Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Standortbescheinigung für ortsfeste Funkanlage
Normenketten:
VwVfG § 35
26. BImSchV § 2
BEMFV § 3, § 5
Leitsatz:
Die Standortbescheinigung dient dazu, die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte sicherzustellen und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs gegenüber dem Antragsteller. Eine darüberhinausgehende regelnde Wirkung gegenüber der Allgemeinheit, etwa die Festlegung einer Gefahrenzone, hat die Standortbescheinigung nicht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Standortbescheinigung für ortsfeste Funkanlage, Verwaltungsakt, Grenzwerte der 26. BImSchV, Sicherheitsabstand, öffentliche Bekanntgabe, Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkstrahlen
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 27.06.2023 – W 4 K 22.1840
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34291
Tenor
I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. Juni 2023 – W 4 K 22.1840 – wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Standortbescheinigung vom 11. August 2021 weiter. Mit dieser Bescheinigung stellte die Beklagte fest, dass die Grenzwerte nach § 3 BEMFV bei Sicherheitsabständen vom Standort der Funkanlage von 19,61 m in Hauptstrahlrichtung und 5,72 m vertikal bei einer Montagehöhe der Bezugsantenne über Grund von 31,60 m eingehalten sind.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. Juni 2023 bleibt ohne Erfolg. Das Vorbringen der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags genügt teilweise bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, jedenfalls liegt kein Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO vor.
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1. Die Kläger benennen keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO angeführten Zulassungsgründe ausdrücklich. Da sich die Kläger in der Antragsbegründung gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung wenden, lässt sich ihr Vorbringen dahingehend verstehen, dass sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 27. Juni 2023 im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend machen wollen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.). „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird. Eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Mit bloßer Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens wird dem Gebot der Darlegung im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenso wenig genügt wie mit der schlichten Darstellung der eigenen Rechtsauffassung (BayVGH, B.v. 17.8.2023 – 22 ZB 23.1009 – juris Rn. 11; B.v. 27.2.2023 – 22 ZB 22.2554 – juris Rn. 10; B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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Aus den Darlegungen in der Begründung des Zulassungsantrags ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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1.1 Soweit die Kläger vorbringen, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Klagebefugnis fehlerhaft seien, ziehen sie die Richtigkeit des Urteils nicht in Zweifel, weil das Verwaltungsgericht die Klageabweisung nicht entscheidungstragend auf die Unzulässigkeit der Klage gestützt hat, sondern die Klage als unbegründet abgewiesen hat („jedenfalls in der Sache unbegründet“).
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1.2 Zur Frage der Rechtsnatur der Standortbescheinigung hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Klagebegründung in der ersten Instanz ausgeführt, dass der Einstufung der Standortbescheinigung als Allgemeinverfügung entgegenstehe, dass sie keine Regelung gegenüber mehreren Personen treffe, sie stelle eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und habe die Funktion einer Betriebsfreigabe. Es handle sich um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Die Standortbescheinigung werde – anders als dies bei einer Allgemeinverfügung der Fall sei – demjenigen erteilt, der sie beantragt habe. Zum Beleg für seine Rechtsauffassung hat sich das Verwaltungsgericht auf obergerichtliche Rechtsprechung bezogen. Eine öffentliche Bekanntgabe sei nicht erforderlich, zumal nach dem eindeutigen Wortlaut des § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG auch bei Vorliegen einer Allgemeinverfügung keine Pflicht zu einer solchen bestehe.
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Diesbezüglich bringen die Kläger vor, dass die Standortbescheinigung für die Allgemeinheit die Abgrenzung zwischen Gefahren- und Sicherheitszone im Versorgungsbereich der Funkanlage regle. Es handle sich daher um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richte. Deshalb habe der Einzelne einen Anspruch auf öffentliche Bekanntgabe des Sicherheitsabstands nach § 41 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 VwVfG.
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Ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus diesem Vorbringen nicht. Die Rechtsqualität der Standortbescheinigung als Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG wird dadurch nicht in Frage gestellt. Gegenstand dieser Bescheinigung ist die Feststellung, dass bei Einhaltung des definierten standortbezogenen Sicherheitsabstands der Schutz von Personen vor elektromagnetischen Feldern, die infolge des innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Leistungsspektrums beantragten und im Übrigen gesetzlich vorgegebenen Betriebs der Anlage entstehen, in ausreichendem Maß gewährleistet ist, so dass ein Betrieb in diesem Umfang zulässig ist (BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 22 CS 21.2284 – juris Rn. 29). Die Standortbescheinigung dient dazu, die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte sicherzustellen (BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – BayVBl 2004, 660) und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs gegenüber dem Antragsteller. Eine darüberhinausgehende regelnde Wirkung gegenüber der Allgemeinheit, etwa die Festlegung einer Gefahrenzone – wie die Kläger meinen –, hat die Standortbescheinigung nicht. Liegt der in der Standortbescheinigung festgelegte standortbezogene Sicherheitsabstand nicht im vom Anlagenbetreiber kontrollierbaren Bereich, darf die Funkanlage nicht in Betrieb gehen. Gegenüber der Allgemeinheit wird keine Regelung getroffen.
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Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur öffentlichen Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung, insbesondere damit, dass § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG keine Pflicht zur öffentlichen Bekanntgabe vorsieht, setzen sich die Kläger im Zulassungsvorbringen nicht auseinander, so dass es insoweit an der Darlegung ernstlicher Richtigkeitszweifel fehlt.
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1.3 Aus den erstmals im Zulassungsverfahren vorgebrachten Erwägungen zu einer ausreichenden Verordnungsermächtigung für die 26. BImSchV ergeben sich ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Kläger verkennen schon, dass die 26. BImSchV, aus deren Anhang 1 sich die Grenzwerte für elektromagnetische Felder von Funkanlagen ergeben, auf § 23 BImSchG beruht. Die Ausführungen zur fehlenden Rechtsgrundlage aufgrund des Außerkrafttretens von § 12 FTEG gehen daher insoweit an der Sache vorbei. Dazu, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 3 BEMFV, die der Berechnung des standortbezogenen Sicherheitsabstands zugrunde liegen, nach dem Außerkrafttreten von § 12 FTEG noch wirksam sind und fortgelten, hat sich der Senat grundlegend im Beschluss vom 8. Dezember 2021 – 22 CS 21.2284 – juris Rn. 34 ff. geäußert. Dieser Rechtsauffassung hat sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angeschlossen (B.v. 16.9.2022 – 10 S 2420/21 – juris Rn. 18).
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1.4 Zu den sich aus der 26. BImSchV ergebenden Grenzwerten hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass die einschlägigen Grenzwerte weiterhin Geltung beanspruchten. Dem Gesetzgeber komme bei Erfüllung seiner staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gerade vor dem Hintergrund laufender wissenschaftlicher Erkenntnisse ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Infolgedessen könne eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht erst angenommen werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen habe oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne eine Verletzung der Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers erst festgestellt werden, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse rechtlich untragbar geworden sei. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs gehe die Kammer in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass die im Rahmen der Novellierung der 26. BImSchV festgesetzten Grenzwerte nicht evident untragbar geworden seien. Der Vortrag der Kläger zu den athermischen Effekten sei nicht ausreichend. Selbst wenn sich aus der „Mäusestudie“, der „STOA-Studie“ oder der „Schweizer Studienreview“ Anhaltspunkte dafür ableiten ließen, dass über den derzeitigen Sicherheitsabstand hinaus konkrete Gefahren für die menschliche Gesundheit durch den streitgegenständlichen Anlagentyp bestehen könnten, reiche dies nicht aus, um schon von einer für die Annahme einer Verletzung der staatlichen Schutzpflicht erforderlichen evidenten Missachtung verlässlicher gesicherter Erkenntnisse durch die Beklagte zu sprechen. Die zitierten Studien, Warnhinweise und Stellungnahmen rechtfertigten allenfalls die Annahme, dass derzeit keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die seitens der Kläger ins Feld geführten gesundheitlichen Auswirkungen vorlägen. Das Bestehen offener und gegebenenfalls klärungsbedürftiger Fragen genüge nicht. Im Übrigen begleite die Beklagte die Forschung zu gesundheitlichen Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern aktiv und werte sie stetig aus. Sie negiere auch nicht die athermischen Effekte elektromagnetischer Strahlung und etwaige gesundheitliche Auswirkungen. Aber selbst wenn die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte zu hoch angesetzt seien, würde aufgrund des Abstands des klägerischen Grundstücks zur Funkanlage von 230 m keine Rechtsverletzung der Kläger folgen.
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Demgegenüber verweisen die Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags auf weitere Studien, wonach die Berechnung des Sicherheitsabstands lediglich aufgrund der thermischen Kurzzeitwirkung von Mobilfunkstrahlen der fachlichen Feststellung, wonach Mobilfunkstrahlung Krebs schneller wachsen lasse, nicht mehr gerecht werde. Die Überzeugung des Gesetzgebers, dass die Datenlage für die verlässliche Risikoabschätzung noch zu dürftig sei, werde der Vorsorge für die Volksgesundheit nicht gerecht. Das BfS warne ausdrücklich vor den Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkstrahlen.
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Dieses Vorbringen begründet jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Es genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Kläger nehmen nur Bezug auf einzelne Studien (etwa Naila-Studie, Studie in Belo Horizonte), ohne konkret dazulegen, dass es sich hierbei um gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse handele (vgl. hierzu NdsOVG, B.v. 17.1.2022 – 1 ME 142/21 – juris Rn. 22 m.V.a. BT-Drs. 19/27327, S. 3), wonach durch die athermischen Effekte elektromagnetischer Strahlung konkrete Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung bestünden. Die Naila-Studie wird vom BfS bezüglich der Frage nach einem möglichen Krebsrisiko durch hochfrequente Felder des Mobilfunks als „kaum aussagekräftig“ bezeichnet. Die Aussagekraft der Studie in Belo Horizonte sei sehr gering und zur Klärung einer Ursache-Wirkungs-Beziehung nicht geeignet (https://www.bfs.de/DE/themen/emf/kompetenzzentrum/berichte/berichtemobilfunk/krebs-basisstationen.html). Das Gleiche gilt für die NTP- und Ramazzini-Studie (DT-Drs. 19/27327, S. 10 m.w.N.). Weiter setzen sich die Kläger mit dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrundeliegenden Maßstab des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 24.3. 2021 – 1 BvR 2656/18 – juris Rn. 152; B.v. 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – juris Rn. 11), wonach eine Verletzung der Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers erst festgestellt werden könne, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse rechtlich untragbar geworden sei, nicht auseinander und zeigen auch nicht auf, dass die Erkenntnisse aus den in Bezug genommenen Studien die „Untragbarkeit“ der aktuellen Grenzwerte der 26. BImSchV belegten. Sie gehen auch nicht auf den bestehenden Abstand ihres Grundstücks zur Funkanlage von 230 m ein und legen keine konkreten wissenschaftlichen Erkenntnisse dar, wonach athermische Effekte mit gesundheitsschädigender Wirkung in einer derart großen Entfernung, die ein Vielfaches des in der Standortbescheinigung errechneten Sicherheitsabstands beträgt, auftreten könnten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 S. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).