Inhalt

VG München, Beschluss v. 07.11.2023 – M 27 S 23.4948
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag gegen eine unter Zwangsgeldandrohung ergangene Untersagung der Vermittlung von sowie Werbung für Sportwetten in einer Wettvermittlungsstelle

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GlüStV 2021 § 9 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 3
AGGlüStV Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Der unbestimmte Rechtsbegriff "in unmittelbarer Nähe zu Sportanlagen" in § 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV ist eng auszulegen; entscheidend für die Beurteilung sind die konkreten örtlichen Gegebenheiten. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glücksspielrecht, Glückspielaufsichtsrechtliche Untersagung, Betrieb einer Vermittlungsstelle für Sportwetten in unmittelbarer Nähe von Sportanlagen, Ermessen, Zwangsgeldandrohung, Glücksspiel, Vermittlung, Werbung, Untersagung, materielle Genehmigungsfähigkeit, Wettvermittlungsstelle, Sportanlage
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34396

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nrn. 2 bis 3.3 des Bescheids der Regierung von Oberbayern vom 28. September 2023 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die unter Zwangsgeldandrohung ergangene Untersagung der Vermittlung von sowie Werbung für Sportwetten in einer Wertvermittlungsstelle in …
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Der Veranstalter ... beantragte mit Schreiben vom 25. November 2020 für die Antragstellerin bei der Regierung von Oberbayern (im Folgenden: Regierung) die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle an der Betriebsstätte ..., … … Es wurde unter anderem versichert, dass die Wettvermittlung nicht auf oder in unmittelbarer Nähe einer Sportanlage oder einer sonstigen Einrichtung, die regelmäßig für sportliche Veranstaltungen genutzt wird, stattfinde.
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Mit Schreiben vom 17. Mai 2023 hörte die Regierung die Antragstellerin zu der geplanten Ablehnung des Antrags an. Im Rahmen der Überprüfung von Versagungsgründen habe die Regierung nach Rücksprache mit der Landeshauptstadt München als Kreisverwaltungsbehörde Kenntnis davon erlangt, dass sich in unmittelbarer Nähe der Wettvermittlungsstätte das Städtische Stadion an der … … befinde.
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Mit Schreiben vom 6. Juni 2023 zeigte der vormalige Bevollmächtigte der Antragstellerin deren Vertretung gegenüber der Regierung an und nahm mit Schreiben vom ... Stellung. Die Annahmestelle befinde sich nicht in unmittelbarer Nähe des Stadions. Dazwischen verlaufe eine Autobahn, sodass der Abstand groß sei. Die Stadionbesucher müssten die Annahmestelle nicht passieren, da sich die Haltestelle für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht in der Nähe der Annahmestelle befinde.
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In der Behördenakte befindet sich ferner eine Luftbildaufnahme, auf welcher ersichtlich ist, dass die Wettannahmestelle an der ... von dem Städtischen Stadion an der … … durch die in Ost-West-Richtung verlaufende … und die nach Norden verlaufende … … bzw. die nach Süden verlaufende … … getrennt ist und die Entfernung zwischen Wettvermittlungsstelle und Stadion 102,18 Meter Luftlinie beträgt.
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Mit Bescheid vom 28. September 2023 lehnte die Regierung den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an den mit Konzession des Regierungspräsidiums D. vom 15. Dezember 2022 erlaubten Veranstalter ... in … …, ..., ab (Nr. 1) und untersagte der Antragstellerin die weitere dortige Vermittlung von sowie Werbung für Sportwetten (Nr. 2). Es wurde verfügt, den Abschluss und die Vermittlung neuer Wettverträge (Wettannahme) mit Bekanntgabe des Bescheids sofort zu unterlassen (Nr. 2.1), die Abwicklung bereits geschlossener und vermittelter Wettverträge spätestens bis zum Ablauf von 90 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu unterlassen (Nr. 2.2) und die für den Wettbetrieb erforderlichen Gegenstände nach Ablauf von 95 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids aus den Geschäftsräumen zu entfernen (Nr. 2.3). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Nrn. 2.1 bis 2.3 des Bescheids wurde jeweils ein Zwangsgeld angedroht (Nrn. 3, 3.1, 3.2 und 3.3). Die Kosten habe die Antragstellerin zu tragen (Nr. 4) und es wurden Gebühren festgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der unmittelbaren Nähe der Wettvermittlungsstelle zu dem Stadion an der … … der Erlaubniserteilung ein Versagungsgrund nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Glückspielstaatsvertrag 2021 (AGGlüStV) für die Erlaubniserteilung vorliege. Es handle sich mithin um unerlaubtes Glücksspiel (§ 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021), welches nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV 2021 untersagt werden könne. Die Untersagung sei verhältnismäßig und ermessensgerecht. Die sofortige Untersagung sei aufgrund der Kenntnis spätestens seit der Anhörung mit Schreiben vom 17. Mai 2023 zumutbar. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 11. Oktober 2023 Klage erheben (M 27 * …*) und zudem beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nrn. 2 bis 5 des Bescheides anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
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Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Untersagung offenkundig rechtswidrig sei. Der Tatbestand des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV sei nicht erfüllt. Der Gesetzgeber habe bei der Formulierung dieser Bestimmung regelhaft die hauptgeschäftliche Wettvermittlung auf Sportanlagen im Blick gehabt, ratio legis und Wortlaut sprächen für die Notwendigkeit einer direkten – eben unmittelbaren – Nähebeziehung zwischen Sportstätte und Wettvermittlung. Die Überquerung von 8+8 Straßenspuren und einer Trambahnstrecke sowie die Entfernung von über 100 Metern ließen jegliche Qualifizierung der Nähebeziehung als unmittelbar nicht nur fernliegend sondern schlicht abwegig und unvertretbar erscheinen. Ferner überschreite die Untersagung die inhaltliche Grenze des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV, da vorliegend nicht lediglich der Betrieb einer Wettvermittlungsstelle im Hauptgeschäft, sondern jegliche Wettvermittlung und Werbung hierfür untersagt werde. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV kollidiere ferner mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. Sollte das Stadion trotz der Gegebenheiten vor Ort als in unmittelbarer Nähe zur Wettvermittlungsstelle liegend betrachtet werden, erweise sich Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV als unbestimmt. Die Untersagung sei ferner unverhältnismäßig, da zu weitgehend. Die Interessenabwägung habe schließlich zu Gunsten der Antragstellerin auszufallen.
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Die Regierung legte am 19. Oktober 2023 die Behördenakte vor und beantragte für den Antragsgegner,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Tatbestand des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV sei erfüllt. Zwischen der Wettvermittlungsstelle und dem Stadion verliefen zwei Straßen sowie eine Trambahnstrecke. Es bestehe direkter Sichtkontakt und die Einrichtungen seien „unproblematisch voneinander zu erreichen“. Eine unmittelbare Nähe werde angenommen. Überdies sei die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle nicht an die zentrale Spielersperrdatei OASIS angeschlossen. Ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV sei nicht gegeben. Die Regelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV sei auch hinreichend bestimmt und führe weder zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundfreiheiten noch zu einem Verstoß gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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I. Der entsprechend auszulegende, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrags zur Neuregulierung des Glückspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag 2021 – GlüStV 2021) vom 29. Oktober 2020 (GVBl S. 97, 288) bzw. Art. 21a Satz 1 BayVwZVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung und Zwangsgeldandrohung ist begründet.
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1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug regelmäßig der Vorrang zu, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen, wobei auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist.
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2. Daran gemessen ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügungen (Nrn. 2, 2.1, 2.2 und 2.3 des Bescheides) und die Zwangsgeldandrohungen (Nrn. 3, 3.1, 3.2 und 3.3 des Bescheides) anzuordnen, da die dagegen gerichtete Klage voraussichtlich Aussicht auf Erfolg hat.
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a) Rechtsgrundlage für die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Untersagungsverfügungen ist § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 Nr. 3 GlüStV 2021. Danach kann die zuständige Behörde die erforderlichen Anordnungen erlassen und insbesondere die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen. Die Vermittlung von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen bedarf nach § 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021. Das Veranstalten und Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) ist verboten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021).
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b) Die Wettvermittlungsstelle der Antragstellerin an der ... (im Folgenden: Wettvermittlungsstelle) wird ohne die nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021, Art. 2 und 7 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 922) in der Fassung durch § 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStVÄndG 2020) vom 9. Juni 2020 (GVBl S. 287) notwendige glücksspielrechtliche Erlaubnis und damit formal unerlaubt betrieben.
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c) Die Untersagungsverfügung erfolgte jedoch ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner hat insoweit darauf abgestellt, dass eine Erlaubniserteilung als milderes Mittel ausgeschlossen ist, da der weitere Betrieb der Wettvermittlungsstelle aufgrund des Vorliegen eines Versagungsgrundes nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV nicht materiell genehmigungsfähig ist. Nach dieser Vorschrift ist der Betrieb einer Wettvermittlungsstelle im Hauptgeschäft unzulässig und die Erlaubnis hierfür unbeschadet Art. 2 Abs. 1 auch zu versagen, wenn Sportwetten vermittelt werden auf oder in unmittelbarer Nähe von Sportanlagen oder sonstigen Einrichtungen, die regelmäßig für sportliche Veranstaltungen genutzt werden.
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Die Voraussetzungen für eine Versagung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV sind nach summarischer Prüfung vorliegend jedoch nicht erfüllt. Eine feste Grenze im Sinne eines Mindestabstands wurde gesetzlich nicht geregelt. Bei dem Tatbestandsmerkmal „in unmittelbarer Nähe“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist zunächst der Wortlaut der Bestimmung in den Blick zu nehmen.
Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 AGGlüStV regelt zwei Fallgestaltungen, nämlich die Vermittlung von Sportwetten auf Sportanlagen und die Vermittlung von Sportwetten in unmittelbarer Nähe zu Sportanlagen. Diese von dem Gesetzgeber gewählte Formulierung und die Voranstellung der Fallgestaltung „Vermittlung von Sportwetten auf Sportanlagen“ spricht für eine enge Auslegung. Die Gesetzesbegründung (LT-Drs. 18/5861 S. 8) lässt ferner erkennen, dass für den Gesetzgeber die Fallgestaltung einer Vermittlung von Sportwetten auf Sportanlagen im Vordergrund stand. Hiernach soll die Regelung in Abs. 2 Nr. 1 sicherstellen, dass das positive gesellschaftliche Image des Sports und die Begeisterung für den sportlichen Wettbewerb insbesondere von Kindern und Jugendlichen nicht dadurch ausgenutzt werden, dass Glücksspiele auf Sportanlagen angeboten werden. Ein Gewöhnungseffekt für Kinder und Jugendliche an das Glücksspiel soll verhindert werden.
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Dies zugrunde gelegt ist hier nicht davon auszugehen, dass die Wettvermittlung der Antragstellerin in unmittelbarer Nähe zu dem Städtischen Stadion an der … … erfolgt. Allein der von dem Antragsgegner zugrunde gelegte und von der Antragstellerin nicht bestrittene Abstand von über 100 Metern zwischen der Wettvermittlungsstelle und dem Stadion begründet weder das Vorliegen einer unmittelbaren Nähe noch lässt er eine solche entfallen. Entscheidend bei der Beurteilung sind vielmehr die konkreten örtlichen Gegebenheiten. Anhand der vorgelegten Unterlagen ist erkennbar, dass zwischen der Wettvermittlungsstelle der Antragstellerin nicht nur zwei mehrspurige Straßen nebst Ampelanlagen liegen, welche für ein Erreichen der Wettvermittlungsstelle vom Stadion aus beide überquert werden müssen, sondern auch eine Straßenbahnstrecke. Diese örtlichen Gegebenheiten bedingen eine dergestaltige räumliche Trennung der Wettvermittlungsstelle von dem Stadion, dass nach summarischer Prüfung nicht mehr von einer unmittelbaren Nähe auszugehen ist.
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Soweit der Antragsgegner die Untersagung mit dem fehlenden Anschluss der Wettvermittlungsstelle an die OASIS-Sperrdatei begründet, wäre milderes Mittel der Erlass einer entsprechenden Nebenbestimmung im Rahmen der Erlaubniserteilung.
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Damit sind die Untersagungsverfügungen in Nrn. 2 bis 2.3 des Bescheides sowie auch die entsprechenden Zwangsgeldandrohungen in Nrn. 3 bis 3.3 des Bescheides voraussichtlich rechtswidrig, sodass auch insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.
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II.Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Ziffern 54.2.1 und 1.7.2 sowie 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.