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VGH München, Beschluss v. 20.11.2023 – 20 N 20.2507
Titel:

Erledigung eines Normenkontrollverfahrens durch Außerkrafttreten der zu prüfenden Norm

Normenketten:
BayIfSMV § 10 Abs. 3, § 30
VwGO § 47, § 173 S. 1
ZPO § 264 Nr. 3
Leitsatz:
Tritt eine Rechtsnorm im Laufe eines Verfahrens außer Kraft, so ist eine Umstellung des Antrags auf die Feststellung der Ungültigkeit sowie das berechtigte Interesse an der (nachträglichen) Feststellung der Ungültigkeit der außer Kraft getretenen Norm (BVerwG NVwZ 2023, 1000) gegeben, wenn der Antragsteller einen Nachteil durch eine kurzzeitig angelegte Norm erlitten hat (BVerwG GewA 2002, 163) und das Normenkontrollverfahren betreffend des ursprünglichen Antrags, die Unwirksamkeitserklärung der entsprechenden Norm, im Zeitpunkt der Umstellung noch rechtshängig ist. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Antragsänderung, Feststellungsantrag setzt voraus, dass der ursprüngliche Normenkontrollantrag noch rechtshängig ist, Normenkontrollverfahren, berechtigtes Interesse, Außerkrafttreten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34282

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Gegenstandswert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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1. Der mit Schriftsatz von 11. Dezember 2020 gestellte Antrag, das Betriebsverbot gem. § 10 Abs. 3 der Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (10. BayIfSMV) vom 8. Dezember 2020 in Form der Änderungsverordnung zur Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 10. Dezember 2020 für unwirksam zu erklären, ist unzulässig und durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO) abzulehnen. Die angegriffene Regelung ist mit Ablauf des 5. Januar 2021 außer Kraft getreten (vgl. § 30 Satz 1 8. BayIfSMV) und daher nicht mehr tauglicher Gegenstand eines Normenkontrollantrags, der über die „Gültigkeit“ einer Norm zu entscheiden hat.
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2. Die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Antrags, die Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (8. BayIfSMV) für unwirksam zu erklären, soweit der Antragstellerin der Betrieb von Fitnessstudios untersagt wird, ist mit der Antragsumstellung auf den Antrag vom 11. Dezember 2020 (infolgedessen nur noch die 10. BayIfSMV Gegenstand des Verfahren war) dagegen entfallen. Diese Antragsänderung war nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 3 ZPO zulässig, da eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist, wobei sich der Klagegrund und der zugrundeliegende Lebenssachverhalt nicht geändert haben (BVerwG, U. v. 29.11.2022 – 8 CN 1.22 – juris Rn 17). Wird, wie hier, ein Klagebegehren ausgetauscht, weil sich das ursprüngliche Klagebegehren (aufgrund Zeitablaufs) erledigt hat, entfällt die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Klagebegehrens (Riese in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 44. EL März 2023, § 91 VwGO Rn. 79). Hierüber ist deswegen nicht mehr zu entscheiden.
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3. Damit stellt sich der von der Antragstellerin zuletzt mit Schriftsatz vom 17. August 2021 (um) gestellte Antrag, festzustellen, dass die Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (8. BayIfSMV) unwirksam war, soweit der Antragstellerin der Betrieb von Fitnessstudios untersagt war, als unzulässige Antragsänderung dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entzieht das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO geht von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Allerdings kann ein Normenkontrollantrag trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind oder wenn – wie hier – während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm, durch die oder durch deren Anwendung der Antragsteller einen Nachteil erlitten hat, außer Kraft getreten ist (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2001 – 6 CN 1.01 – juris Rn. 10; B.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – juris Rn. 9).
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In diesem Fall bedarf es jedoch einer Umstellung des Antrags auf Feststellung der Ungültigkeit sowie eines berechtigten Interesses an der (nachträglichen) Feststellung der Ungültigkeit der außer Kraft getretenen Norm (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2018 – 3 BN 1.17 – juris Rn. 19; B.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – juris Rn. 11; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn. 12 ff.). Voraussetzung einer entsprechenden Antragsänderung ist allerdings, dass das Normenkontrollverfahren betreffend den ursprünglichen Antrag, die Unwirksamkeitserklärung der entsprechenden Norm, im Zeitpunkt der Umstellung noch rechtshängig ist. Dies war hier jedoch nicht der Fall, weil die Antragstellerin ihren Antrag geändert und mit Schriftsatz von 11. Dezember 2020 ausdrücklich beantragt hatte, dass sich der Antrag nunmehr (nur noch) gegen das Betriebsverbot gem. § 10 Abs. 3 der Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (10. BayIfSMV) vom 8. Dezember 2020 in Form der Änderungsverordnung zur Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 10. Dezember 2020 richtet. Durch diese Antragsänderung und das Entfallen der Rechtshängigkeit des ursprünglichen Antrags ist dem nachträglichen Feststellungsantrag bezogen auf die 8. BayIfSMV die Grundlage entzogen.
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4. Weil § 10 Abs. 3 10. BayIfSMV mit Ablauf des 5. Januar 2021 außer Kraft getreten (vgl. § 30 Satz 1 8. BayIfSMV) ist, ist der noch rechtshängige Antrag vom 11. Dezember 2020, diese Norm für unwirksam zu erklären, unzulässig. Hierauf hat die Landesanwaltschaft mit Schriftsatz vom 3. Juli 2023 hingewiesen. Nachdem der Senat die Antragstellerin aufgefordert hat, hierzu Stellung zu nehmen, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. November 2023 an der Antragstellung jedoch festgehalten.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.
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6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Fragen, ob außer Kraft getretene oder noch nicht erlassene Normen Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO sein können, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind.