Titel:
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (abgelehnt), Nachträgliche Auflage zur Betriebserlaubnis, Aufnahmestopp, Kindeswohlgefährdung, Bindungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB VIII § 45
SGB VIII § 47
Schlagworte:
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (abgelehnt), Nachträgliche Auflage zur Betriebserlaubnis, Aufnahmestopp, Kindeswohlgefährdung, Bindungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34444
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2023, mit dem als Auflage zur bestandskräftigen Betriebserlaubnis ein Aufnahmestopp bis zum 8. Dezember 2023 sowie monatliche Dokumentationsvorlagen angeordnet wurden.
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Der Antragsteller betreibt Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
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Mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Februar 2017 wurde dem Antragsteller von der Antragsgegnerin die Erlaubnis gemäß § 45 SGB VIII für den Betrieb einer heilpädagogischen Wohngruppe für 15 Jugendliche in zwei Gruppen erteilt. Als Zielgruppe wurden männliche Jugendliche ab dem Alter von 14 Jahren definiert, die durch Entwicklungsstörungen in ihrer altersgemäßen Persönlichkeitsentwicklung erheblich beeinträchtigt sind und der heilpädagogischen, stationären Unterbringung bedürfen (Ziffer 2.2). Als Ausschlusskriterien wurden männliche Jugendliche mit geistiger und körperlicher Behinderung, manifester Drogen- und Suchtmittelabhängigkeit, akuten psychischen Erkrankungen, die klinisch behandelt werden müssen, sowie extremen psychischen Belastungen, die eine therapeutische Unterbringung erfordern, genannt (Ziffer 2.4). Für den Gruppendienst wurden pro Gruppe insgesamt mindestens 5,38 Planstellen mit sozialpädagogischen Fachkräften vorgeschrieben (Ziffer 3.2). Hinsichtlich der Dokumentation wurde festgelegt, dass für alle Betreuten ein auf den individuellen Bedarf abgestimmter interdisziplinärer Erziehungsplan zu erstellen ist, der alle wesentlichen Bereiche der Betreuung, Erziehung und Förderung umfasst. Die Entwicklungen sind zu dokumentieren, der ganzheitliche Betreuungs- und Förderbedarf muss regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden. Für jeden Betreuten ist eine Einzelakte zu führen, die alle notwendigen Angaben und Unterlagen zur Person und die fortlaufende Dokumentation des Maßnahmenverlaufs enthält (Ziffer 5.2). Der tatsächliche Personaleinsatz ist entsprechend der Betreuungszeit und der Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Dienstpläne nachprüfbar zu dokumentieren (Ziffer 5.4). Zudem wurde festgelegt, dass Ereignisse und Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beeinträchtigen (besondere Vorkommnisse), wie zum Beispiel Entweichen, Suizidversuch, schwere Unfälle oder Tod von Betreuten, massives Fehlverhalten von in der Einrichtung betreuten Jugendlichen (gegebenenfalls mit strafrechtlicher Relevanz), (…) unverzüglich der Aufsichtsbehörde sowie dem örtlichen und dem fallzuständigen Jugendamt zu melden sind (Ziffer 6.1).
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Seit dem Jahr 2021 gab es zwischen den Parteien umfangreichen Schriftverkehr und Gespräche, in denen insbesondere Differenzen hinsichtlich der ausreichenden Meldung besonderer Vorkommnisse und des Personalstandes, des Vorliegens von Ausschlusskriterien bei aufgenommenen jungen Menschen sowie der Benennung von Ansprechpartnern thematisiert wurden. Der Antragsgegner äußerte hierbei wiederholt – auch im Hinblick auf ein weiteres Genehmigungsverfahren – Zweifel an der Zuverlässigkeit des Trägers.
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Mit Schreiben vom 30. Januar 2023 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller unter umfangreicher Auflistung von Einzelfällen mit, dass es diesem zusammenfassend an der Trägerzuverlässigkeit fehle (§ 45 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII) im Hinblick auf die Mitwirkungs- und Meldepflichten nach den §§ 46 und 47 SGB VIII (§ 45 Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VIII) und im Hinblick auf die Einhaltung der Inhaltsbestimmungen der Betriebserlaubnis vom 1. Februar 2017 hinsichtlich Zielgruppe und Ausschlusskriterien (§ 45 Absatz 2 Satz 3 Nr. 3 SGB VIII), sowie an der Gewährleistung der fachlichen Voraussetzungen für den Betrieb der beiden heilpädagogischen Wohngruppen durch den Träger gemäß § 45 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII aufgrund der nicht den Anforderungen an eine heilpädagogische Wohngruppe entsprechenden Betreuung der jungen Menschen. Auch wenn möglicherweise nicht jeder Gesichtspunkt für sich allein die Annahme rechtfertigen würde, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis nicht mehr vorlägen, so ergäbe sich doch zumindest aus der Gesamtschau deutlich, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis nicht mehr vorlägen. Gemäß § 45 Absatz 7 Satz 2 SGB VIII könne die Betriebserlaubnis aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für eine Erteilung nach § 45 Absatz 2 SGB VIII nicht mehr vorliegen. Im Rahmen der Ermessensabwägung sei zu prüfen, ob mildere Mittel als der Widerruf der Betriebserlaubnis in Betracht kommen. Die Aufsichtsbehörde erwäge daher als ersten Schritt zur Gewährleistung des Kindeswohls in den beiden heilpädagogischen Wohngruppen einen Aufnahmestopp. Der Antragsteller erhalte hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28. Februar 2023.
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Mit Schreiben vom 29. März 2023 nahm der Antragsteller hierzu Stellung und führte insbesondere aus, dass auf Grund der neuen Leitung in der Einrichtung, welche auch neue Strukturen aufbaue, zukünftig besonderer Wert auf die Einholung der Sichtweise der Heimaufsicht gelegt werde und die Fälle einer einvernehmlichen Lösung zugeführt werden sollen. Eine Veranlassung von heimaufsichtlichen Maßnahmen werde daher nicht gesehen.
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Der Antragsgegner erließ mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. April 2023 für den Betrieb der beiden heilpädagogischen Wohngruppen in der Trägerschaft des Antragstellers einen bis zum 7. Juli 2023 befristeten Aufnahmestopp zur Gewährleistung des Kindeswohls mit sofortiger Wirkung als Auflage zur Betriebserlaubnis vom 1. Februar 2017. Der Sofortvollzug wurde angeordnet. In den Gründen erfolgten umfangreiche Ausführungen zu Einzelfällen. Hinsichtlich der Befristung wurde ausgeführt, dass mit dieser dem Träger Gelegenheit gegeben werde, seine Zuverlässigkeit nach § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII hinsichtlich des Betriebs unter Beweis zu stellen.
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Im Folgenden erfolgten zwischen den Parteien mehrfach Telefonate sowie ein E-Mail-Austausch.
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Der Antragsgegner führte wohl am 20. Juni 2023 eine unangemeldete örtliche Prüfung der Einrichtung durch.
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Mit Bescheid vom 26. Juni 2023 verlängerte der Antragsgegner den mit Bescheid vom 5. April 2023 erteilten Aufnahmestopp für den Betrieb der beiden heilpädagogischen Wohngruppen als Auflage zur Betriebserlaubnis vom 1. Februar 2017 zur Gewährleistung des Kindeswohls für weitere drei Monate befristet bis 7. Oktober 2023 und ordnete den Sofortvollzug an.
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Mit Schreiben vom selben Tag wurde der Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf der Betriebserlaubnis zum 30. September 2023 angehört und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17. Juli 2023 eingeräumt.
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Mit rechtskräftigem Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. August 2023 wurde im Verfahren M 18 S 23.3773 die aufschiebende Wirkung der am 28. Juli 2023 erhobenen Klage (M 18 K 23.3774) gegen den Bescheid vom 26. Juni 2023 wiederhergestellt. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsgegner eine nachträgliche Auflage nicht lediglich mit Mängeln im Sinne von § 45 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründen könne, sondern darzulegen habe, weshalb diese Mängel die Gewährleistung des Wohls der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gefährde und daher die Auflage erforderlich sei. Nicht ausreichend hierfür sei der Verweis auf eine „strukturelle Gefährdung“, vielmehr müsse eine konkrete Kindeswohlgefährdung dargelegt werden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. September 2023 wurde als Auflage zur Betriebserlaubnis vom 1. Februar 2017 zur Gewährleistung des Kindeswohls mit sofortiger Wirkung ein Aufnahmestopp für weitere drei Monate befristet bis 8. Dezember 2023 erteilt (Ziffer 1 des Bescheides). Unter Ziffer 2 wurde dem Antragsteller auferlegt, jeweils am ersten Arbeitstag des Monats der Aufsichtsbehörde den aktuellen Personalplan, die tatsächlichen Dienstpläne des abgelaufenen Monats, die Dienstplanungen für den anstehenden Monat sowie die aktuelle Belegungsliste mit Angaben zu den fallzuständigen Jugendämtern und Aufnahmedatum zu übersenden. Zudem wurde unter Ziffer 3 angeordnet, jeweils am ersten Arbeitstag des Monats der Aufsichtsbehörde die Gruppenverlaufsdokumentation des vergangenen Monats sowie die Ergebnisprotokolle zu stattgefundenen Teamsitzungen und Gruppenabenden bzw. -aktionen zu übersenden. Bis zum 18. September 2023 seien entsprechende Nachweise rückwirkend für August nachzureichen. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 wurde angeordnet (Ziffer 4 des Bescheids). In Ziffer 5 wurde der Bescheid vom 26. Juni 2023 aufgehoben.
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Zur Begründung wurde auf den Bescheid vom 5. April 2023 verwiesen sowie primär auf Einzelfälle abgestellt, welche bereits dem Bescheid vom 26. Juni 2023 zu Grunde lagen. Der Aufnahmestopp beruhe zum einen auf § 45 Abs. 6 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Die jeweiligen von dem Antragsgegner im Einzelnen gerügten Mängel in der Personalausstattung, hinsichtlich der Nichteinhaltung der Mitteilungs- und Meldepflichten gemäß § 47 SGB VIII, der Aufnahme von jungen Menschen entgegen der Inhaltsbestimmungen zu Zielgruppen und Ausschlusskriterien in der Betriebserlaubnis, sowie die nicht den Anforderungen genügende pädagogische Betreuung der jungen Menschen hätten jeweils Auswirkungen auf die Gewährleistung des Kindeswohls in der Einrichtung. Zudem wurde der Aufnahmestopp auf § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII gestützt, da der Träger aufgrund verschiedener, im Einzelnen genannter Mängel derzeit nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Die weiteren Auflagen würden es dem Antragsgegner ermöglichen, die Personalsituation im Augen behalten zu können und ggf. weitere erforderliche aufsichtliche Schritte einleiten zu können. Zudem würden die Auflagen der Förderung von Transparenz und Überprüfbarkeit pädagogischer Qualität dienen.
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Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schreiben vom 4. Oktober 2023, eingegangen am 6. Oktober 2023, beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid vom 6. September 2023 (M 18 K 23.4895).
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Zudem beantragte er mit Schreiben vom 5. Oktober 2023, eingegangen am 6. Oktober 2023, beim Verwaltungsgericht München,
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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4. Oktober 2023 gegen den Aufnahmestopp-Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2023 anzuordnen.
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Zur Begründung wurde unter Wiederholung und Bezugnahme auf die Ausführungen in den Verfahren M 18 K 23.3774 und M 18 S 23.3773 insbesondere ausgeführt, dass der Bescheid vom 6. September 2023 nahezu dem Bescheid vom 26. Juni 2023 entspräche. Es seien lediglich bei den Rechtsfolgen neben dem Aufnahmestopp weitere Auflagen dazu genommen worden. Etwaige diesbezügliche Wünsche hätte man zuerst außergerichtlich herantragen sollen, um die Möglichkeit einer Anhörung und Stellungnahme zu geben. Im Übrigen lägen keine (wesentlichen) neuen Tatsachen vor, die einen Eingriff „berechtigen würden“. Im Folgenden werden – ohne weitere Bezugnahme oder Würdigung des vorliegenden Falls – verschiedenen Kommentarstellen und Urteilsauszüge zur Änderungsbefugnis bzw. Bindungswirkung von gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zitiert.
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Mit ergänzendem Schriftsatz vom 6. Oktober 2023 wurde klargestellt, dass die vollständige aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich aller Sofortvollzugsanordnungen beantragt werde. Im Folgenden wurde im Einzelnen dargelegt, inwieweit der Bescheid vom 26. Juni 2023 inhaltsgleich mit dem streitgegenständlichen Bescheid sei. Das Vorgehen des Antragsgegners dokumentiere die Missachtung der Gewaltenteilung und des Rechtsstaatsprinzips. Die Wiederholung von Sachverhalten in mehreren Bescheiden wecke Zweifel, wie es mit der Bestandskraft, dem Streitgegenstandsbegriff, der Rechtskraft und der Rechtshängigkeit gehalten werde. Juristisch könne das nicht nachvollzogen werden. Eine Umgehung des gesetzlichen Richters sowie ein ne bis in idem sei unzulässig. Die Fragen seien in dem anhängigen Hauptsacheverfahren zu klären. Hinsichtlich des Vorwurfs der mangelnden Personalausstattung wird ausgeführt, dass nicht von dem allgemeinen Betreuungsschlüssel auf eine Kindeswohlgefährdung geschlossen werden könne, da hierbei die konkrete Betreuungssituation durch Überstunden und Mehrarbeit unberücksichtigt bleibe. Im Übrigen müsse der Aufnahmestopp zumindest auf eine konkrete Anzahl von Jugendlichen begrenzt werden.
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Zudem hätte der Antragsgegner im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und „unter Berücksichtigung des Gebotes, dass und welche Maßnahme beabsichtigt“ sei, angehört werden müssen. Dabei hätte man darlegen müssen, dass darin ein Verstoß gesehen werde und worin ein konkreter Verstoß, die Pflichtverletzung, liege. Der unsubstantiierte und in der Sachverhaltsdarstellung einen fehlerhaften Anschein erweckende Vortrag rechtfertige keinen neuen Bescheid, wäre sowieso aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und unter Verletzung des Anhörungsrechts rechtswidrig.
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Hinsichtlich der weiteren Auflagen wurde darauf hingewiesen, dass freiwillige Angebote gemacht worden seien, um etwaige Zweifel auszuräumen. Darauf sei nicht eingegangen worden. Dies wäre ein milderes Mittel gewesen. Zudem seien die weiteren Auflagen auch mangels Befristung unverhältnismäßig. Ergänzend wurde die Beurteilung des Antragsgegners hinsichtlich der Geeignetheit von Personal als pädagogische Fachkräfte kritisiert.
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Der Antragsgegner legte die weiteren Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde ebenfalls unter Bezugnahme auf die Ausführungen im vorangegangenen Verfahren insbesondere ausgeführt, dass allem Anschein nach weiterhin eine massive personelle Unterbesetzung in den beiden Wohngruppen im Umfang von knapp vier Vollzeitstellen bestehe. Mangels Vorlage weiterer Personalpläne könne der Antragsgegner insoweit lediglich die mit der Antragsschrift vom 25. Juli 2023 übersandten Personalpläne zugrunde legen. Auch die aktuelle Belegungsliste sei nicht mitgeteilt worden. Im Bescheid vom 6. September 2023 seien aufgrund der Ausführungen des Gerichts im Beschluss vom 22. August 2023 an zahlreichen Stellen die Auswirkungen auf die Gewährleistung des Kindeswohls in der Einrichtung deutlicher dargestellt worden. Zudem beruhe der Aufnahmestopp im streitgegenständlichen Bescheid wesentlich auf dem – allem Anschein nach weiterhin bestehenden – massiven Personaldefizit. Hinsichtlich des Vorwurfs der Antragsseite, dass dem Bescheid inhaltsgleiche Sachverhalt zu anderen Bescheiden zugrunde gelegt werde, wurde ausgeführt, dass Mängel in der Vergangenheit relevant blieben, wenn diese nicht behoben würden, sondern vielmehr weitere Mängel hinzukämen.
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Mit Beschluss vom 2. November 2023 wurde das Klageverfahren M 18 K 23.3774 nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren M 18 K 23.3774, M 18 S 23.3773 sowie M 18 K 23.4895 und die vorgelegten Behördenakten sowie Anlagen des Antragstellers verwiesen.
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Der – abermals – gemäß §§ 123, 88 VwGO auszulegende zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat keinen Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung.
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Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass der angegriffene Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2023 rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
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Insbesondere stellt das Vorgehen des Antragsgegners, nach dem Beschluss des Gerichts vom 22. August 2023 den dort streitgegenständlichen Bescheid aufzuheben und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Gerichts einen neuerlichen Bescheid zu erlassen, kein rechtswidriges Vorgehen dar.
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Entgegen der Ansicht der Antragsseite handelt es sich nicht um eine im Kern identische neue Regelung. Vielmehr hat der Antragsgegner den Beschluss vom 20. August 2023 zum Anlass genommen, den bereits mit Bescheid vom 26. Juni 2023 monierten Sachverhalt nunmehr entsprechend den rechtlichen Vorgaben neu zu subsumieren. Dementsprechend erfolgte sachgerecht auch ein neuer Aufbau des Bescheides. Das Gericht kann in diesem Vorgehen kein Umgehen der gerichtlichen Entscheidung vom 22. August 2023 erkennen. Vielmehr hat der Antragsgegner die dortigen rechtlichen Ausführungen für sich anerkannt, den Beschluss rechtskräftig werden lassen und den Bescheid vom 26. Juni 2023 aufgehoben. Der Antragsgegner ist im Folgenden nicht daran gehindert, einen neuerlichen Bescheid – auch unter Zugrundelegung des gleichen Sachverhalts – zu erlassen, sofern er nicht die rechtliche Argumentation, entgegen der rechtlichen Beurteilung durch das Gericht, beibehält, was vorliegend nicht geschehen ist. Denn der Antragsgegner hat die Auflagen im streitgegenständlichen Bescheid nunmehr – entgegen dem Bescheid vom 26. Juni 2023 – nicht mehr lediglich mit von ihm angenommenen Mängeln begründet, sondern – wie vom Gericht gefordert – mit einer hierdurch verursachten Kindeswohlgefährdung. Die Bescheide stellen sich daher in ihrer rechtlichen Beurteilung nicht als inhaltsgleich dar.
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Auch das Zugrundelegen eines Sachverhaltes, der möglicherweise bereits in früheren Verfahren als mangelhaft beanstandet wurde, ist im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, entgegen der von der Antragstellerseite vertretenen Ansicht, nicht verboten. Dem Antragsteller kommt insoweit kein Vertrauensschutz zu (vgl. BSG, U.v. 3.5.2018 – B 11 AL 3/17 R – juris Rn. 20). Denn das Verwaltungsverfahren dient im Gegensatz zum strafgerichtlichen Verfahren nicht der Bestrafung eines vorherigen Tuns, sondern der zukünftigen Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, sodass weder Raum für den im Strafverfahren geltenden Grundsatz „ne bis in idem“ bleibt noch ein Verkennen des Umfangs der Bestandskraft, Rechtskraft oder der Rechtshängigkeit vorliegt, sofern auf einen bereits bekannten, aber weiterhin bestehenden Mangel durch die Verwaltung mit weiteren Bescheiden reagiert wird. Im Übrigen kann auch, entgegen der Ansicht der Antragsseite, der Streitgegenstand in dem zunächst anhängigen Hauptsacheverfahren M 18 K 23.3774 nicht geklärt werden, da sich dieses durch die Aufhebung des dort streitgegenständlichen Bescheids vom 26. Juni 2023 erledigt hat und nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt wurde.
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Schließlich dürfte auch das Unterlassen der Anhörung des Antragstellers nach § 24 SGB X nicht bereits zur formellen Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides führen.
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Zwar hat es der Antragsgegner unterlassen, den Antragsteller vor Erlass des Bescheides vom 6. September 2023 erneut anzuhören. Allerdings beruht der neuerliche Bescheid – wovon auch der Antragsteller ausgeht – im Wesentlichen auf dem gleichen Sachverhalt wie der Bescheid vom 26. Juni 2023, welcher dem Antragsteller daher bekannt ist und zu dem er sich bereits umfangreich – auch in den gerichtlichen Verfahren M 18 K 23.3774 und M 18 S 23.3773 – geäußert hat. Dementsprechend dürfte nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen sein, dass vorliegend kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 SGB X i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, der zwingend bereits zur formalen Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides führt, § 42 Satz 2 SGB X (vgl. BSG, U.v. 3.5.2018 – B 11 AL 3/17 R – juris Rn. 20).
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Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 6. September 2023 verfügten Auflagen dürften sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig darstellen. Bereits der von dem Antragsgegner dargelegte dauerhafte und erhebliche Personalmangel rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts einen befristeten Aufnahmestopp. Auch die weiteren Auflagen erscheinen gerechtfertigt.
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Wie das Gericht bereits im Beschluss vom 22. August 2023 im Verfahren M 18 S 23.3773 (Rn. 38 ff.) ausgeführt hat, ist die Erteilung von nachträglichen Auflagen nach § 45 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII nur dann zulässig, wenn dies zur Gewährleistung des Wohls der Kinder und Jugendlichen erforderlich ist. Hingegen genügt es nicht, dass (irgendwelche) Mängel oder eine strukturelle Gefährdung im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII vorliegen. Es ist daher darzulegen, dass aufgrund von Tatsachen im Einzelfall eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Kinder oder Jugendlichen Schaden nimmt (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.9.2022 – OVG 6 S 48/22 – juris Rn. 8 f.; NdsOVG, B.v. 16.7.2021 – 10 ME 88/21 – juris Rn. 29).
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Diesen Anforderungen ist der Antragsgegner nunmehr im streitgegenständlichen Bescheid insbesondere hinsichtlich des Vorwurfs der mangelhaften Personalausstattung hinreichend nachgekommen.
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Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, dass nach der ihm zuletzt bekannt gemachten Personalaufstellung vom August 2023 ein Minus von 3,66 Personalstellen für beide Gruppen (HPWG 1: Soll: 5,38, Ist: 2,99; HPWG 2: Soll: 5,38, Ist: 4,11) besteht. Dieser Berechnung ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Vielmehr wird im Schriftsatz vom 6. Oktober 2023 hinsichtlich der Personalausstattung ausgeführt, dass von dem allgemeinen Betreuungsschlüssel nicht auf eine konkrete Kindeswohlgefährdung geschlossen werden könne.
39
Das Gericht teilt – entgegen der Ansicht des Antragstellers – die Auffassung der Aufsichtsbehörde, dass ein solches, nicht nur vorübergehendes Personaldefizit zwingend zu Konsequenzen hinsichtlich der zu belegenden Plätze führen muss. Wie der Antragsgegner in der Antragserwiderung vom 18. Oktober 2023 zu Recht ausführt, handelt es sich bei den in der Betriebserlaubnis genannten Planstellen um eine Mindestpersonalausstattung, die erforderlich ist, um die der Betriebserlaubnis zu Grunde liegende Konzeption umzusetzen. Defizite in der Personalausstattung können hingegen nicht langfristig – wie die Antragsseite meint – durch Überstunden und bezahlte Mehrarbeit in einem Umfang aufgefangen werden, der eine pädagogische Betreuung entsprechend der Betriebserlaubnis sicherstellen kann. Bereits die Fürsorgepflicht des Antragstellers für sein Personal verbietet es, langfristige Kompensationen von vakanten Stellen zu fordern und regulär in den Dienstbetrieb einzuplanen. Bereits im Rahmen der Berechnung der Mindestpersonalausstattung werden entsprechende Ausfall- und Vertretungszeiten berücksichtigt, sodass von dieser Mindestpersonalausstattung ohne Konsequenzen in Bezug auf die Belegung nicht abgewichen werden darf. Fehlendes Personal und eine dementsprechend fehlende pädagogische Betreuung in einer heilpädagogischen Einrichtung, welche gerade die hinreichende sozialpädagogische Betreuung zum Inhalt hat, gefährdet – wie im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt – das Kindeswohl der in der Einrichtung zu betreuenden jungen Menschen. Das Gericht verkennt hierbei auch nicht den einerseits derzeit allgemein bekannten erheblichen Mangel an sozialpädagogischen Fachkräften, welcher vielfach zu Personaldefiziten in Einrichtungen führt, sowie andererseits den erheblichen Bedarf an entsprechenden Einrichtungsplätzen. Unabhängig hiervon können jedoch die Mindestanforderungen an solche, junge Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten betreuende, Einrichtungen nicht reduziert werden. Vielmehr benötigen gerade diese jungen Menschen die stationäre Unterbringung einschließlich der entsprechend dem Betriebskonzept vorgesehenen sozialpädagogischen Betreuung. Sofern eine solche nicht in dem erforderlichen Maß erfolgen kann, kann der Bedarf dieser jungen Menschen nicht ausreichend gedeckt werden, sodass für diese eine Gefahrensituation entsteht. Nicht erforderlich hierfür ist, dass sich bereits eine Gefahr konkret realisiert hat, vielmehr genügt es, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Dabei ist auch unerheblich, ob der Träger der Einrichtung oder einer seiner Mitarbeiter die Gefährdung schuldhaft verursacht hat (vgl. NdsOVG, B.v. 16.7.2021 – 10 ME 88/21 – juris Rn. 29 m.w.N.). Dementsprechend geht auch der Vorwurf der Antragsseite fehl, dass im Bescheid keine Gefährdungssituation substantiiert dargelegt worden sei.
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Zwar erklärte der Antragsteller selbst, aufgrund von Personalmangels eine freiwillige Platzreduzierung vorzunehmen, mangels konkreter Angaben und zumindest widersprüchlichen Pressemeldungen hierzu – worauf der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2023 zu Recht hinwies – ging die Aufsichtsbehörde jedoch zu Recht davon aus, dass zumindest auf eine hinreichende freiwillige Reaktion durch den Antragsteller kein Verlass und daher ein aufsichtliches Handeln erforderlich ist (vgl. hierzu auch: NdsOVG, B.v. 16.7.2021 – 10 ME 88/21 – juris Rn. 30).
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Nachdem der Antragsteller gegenüber der Aufsichtsbehörde – entgegen seiner Verpflichtung nach § 47 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB VIII – weder aktuelle Personal- noch Belegungspläne vorlegt, obliegt es dieser auch nicht, wie die Antragsseite meint, den Aufnahmestopp auf eine konkrete Anzahl von Jugendlichen zu begrenzen. Vielmehr ist eine solche Aussage mangels Bereitstellung konkreter Zahlen für die Aufsichtsbehörde derzeit nicht leistbar.
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Auch der Verweis der Antragsseite auf die fehlende Bereitschaft der Aufsichtsbehörde, „Ausnahmegenehmigungen“ für den Einsatz von fachfremdem Personal zu erteilen, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Sofern die Antragsseite der Meinung ist, dass das von ihr vorgesehene Personal den Anforderungen an sozialpädagogische Fachkräfte entspricht (vgl. hierzu: VG München, U.v. 20.3.2019 – M 18 K 17.2834 – juris), ist dies ggf. in einem gesonderten Verfahren zu klären, kann jedoch nicht dazu führen, dass die aktuelle Gefahrensituation hinsichtlich der zu betreuenden jungen Menschen geringer zu beurteilen ist.
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Schließlich kann auch die finanzielle Situation des Antragstellers, worauf dieser wiederholt verweist, nicht die Hinnahme einer Gefahrensituation für die zu betreuenden jungen Menschen rechtfertigen. Zudem hat das Genehmigungsverfahren für eine weitere Einrichtung des Antragstellers keinen Einfluss auf die Beurteilung der Gefahrensituation in der vorliegend ausschließlich maßgeblichen Einrichtung.
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Der bis zum 8. Dezember 2023 befristete Aufnahmestopp unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides erscheint daher bereits aufgrund des bestehenden Mangels an geeignetem fachlichen Personal zur Betreuung der jungen Menschen verhältnismäßig.
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Dementsprechend kann das Gericht im vorliegenden Verfahren die von dem Antragsgegner weiter aufgeführten Mängel, die nach dessen Ansicht ebenfalls eine Gefahrensituation begründen und daher ein Einschreiten rechtfertigen, unberücksichtigt lassen. Inwieweit und in welchem Umfang diese Mängel tatsächlich bestehen, kann nicht im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens geklärt werden, sondern muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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Auch die unter Ziffer 2 und 3 erfolgten Auflagen im streitgegenständlichen Bescheid erscheinen nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage zumindest in der aktuellen Situation als gerechtfertigt.
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Zwar greifen diese Auflagen erheblich in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein und stellen auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand für die Antragsseite dar. Sie erscheinen jedoch erforderlich, um in der aktuellen Situation, die unzweifelhaft von einem Personalmangel geprägt ist, eine hinreichende Kontrolle der Aufsichtsbehörde, sowohl zur Einhaltung des unter Ziffer 1 verfügten Aufnahmestopps, als auch zur rechtzeitigen Kenntniserlangung von sich realisierenden Gefahren, zu gewährleisten.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung war daher zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.