Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Teilnahme am Bundeskongress der "Jungen Alternative" (JA)

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 3, § 45 Abs. 2, Abs. 5
BayVSG Art. 27 Abs. 1
BVerfSchG § 16 Abs. 1
GG Art. 21 Abs. 4
Leitsätze:
Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG besitzt eine Person die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, wenn – erstens – Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren eine Vereinigung unterstützt hat, die – zweitens – ihrerseits im Unterstützungszeitpunkt nachweislich eine der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG genannten Bestrebungen verfolgt hat. Das Verfolgen von verfassungsfeindlichen Bestrebungen durch eine unterstützte Vereinigung muss für die zuständige Behörde demnach feststehen; es genügt nicht, dass Tatsachen die Annahme der Verfolgung einer solchen Bestrebung nur rechtfertigen. (Rn. 15)
1. Die Teilnahme am Bundeskongress der "Jungen Alternative" (JA) stützt die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nur dann, wenn feststeht, dass die JA einschlägige Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. a WaffG verfolgt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das in Art. 21 Abs. 4 GG enthaltene sog. Parteienprivileg verbietet im Grundsatz, dass eine von Verfassungs wegen erlaubte parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit von Mitgliedern oder Anhängern einer Partei in anderen Rechtsbereichen mit nachteiligen Folgen verknüpft werden kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da weder die Normstruktur noch der gewählte einheitliche Begriff „Vereinigung“ eine von der Rechtsnatur der Vereinigung abhängige „gespaltene“ Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG gestattet, wirkt die verfassungsrechtliche Bestimmtheitsanforderung aus Art. 21 Abs. 4 GG auch als Reflex gegenüber der JA, die selbst keine Partei, sondern (nur) ein Verein ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Waffenrechtliche Zuverlässigkeit, Unterstützung einer Vereinigung, Junge Alternative für ... (JA), Alternative für Deutschland (AfD), Junge Alternative (JA), Bundeskongress, Teilnahme, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Parteienprivileg
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 30.08.2023 – M 7 S 23.1306
Fundstellen:
DVBl 2024, 55
BeckRS 2023, 34208
NVwZ 2024, 76
LSK 2023, 34208
DÖV 2024, 243

Tenor

I. Unter Aufhebung der Nummern I und II des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2023 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummern 2 und 6 des Bescheids des Antragsgegners vom 7. Februar 2023 angeordnet und gegen die Nummern 3 und 4 dieses Bescheids wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt insbesondere die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis durch das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt).
2
Der Antragsteller ist als Sportschütze Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis nach § 14 Abs. 6 WaffG. Er beantragte am 23. Oktober 2022 die Erteilung einer grünen Waffenbesitzkarte. Im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung teilte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Landesamt) auf Anfrage des Landratsamts durch Schreiben vom 28. Oktober 2022 mit, dass der Antragsteller vom 15. bis 16. Oktober 2022 am 11. Bundeskongress der Jungen Alternative für ... (im Folgenden: JA) in ... teilgenommen habe; die Junge Alternative für ... ... sei seit Januar 2019 Beobachtungsobjekt des Landesamts im Bereich Rechtsextremismus.
3
Daraufhin lehnte das Landratsamt nach Anhörung des Antragstellers mit Bescheid vom 7. Februar 2023 den Antrag auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis in Form einer grünen Waffenbesitzkarte ab (Nr. 1), widerrief die Erteilung der waffenrechtlichen Erlaubnis in Form einer Sportschützen-Waffenbesitzkarte (Nr. 2), verpflichtete den Antragsteller, seine Waffe samt Munition bis spätestens 20. März 2023 einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und hierüber einen Nachweis vorzulegen (Nr. 3) sowie dazu, die Originalausfertigung der Erlaubnis zurückzugeben (Nr. 4). Die sofortige Vollziehung der Nummern 3 und 4 wurde angeordnet (Nr. 5) und für den Fall der Nichtbefolgung eine Sicherstellung (Nr. 6a) und ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 6b). Die Ablehnung und der Widerruf wurden mit der fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers begründet. Die JA Bayern werde seit Januar 2019 vom Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus beobachtet. Zwar könne dem Antragsteller nicht nachgewiesen werden, dass er Mitglied der JA sei, weil nach Mitteilung des Landesamts auf dem Kongress in Thüringen auch Nicht-Mitglieder teilgenommen hätten. Jedoch liege in der Teilnahme eine Unterstützung eines Beobachtungsobjekts des Landesamts und damit ein Fall der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG.
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Der Antragsteller hat am 16. März 2023 hiergegen Klage erhoben (M 7 K 23.1302), über die noch nicht entschieden ist, und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Diesen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. August 2023 abgelehnt. Nach summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Antragsteller in den letzten fünf Jahren eine Vereinigung, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge, unterstützt habe. Die JA stelle eine Vereinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG dar, da Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass deren Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet seien. Es genüge das Vorliegen nur eines tatsachenbegründeten Verdachts, dass die Vereinigung verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge, eines Nachweises bedürfe es nicht. Denn durch das Voranstellen der Formulierung „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ vor die in den in den Buchstaben a bis c genannten einzelnen Tatbestände werde deutlich, dass sich das Erfordernis des tatsachenbegründenden Verdachts gleichermaßen auf alle dort genannten Tatbestandsmerkmale beziehe (Rn. 39 der streitgegenständlichen Entscheidung). Außerdem entspreche ein solches Verständnis dem Zweck des Waffenrechts, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen (Rn. 40 der streitgegenständlichen Entscheidung).
5
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2023 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 7. Februar 2023 bezüglich der Nummern 2 und 6 anzuordnen und die aufschiebende Wirkung bezüglich der Nummern 3 und 4 wiederherzustellen.
7
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen unter Bezugnahme auf andere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen vor, § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG lasse einen bloßen durch Tatsachen begründeten Verdacht des Verfolgens verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch eine unterstützte Vereinigung nicht genügen; das Verfolgen müsse vielmehr feststehen.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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I.Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegte Grund, auf den sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigt es, die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen aufzuheben. Es bestehen derzeit durchgreifende Zweifel daran, dass nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen und damit einen Widerruf tragen (1. bis 3.). Infolgedessen ergibt auch eine Interessenabwägung kein Überwiegen des Vollzugsinteresses gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung seiner Klage (4.).
13
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 WaffG erweist. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG besitzen in der Regel Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren entweder – Buchst. a – Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die u.a. gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, oder – Buchst. b – Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder – Buchst. c – eine solche Vereinigung unterstützt haben.
14
Vorliegend steht allein die Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG im Raum. Der Antragsteller rügt in der Sache, dass sich das Nachweisniveau „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ lediglich auf die Vornahme einer Unterstützungshandlung des Erlaubnisinhabers, nicht aber auf das Verfolgen der verfassungsfeindlichen Bestrebungen durch eine Vereinigung selbst beziehe; deren einschlägige Bestrebungen müssten vielmehr feststehen.
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2. Mit diesem Einwand hat der Antragsteller Erfolg. Er kann nur als unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG angesehen werden, wenn – erstens – Tatsachen die Annahme rechtfertigen (oder sogar der Nachweis erbracht ist), dass er in den letzten fünf Jahren eine Vereinigung unterstützt hat, die – zweitens – ihrerseits im Unterstützungszeitpunkt nachweislich eine der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG genannten Bestrebungen verfolgt hat. Das Verfolgen von Bestrebungen im Sinne der Vorschrift muss für die zuständige Behörde und gegebenenfalls für das zuständige Gericht feststehen; es genügt nicht, dass lediglich Tatsachen die Annahme der Verfolgung rechtfertigen (so auch OVG LSA, B.v. 24.4.2023 – 3 M 13/23 – juris Rn. 10 ff.; VG Gera, B.v. 10.8.2023 – 1 E 564/23 Ge – juris Rn. 24 ff.; VG Cottbus, B.v. 4.8.2023 – 3 L 98/23 – juris Rn. 13 ff.; VG Dresden, B.v. 14.10.2022 – 6 L 658/22 – juris Rn. 13; VG Regensburg, B.v. 7.3.2022 – RO 4 S 22.28 – juris Rn. 37; Nitschke, NVwZ 2023, 814 ff.; a.A. OVG Berlin-Bbg, B.v. 23.10.2023 – OVG 6 S 44/23 – juris Rn. 3; VG Düsseldorf, U.v. 7.3.2023 – 20 K 7087/20 – juris Rn. 70 ff.; VG Köln, U.v. 8.9.2022 – 20 K 3080/21 – juris Rn. 69; wohl auch Wiegand, NVwZ 2023, 1211/1216).
16
Weder die Syntax oder die Binnensystematik des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG noch eine an Art. 27 Abs. 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom 12. Juli 2016 (BayVSG, GVBl S. 145), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2023 (GVBl S. 374), oder § 16 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2022 (BGBl I S. 2632), orientierte Auslegung rechtfertigen es, den Einleitungshalbsatz des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG (vor Buchst. a) bezüglich der Vereinigung und ihrer Verfolgungshandlungen in den § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG hineinzulesen und es folglich für die Feststellung der Unzuverlässigkeit genügen zu lassen, wenn Tatsachen nur die Annahme der entsprechenden Verfolgung rechtfertigen (a). Auch die grundrechtlichen Bezüge sowie die Auswirkungen einer Unzuverlässigkeitsfeststellung auf das sog. Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 4 GG stehen einer solchen Auslegung entgegen (b). Schließlich ergibt sich auch kein anderes Auslegungsergebnis aus dem Willen des Gesetzgebers (c) oder dem Zweck der Vorschrift (d).
17
a) Grammatisch ist der Einleitungshalbsatz allein auf die in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG geforderte Unterstützungshandlung bezogen, deren Objekt sich erst aus dem – durch das Demonstrativpronomen „solche“ gebildeten – Verweis auf Vereinigungen im Sinne von Buchstabe b) ergibt. Eine Vereinigung im Sinne des Buchstabe b) ist nur eine Vereinigung, die bestimmte Bestrebungen – welche wiederum durch den Verweis auf Buchstabe a) näher konkretisiert werden – verfolgt oder verfolgt hat; die nur tatsachenbasierte Annahme einer solchen Verfolgung genügt hingegen nicht.
18
Für eine Überformung all dieser Relativsätze der durch § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c i.V.m. Buchst. b und a WaffG gebildeten Satzkonstruktion durch den Einleitungshalbsatz besteht kein sachlicher Grund. So hat der alleinige Bezug der Nachweiserleichterung auf die Unterstützungshandlung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG zunächst keinen Wertungswiderspruch innerhalb des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG zur Folge. Hinsichtlich der Verfolgung der im Normtext aufgelisteten Bestrebungen legt dieses Verständnis gerade keine unterschiedlichen Maßstäbe an, je nachdem, ob die Bestrebungen einzeln oder innerhalb oder zur Unterstützung einer Vereinigung verfolgt werden (anders Rn. 39 der streitgegenständlichen Entscheidung). Vielmehr wird mit dem engen Verständnis sichergestellt, dass einerseits das vom Gesetzgeber beschriebene und als problematisch eingeordnete Verhalten des Erlaubnisinhabers (Verfolgung eigener Bestrebungen, Mitgliedschaft oder Unterstützungshandlung) diesem nicht nachgewiesen werden muss, andererseits jedoch eine Zurechnung von verfassungsfeindlichem Verhalten Dritter voraussetzt, dass dieses feststeht (vgl. a. OVG LSA, B.v. 24.4.2023 – 3 M 13/23 – juris Rn. 42).
19
Ferner trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts (vgl. Rn. 38) nicht zu, „dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten Bayerns und des Bundes (…) und für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG weitestgehend identisch“ sind und „dementsprechend (…) die [rechtmäßige] Berichterstattung über die JA (…) indizier(t), dass zugleich die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG im Hinblick auf die JA erfüllt sind“ (ebenso VG Köln, U.v. 11.8.2022 – 20 K 2177/21 – juris Rn. 47). Art. 27 Abs. 1 BayVSG, der die bayerische Rechtsgrundlage für das Landesamt zum – so die Überschrift der Vorschrift – Verfassungsschutz durch Aufklärung der Öffentlichkeit bildet, kann zur Auslegung der bundesrechtlichen Vorschrift des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nichts beitragen. Aber auch mit § 16 Abs. 1 BVerfSchG lässt sich der in Rede stehende waffenrechtliche Unzuverlässigkeitsgrund nicht parallelführen. Hiergegen spricht zum einen der unterschiedliche Zweck der Vorschriften – Schutz der Allgemeinheit vor den mit Waffenbesitz verbundenen Gefahren hier (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 19), Schutz der Verfassung durch Information der Bevölkerung dort (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 65; Brandt in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, VIII § 2 Rn. 7). Zum anderen sprechen die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschriften dagegen, von einer rechtmäßigen Information der Öffentlichkeit über eine Vereinigung durch einen Verfassungsschutzbericht auf die Unzuverlässigkeit ihrer Unterstützer im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG zu schließen. Denn die Eingriffsschwellen sind, von vornherein nicht identisch, wenn einmal Tatsachen, die eine Annahme rechtfertigen, und einmal hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich sind (vgl. zur Auslegung Krüper in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, III § 1 Rn. 58). Unberührt hiervon bleibt die selbstverständliche Möglichkeit und meist auch Notwendigkeit der Behörden und Gerichte, sich für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG auf Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden zu stützen (vgl. BT-Drs. 19/15875, S. 36).
20
b) Gegen eine Erstreckung des Einleitungshalbsatzes auf alle Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG spricht weiterhin, dass nach verbreiteter Ansicht Vereinigungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b, c WaffG auch Parteien sein können, über deren Verfassungswidrigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG oder deren Ausschluss von staatlicher Finanzierung wegen Verfassungsfeindlichkeit nach Art. 21 Abs. 3 GG das Bundesverfassung (noch) nicht entschieden hat. Das in Art. 21 Abs. 4 GG enthaltene sog. Parteienprivileg verbietet im Grundsatz, dass eine von Verfassungs wegen erlaubte parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit von Mitgliedern oder Anhängern einer Partei in anderen Rechtsbereichen mit nachteiligen Folgen verknüpft werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73 – juris Rn. 147; BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9/18 – juris Rn. 18). Zwar führt § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG nicht zu einem zielgerichteten Eingriff in die Freiheit der politischen Betätigung der betreffenden Partei, es spricht indes viel dafür, eine mittelbar-faktische Beeinträchtigung anzunehmen, die auch rechtlichen Rechtfertigungsbedarf auslöst (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 18; offen gelassen BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 51; anders noch BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – juris Rn. 19 a.E.). Die Aussicht auf Nichterteilung oder Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis dürfte bei einem Teil der Anhänger einer betroffenen Partei dazu führen, von Aktivitäten für diese Partei abzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 18; Nitschke, NVwZ 2023, 814/816; anders SächsOVG, B.v. 19.10.2022 – 6 B 171/22 – juris Rn. 8). Die Beeinträchtigungswirkung fällt dabei umso intensiver aus, je niedriger oder unbestimmter die Anforderungen an ein Unzuverlässigkeitsurteil sind. Zwar ist die Rechtfertigung einer solchen Beeinträchtigung jedenfalls im Falle kollidierender Verfassungsgüter und damit nicht zuletzt mit Blick auf die bestehende staatliche Schutzpflicht zugunsten von Leben und Gesundheit grundsätzlich möglich (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 19 f.; zur Übertragbarkeit auf die seither geänderte Rechtslage kritisch Nitschke, NJW 2023, 3261/3263 Rn. 15 a.E.; Scherff, DÖV 2023, 628/634). Da jedoch die Rechtfertigungsanforderungen gerade auch hinsichtlich der bei Auslegungszweifeln angesprochenen Bestimmtheit der Norm (vgl. BVerfG, U.v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07 – juris Rn. 140 a.E.) mit der Eingriffsintensität steigen, wäre vom Gesetzgeber jedenfalls eine hinreichend normenklare Regelung zu verlangen, wollte er eine tatsachenbasierte Annahme auch für die Bestrebungen der Vereinigung ausreichen lassen. Da weder die Normstruktur noch der gewählte einheitliche Begriff „Vereinigung“ eine von der Rechtsnatur der Vereinigung abhängige „gespaltene“ Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG gestattet, wirkt die verfassungsrechtliche Bestimmtheitsanforderung aus Art. 21 Abs. 4 GG auch als Reflex gegenüber der JA, die selbst keine Partei, sondern (nur) ein Verein ist (vgl. § 1 der Bundessatzung (JA-BS) v. 10.1.2015, zuletzt geändert am 15.10.2022).
21
Im Übrigen spricht gegen eine Erstreckung des Einleitungshalbsatzes auf alle Tatbestandsmerkmale im Wege der Auslegung, dass es so dem Betroffenen unangemessen erschwert würde, verlässlich einzuschätzen, welche Handlungen für ihn mit dem Risiko einer waffenrechtlichen Eingriffslegitimierung verbunden sind. Das erscheint unter Angemessenheitsgesichtspunkten problematisch, auch wenn der Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis zumeist nur einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit bedeutet (vgl. Jürgensen/Blanc, GSZ 2023, 131/138; s.a. BayVGH, B.v. 23.6.2020 – 24 ZB 19.2439 – juris Rn. 13). Damit sind Einschüchterungswirkungen verbunden, die sich jedenfalls nicht ohne hinreichend normenklare gesetzliche Regelung pauschal mit dem Hinweis auf die Erfüllung von Schutzpflichten zugunsten des durch Waffenbesitz grundsätzlich gefährdeten Rechtsgüter – insbesondere Leben und Gesundheit Dritter – rechtfertigen lassen.
22
c) Auch der Wille des Gesetzgebers, der mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften vom 17. Februar 2020 (BGBl I S. 166) die heute gültige Fassung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG geschaffen hat, rechtfertigt nicht die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung. Dieses stützt seine Annahme in Rn. 31 auf folgenden Satz der Gesetzesbegründung: „Auch zu ihrem Nachweis [gemeint: zum Nachweis der Mitgliedschaft in einer entsprechenden Vereinigung] soll daher, wie bisher schon bei der Verfolgung der aufgezählten Bestrebungen ausreichend sein, dass Tatsachen die entsprechende Annahme rechtfertigen, d.h. schon der tatsachenbegründete Verdacht ist versagungsbegründend (bereits risikovermeidender Ansatz)“ (BT-Drs. 19/15875, S. 36). Es entnimmt insbesondere dem mit der Wendung „wie bisher schon“ eingeleiteten Halbsatz die Annahme des Gesetzgebers, dass bereits die Vorgängerfassung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. (durch Gesetz vom 30.6.2017, BGBl I S. 2133, zum 6.7.2017 eingeführt) bezogen auf die Bestrebungen der Vereinigung eine tatsachenbasierte Annahme (anstelle eines Nachweises) ausreichen ließ und daher erst recht die heutige Fassung so auszulegen sei.
23
Abgesehen davon, dass der Gesamtkontext der Äußerung für ein anderes inhaltliches Verständnis der Äußerung sprechen dürfte (vgl. OVG LSA, B.v. 24.4.2023 – 3 M 13/23 – juris Rn. 24, 35 ff.; VG Magdeburg, B.v. 28.2.2023 – 1 B 212/22 MD – juris Rn. 21 f.; s.a. Nitschke, NVwZ 2023, 814/814 ff.), kommt es für die Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG auf den in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers an. Für dessen Ermittlung sind aber nicht die in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Vorstellungen entscheidend. Maßgeblich ist der objektivierte Wille in der Gestalt, die er durch Heranziehung aller anerkannten und sich gegenseitig ergänzenden Auslegungsmethoden gewinnt (vgl. nur BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 555; s. a. BVerfG, B.v. 27.9.2022 – 1 BvR 2661/21 – juris Rn. 25). Daher ist der Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung nur insoweit zu berücksichtigen, als er in § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2016 – 1 BvR 1015/15 – juris Rn. 77 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 17.5.1960 – 2 BvL 11/59 – juris Rn. 18). Dies ist vorliegend, wie gezeigt, nicht der Fall.
24
d) Schließlich rechtfertigt es auch der unstreitige Zweck des Waffengesetzes, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 16 m.w.N.), nicht, ein Unzuverlässigkeitsurteil im Sinne des geltenden § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG auch dann zu ermöglichen, wenn die einschlägigen Bestrebungen einer unterstützten Vereinigung nicht feststehen. Denn die teleologische Interpretation setzt eine Anknüpfung insbesondere an den Normtext und seine Systematik voraus; sie dient der Ausfüllung eines durch andere Auslegungsmethoden erzeugten Variantenkorridors (vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 362), nicht aber seiner Korrektur oder Durchbrechung. Die Maßgabe des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei der Auslegung des Waffengesetzes Schutzlücken, die dem genannten Zweck widersprächen, zu vermeiden sind (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 16 m.w.N.), hat nur innerhalb eines solchen Auslegungskorridors Bedeutung. Sie bildet keine Ermächtigung für die Gerichte, ein durch die anerkannten Auslegungsmethoden gewonnenes Verständnis waffenrechtlicher Vorschriften unter Verweis auf eine noch bessere Zweckoptimierung (Risikominimierung) zu überformen. Muss bereits feststehen, dass eine Vereinigung verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, so ist damit entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts (vgl. Rn. 40 der streitgegenständlichen Entscheidung) keine Schutzlücke beschrieben, sondern der Normgehalt.
25
3. Vor diesem Hintergrund kommt eine auf die Teilnahme am Bundeskongress – der nach § 38 Abs. 1 JA-BS das oberste Organ der Jungen Alternative für ... ist – gestützte Unzuverlässigkeit des Antragstellers nur in Betracht, wenn feststeht, dass die Junge Alternative für ... einschlägige Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG verfolgt.
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Hiervon geht der Antragsgegner ersichtlich derzeit nicht aus. Das Landesamt hat im Schreiben vom 28. Oktober 2022 mitgeteilt, dass der bayerische Landesverband der JA seit Januar 2019 Beobachtungsobjekt der Behörde im Bereich Rechtsextremismus ist, und im Weiteren auf seinen Verfassungsschutzbericht 2021 (S. 192 ff.) verwiesen. In diesem Bericht wird insbesondere auf die Einstufung der Jungen Alternative für ... durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall Bezug genommen. Diese Einschätzung des Bundesverbands – der allein streitgegenständlicher Bezugspunkt der dem Antragsteller vorgeworfenen Unterstützungshandlung ist – macht sich der Bescheid zu eigen, wenn die Waffenbehörde auf das Schreiben vom 28. Oktober 2022 Bezug nimmt und auch die einschlägige Passage des Landesverfassungsschutzberichts und dessen Bezugnahme auf den Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz zitiert. Unschädlich ist insoweit, dass der Bescheid auf Seite 4 durch eine fehlerhafte Klammerergänzung den unzutreffenden Eindruck erweckt, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe den JA-Landesverband Bayern zum Verdachtsfall erklärt, und ersichtlich ohne Bewusstsein für die – das Beweis- bzw. Überzeugungsniveau betreffenden – Differenzierungen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG davon spricht, dass „es sich bei [der] JA (…) um eine Vereinigung (handelt), die [einschlägige] Bestrebungen verfolgt“.
27
Folglich erweist sich die Nummer 2 des angegriffenen Bescheides als offensichtlich rechtswidrig. Einer Prüfung, ob die Teilnahme des Antragstellers am 11. Bundeskongress als Unterstützungshandlung angesehen werden kann, bedarf es daher nicht. Aus der Rechtswidrigkeit der Nummer 2 des Bescheids ergibt sich auch die Rechtswidrigkeit der weiteren waffenrechtlichen und verwaltungsvollstreckungsrechtlichen (Folge-)Entscheidungen.
28
4. Mit Blick auf die offenkundige Rechtswidrigkeit des Bescheids kommt es nicht in Betracht, die Beschwerde zurückzuweisen und das Vollzugsinteresse höher zu gewichten als das Suspensivinteresse, obwohl sich der Gesetzgeber in § 45 Abs. 5 WaffG für einen gesetzlichen Sofortvollzug entschieden und der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er in besonderer Weise auf seine waffenrechtliche Erlaubnis angewiesen ist (vgl. SächsOVG, B.v. 4.7.2022 – 6 B 61/22 – juris; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
II.
29
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
30
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
31
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).