwernis, Ausriss sämtlicher Cerclagen u. Mc-Laughlin-Schlinge sowie 2 Verriegelungsbolzen, verschiedene Lokalisationen“. Die Beklagte hat daraufhin unter Verweis auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten Beihilfeleistungen für die Entfernung der vormaligen Osteosynthese an der Patella in Höhe eines einmaligen Ansatzes der GOÄ-Ziffer 2353 mit einem Steigerungsfaktor von 3,5 sowie für die Entfernung der durch einen großen Röhrenknochen verlaufenden vormaligen Mc-Laughlin-Cerclage in Höhe eines einmaligen Ansatzes der GOÄ-Ziffer 2354 mit einem Steigerungsfaktor von 3,5 erstattet. Eine weitere Beihilfegewährung kommt nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht. Insbesondere kann die GOÄ-Ziffer 2354 entgegen dem klägerischen Vorbringen im Rahmen der Metallentfernung nicht mehrfach angesetzt werden. Erfasst wird von der streitgegenständlichen Gebührenziffer in Abschnitt L „Chirurgie, Orthopädie“, Unterabschnitt VI „Frakturbehandlung“ des Gebührenverzeichnisses gemäß dem Leistungstext die Entfernung einer Nagelung und/oder Drahtung und/oder Verschraubung (mit Metallplatten) aus großen Röhrenknochen. Da es sich bei der Patella um ein Sesambein und damit um einen kleinen Knochen, nicht aber um einen großen Röhrenknochen handelt, ist für die Entfernung der ursprünglichen Osteosynthese an der Patella die von der Beklagten erstattete Gebührenziffer 2353 (Entfernung einer Nagelung und/oder Drahtung und/oder Verschraubung aus kleinen Röhrenknochen) einschlägig. Diese kann allerdings nicht für die Entfernung jedes einzelnen Nagels oder Drahtes berechnet werden, vielmehr ist die Ziffer unabhängig von Art und Anzahl der Implantatmaterialien lediglich einmalig für die vollständige Metallentfernung am jeweiligen Knochen, vorliegend der Patella, erstattungsfähig. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Leistungstextes, der von einer Nagelung/Drahtung/Verschraubung anstelle eines Nagels/Drahtes bzw. einer Schraube spricht und damit nicht jeweils einzelne Bestandteile der Befestigung, sondern die gesamte Osteosynthese in den Blick nimmt. Auch die vom Verordnungsgeber gewählte Verknüpfung „und/oder“ macht deutlich, dass auch die Entfernung einer Nagelung und Drahtung und Verschraubung, mithin die Entfernung mehrerer und unterschiedlicher Implantatmaterialien, lediglich zum einmaligen Ansatz der Gebührenziffer berechtigen würde (so auch Brück, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), 40. EL 2022, 788.12; Hermanns, GOÄ 2019, 13. Auflage, S. 405). Da es sich bei der streitgegenständlichen Auslegung der Gebührenziffer um eine Rechtsfrage handelt, war die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, wie von der Klägerbevollmächtigten schriftsätzlich angeregt, nicht angezeigt. Damit verbleibt es für die Metallentfernung bei den durch die Beklagte erstatteten GOÄ-Ziffern 2353 und 2354 jeweils mit einmaligem Ansatz.
33
3. Auch im Hinblick auf die am Operationstag mit dreifachem Ansatz unter der Leistungsbeschreibung „Sehnen-/Muskelverpflanzung, vermehrter ärztlicher Aufwand, weil operationstechnische Erschwernis, Neuanlage Äquatorial-Cerclage, PDS-Kordel, zusätzl. Mc-Laughlin-Schlinge“ abgerechnete GOÄ-Ziffer 2074 kommt eine weitergehende Beihilfegewährung nicht in Betracht. Der Leistungstext der in Abschnitt L „Chirurgie, Orthopädie“, Unterabschnitt II „Extremitätenchirurgie“ des Gebührenverzeichnisses befindlichen Ziffer erfasst die Verpflanzung einer Sehne oder eines Muskels. Ausweislich des Operationsberichts wurden die Fragmente der Patella reponiert und ein Draht durch das Verriegelungsloch des Nagels geschoben. Daraufhin folgte die Anlage einer Äquatorial-Cerclage, womit das distale Fragment gut gefasst worden sei. Anschließend wurde eine PDS-Kordel tibial durch die Bohrung geführt und subkutan ausgeleitet. Um zusätzlichen Schutz des proximalen Fragments zu gewährleisten, wurde mit der PDS-Kordel eine Mc-Laughlin-Schlinge angelegt. Die Beklagte erstattete diesbezüglich einmalig die Gebührenziffer 2074 für die Anlage der Mc-Laughlin-Schlinge. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Beihilfegewährung besteht nach Auffassung des Gerichts nicht. Die Beklagte hat im Verwaltungsverfahren gemäß § 51 Abs. 1 Satz 4 BBhV a.F. mehrere gutachterliche Stellungnahmen durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. … eingeholt. Dessen Gutachten vom 15. November 2018, 20. März 2019 und 13. Juni 2019 sind nach dem Dafürhalten des Gerichts schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei und werden vom klägerischen Vortrag im Ergebnis nicht erschüttert. Aus diesem Grund war die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, wie von der Klägerbevollmächtigten schriftsätzlich angeregt, nicht angezeigt. Der vom Kläger vorgebrachten Argumentation, ein dreifacher Ansatz der Ziffer 2074 sei aufgrund der Neuanlage der Äquatorial-Cerclage, der Mc-Laughlin-Schlinge und einer PDS-Kordel gerechtfertigt, kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich bei den in der Rechnung aufgeführten Leistungen bereits nicht um drei jeweils berechenbare Einzelleistungen, insbesondere nicht um drei Sehnen- bzw. Muskelverpflanzungen. Eine solche hat die Beklagte zutreffenderweise nur für die Anlage der Mc-Laughlin-Schlinge angenommen. Hinsichtlich der Neuanlage der Äquatorial-Cerclage ist eine Abrechnung und Erstattung bereits abschließend erfolgt, sodass ein erneuter Ansatz nicht in Betracht kommt. Die Cerclage bezeichnet ein chirurgisches Verfahren, bei dem beispielsweise Organe oder Knochen mit Kunststoffbändern oder Drähten umschlungen werden. Bei Knochenbrüchen stellt die Cerclage ein übliches Verfahren im Rahmen der Osteosynthese dar (vgl. Pschyrembel Online, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Artikel „Cerclage“, Stand April 2022). Bei der Äquatorial-Cerclage wird der Draht rund um die Patella geführt, um besondere Stabilität zu gewährleisten. Die durchgeführte Äquatorial-Cerclage erfolgte daher vorliegend wie im Operationsbericht dokumentiert, um bei der Osteosynthese den abgesprengten Patella-Pol besser fassen und stabilisieren zu können und war damit Bestandteil der Osteosynthese, die bereits mit der GOÄ-Ziffer 2344 (Osteosynthese der gebrochenen Kniescheibe bzw. Exstirpation der Kniescheibe oder Teilexstirpation) unter der Beschreibung „Kniescheibe, Osteosynthese bzw. Teil-/Exstirpation, vermehrter ärztlicher Aufwand, weil operationstechnische Erschwernis, Re-Re-Fraktur, komplizierte anatomische Verhältnisse, Abriss des Patellapols“ abgerechnet und durch die Beklagte erstattet wurde. Gemäß § 4 Abs. 2a Satz 1 und 2 GOÄ kann für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnet werden, wenn für die andere Leistung eine Gebühr berechnet wurde. Dies gilt auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte. Die Versagung einer weiteren Erstattung durch die Beklagte war daher nicht zu beanstanden. Auch für die PDS-Kordel kann keine weitere Beihilfegewährung unter Heranziehung der GOÄ-Ziffer 2074 erfolgen. Gemäß Operationsbericht wurde diese verwendet, um die Mc-Laughlin-Schlinge anzulegen. Bei PDS (Poly-p-dioxanon)-Fäden handelt es sich um ein spezielles chirurgisches Nahtmaterial, das vom Körper resorbiert werden und daher beispielsweise anstelle eines später wieder zu entnehmenden Metalldrahtes eingesetzt werden kann. Sofern vorliegend die Mc-Laughlin-Schlinge mittels PDS-Kordel angelegt wurde, beschreibt diese somit lediglich das für die Schlinge verwendete Nahtmaterial, nicht aber eine zweite Muskel- oder Sehnenverpflanzung, sodass eine weitere Erstattung der GOÄ-Ziffer 2074 nicht in Betracht kommt.
34
4. Da dem Kläger kein Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe des begehrten Betrags von 433,56 EUR durch die Beklagte zusteht, muss auch ein Zinsanspruch ausscheiden.
35
Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
36
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.