Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.10.2023 – 24 ZB 23.1329, 24 ZB 23.1330
Titel:

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung: Widerruf von Waffenbesitzkarten sowie Ungültigerklärung und Einziehung eines Jagdscheins

Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 2
WaffG § 5 Abs. 2, § 45 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei einer Klage gegen einen Verwaltungsakt, der schon wegen des gemeinsamen Zuverlässigkeitsbegriffs einheitliche Sachfragen des Waffen- und Jagdrechts regelt, wird es im Regelfall prozessökonomisch sinnvoll sein, das Verfahren nicht in mehrere Verfahren zu trennen, sondern unter einem Aktenzeichen zu führen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gem § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Freiheit ist nur dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Dass ein Beteiligter den Sachverhalt anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht, reicht hierfür nicht aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Objektive Klagehäufung, Trennung und Verbindung von Verfahren, Widerruf der Waffenbesitzkarte, Unzuverlässigkeit, Aufbewahrung einer Waffe in einem Fahrzeug mit defektem Schließmechanismus.
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 02.05.2023 – AN 16 K 22.2177
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34295

Tenor

I. Die Verfahren 24 ZB 23.1329 und 24 ZB 23.1330 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2. Mai 2023 – AN 16 K 22.02177/AN 16 K 22.02188 – werden abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten der Zulassungsverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird vor der Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung im Verfahren 24 ZB 23.1329 auf 7.250,00 Euro und im Verfahren 24 ZB 23.1330 auf 8.000,00 Euro und nach der Verbindung auf insgesamt 15.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarten (Nr. … und ….) und die Ungültigerklärung und Einziehung seines noch bis 31. März 2025 gültigen Jagdscheins (Nr. ….).
2
Am 29. November 2021 gegen 12:00 Uhr stellten drei Beamte der Bundespolizei fest, dass sich in dem auf die Ehefrau des Klägers zugelassenen Pkw, der auf dem Parkplatz am Bahnhof in W. … unverschlossen abgestellt war, im doppelten Kofferraumboden eine Langwaffe des Klägers in einem Futteral (Marke Blaser, Seriennr. …) sowie fünf Schuss Munition der Firma Geco befanden. Aufgrund des im Wagen hinterlegten, bis zum Folgetag um 10:30 Uhr gelösten Parktickets und der Unerreichbarkeit des Klägers stellte die Polizei die Waffe samt Munition sicher. Das diesbezüglich eingeleitete Strafverfahren stellte das Amtsgericht W. … mit Beschluss vom 6. Juli 2022 gemäß § 153a Abs. 2 StPO ein.
3
Nach Anhörung widerrief das Landratsamt Ansbach (im Folgenden: Landratsamt) mit Bescheid vom 26. September 2022 die Waffenbesitzkarten des Klägers (Nr. 3), erklärte den Jagdschein für ungültig und zog ihn ein (Nr. 1) und traf verschiedene Nebenanordnungen. Der Kläger sei waffenrechtlich unzuverlässig, da er die Jagdwaffe in dem unversperrten Kraftfahrzeug nicht ordnungsgemäß verwahrt habe. Damit lägen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigten, dass er Waffen oder Munition nicht sorgfältig verwahren werde.
4
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 2. Mai 2023 abgewiesen. Der Kläger sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG unzuverlässig. Er habe sich nach seinen eigenen Angaben von dem Fahrzeug entfernt, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass es Probleme mit der Verriegelung des Fahrzeugs gegeben habe und es nicht sicher gewesen sei, ob das Fahrzeug abgeschlossen sei. Dies sei mit den jagd- bzw. waffenrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seinen Anträgen auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf. Der Sachverhalt stelle sich nicht so dar, wie vom Verwaltungsgericht angenommen. Er sei nach W. … gefahren, um dort Munition für eine Jagd am Nachmittag im V. … Forst zu kaufen. Dort habe er festgestellt, dass der Funkschlüssel für das Auto nicht ordnungsgemäß funktionierte. Er habe in der Stadt eine neue Batterie für den Funkschlüssel kaufen wollen und deshalb ein Parkticket gelöst. Versehentlich habe er eines gewählt, das nicht nur für eine Stunde, sondern für den ganzen Tag gültig gewesen sei. Er habe mittels des vorhandenen Notschlüssels – nach einigen Fehlversuchen – das Fahrzeug verschließen können. Nachdem er keine Batterie gefunden habe, sei er in der Annahme, das Fahrzeug sei weiterhin verschlossen, zwischen 12:30 Uhr und 13:00 Uhr zum Mittagessen gegangen. Dabei habe ihn ein Anruf seiner Frau erreicht, dass die Waffe und die Munition von der Polizei sichergestellt worden seien, da das Fahrzeug offenbar doch nicht verschlossen gewesen war. Daraufhin sei er mit dem Zug nach D. … gefahren. Dieses Geschehen rechtfertige nicht die Prognose, dass er sich in Zukunft nicht an die waffenrechtlichen Vorschriften halten werde und deshalb unzuverlässig sei.
6
Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Es sei schon fraglich, ob die Fahrt am Vormittag vom Wohnort des Klägers in N. … nach W. … zum Einkauf von Munition in direktem Zusammenhang mit der geplanten Jagd im V. … Forst am Nachmittag stehe und die Waffe dabei überhaupt mitgeführt werden durfte und ob das Verlassen des Fahrzeugs für mehrere Stunden zum Kauf einer Batterie und zum Mittagessen noch kurzfristig i.S.d. Verwaltungsvorschriften gewesen sei. Jedenfalls habe der Kläger das Fahrzeug verlassen, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass der Schließmechanismus nur nach dem Zufallsprinzip funktioniert habe, wobei auch seine diesbezügliche Schilderung nicht schlüssig sei. Das führe zu seiner Unzuverlässigkeit.
7
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
I.
8
Die durch die beiden wortgleichen Schriftsätze eingeleiteten Berufungszulassungsverfahren waren zur gemeinsamen Entscheidung nach § 93 VwGO zu verbinden, da der Kläger seine Ansprüche gegen die verschiedenen Teile des streitgegenständlichen Bescheids ursprünglich ohnehin gemäß § 44 VwGO in Form einer zulässigen objektiven Klagehäufung verfolgt hat, die durch das Verwaltungsgericht getrennt worden sind.
9
Der Senat weist darauf hin, dass es bei einer Klage gegen einen Verwaltungsakt, der schon wegen des gemeinsamen Zuverlässigkeitsbegriffs einheitliche Sachfragen des Waffen- und Jagdrechts regelt, im Regelfall prozessökonomisch sinnvoll sein wird, das Verfahren nicht in mehrere Verfahren zu trennen, sondern unter einem Aktenzeichen zu führen. Es besteht regelmäßig kein Grund, eine einheitlich erhobene Klage (zudem auch noch ohne Anhörung des Klägers und ohne förmlichen Beschluss nach § 93 VwGO, vgl. hierzu Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 4, 8) in mehrere Verfahren aufzuspalten, dabei die Möglichkeit von Mehrkosten in Kauf zu nehmen (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 11.2.2010 – 9 KSt 3.10 – juris Rn. 3), sodann diese Trennung in der mündlichen Verhandlung durch Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung wieder teilweise rückgängig zu machen und schließlich (abermals ohne einen notwendigen Beschluss nach § 93 Satz 1 VwGO) nur eine einzige Entscheidung unter zwei erstinstanzlichen Aktenzeichen abzusetzen.
II.
10
Die zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) nicht.
11
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Solche Zweifel können der Antragsbegründung nicht entnommen werden.
12
Soweit der Kläger die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts kritisiert und zahlreiche Beweismittel anführt, kann er damit nicht durchdringen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Freiheit ist nur dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Dass ein Beteiligter den Sachverhalt anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht, reicht hierfür nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 10 ZB 21.3251 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 10 ZB 17.1743 – juris Rn. 5). Der Kläger hat eine Überschreitung der Grenzen der richterlichen Überzeugungsbildung nicht i.S.v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, sondern stellt nur seine Auffassung der Auffassung des Verwaltungsgerichts entgegen.
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Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass der Vortrag des Klägers insgesamt nicht stimmig ist und deshalb keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der verwaltungsgerichtlichen tatsächlichen Feststellungen bestehen. Es ist nicht nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen er einen Umweg von ca. 180 Kilometer gewählt hat, um noch lange vor der Öffnungszeit des Waffengeschäfts in W. … einzutreffen, obwohl er erst am Nachmittag zu einer Jagd im V. … Forst eingeladen gewesen ist und ohne großen Umweg von seinem Wohnort auf dem direkten Weg dorthin ein Waffengeschäft der gleichen Firma in N. … zum Munitionskauf hätte aufsuchen können. Die Fahrt nach W. … stand daher wohl nicht im Zusammenhang mit der Jagd am Nachmittag. Nachdem das Waffengeschäft auch ab 10 Uhr geöffnet hatte, ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger dann nicht direkt dorthin gefahren ist und unter Mitnahme seines Gewehrs dort Munition erworben hat, sondern am Bahnhof ein Parkticket gelöst und stundenlang sein Fahrzeug verlassen hat ohne Munition zu kaufen, obwohl im bewusst war, dass es Probleme mit dem Funkschlüssel gab.
14
Darüber hinaus kann der Kläger die rechtliche Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei nach den waffenrechtlichen Vorschriften verpflichtet gewesen, das Fahrzeug mit der darin befindlichen Waffe überhaupt nicht länger zu verlassen, nachdem ihm bewusst geworden sei, dass der Schließmechanismus manchmal nicht richtig funktionierte, nicht in Zweifel ziehen. Damit setzt sich die Antragsschrift nicht hinreichend auseinander, sondern behauptet nur, der Kläger sei der Auffassung gewesen, das Fahrzeug sei ordnungsgemäß verschlossen gewesen und es könne von einem Waffenbesitzer nicht erwartet werden, dass er sofort nach Hause oder in eine Werkstatt fahre, wenn Probleme mit dem Schließmechanismus des Fahrzeugs bekannt würden. Damit werden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts dargelegt, denn das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass einen Waffenbesitzer erhöhte Sorgfaltsanforderungen treffen, wenn er Waffen in seinem Fahrzeug transportiert und dann feststellt, dass der Schließmechanismus nicht korrekt funktioniert.
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Soweit der Kläger verschiedene Sachverhaltsgestaltungen aufführt, bei denen es auch zu einem unbeabsichtigten Offenlassen des Fahrzeugs kommen kann, z.B. versehentliches Betätigen des Funkschlüssels, ist nicht ersichtlich, welchen Zusammenhang solche Geschehensabläufe mit dem vorliegenden Verfahren haben. Unstreitig war dem Kläger bekannt, dass der Funkschlüssel nicht ordnungsgemäß funktionierte. Es hätte daher ihm oblegen, dafür Sorge zu tragen, dass das Fahrzeug mit der darin befindlichen Waffe ordnungsgemäß verschlossen ist. Stattdessen hat er offensichtlich lange, aber erfolglos nach einer Batterie für den Funkschlüssel gesucht und ist dann auch noch zum Mittagessen gegangen ist, ohne zumindest vorher zu dem Fahrzeug zurückzukehren und sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 37; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht substantiiert aufgezeigt und liegen auch nicht vor.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nrn. 20.3 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt als Anhang in Eyermann, VwGO) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).