Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.11.2023 – 15 CS 23.1816
Titel:

Erfolgloser Eilantrag der Nachbarn gegen Neubau eines Einfamilienhauses - Einsichtsmöglichkeiten

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB hängt davon ab, ob die Festsetzungen, von denen dem Bauherrn eine Befreiung erteilt wurde, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Plangeber darf regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden, ob er eine Festsetzung ausschließlich aus städtebaulichen Gründen objektiv-rechtlich ausgestaltet oder auch zum Schutz Dritter trifft. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Bauplanungsrecht vermittelt weder im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Dies gilt auch für neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das bisherige Fehlen von Anlagen, von denen aus ein Grundstück eingesehen werden kann, stellt lediglich eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarbeschwerde, Befreiung von Festsetzungen nachbarschützende Wirkung (verneint), Rücksichtnahmegebot, Befreiung von Festsetzungen, nachbarschützende Wirkung (verneint), Bebauungsplan, Einsichtsmöglichkeit, unerwünschte Einblicke, Sichtschutzeinrichtungen, Verschlechterung der Lichtverhältnisse, Stilllegung der Bauarbeiten
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 27.09.2023 – RO 2 S 23.1678
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34270

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt Regensburg erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses.
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Auf den Antrag der Beigeladenen hin erteilte das Landratsamt Regensburg dieser mit Bescheid vom 4. März 2022 die Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung Z… Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Doppelhaus bebauten östlich gelegenen Nachbargrundstücks FlNr. … Gemarkung Z… Das Gelände steigt in diesem Bereich nach Westen und Süden hin an. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Z…-Ost II – westliche Teilfläche“ der Gemeinde Z…, der u.a. ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Die Baugenehmigung vom 4. März 2022 beinhaltet zudem Befreiungen von der Wandhöhe um 0,20 m talseitig, eine Überschreitung der Baugrenze (geringfügig), eine Überschreitung der zulässigen Gebäudelänge giebelseitig um 0,56 m sowie eine geringfügige Unterschreitung des Abstandes zwischen den Dachflächenfenstern.
3
Gegen die Baugenehmigung vom 4. März 2022, den Antragstellern zugestellt am 13. April 2023, erhoben diese Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RO 2 K 23.871), über die noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 13. September 2023 beantragten sie, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen sowie die Bauarbeiten auf dem Baugrundstück stillzulegen. Das Verwaltungsgericht Regensburg lehnte den Antrag mit Beschluss vom 27. September 2023 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Festsetzungen, von denen befreit wurde, keinen Drittschutz vermittelten und das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt sei. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde.
4
Die Antragsteller sind der Ansicht, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen befreit wurde, drittschützend seien, da diese ein wechselseitiges, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindendes Austauschverhältnis begründeten. Mit den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche sowie zur Gestaltung der baulichen Anlagen werde die spezifische Qualität des Plangebiets und dessen Gebietscharakter begründet. Schließlich würden die Festsetzungen auch damit begründet, dass diese im Zusammenhang mit nicht allzu knapp bemessenen Grundstücksgrößen u.a. eine akzeptable Sonneneinstrahlung im Nordosthang bewirkten. Entgegen dem Verwaltungsgericht ergebe sich aus einer wertenden Betrachtung, dass die Festsetzungen nach dem Willen des Plangebers einem nachbarlichen Interessenausgleich dienen sollten. Dem Plangeber sei es gerade darauf angekommen, zum Nachbarschutz ein einheitliches Gebäudebild zu vermitteln, auf dessen Einhaltung der Nachbar einen Anspruch haben sollte. Das Bauvorhaben verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil es zu einer Verschlechterung der Lichtverhältnisse komme. Aufgrund der topographischen Besonderheiten müsse die Lichteinstrahlung besondere Berücksichtigung finden. Zudem komme es zu neuen, unzumutbaren Einsichtnahmemöglichkeiten. Das Dachgeschoss könne mit Fenstern versehen werden, die eine Einsicht über ihr komplettes Grundstück, insbesondere den Wintergarten, gewährten. Begünstigt werde die Einsichtnahmemöglichkeit ferner durch die nicht plankonforme bodentiefe Ausführung der Fenster.
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Sie beantragen,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 15. Mai 2023 gegen den Bescheid des Landratsamts Regensburg vom 4. März 2022 anzuordnen sowie die Bauarbeiten auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung Z… stillzulegen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Beschwerde sei bereits unzulässig, da sich die Antragsteller gegen Auswirkungen des Bauvorhabens, die von der Errichtung der Anlage als solcher ausgingen, wendeten und der Rohbau bereits fertig gestellt, das Dach gedeckt sowie die Fenster eingebaut seien. Der weitere Antrag auf Einstellung der Bauarbeiten sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.
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Im Übrigen sei die Beschwerde unbegründet, da sich der notwendige Wille für eine drittschützende Wirkung der Festsetzungen nicht aus dem Bebauungsplan oder der Begründung ergebe. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung seien nur ausnahmsweise drittschützend; jegliche Hinweise darauf, dass der Plangeber hier eine drittschützende Wirkung habe treffen wollen, fehlten. Hinsichtlich der Verschlechterung der Lichtverhältnisse habe das Verwaltungsgericht auf eine Indizwirkung der Abstandsflächen abgestellt, die hier eingehalten seien und was nicht angegriffen werde. Ein Ausnahmefall sei nicht ersichtlich, zumal kein Anspruch bestehe, von jeder Beeinträchtigung der Belichtung, Besonnung und Belüftung verschont zu bleiben. Auch gebe es keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Über herkömmliche Einsichtnahmemöglichkeiten hinausgehende Belastungen oder ein Ausnahmefall lägen nicht vor.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Ein über allein an städtebaulichen Zielen ausgerichteter Inhalt lasse sich dem Bebauungsplan nicht entnehmen. Eine spezifische Qualität des Plangebiets sei nicht dargelegt. Die Sonneneinstrahlung werde nur unter der Beschreibung der städtebaulichen Situation in der Begründung zum Bebauungsplan genannt und von der dort genannten Dachneigung sei gar keine Befreiung erteilt worden. Ein einheitliches Gebäudebild sei – anders als Bauräume – nicht geeignet, die Licht-/Luftzufuhr oder die Besonnung zu regeln. Eine Rücksichtnahme sei zudem wohl nur einseitig gegenüber dem Nordosthang begründbar, nicht dagegen wechselseitig und hätte darüber hinaus aufgrund der topographischen Unterschiede einer Differenzierung der Betroffenheit bedurft. Ortsgestalterische Vorschriften seien regelmäßig nicht nachbarschützend. Eine Unzumutbarkeit der Verschlechterung der Lichtverhältnisse sei nicht ersichtlich. Auch unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten bestünden nicht, zumal sich die Fenster nur in stumpfem Winkel gegenüberstünden. Eine einmauernde oder erdrückende Wirkung habe das Verwaltungsgericht zutreffend verneint.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Es spricht zwar einiges dafür, dass die Beschwerde im Hinblick auf die geltend gemachten gebäudebezogenen Beeinträchtigungen, insbesondere eine Verschlechterung der Lichtverhältnisse, zwischenzeitlich wegen Fertigstellung des Rohbaus mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig geworden ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 27) und nur noch eine teilweise Zulässigkeit hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren erstmals geltend gemachten nutzungsbedingten Beeinträchtigungen unzumutbarer Einsichtsmöglichkeiten besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 15 CS 23.142 – juris Rn. 22; B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn. 12; B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 19). Hierauf kommt es jedoch nicht an, da sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), jedenfalls nicht ergibt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht demnach zulasten der Antragsteller aus.
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1. Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, wenngleich nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 15 CS 23.142 – juris Rn. 24). Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen (BA S. 9).
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Das Verwaltungsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen (vgl. BA S. 9), dass bei Anfechtung einer Baugenehmigung eine Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht schon dann erfolgreich ist, wenn der angefochtene Verwaltungsakt gegen objektives Recht verstößt, sondern nur dann, wenn gerade der jeweilige Kläger dadurch in seinen (subjektiven) Rechten verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.1997 – 4 B 167.96 – juris Rn. 8). Dritte – wie hier die Antragsteller als Nachbarn – können sich deshalb nur mit Erfolg gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen, wenn die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 8). Dies ist hier nicht der Fall.
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a) Die Antragsteller können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die erteilten Befreiungen seien in nachbarrechtsverletzender Weise rechtswidrig, weil insbesondere die Festsetzungen zur maximalen Größe der baulichen Anlagen (Gebäudelänge), zu den Baugrenzen sowie zu den Wandhöhen nachbarschützenden Charakter hätten.
20
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen (BA S. 10), dass der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB davon abhängt, ob die Festsetzungen, von denen dem Bauherrn eine Befreiung erteilt wurde, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 52 m.w.N.).
21
Ebenfalls zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen (BA S. 11 ff.), dass Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Wandhöhe sowie zu Gestaltungsanforderungen grundsätzlich nicht drittschützend sind (vgl. BVerwG, B.v.13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 11.2.2022 – 15 ZB 22.251 – juris Rn. 6; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23). Der Plangeber darf regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden, ob er eine Festsetzung ausschließlich aus städtebaulichen Gründen objekt-rechtlich ausgestaltet oder auch zum Schutz Dritter trifft (vgl. BVerwG, U. v. 16.09.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 11; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 52). Von einer neben diese Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung ist daher ausnahmsweise dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden planerischen Willen erkennbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 a.a.O. Rn. 14; BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 2 ZB 12.1787 – juris Rn. 5). Ob und inwieweit eine Norm des Bauplanungsrechts betroffenen Nachbarn Abwehrrechte einräumt, ist dabei anhand von Inhalt, Rechtsnatur und Schutzzweck der jeweiligen Festsetzung, ihrem Zusammenhang mit den anderen Regelungen des Plans, der Planbegründung oder den Akten über die Aufstellung des Bebauungsplans im konkreten Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 13 m.w.N.).
22
Das Verwaltungsgericht ist hier davon ausgegangen, dass nicht ersichtlich sei, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen in der angefochtenen Baugenehmigung Befreiungen erteilt wurden, nachbarschützend seien (BA S. 11). Das hiergegen gerichtete Vorbringen in der Beschwerdebegründung, wonach die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche sowie der Gestaltung nach einer wertenden Betrachtung des Festsetzungszusammenhangs in einem wechselseitigem, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindendem Austauschverhältnis stünden und mit den Festsetzungen eine spezifische Qualität des Plangebiets und dessen Gebietscharakter begründet werde, führt allerdings nicht zum Erfolg. Letztlich ausschlaggebend ist zwar eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs; günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes aber nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 9 CS 20.2172 – juris Rn. 24).
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Anders als die Antragsteller wertet das Verwaltungsgericht die in der Begründung unter dem Punkt „Städtebauliche Situation“ angeführte „akzeptable Sonneneinstrahlung“ unter Berücksichtigung der Geländeverhältnisse und der Grundstücksgrößen vom Plangeber im Zusammenhang mit der Bauweise (Einzelhäuser), der maximalen Gebäudegröße (max. 12 m auf 15 m) und der Dachform (Satteldächer mit 20° – 25° Dachneigung) getroffenen Festsetzungen als städtebauliches Bestreben nach einer nicht übermäßig verdichteten Bebauung und verneint einen (auch) nachbarschützenden Charakter. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Denn der oben genannte und in der Begründung des Bebauungsplans zum Ausdruck kommende wertende Festsetzungszusammenhang stellt vielmehr gerade im Hinblick auf die Topographie des Nordosthanges das Ergebnis einer gerechten Abwägung der betroffenen Belange (vgl. § 1 Abs. 7 Nr. 1 und Nr. 5 BauGB) dar. Dass der Plangeber mit den getroffenen Festsetzungen seiner Pflicht zur gerechten Abwägung nachkommt, genügt jedoch nicht, den Festsetzungen Drittschutz beizumessen (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 8). Aus dem Festsetzungszusammenhang ergibt sich kein Hinweis auf ein nachbarschaftliches, wechselseitiges Austauschverhältnis. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Umständen heraus sich der Wille des Plangebers ergeben soll, ein besonderes Austauschverhältnis zwischen den Nachbarn begründen zu wollen, zumal aufgrund der topographischen Situation gerade keine Wechselseitigkeit naheliegt, sondern vielmehr die Berücksichtigung gesunder Wohnverhältnisse, städtebauliche Aspekte einer Hangbebauung und hierzu passende Gestaltungsanforderungen. Die bloße gegenteilige Bewertung der getroffenen Festsetzungen durch die Antragsteller ist daher nicht geeignet, in Abweichung vom Regelfall einen (auch) drittschützenden Charakter der getroffenen Festsetzungen annehmen zu können.
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b) Die Beschwerde bleibt auch hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des Rücksichtnahmegebots erfolglos.
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Dem Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem gegenüber Rücksicht genommen werden muss, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2022 – 15 CS 22.2024 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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aa) Das Verwaltungsgericht hat hier darauf abgestellt, dass das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt sei (BA S. 12). Die Antragsteller wenden hiergegen ein, dass sich die Lichtverhältnisse für ihr Grundstück aufgrund der erteilten Befreiungen und des genehmigten Baukörpers unzumutbar verschlechterten. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht u.a. zutreffend darauf abgestellt, dass die Abstandsflächenvorschriften durch das genehmigte Bauvorhaben eingehalten seien und dies ein Indiz dafür darstelle, dass gegen das Gebot der Rücksichtnahme diesbezüglich nicht verstoßen werde (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 2.12.2.2022 – 15 ZB 22.2361 – juris Rn. 24; B.v. 25.1.2023 – 9 ZB 22.2569 – juris Rn. 11). Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.
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Das Verwaltungsgericht hat auch einen Ausnahmefall verneint und hierbei die besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere das zu den Antragstellern hin abfallende Gelände gewürdigt (BA S. 13). Dem tritt die Beschwerde mit der Ansicht, die topographischen Besonderheiten müssten besondere Berücksichtigung finden und die Unzumutbarkeit sei aufgrund der erteilten Befreiungen überschritten, nicht substantiiert entgegen, zumal die Verringerung des Lichteinfalls in beplanten Innerortsbereichen – wie hier – eine typische Folge der Bebauung und regelmäßig hinzunehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 21). Anhaltspunkte für eine nicht mehr hinnehmbare Verschattung ergeben sich hier, trotz der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe talseitig um 0,2 m sowie der festgesetzten giebelseitigen Gebäudelänge auf der Ostseite des Bauvorhabens, nicht.
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bb) Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten geltend machen, vermittelt das Bauplanungsrecht weder im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Dies gilt auch für neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2023 – 15 CS 23.369 – juris Rn. 23).
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Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben (vgl. BayVGH, B.v 14.6.2023 – 15 CS 23.369 – juris Rn. 23). Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher situationsbedingter Ausnahmefall hier vorliegt, lassen sich dem Vorbringen der Antragsteller sowie der Aktenlage aber nicht entnehmen.
30
Zwar ergibt sich eine gewisse Verschärfung der Situation durch den topographisch bedingten Niveauunterschied, die Einsichtsmöglichkeiten resultieren jedoch bereits aus den planungsrechtlichen Grundlagen der hier vorliegenden Hangbebauung und gehen – unabhängig von der genehmigten Gebäudelänge und Wandhöhe – nicht über die bereits planungsrechtlich zulässige Bauausführung hinaus (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2016 – 9 CS 16.1822 – juris Rn. 23; OVG Saarl, U.v. 30.7.1991 – 2 R 451/88 – juris Rn. 35). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die erteilten Befreiungen von der festgesetzten Gebäudelänge und der talseitigen Wandhöhe zu weitergehenderen Einsichtsmöglichkeiten führen (vgl. NdsOVG, B.v. 4.6.2019 – 1 ME 75/19 – juris Rn. 10).
31
Die von den Antragstellern vorgelegten Lichtbilder zeigen zwar Blickmöglichkeiten auf das Nachbargebäude von ihren Fenstern aus. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Abstände sowie der Einhaltung der Abstandsflächen sind die vorgelegten Lichtbilder allerdings nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der durch das Bauvorhaben im beplanten Innenbereich sich ergebenden Einsichtsmöglichkeiten darzulegen. Den Antragstellern ist es grundsätzlich zuzumuten, ihre Räumlichkeiten, deren Fenster – wie es die Lichtbilder vermuten lassen und offenbar im Hinblick auf das bislang unbebaute Nachbargrundstück – nicht mit Vorhängen versehen sind, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn. 20).
32
Soweit die Antragsteller eine erhöhte Einsichtnahmemöglichkeit durch eine bodentiefe, planabweichende Bauausführung der Fensteröffnungen des genehmigten Bauvorhabens im Obergeschoss beanstanden, sind – unabhängig von der Frage einer Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. d BayBO – diese nicht Gegenstand der erteilten und angefochtenen Baugenehmigung (vgl. Ansicht Ost). Offenbleiben kann insoweit die Frage, ob eine bodentiefe Ausführung der Fenster am Bauvorhaben der Beigeladenen tatsächlich zu einer erhöhten Einsichtnahmemöglichkeit in geschützte Bereiche der Antragsteller oder nicht vielmehr umgekehrt in Räumlichkeiten der Beigeladenen führt.
33
Das bisherige Fehlen von Anlagen, von denen aus das Grundstück der Antragsteller eingesehen werden kann, stellt im Übrigen lediglich eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 13.10.2021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 36). Ein Antragsteller, der sich seine Bauwünsche – wie hier die Antragsteller ihrerseits mit Befreiungen vom maßgeblichen Bebauungsplan – erfüllt hat, hat es auch nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbar Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 2.11.2022 – 15 CS 22.2024 – juris Rn. 17).
34
2. Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ihren Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form der Stilllegung der Bauarbeiten aufrechterhalten, bleibt die Beschwerde erfolglos. Die Beschwerde geht – über die bloße Antragstellung – auf den genannten Antrag nicht weiter ein, setzt sich nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander und wird dementsprechend den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht gerecht. Im Übrigen fehlt es im Hinblick auf eine Ermessensentscheidung des Antragsgegners bezüglich bauaufsichtlichem Einschreiten nach Art. 75 Satz 1 BayBO sowohl an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO (vgl. allgemein: BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 15 CE 22.2689 – juris Rn. 12; B.v. 27.5.2021 – 15 CS 21.1209 – juris Rn. 14 – zum Anordnungsanspruch; B.v. 5.5.2022 – 9 CS 22.3 – juris Rn. 33 – speziell zum Anordnungsgrund). Dies gilt insbesondere auch, soweit die Antragsteller eine über die mittels Befreiung genehmigte Gebäudelänge von 12,56 m hinausgehende tatsächliche Gebäudelänge von 14,16 m beanstanden.
35
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladene im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).