Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.11.2023 – 20 CS 23.1937
Titel:

Anforderung eines Nachweises zum Impfschutz gegen Masern

Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 12 S. 1, S. 7
BayVwVfG Art. 35 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Bei der Anforderung zur Beibringung eines Nachweises iSd § 20 Abs. 12 S. 1 IfSG handelt es sich um einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt nach Art. 35 S. 1 BayVwVfG (Änderung der Rechtsprechung BayVGH BeckRS 2021, 43061). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anforderung zur Vorlage eines Nachweises zum Impfschutz gegen Masern, Maßgebliche Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Anforderung, Impfpflicht, Masern, Verwaltungsakt, Nachweis
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.09.2023 – M 26b S 23.4094
Fundstellen:
BayVBl 2024, 344
BeckRS 2023, 34280
LSK 2023, 34280

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die begehrte Abänderung des Beschlusses.
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1. Nach Änderung des § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG mit dem Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16. September 2022 (BGBl. I S. 1454-1472) ist die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung zur Beibringung eines Nachweises aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG durch Bundesgesetz vorgeschrieben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Da die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nur im Hinblick auf Verwaltungsakte in Betracht kommt (vgl. etwa Schoch in Schoch/Schneider, VerwR, Stand August 2022, § 80 VwGO Rn. 37), dürfte es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines Nachweises im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG (jedenfalls) seit der o.g. Gesetzesänderung aus systematischen Gründen um einen selbständig angreifbaren Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handeln (anders dagegen noch BayVGH, B.v. 29.12.2021 – 20 CE 21.2778 – BeckRS 2021, 43061 zur vorherigen Rechtslage).
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2. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines die Nachweisvorlagepflicht begründenden Verwaltungsaktes in den Personen der Antragsteller (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG) vor. Dies wird mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen.
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3. Sofern geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht hätte das nach dem Erlass der Bescheide vom 18. Juli 2023 vorgelegte ärztliche Attest vom 11. August 2023 über die am 11. Januar 2022 gestellte Diagnose Herpes Zoster im Stadium crustosum berücksichtigen müssen, kann dies der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung der Zeitpunkt ihres Erlasses am 4. Januar 2023 ist (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2023 – 20 CS 23.1436 – n.v.; B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651- BeckRS 2021, 18582 Rn. 11f.). Solche Einwendungen, die wie hier erst nach dem Erlass des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes entstanden sind, können im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich keine Berücksichtigung finden.
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4. Der mit der Beschwerde weiter gerügte Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz liegt nicht vor. Zu Recht verweist hier das Verwaltungsgericht darauf, dass die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses nach der gesetzlichen Konzeption den Antragstellern obliegt und gerade den Gegenstand der in der Hauptsache streitgegenständlichen Aufforderungsbescheide vom 18. Juli 2023 bildet (§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 12 Satz 1 Nr. 1, Abs. 13 Satz 1 i.V.m. § 33 Nr. 3 IfSG). Der Antragsgegner ist deswegen nicht gehalten, von Amts wegen die Voraussetzungen einer Kontraindikation zu prüfen oder zu ermitteln.
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5. Soweit die Antragsteller Zweifel an der Sicherheit und Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe vorbringen, wenden sie sich der Sache nach nicht gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners, sondern gegen die Eignung und damit Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 8 ff. IfSG, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 21. Juli 2022 (1 BvR 469/20 u.a. – BVerfGE 162, 378-454) aber nicht durchgreifend in Frage gestellt hat. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht darauf abgestellt, dass es der Verfassungsmäßigkeit von § 20 IfSG grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 93 ff.). Zweifel an der Eignung der zugelassenen Impfstoffe zum Schutz vulnerabler Personen vor einer Masernerkrankung und damit gegebenenfalls einhergehenden schweren Krankheitsverläufen erkennt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht (vgl. vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 114 f.). Es verweist in diesem Zusammenhang auf die Dringlichkeit des Gesundheitsschutzes denjenigen Personen gegenüber, die sich nicht durch Impfung schützen können, mittels Gemeinschaftsschutz. Der Gesetzgeber verfolge mit der Nachweispflicht aus § 20 IfSG unter anderem auch die Stärkung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung, um die Lücken im Impfschutz in Deutschland zu schließen (vgl. auch BT-Drs. 19/13452 S. 16).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
8
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.