Titel:
Unzulässigkeit einseitiger Preiserhöhungen für Energieversorgungsleistungen
Normenkette:
BGB § 313
Leitsätze:
1. § 313 BGB findet auf eine Anpassung von Gas- und Stromlieferverträgen keine Anwendung, weil der Gesetzgeber die Folgen des Preisanstieges im Gas- und Strommarkt umfassend spezialgesetzlich geregelt hat (Anschluss an OLG Düsseldorf BeckRS 2023, 5103). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Vereinbarung einer nicht gedeckelten Preisgarantie gibt es keine vertragliche Berechtigung für eine einseitigen Erhöhung der monatlichen Abschlagszahlungen aufgrund gestiegenen Beschaffungspreise. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Energielieferungsvertrag, Störung der Geschäftsgrundlage, Preisgarantie, einseitige Strompreisänderung
Fundstellen:
LSK 2023, 34753
EnWZ 2023, 476
BeckRS 2023, 34753
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 411,62 € zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagten am 03.07.2023 ein Anspruch auf Abschlagszahlung in Höhe von 54,00 € zusteht, aber nicht darüber hinaus in Höhe von 879,00 €.
3. Die Widerklage wird abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 1.290,62 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus Energielieferungsvertrag.
2
Die Parteien schlossen am 7.10.2020 einen Energielieferungsvertrag für Strom ab. Diesen Vertrag hat der Kläger am 30. November 2021 verlängert und dabei einer AGB-Anpassung zugestimmt. Die Zustimmung zur AGB-Anpassung war an eine Preisgarantie der Beklagten für den Arbeitspreis der Stromlieferung von einem Betrag von damals 28,17 Cent pro Kilowattstunde Strom (brutto) gemäß Ziffer 7 der AGB bis zum 31.10.2023 gekoppelt. Am 29.07.2022 sandte die Beklagte dem Kläger eine Strompreiserhöhung auf 67,84 Cent pro Kilowattstunde (brutto) zu. Die Beklagte kündigte zum 03.07.2023 die Abbuchung von 933,00 € an.
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Der Kläger behauptet, dass die Beklagte eine AGB-Änderung vorgenommen habe, der der Kläger nicht zugestimmt habe, und die Beklagte darin die Strompreiserhöhung rechtfertige. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Stromanpassung nicht mit einer Störung der Geschäftsgrundlage begründet werden könne. Geschäftsgrundlage der Abgabe der Preisgarantie sei ein ständig steigender Strompreis. Diese Geschäftsgrundlage habe der Krieg in der Ukraine nicht geändert. Die Erhöhung der Abschlagszahlung von 54 € auf 115 € sei rechtswidrig.
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Der Kläger beantragt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag i.H.v. 411,62 EUR zu zahlen.
2. Darüber hinaus wird festgestellt, dass der Beklagten ein Anspruch auf Abschlagszahlung am 03.07.2023 in Höhe eines Betrags über 54,00 EUR hinaus von 879,00 EUR nicht zusteht.
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Die Beklagte beantragt:
Und im Rahmen der Widerklage:
den Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben:
…, stimmt der durch … hinsichtlich des Stromliefervertrages mit der Vertragsnummer … mit E-Mail vom 29.07.2022 angekündigten Preisanpassung zum 01.09.2022 auf einen Arbeitspreis von 67,84 Cent/kWh (brutto) und einen Grundpreis von 8,74 EUR/Monat (brutto) zu.“
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Der Widerbeklagte beantragt:
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Preisanpassung auf 67,84 Cent/kWh (brutto) wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB wirksam erfolgt sei. Aufgrund der exorbitanten, präzedenzlosen Preissteigerungen an den Energiemärkten in den Monaten vor der Preisanpassung vom 29.07.2022 infolge des Kriegsgeschehens in der Ukraine hätten sich die Beschaffungskosten der Beklagten massiv erhöht. Zwischen Oktober 2021 und Juli 2022 habe die Beklagte in der Kalkulation aus Vorsichtsgründen mit nahezu einer Verdreifachung ihrer Einkaufspreise gerechnet (von ca. 9 Cent/Kilowattstunde (kWh) auf etwa 25 Cent/kWh). In der energiewirtschaftlichen Literatur werde eine Grenze von 50 % veränderten Marktpreisen im Energievertragsrecht als schwerwiegende Änderung angesehen. Die Beklagte habe auf das Recht zur sofortigen außerordentlichen Kündigung verwiesen (vgl. § 41 Abs. 5 EnWG), so dass die Kunden nicht gezwungen waren, die zugegeben hohen Preise für ihre Belieferung mit Strom und Gas hinzunehmen. Die Beklagte hat sich auch bereit erklärt, zu einer festen Preisgestaltung zurückzukehren, sobald dies objektiv wirtschaftlich möglich ist. Die Ausführungen des Klägers zu einer angeblichen Unwirksamkeit der AGB-Änderung gehen nach Ansicht der Beklagten völlig an der Sache vorbei. Die in Rede stehende Preisanpassung werde gerade nicht auf die AGB der Beklagten, sondern auf § 313 BGB gestützt. Die Frage der Wirksamkeit der AGB-Änderung spiele also für den Ausgang des Rechtsstreits keine Rolle. Die Widerklage sei begründet, da wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte und Widerklägerin Vertragsanpassung entsprechend der Preiserhöhung mit Mail vom 29.07.2022 verlangen könne.
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Der Kläger und Widerbeklagte ist der Ansicht, dass die Preiserhöhung unwirksam sei und die Widerklage daher nicht begründet sei.
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Das Gericht hat keine Bewies erhoben. Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen.
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Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Klage und die Widerklage sind zulässig. Das Amtsgericht München ist sachlich und örtlich zuständig.
12
Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung von 411,62 € und auf Feststellung, dass die Abschlagszahlung 54 € pro Monat beträgt und die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 879 € hat. Die einseitige Preisänderung der Beklagten war unwirksam. Daher ist die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29.07.2022 den Strompreis massiv erhöht und dies auf § 313 BGB gestützt. Nach Ansicht des Gerichts besteht ein solcher Anspruch nicht.
14
Unstreitig haben die Parteien eine Preisgarantie bis zum 31.10.2023 geschlossen. Diese Preisgarantie wurde seitens der Beklagten als Schutz vor „drastischen Preiserhöhungen im Energiemarkt“ beworben. Das bedeutet, dass sie mit drastischen Preissteigerungen gerechnet hat. Die Preisgarantie war auch nicht „gedeckelt“. Mit der Vereinbarung der Preisgarantie war die Beklagte vertraglich nicht zu einer einseitigen Erhöhung der monatlichen Abschlagszahlungen aufgrund der gestiegenen Beschaffungspreise berechtigt (so LG Hamburg, 30.03.2023, Az. 312 O 61/22; LG Berlin, 01.09.2022, Az. 52 O 117/22).
15
Die Beklagte stützt sich bei ihrer Preisanpassung zu Unrecht auf § 313 BGB. Eine Anpassung von Gas- und Stromlieferverträgen kann nicht auf § 313 BGB, mithin eine Störung der Geschäftsgrundlage, gestützt werden. Dies beruht darauf, dass § 313 BGB in diesen Fällen keine Anwendung findet, weil der Gesetzgeber die Folgen des Preisanstieges im Gas- und Strommarkt umfassend spezialgesetzlich geregelt hat (OLG Düsseldorf, 23.3.2023, Az 20 U 318/22).
16
Die einseitige Strompreisänderung mit Schreiben vom 29.07.2022 war damit unwirksam. Der Feststellungsantrag ist daher begründet und die Widerklage abzuweisen.
17
Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs stützt sich der Kläger auf die Rechnung vom 30.05.2023 (Anlage K 6). Darin ist der Stromverbrauch für den Zeitraum 01.11.2021-31.10.2022 erfasst. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte für den Zeitraum 01.09.2022 bis 31.10.2022 einen zu hohen Arbeitspreis abgerechnet hat, nachdem die Preisanpassung unwirksam ist. Dies ergibt eine Überzahlung von mindestens 108,35 €. Diesbezüglich hat der Kläger einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung.
18
Aus der Rechnung der Beklagten vom 30.05.2023 ergibt sich darüber hinaus ein Guthaben aus einer vorherigen Abrechnung von 303,27 €.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
20
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.