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VGH München, Beschluss v. 26.10.2023 – 6 ZB 23.30778
Titel:

zur Rückführung eines Kindes ohne Schutzberechtigung gemeinsam mit seinen schutzberechtigten Eltern

Normenketten:
AsylG § 34 Abs. 1
Qualifikations-RL Art. 24
Leitsatz:
Die fehlende Übernahmebereitschaft des Staates, in den abgeschoben werden soll, begründet kein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Italien, Abchiebungsandrohung, Zielstaat, Aufenthaltstitel, Rückführung anerkannter Schutzberechtigter
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 28.07.2023 – RN 14 K 22.30117
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34309

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
II. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. Juli 2023 – RN 14 K 22.30117 – wird abgelehnt.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen – bereits – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
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2. Der Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist bereits nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
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Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwerfen, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Regelungen sachgerechter Gesetzesinterpretation auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 8.12.2022 – 2 B 19.22 – juris Rn. 5 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsschrift nicht.
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a) Die Klägerin wirft als grundsätzlich bedeutsam zunächst die Frage auf, „ob einem in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kind, dessen Eltern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Italien) der internationale Schutzstatus zugesprochen wurde und denen daher die Abschiebung in diesen Mitgliedstaat angedroht worden ist, ebenfalls die Abschiebung in diesen Mitgliedstaat angedroht werden darf, obwohl dem Kind selbst kein Schutzstatus von diesem Mitgliedstaat zuerkannt worden ist und das Kind auch keine Aufenthaltserlaubnis für diesen Mitgliedstaat besitzt“. Die Klägerin, welche kein Aufenthaltsrecht in Italien besitze, dürfe nicht dort einreisen. Italien sei auch nicht verpflichtet, der Klägerin die Einreise zu erlauben.
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Hiermit wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich vielmehr auf Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen beantworten, ohne dass es eines Berufungsverfahrens bedarf. Nach dem klaren gesetzlichen Wortlaut des § 34 AsylG muss das Bundesamt bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Abschiebungsandrohung erlassen. Es gibt kein Ermessen. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass das Bundesamt in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bezeichnen darf, für den aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, wenn für ihn keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – juris Rn. 4 a.E.). Anders als für den Erlass einer Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist es damit für die Abschiebungsandrohung nicht erforderlich, dass die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in den genannten Staat im Zeitpunkt ihres Erlasses feststeht. Eine – von der Klägerin unterstellte – fehlende Übernahmebereitschaft des Staates, in den abgeschoben werden soll, begründet kein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot. Ist eine Abschiebung in den bezeichneten Staat im Einzelfall deshalb aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht sofort möglich, besteht zwar ein Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wird jedoch vom Bestehen eines Duldungsanspruchs – anders als eine Abschiebungsanordnung – nicht berührt (vgl. SächsOVG, U.v. 15.3.2022 – 4 A 506/19 – juris Rn. 65 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.10.2023 – 24 B 23.30525; Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK, AuslR, Stand: 1.1.2023, § 34 AsylG, Rn. 31). Eine Abschiebungsandrohung ist nur dann rechtswidrig und daher aufzuheben, wenn eine zwangsweise Abschiebung und freiwillige Rückkehr in den bezeichneten Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13). Davon ist das Verwaltungsgericht aber hier ausdrücklich nicht ausgegangen. Es hat vielmehr festgestellt, dass Italien gemäß Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet sei, der Klägerin einen Aufenthaltstitel zu erteilen (S. 29 UA). Soweit die Zulassungsschrift diese rechtliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts angreift, werden damit lediglich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend gemacht, die aber in der abschließenden Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG als Zulassungsgrund nicht vorgesehen sind.
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b) Keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung für das vorliegende Verfahren haben auch die weiteren mit dem Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen, „ob die Rückführung anerkannt Schutzberechtigter, welche der vulnerablen Personengruppe zugehören, nach Italien derzeit im Widerspruch zu Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK steht, bzw. ob sich in Italien anerkannt Schutzberechtigte, welche der vulnerablen Personengruppe zugehören, bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Italien unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, sodass ihnen eine Verletzung des Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK droht, bzw. ob die Rückführung anerkannt Schutzberechtigter, welche der vulnerablen Personengruppe zugehören und welche in Italien einen Unterbringungsanspruch verloren haben, nach Italien derzeit im Widerspruch zu Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK steht, bzw. ob die Rückführung einer alleinerziehenden Mutter mitsamt vier minderjährigen Kindern, welchen in Italien der internationale Schutzstatus zuerkannt worden ist, nach Italien derzeit im Widerspruch zu Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK steht, bzw. ob die Rückführung einer alleinerziehenden Mutter mitsamt vier minderjährigen Kindern, welchen in Italien der internationale Schutzstatus zuerkannt worden ist und welche in Italien den Unterbringungsanspruch verloren haben, nach Italien derzeit im Widerspruch zu Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK steht“. Diese Fragen beziehen sich sämtlich auf die Möglichkeit der Rückführung von in Italien anerkannten Schutzberechtigten, zu denen die Klägerin aber nicht gehört.
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Im Übrigen rechtfertigt dieses Zulassungsvorbringen auch deswegen nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil das Vorliegen von Abschiebungsverboten in der Regel nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festgestellt werden und daher nicht Gegenstand einer Grundsatzrüge sein kann (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2023 – 6 ZB 22.31294 – Rn. 4; B.v. 30.7.2019 – 6 ZB 19.32764 – Rn. 3; B.v. 22.1.2020 – 3 ZB 20.30222 – Rn. 6; B.v. 12.4.2019 – 10 ZB 18.33332 – Rn. 10). Der Sache nach macht die Zulassungsschrift lediglich im Gewande der Grundsatzrüge ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Italien durch das Verwaltungsgericht geltend. Dies stellt allerdings keinen Zulassungsgrund im Sinn des § 78 Abs. 3 AsylG dar.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).