Titel:
Unzulässiger Beweisermittlungsantrag
Normenkette:
VwGO § 86 Abs. 2
Leitsatz:
Beweisermittlungsanträge sind nicht auf einen konkreten Sachverhalt bezogen, sondern dienen der Vorbereitung des eigentlichen Beweisantrags. Diese Anträge haben lediglich zum Ziel, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Weg Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beweisermittlungsantrag, Schutzimpfung, Coronavirus
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 27.06.2022 – Au 9 K 21.2463
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 09.01.2025 – 20 B 23.1456
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34279
Tenor
Die Beweisanträge werden abgelehnt.
Gründe
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Die von der Landesanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung am 9. November 2023 gestellten Anträge sind unzulässig, weil es sich um Beweisermittlungsanträge handelt.
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Beweisermittlungsanträge sind nicht auf einen hinreichend konkreten Sachverhalt bezogen, sondern dienen der Vorbereitung des eigentlichen Beweisantrags. Diese Anträge haben lediglich zum Ziel, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Weg Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Es soll festgestellt werden, ob überhaupt entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder geeignete Beweismittel vorhanden sind (Schübel-Pfister in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 86 Rn. 58 m.w.N.).
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So liegt der Fall hier. Die von der Landesanwaltschaft gestellten Beweisermittlungsanträge,
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1. Zum Beweis der Tatsache, dass eine im August 2021 vorliegende seinerzeit vollständige Schutzimpfung des Klägers gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Infektion mit diesem Virus verhindert hätte, wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
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2. Zum Beweis der Tatsache, dass eine im August 2021 vorliegende seinerzeit vollständige Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu geführt hätte, dass 5 Tage nach Erstnachweis des Erregers Coronavirus SARS-CoV-2 dieser bei dem Kläger nicht mehr nachweisbar gewesen wäre, wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt,
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zielen darauf ab, im Falle des Klägers festzustellen, dass er durch Inanspruchnahme der vollständigen Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Klägers öffentlich empfohlen wurde, eine Absonderung hätte vermeiden können (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG). Dies setzt aber zunächst einmal voraus, dass diese vollständige Impfung rechtzeitig vor der Infektion des Klägers spätestens am 9. August 2023 für den Kläger auch ohne weiteres frei verfügbar war. Das wurde vom Beklagten zwar behauptet, aber in keiner Weise dargelegt.
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Zudem wird auf folgende Umstände hingewiesen: Erst am 22. September 2021 wurde von der Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, spätestens ab dem 1. November 2021 denjenigen Personen keine Entschädigungsleistungen gemäß § 56 Absatz 1 IfSG mehr zu gewähren, die als Kontaktpersonen oder als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet bei einem wegen COVID-19 behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder behördlich angeordneter Absonderung keinen vollständigen Impfschutz mit einem auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19) gelisteten Impfstoff gegen COVID-19 vorweisen konnten, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Absatz 3 IfSG vorlag (https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?uid=228& jahr=2021). Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass zum Zeitpunkt des Beschlusses der Gesundheitsministerkonferenz erst seit einigen Wochen ausreichende Mengen Impfstoff zur Verfügung gestanden hätten, um allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland eine Impfung gegen COVID-19 anbieten zu können. Kurz danach musste allerdings zumindest der Impfstoff von Biontech/Pfizer erneut kontingentiert werden (https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?uid=240& jahr=2021).
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Mit Stand 14. Juni 2021 waren in der Altersgruppe unter 60 Jahren bundesweit geschätzt nur 16,7 Prozent vollständig geimpft. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde auf eine weitere Impfpriorisierung verzichtet (Epidemiologisches Bulletin des RKI Nr. 25 vom 24. Juni 2021 S. 8).
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Der Beklagte selbst ist in seinen Hinweisen zur Rechtsanwendung des Anspruchsausschlusses für nicht geimpfte Personen in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG für Bayern (Stand: Dezember 2021; https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2021/12/2021_12_anspruchsausschluss_entschaedigungsleistungen.pdf) davon ausgegangen, dass der Anspruchsausschluss in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG aufgrund der unterlassenen Inanspruchnahme einer Schutzimpfung grundsätzlich nur Anwendung finden konnte, „wenn die Absonderung oder das Tätigkeitsverbot gegenüber einer Person mit vollständigem Impfschutz nicht erlassen worden wäre“ (Nr. 2). Gleichzeitig wies der Beklagte darauf hin, dass der Anspruchsausschluss in § 56 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 IfSG für ungeimpfte Personen keine Anwendung finde, wenn diese (wie der Kläger) positiv getestete Personen i. S. d. Nr. 1.3 und 2.1.3 der AV Isolation seien. Die Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG sei in derartigen Fällen fortzuzahlen (sofern die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen), weil auch eine Impfung die Absonderung „nicht vermieden hätte“ (Nr. 6; a.a.O.). Schließlich ging der Beklagte entsprechend seiner Anwendungshinweise – im Einklang mit dem o.g. Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz vom 22. September 2021 – erst ab dem 1. November 2021 allgemein davon aus, dass für jede Person die Möglichkeit eines vollständigen Impfschutzes durch die Inanspruchnahme eines Impfangebots bestanden habe. Die Behauptung, die Impfung sei bisher nicht möglich gewesen, sollte dann grundsätzlich nicht mehr akzeptiert werden (Nr. 9, a.a.O.).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).