Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.11.2023 – 8 CE 23.1868
Titel:

Unterlassung der Beseitigung einer Grundstückszufahrt

Normenketten:
VwGO § 123, § 146
BayStrWG Art. 17 Abs. 2, Art. 18, Art. 19 Abs. 1
Leitsätze:
1. Mit der Billigung einer provisorischen Zufahrt übt der Straßenbaulastträger erkennbar kein planerisches Ermessen aus, das ihm bei der Schaffung einer Ersatzzufahrt nach § 17 Abs. 2 S. 1 BayStrWG zusteht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Duldung der Nutzung einer provisorischen Zufahrt kann nicht als konkludente Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach Art. 18 BayStrWG angesehen werden, weil diese als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt einen Antrag voraussetzt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, Straßenanlieger außerhalb der geschlossenen Ortslage, Beseitigung einer provisorischen Grundstückszufahrt an einer Staatsstraße, keine Ersatzzufahrt, keine konkludente Sondernutzungserlaubnis, Antrag, Zweiterschließung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 06.10.2023 – M 28 E 23.4212
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34313

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Eilrechtsschutzverfahren gegen die Schließung einer provisorischen Zufahrt ihres Grundstücks zu einer Staatsstraße.
2
Die Antragsteller sind Eigentümer der Grundstücke FlNr. …1, …6 und …9 Gemarkung B. … Sie führen dort einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das Anwesen liegt außerhalb der geschlossenen Ortslage. Entlang der nördlichen Grenze des Anwesens fließt die L. …; parallel zur Westgrenze verläuft die Staatsstraße (St) 20..., die im Norden an der „S. …brücke“ über die L. … führt. Das Grundstück FlNr. …1 hatte im Nordwesten eine asphaltierte Zufahrt zur St 20..., die im November 2022 im Zuge der Straßenbaumaßnahme „Erneuerung der S. …brücke“ vom Antragsgegner geschlossen wurde. Für die Dauer der Bauarbeiten wurde ca. 60 m südlich der bisherigen Zufahrt eine provisorische Zufahrt zur St 20... aufgeschüttet, die nun geschlossen werden soll. Das Anwesen ist im Südosten über die Kreisstraße … anzufahren.
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Zwei Eilrechtsschutzverfahren der Antragsteller mit dem Ziel, die Unterbrechung ihrer bisherigen nordwestlichen Grundstückszufahrt zur St 20... zu verhindern, blieben erfolglos (vgl. VG München, B.v. 13.7.2022 – M 2 E 21.5421 und B.v. 8.11.2022 – M 28 S7 22.5201; BayVGH, B.v. 29.9.2022 – 8 CE 22.1865 und B.v. 27.1.2023 – 8 CS 22.2500).
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Am 6. August 2022 haben die Antragsteller in der Hauptsache Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (Az. M 28 K 22.3959). Unter dem 19. Mai 2023 haben sie beantragt, den Antragsgegner zu verurteilen, die im November 2022 geschlossene nordwestliche Zufahrt von der St 20... auf das Grundstück FlNr. …1 wiederherzustellen.
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Am 24. August 2023 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gestellt. Sie haben sinngemäß beantragt, es dem Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu untersagen, die derzeit bestehende provisorische Zufahrt vom Grundstück FlNr. …1 zur St 20... zu schließen, hilfsweise, vorläufig festzustellen, dass die ersatzlose Schließung dieser Zufahrt rechtswidrig ist.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 6. Oktober 2023 abgelehnt. Die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Zweiterschließung zur St 20... nicht glaubhaft gemacht. Die Zufahrt zur Kreisstraße … . reiche aus, um ihre Hofstelle zu bewirtschaften. Auch ein Anspruch auf die provisorische Zufahrt stehe ihnen nicht zu. Mit deren Einrichtung durch die Baufirma habe ihnen der Antragsgegner nicht zugesagt, dass diese bis März 2024 zur Verfügung stehe. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet, weil die Schließung der provisorischen Zufahrt rechtmäßig sei.
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Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtschutzbegehren weiter.
8
Das Wenden schwerer Lkw und des Güllefahrzeugs auf dem Hofgrundstück sei ausgeschlossen. Der nördliche Bereich sei durch das Austragshaus, den Obstgarten und die Kläranlage sehr beengt; ein Abriss sei unzumutbar. Die dortige Anlegung einer Wendefläche verstieße gegen Naturschutz- und Wasserrecht. Der landwirtschaftliche Betrieb sei seit Jahrzehnten auf zwei Zufahrten ausgerichtet – mit dem Schwerpunkt zur St 20... – und existenziell auf eine Durchfahrtsmöglichkeit angewiesen. Die Ausfahrt zur … . sei wegen schlechter Sichtverhältnisse, der hohen Geschwindigkeit aus Osten kommender Fahrzeuge und dem Zwang zum Rückwärtsfahren aus der Zufahrt sehr gefährlich. Die Ausfahrt zur St 20... sei – wie ihr Gutachter bestätige – ohne Benutzung der Gegenfahrbahn möglich. Das Vorhaben bedürfe als wesentliche Änderung einer Staats straße der Planfeststellung. Die in Frage kommenden Zufahrtsalternativen seien nicht ausreichend untersucht worden. Wesentliche, von der Planung ausgelöste Probleme – insbesondere die ungelöste Zufahrtssituation ihres Anwesens zur St 20... – seien unbewältigt geblieben. Das Grundstück FlNr. …1 sei durch die Kreisstraße … . weder baurechtlich- noch straßenrechtlich erschlossen; eine dingliche Belastung mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit sei ihnen nicht zumutbar. Der Hilfsantrag sei ebenfalls begründet; sie könnten die vorläufige Feststellung verlangen, dass die Schließung der provisorischen Zufahrt rechtswidrig sei.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2023 zu verpflichten, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen, die derzeit bestehende provisorische Zufahrt vom Grundstück FlNr. …1 zur Staats straße St 20... zu schließen,
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hilfsweise, vorläufig festzustellen, dass die von ihm beabsichtigte ersatzlose Schließung der derzeit bestehenden provisorischen Zufahrt von Grundstück FlNr. …1 zur St 20... rechtswidrig ist.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
14
Die Wendemöglichkeiten seien Gegenstand der erfolglosen Eilverfahren gewesen. Warum ein Wenden im nördlichen Hofteil nicht möglich sein sollte, sei nicht ersichtlich. Die Schließung der provisorischen Zufahrt sei unausweichlich, um eine gemäß den Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS) benötigte Schutzeinrichtung (Leitplanke) anzubringen. Eine Auffahrt aus der provisorischen Zufahrt zur St 20... sei für lange Fahrzeuge ohne Schleppkurve über die Gegenfahrbahn unmöglich. Die Auffahrt auf die … . sei deutlich verkehrssicherer; die Verkehrsstärke betrage dort nur etwa ein Drittel derjenigen auf der St 20....
II.
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A.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge, dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, die provisorische Zufahrt zur St 20... zu schließen bzw. hilfsweise die Rechtswidrigkeit einer Schließung vorläufig festzustellen, zu Recht abgelehnt.
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1. Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO). Sie zeigen nicht auf, aus welchem Rechtsgrund ihnen ein Anspruch auf Beibehaltung der provisorischen Zufahrt zustehen sollte. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt (vgl. BA Rn. 59 ff.).
18
a) Bei der provisorischen Zufahrt handelt es sich nicht um eine Ersatzzufahrt nach Art. 17 Abs. 2 BayStrWG, die die unterbrochene nordwestliche Zufahrt zur St 20... ersetzt.
19
Die provisorische Zufahrt wurde Anfang Dezember 2022 von der Baufirma, die den Straßenbau im Auftrag des Antragsgegners ausführt, ca. 60 m südlich der bisherigen asphaltierten Zufahrt aufgeschüttet. Selbst wenn man diese Maßnahme der schlicht-hoheitlichen Bautätigkeit des Straßenbaulastträgers zurechnet (vgl. dazu allgemein BayVGH, B.v. 11.11.2022 – 8 ZB 22.1469 = juris Rn. 18; B.v. 24.1.2022 – 8 C 21.1411 – juris Rn. 25), wurde damit keine Zufahrt im straßenrechtlichen Sinn geschaffen. Insbesondere liegt keine Ersatzzufahrt im Sinn des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG vor. Für alle Beteiligten war klar, dass nur eine provisorische Zufahrt faktisch gewährt wird, solange die Verkehrsführung über die Behelfsbrücke dies ermöglicht (vgl. auch Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 7.12.2022 im Verfahren Az. 8 CS 22.2500, Gerichtsakte dort S. 22). Mit der Billigung einer solchen provisorischen Zufahrt übt der Baulastträger erkennbar kein planerisches Ermessen aus, das ihm bei der Schaffung einer Ersatzzufahrt nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG zusteht (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2002 – 9 A 3.02 – DVBl 2003, 541 = juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 22.2.2022 – 8 A 20.40006 u.a. – juris Rn. 35, jeweils zu § 8a Abs. 4 Satz 1 FStrG); dies gilt vorliegend umso mehr, als bei den Gesprächen über die Lage einer dauerhaften Ersatzzufahrt zwischen den Beteiligten keine Einigung erzielt werden konnte.
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b) Den Antragstellern wurde auch keine Sondernutzungserlaubnis erteilt.
21
Zufahrten zu Staats- und Kreisstraßen außerhalb der zur Erschließung bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten gelten als Sondernutzungen im Sinn des Art. 18 BayStrWG (Art. 19 Abs. 1 BayStrWG; vgl. bereits BayVGH, B.v. 29.9.2022 – 8 CE 22.1865 – juris Rn. 25). Die Duldung der Nutzung der provisorischen Zufahrt kann nicht als konkludente Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach Art. 18 BayStrWG angesehen werden, weil diese als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt einen Antrag voraussetzt (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2023 – 8 CS 22.2615 – BayVBl 2023, 489 = juris Rn. 20 m.w.N.). Zudem fehlt es aus objektiver Empfängersicht erkennbar an einem darauf gerichteten Bindungswillen des Antragsgegners (vgl. auch BVerwG, U.v. 4.4.2012 – 4 C 8.09 – BVerwGE 142, 234 = juris Rn. 39; B.v. 10.11.2006 – 9 B 17.06 – juris Rn. 4).
22
2. Ob die Antragsteller eine Zweiterschließung ihres Grundstücks zur St 20... beanspruchen können, ist im vorliegenden Verfahren, das ausschließlich die provisorische Zufahrt betrifft (§ 88 VwGO), nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Streitgegenstand nicht demjenigen der abgeschlossenen Eilverfahren betreffend die Schließung der ursprünglichen Zufahrt zur St 20... entspricht (vgl. BA Rn. 23); konsequenterweise hätte es der Ausführungen zur Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf Zweiterschließung (BA Rn. 31 ff.) nicht bedurft.
23
Die Eilverfahren gegen die Schließung der ursprünglichen Zufahrt des Grundstücks FlNr. …1 zur St 20... sind abgeschlossen (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2022 – 8 CE 22.1865 und B.v. 27.1.2023 – 8 CS 22.2500). Damit steht – vorbehaltlich der Entscheidung im Hauptsacheverfahren – fest, dass diese Zufahrt – ohne die Schaffung einer angemessenen Ersatzzufahrt (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG) – unterbrochen werden durfte (vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 75). Soweit die Antragsteller dies angreifen wollen, indem sie erneut umfänglich zu verschiedenen Aspekten vortragen (Wendemöglichkeit, Zumutbarkeit einer Umorganisation, Verkehrssicherheit, Abwägung, etc.), geht dies hier ins Leere; dieses Vorbringen ist im Hauptsacheverfahren betreffend die Schließung der bisherigen nordwestlichen Zufahrt zu würdigen.
24
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
25
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 45 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG unter Anwendung von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
26
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).