Titel:
Eilantrag gegen die Ruhestandsversetzung, hier Begehren nach vollem Besoldungsanspruch
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BayBG § 66 Abs. 2 S. 3
BeamtStG § 26
Leitsatz:
Ein Rechtsbehelf gegen die Ruhestandsversetzung hat zwar aufschiebende Wirkung, lässt allerdings grundsätzlich nicht auch den vollen Besoldungsanspruch wieder aufleben, es sei denn, die Ruhestandsversetzung ist ersichtlich rechtsmissbräuchlich oder dient nur dem Zweck, die Rechtsfolge der Besoldungskürzung eintreten zu lassen, oder wenn die Annahme der Dienstunfähigkeit "aus der Luft gegriffen" erscheint (stRspr VGH München BeckRS 2017, 102563). (Rn. 6 und 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamtenrecht, Lehrerin im Mittelschuldienst (BesGr A 12), Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, Einbehaltung von Bezügen, Anordnungsanspruch, voller Besoldungsanspruch
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 10.10.2023 – RO 1 E 23.1414
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34298
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 13.144,26 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, den Antragsgegner nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, ihr die ungekürzten Besoldungsbezüge aus der Besoldungsgruppe A 12 weiterzuzahlen, zu Recht abgelehnt.
2
Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint, denn die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr durch den streitgegenständlichen Einbehalt ein wesentlicher Nachteil drohe. Es könne dahinstehen, ob ein Anordnungsanspruch auf Auszahlung der aufgrund ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit (§ 26 BeamtStG, vgl. Bescheid der Regierung der Oberpfalz v. 4.7.2023) gemäß Art. 66 Abs. 2 Satz 3 BayBG einbehaltenen, das Ruhegehalt übersteigenden Dienstbezüge glaubhaft gemacht sei.
3
Demgegenüber bringt die Antragstellerin mit der Beschwerde vor, das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung über den Anordnungsanspruch wegen des bestehenden funktionalen Zusammenhangs mit dem Anordnungsgrund nicht offenlassen dürfen. Bei seiner Ermittlung seien auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache einzubeziehen. Das Bundesverfassungsgericht (B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris Rn. 28 f.) habe betont, dass die Bejahung eines Anordnungsanspruchs für die Prüfung des Anordnungsgrundes in weitem Umfang vorgreiflich sei. Die Antragstellerin sei nicht dauernd dienstunfähig, weil sie an der Erfüllung ihrer Dienstpflichten nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei. Vielmehr würden andere, nicht in § 26 Abs. 1 BeamtStG genannte fachliche Eignungsmängel vom Antragsgegner behauptet. Die Annahme der Dienstunfähigkeit sei aus der Luft gegriffen und diene nur dem Zweck, die Besoldungskürzung eintreten zu lassen.
4
1. Der behauptete Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Der entsprechende Vortrag der Antragstellerin (vgl. Antragsschrift zum Verwaltungsgericht v. 7.8.2023, S. 5-10 sowie Ergänzung v. 18.8.2023), mit dem die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ruhestandsversetzung begründet werden soll, führt nicht zum Erfolg des Antrags auf einstweilige Anordnung.
5
1.1 Grundsätzlich gilt, dass die Einbehaltung der das Ruhegehalt zuzüglich des Unterschiedsbetrags nach Art. 69 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG übersteigenden Besoldung (mit Ausnahme der vermögenswirksamen Leistungen) mit Ende des Monats, in dem die Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand zugestellt wird, bis zu deren Unanfechtbarkeit eine gesetzliche Folge der Anfechtung der Ruhestandsversetzung ist (Art. 66 Abs. 2 Satz 3 BayBG). Wird die Versetzung in den Ruhestand unanfechtbar aufgehoben, sind die einbehaltenen Dienstbezüge nachzuzahlen (Art. 66 Abs. 2 Satz 4 BayBG). Den Nachteil, dass dem Beamten der ggf. nachzuzahlende Betrag nicht zeitgerecht zur Verfügung steht, mutet ihm das Gesetz also grundsätzlich zu. Sinn dieser Regelung, mit der die versorgungsrechtlichen Auswirkungen einer Zurruhesetzung vorweggenommen werden, ist es, dem Beamten die Möglichkeit zu nehmen, durch Erhebung von Rechtsmitteln gegen die Ruhestandsversetzung einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, der ihn erst zur Ergreifung von Rechtsmitteln ermutigt (BayVGH, B.v. 22.5.2015 – 3 CE 15.520 – juris Rn. 25).
6
Nach der Gesetzesregelung hat ein Rechtsbehelf gegen die Ruhestandsversetzung zwar aufschiebende Wirkung. Wegen der unmittelbar aus dem Gesetz folgenden besoldungsrechtlichen Regelung des Einbehalts in Art. 66 Abs. 2 Satz 3 BayBG lässt ein Rechtsbehelf gegen die Ruhestandsversetzung (hier: Klageverfahren RO 1 K 23.1323) jedoch nicht auch den vollen Besoldungsanspruch wieder aufleben. Aus der vom Gesetzgeber in Art. 66 Abs. 2 Satz 3 BayBG getroffenen Grundsatzentscheidung folgt, dass die etwaige bloße Rechtsfehlerhaftigkeit einer Ruhestandsversetzung, die zu deren Aufhebung führt, für die Begründung des Anordnungsanspruchs nicht ausreicht, denn für diesen Fall hat der Gesetzgeber die Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge gemäß Art. 66 Abs. 2 Satz 4 BayBG vorgeschrieben. Allenfalls in Ausnahmefällen, etwa wenn die Ruhestandsversetzung ersichtlich rechtsmissbräuchlich ist oder nur dem Zweck dient, die Rechtsfolge der Besoldungskürzung eintreten zu lassen, oder wenn die Annahme der Dienstunfähigkeit „aus der Luft gegriffen“ erscheint, kann deshalb ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Auszahlung der ungekürzten Bezüge bestehen (stRspr BayVGH, B.v. 27.1.2017 – 3 CE 16.2155 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 22.5.2015 a.a.O. Rn. 28; OVG NW, B.v. 17.4.2013 – 1 B 1282/12 – juris Rn. 5).
7
1.2 Die von der Antragstellerin innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine andere Entscheidung als die Ablehnung des Antrags. Es liegt keiner der dargestellten Ausnahmefälle vor. Insbesondere kann die Feststellung der Dienstunfähigkeit mit der Folge der Ruhestandsversetzung nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
8
Der Senat vermag im Rahmen der erforderlichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung nicht zu erkennen, dass die in der Hauptsache angefochtene Ruhestandsversetzung in eine der zuvor genannten Kategorien fällt und damit rechtswidrig sein könnte. Mit ihr hat der Antragsgegner auf eine weitgehende Unfähigkeit der Antragstellerin zur Abhaltung eines geordneten Schulunterrichts reagiert, die sich aus den Feststellungen des staatlichen Schulamts vom 24. Mai 2023 ergibt, auf die der Senat Bezug nimmt. Die dortigen Feststellungen fasst der Antragsgegner (Schreiben an Antragstellerin v. 24.5.2023) dahingehend zusammen, sie sei aufgrund ihrer „geistig-seelischen Verfassung …offensichtlich nicht mehr in der Lage, Unterricht im heutigen Schulwesen zu erteilen“. Für Lehrer ist der amtsbezogene Leistungsmaßstab dem Verfassungsauftrag des Art. 131 BV und dem allgemeinen Bildungsauftrag des Art. 2 BayEUG zu entnehmen. Eine Lehrerin, die keinen geordneten Unterricht mehr abzuhalten in der Lage ist, ist dienstunfähig, und zwar unabhängig davon, ob die Dienstunfähigkeit ihren Grund in einem durch den Gesundheitszustand verursachten fachlichen Unvermögen hat oder auf anderen Gründen beruht, etwa auf der mangelnden Fähigkeit, ein Mindestmaß an Disziplin im Unterricht durchzusetzen (Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juli 2023, § 26 BeamtStG Rn. 17). Maßgebend ist, ob die Beamtin aufgrund der gesamten Konstitution und ihres Verhaltens, ohne dass eine Erkrankung im engeren Sinne vorliegen muss, zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig ist (NdsOVG, B.v. 1.3.2013 – 5 LB 79/11 – juris Rn. 29; B.v. 6.9.2007 – 5 ME 236/07 – juris Rn 16; VGH BW, B.v. 3.2.2005 – 4 S 2398/04 – juris Rn 8). Unter die Begriffe „körperlicher Zustand“ und „gesundheitliche Gründe“ im Sinne des § 26 BeamtStG fällt auch die Kategorie der sonstigen Reduzierung der Kräfte. Dies sind Fallkonstellationen, bei denen eine akute physische oder psychische Erkrankung nicht festgestellt werden kann, aber der Allgemeinzustand in einer Weise von der Norm abweicht, die eine Erfüllung der Dienstaufgaben nicht mehr gewährleistet (Baßlsperger a.a.O Rn. 21 m.w.N.).
9
Vor diesem Hintergrund erscheint es ausgeschlossen, die Ruhestandsversetzung mit der Begründung als (ausnahmsweise) rechtsmissbräuchlich anzusehen, die Dienstunfähigkeit sei „aus der Luft gegriffen“. Die Versetzung in den Ruhestand dient in erster Linie dem Zweck, die betroffenen Schüler davor zu schützen, von einer zumindest pädagogisch nicht mehr leistungsfähigen Lehrerin in chaotischen Verhältnissen „unterrichtet“ zu werden. Die mit diesem Vorgehen einhergehende Kürzung der Bezüge der Antragstellerin ist nicht das Ziel der Ruhestandsversetzung, sondern deren gesetzliche Folge.
10
2. Liegt aber bereits ein Anordnungsanspruch nicht vor, kann offenbleiben, ob etwa ein Anordnungsgrund bejaht werden könnte, wenn man das von der Beschwerdebegründung ins Spiel gebrachte, sich aus dem funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Voraussetzungen ergebende Kompensationsmodell (ablehnend: Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: März 2023, § 123 Rn. 83, 83a m.w.N. aus der Rspr) heranziehen wollte.
11
Eine einstweilige Regelung zugunsten der Antragstellerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache wäre auch nicht deswegen geboten, um zu verhindern, dass sie wegen des laufenden Einbehalts der das Ruhegehalt übersteigenden Dienstbezüge in eine wirtschaftliche Notlage geraten könnte. Auch nach der Kürzung ihrer Bezüge um monatlich etwa 2.190 Euro (brutto) verbleiben ihr etwa 2.900 Euro (brutto), weshalb eine Gefährdung des Existenzminimums ausscheidet. Entsprechendes wird auch gar nicht behauptet. Nachweise zum Bestand bestimmter, über das normale Maß hinausgehender Verbindlichkeiten liegen nicht vor. Sollten die laufenden Ausgaben der Antragstellerin die Ruhestandsbezüge übersteigen, muss sie entsprechende Einsparmöglichkeiten wahrnehmen.
12
Im Übrigen liegt eine unbillige Härte nicht generell darin, dass der ggf. nachzuzahlende Betrag nicht zeitgerecht zur Verfügung steht. Denn das Gesetz erlegt dem Beamten auf, dass ihm bis zur Unanfechtbarkeit der Ruhestandsversetzung der (ggf. nachzuzahlende) Differenzbetrag nicht ausgezahlt wird.
13
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
14
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und entspricht derjenigen des Verwaltungsgerichts (13.144,26 Euro). Zur Begründung kann daher auf die dortige Berechnung Bezug genommen werden (UA S.12, 4.; BayVGH, B.v. 27.1.2017 a.a.O. Rn. 10).
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).