Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 11.09.2023 – RN 5 K 21.1284
Titel:

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Verstoßes gegen steuerliche Pflichten

Normenketten:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6
AO § 203
BayVwVfG Art. 40
Leitsätze:
1. Steuerschulden beim Finanzamt sowie die Verletzung steuerlicher Erklärungspflichten können bei einem Gewerbetreibenden zur Annahme seiner Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO führen, wobei es auf die Gründe und Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten nicht ankommt. (Rn. 31 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. An einer Zuverlässigkeit fehlt es nicht nur mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sondern insbes. auch dann, wenn der Gewerbetreibende nicht in der Lage ist, einen ordnungsgemäßen Gewerbebetrieb zu führen. (Rn. 35 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist beispielsweise bei steuerrechtlichen Pflichtverletzungen der Fall. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen der Verletzung steuerlicher Zahlungs-/ und Erklärungspflichten, Maßgeblichkeit objektiver Umstände und Verschuldensunabhängigkeit bei der Gewerbeuntersagung, Gewerbeuntersagung, gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit, Steuerschulden, steuerliche Erklärungspflichten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 34191

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung durch das Landratsamt P… (nachfolgend: Landratsamt).
2
Mit Gewerbeanmeldung vom 12.3.2013 meldete der Kläger bei der Gemeinde … das Gewerbe „… (…)“ zum 1.1.2013 an. Er ist Geschäftsführer der „…“ (…), …, … … Mit Schreiben vom 27.11.2019 regte das Finanzamt P… (nachfolgend: Finanzamt) die Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens gegen den Kläger an. Der Kläger habe Betriebssteuerrückstände bzw. Personensteuerrückstände, die aus dem Betrieb resultieren i.H.v. insgesamt 27.581,50 EUR. Die Vollstreckung sei im Wesentlichen erfolglos verlaufen. Forderungspfändungen hätten nicht zum Erfolg geführt. Der Kläger habe ferner die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Demnach sei er vermögenslos. Der Grundbesitz des Klägers sei mit Rechten Dritter derart belastet, dass eine Vollstreckung aussichtslos erscheine. Die letzte freiwillige Zahlung sei am 21.6.2017 i.H.v. 500,00 EUR erfolgt. Der Kläger sei wirtschaftlich leistungsunfähig und infolge des Fehlens der erforderlichen Geldmittel zu einer ordnungsgemäßen Betriebsführung im Allgemeinen und zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen im Besonderen nicht in der Lage. Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Situation seien nicht erkennbar. Er sei auch seinen sonstigen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Umsatzsteuererklärungen seien bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2018 eingereicht worden, hätten aber wegen fehlender Belege nicht verbucht werden können. Die fehlenden Unterlagen seien trotz mehrmaliger Aufforderung an den Steuerpflichtigen nicht beigebracht worden. Die Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2015-2018 seien trotz mehrmaliger Aufforderung nicht eingereicht worden. Nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens biete der Vollstreckungsschuldner nicht die Gewähr dafür, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben werde. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Steuerrückstände weiter anwachsen würden. Die angeregte Maßnahme sei geboten, um die Allgemeinheit vor weiteren Schäden zu schützen.
3
Aufgrund dieses Schreibens leitete das Landratsamt ein Gewerbeuntersagungsverfahren ein.
4
Hierbei wurden – neben den vom Finanzamt mitgeteilten Tatsachen – die folgenden Tatsachen ermittelt:
- Am … sowie am … bestand zu Lasten des Klägers eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis wegen ausgeschlossener Gläubigerbefriedigung vom …, Verfahrensnummer: …
- Laut eines Schreibens der IHK N… vom 9.1.2020 bestanden zu diesem Zeitpunkt Beitragsrückstände für die Jahre 2015 bis 2017 i.H.v. insgesamt 100,00 EUR.
5
Mit Schreiben vom 31.1.2020 wurde der Kläger unter Mitteilung der ermittelten Tatsachen zu einer beabsichtigten Gewerbeuntersagung angehört. Zur Vermeidung der Gewerbeuntersagung sei ein nachvollziehbares Sanierungskonzept erforderlich. Nachweise über die geleisteten Zahlungen auf die genannten Rückstände bzw. über entsprechende Ratenzahlungsvereinbarungen seien vorzulegen, fehlende Erklärungen bei den jeweiligen Stellen einzureichen.
6
Am 18.3.2020 teilte das Finanzamt dem Landratsamt mit, dass der Kläger sich dort gemeldet habe. Er habe die ausstehenden Belege und Erklärungen abgegeben, die Prüfung dieser Unterlagen würde noch bis in den April hinein andauern. Das Landratsamt teilte daraufhin dem Kläger mit, dass es das Verfahren bis Ende April aussetzen und dann den aktuellen Sachstand erheben werde. Voraussetzung hierfür sei, dass der Kläger weiterhin mit dem Finanzamt an der Sanierung arbeite, die Rückstände bei der IHK bezahle und den Eintrag im Schuldnerverzeichnis beseitige bzw. die zugrundeliegenden Schulden bezahle.
7
Mit Schreiben vom 23.7.2020 teilte die IHK mit, dass der Kläger weiterhin mit den Beiträgen aus 2015 bis 2017 in Höhe von insgesamt 100,00 EUR im Rückstand sei.
8
Mit Schreiben vom 19.8.2020 teilte das Finanzamt P… mit, dass der Kläger inzwischen die fehlenden Umsatzsteuervoranmeldungen bis einschließlich II. Quartal 2020 abgegeben habe. Auch die Jahreserklärungen bis einschließlich 2019 seien abgegeben und verbucht worden. Am 14.7.2020 habe beim Kläger eine Liquiditätsprüfung stattgefunden. Hier sei er von dem Prüfer nochmals eingehend aufgefordert worden, seine steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Die am 27.7.2020 abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung i.H.v. 704,26 EUR sei dann erneut nicht entrichtet worden. Eine Zahlung im März 2020 sei dann nur durch eine Vollstreckungsmaßnahme erfolgt. Die letzte freiwillige Maßnahme sei Anfang 2018 erfolgt. Es läge auch kein Ratenzahlungsantrag vor und sei auch nicht damit zu rechnen, dass ein solcher eingehalten würde. Aus der beigelegten Übersicht, ebenfalls Stand 19.8.2020, ergibt sich ein Rückstand zu diesem Zeitpunkt von 11.245,35 EUR, wobei 3.949,50 EUR auf Säumniszuschläge entfallen.
9
Mit E-Mail vom 24.8.2020 teilte eine Mitarbeiterin der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamtes P… dem Landratsamt mit, dass gegen den Kläger ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung anhängig sei. Nachdem in diesem Strafverfahren zunächst ein Strafbefehl erging, wurde dieses schließlich mit Beschluss vom 6.7.2021 nach § 153 Abs. 2 StPO auf Kosten der Staatskasse eingestellt.
10
Mit Schreiben vom 4.9.2020 hörte das Landratsamt den Kläger ein weiteres Mal an und teilte ihm hierbei die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Erkenntnisse mit.
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Laut eines Aktenvermerkes vom 21.9.2020 meldete sich der Kläger an diesem Tag telefonisch beim Landratsamt. Die Vorwürfe des Finanzamtes stimmten. Er habe lange gesundheitliche Probleme gehabt, bemühe sich aber seit einiger Zeit, die Rückstände auszuräumen. Er habe die Steuerschuld schon von 25.000,00 EUR auf 11.000,00 EUR herunterbekommen. Probleme mache ihm eine strenge Steuerprüfung. Er habe derzeit auch kaum Einkommen und müsse noch einiges mit dem Finanzamt klären. Er brauche daher Zeit. Die laufenden Forderungen habe er im Griff. Die Forderung der IHK werde er zahlen. Er brauche noch bis Jahresende. Es wurde laut des Aktenvermerks vereinbart, dass der Kläger in einem Monat Zwischenbericht erstatten solle.
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Laut eines Aktenvermerks vom 20.10.2020 meldete sich an diesem Tag eine Mitarbeiterin der IHK N… beim Landratsamt und teilte mit, dass dieser dort eine Zahlung angekündigt habe. Bei Eingang werde nochmals Bescheid gegeben werden.
13
Laut eines Aktenvermerks vom 27.10.2020 wurde an diesem Tag erneut telefonisch mit dem Finanzamt Rücksprache gehalten. Der Kläger habe sich am Vortag beim Finanzamt telefonisch gemeldet und eine Ratenzahlung vereinbaren wollen. Er habe aber keine Höhe angeben können. Vereinbart sei worden, dass er die erste Zahlung leisten und sich dann bis 10.11.2020 erneut beim Finanzamt melden werde. Im Hinblick auf den sonstigen Sachstand wurde mitgeteilt, dass die letzte Zahlung im August 2020 erfolgt sei, die fällige Umsatzsteuer-Voranmeldung, fällig am 10.10.2020, noch fehle und die Rückstände weiter über 10.000,00 EUR betrügen. Laut dem Aktenvermerk vereinbarte das Landratsamt mit dem Finanzamt, dass zugewartet werden würde, ob der Kläger tatsächlich etwas zahle. Das Finanzamt werde sich bis Ende November 2020 melden.
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Mit Schreiben vom 11.11.2020 teilte die IHK N… mit, dass der Kläger dort seine Rückstände zwischenzeitlich bezahlt habe.
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Laut eines Aktenvermerks vom 16.11.2020 meldete sich der Kläger an diesem Tag erneut beim Landratsamt. Er komme derzeit beim Finanzamt nicht voran, weil die Sachbearbeiterin krank sei und die Vertreterin auf diese warten wolle. Im Hinblick auf seine Erklärungen und Voranmeldungen sei er nun auf dem laufenden, habe aber den Endstand noch nicht erfahren. Eigentlich habe man ihm bis 15.11.2020 Bescheid geben wollen. Es wurde zwischen dem Landratsamt und dem Kläger vereinbart, dass bis Ende November weiter zugewartet werden würde. Er solle schon einmal eine Zahlung auf die Restschuld leisten. Wegen der Eintragung im Schuldnerverzeichnis gehe der Kläger davon aus, dass diese von der Scheidungsauseinandersetzung herrühre, das sei mittlerweile erledigt. Es wurde dem Kläger geraten, diese löschen zu lassen. Es wurde ihm noch mitgeteilt, dass die Sache mit der IHK erledigt sei.
16
Mit Schreiben vom 10.3.2021 teilte das Finanzamt erneut den aktuellen Sachstand mit. Der Kläger habe sich seit dem Telefonat am 26.10.2020 (s.o.) nicht mehr gemeldet. Auch seien seitdem keine freiwilligen Zahlungen geleistet worden. Die letzte Zahlung zur Begleichung fälliger Umsatzsteuer für das III. Quartal 2020 sei am 12.11.2021 (wohl 2020, Anm. d. Ger.) eingegangen. Zuverlässige Zahlungen und Mitwirkung ließen sich seit Jahren – trotz vieler Zugeständnisse – nicht erkennen. Aus der beigelegten Übersicht, ebenfalls Stand 10.3.2021, ergibt sich ein Rückstand zu diesem Zeitpunkt von 10.925,38 EUR, wobei 4.362,00 EUR auf Säumniszuschläge entfielen.
17
Bei einer Abfrage im Schuldnerverzeichnis am 23.4.2021 bestanden dort keine Einträge.
18
Nach telefonischer Rückfrage beim Finanzamt am 23.4.2020 teilte das Landratsamt dem Kläger mit Schreiben vom 23.4.2021 mit, dass die Rückstände beim Finanzamt, Stand 23.4.2021, weiterhin 10.492,03 EUR betrügen, dass zudem weiterhin keine Zahlungen geleistet würden. Daher werde weiterhin beabsichtigt, eine Gewerbeuntersagung zu erlassen. Es wurde Möglichkeit zur Stellungnahme bis 5.5.2021 gewährt.
19
Am 26.5.2021 wurde laut einem Aktenvermerk erneut telefonische Rücksprache mit dem Finanzamt gehalten. Das Finanzamt teilte mit, es habe keine Kontaktaufnahme mehr seitens des Klägers sowie keine Zahlungen mehr gegeben. Die letzte Zahlung sei auf die Restschuld von 10.544,53 EUR erfolgt, die letzte Umsatzsteuervoranmeldung für das I. Quartal 2021 fehle. Die Umsatzsteuererklärung für 2019 liege vor, die Einkommensteuererklärung 2019 fehle. Im Steuerjahr 2020 fehlten beide Erklärungen.
20
Im Schuldnerverzeichnis bestanden auch am 28.5.2021 keine Einträge mehr.
21
Mit Bescheid vom 28.5.2021 wurde dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „…“ in … und in der Bundesrepublik Deutschland ab sofort untersagt (Ziffer 1). Zudem wurde dem Kläger jegliche Gewerbeausübung als selbstständiger Gewerbetreibender, Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden (z.B. Geschäftsführer einer GmbH) oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person in der Bundesrepublik Deutschland untersagt (Ziffer 2). Für die Abwicklung der Betriebseinstellung wurde ihm eine Frist von vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides gewährt (Ziffer 3). Falls nach Ablauf der in Ziffer 3 genannten Frist weiterhin gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt würden, werde ein Zwangsgeld i.H.v. 2.500,00 EUR fällig (Ziffer 4). Dem Kläger wurden zudem die Kosten des Verfahrens (Gebühr: 400,00 EUR, Auslagen: 3,68 EUR) auferlegt. Hinsichtlich der Gründe wird auf den Bescheid verwiesen.
22
Mit Schreiben vom 27.6.2021 hat der Kläger die gegenständliche Klage erhoben. Den Ausführungen des Landratsamtes sei grundsätzlich wenig entgegenzusetzen. Allerdings würde dort nur der Zeitraum seit Einleitung des Untersagungsverfahrens geschildert. Es sei bereits seit 2010 zu erheblichen Pflichtverletzungen seitens des Klägers gekommen. Ursächlich sei eine chronische Krankheit gewesen, zu der noch ein schweres depressives Syndrom hinzugekommen sei, was den Kläger komplett zu Fall gebracht und in die Lage gedrängt habe, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können. Nachdem ihm auch das diakonische Werk P… nicht habe helfen können, sei er unter eine Betreuung durch das Amtsgericht P… gestellt worden. Der vom Amtsgericht eingesetzte Betreuer hätte bereits hier die Möglichkeit gehabt, das Gewerbe abzumelden, habe dies aber nicht für erforderlich gehalten. Dessen Strategie sei nicht darauf ausgerichtet gewesen, den Kläger bei seinen Problemen zu unterstützen, vielmehr habe ihn dieser in weitere Schwierigkeiten gebracht. Aus diesen Gründen sei es später zu einem Zerwürfnis gekommen und habe der Kläger bei Gericht die Entlassung des Betreuers beantragt. Im Jahr 2017 habe er sich dann wieder in der Lage gesehen, seine Versäumnisse beim Finanzamt aufzuarbeiten, was sich sehr schwierig und zeitaufwändig gestaltet habe. Ein von ihm beauftragtes Steuerbüro habe daraufhin begonnen, zunächst für das Jahr 2014 Steuerklärungen zu erstellen. Mit den eingereichten Unterlagen habe er das Finanzamt aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Von da an habe er ständig mit Schätzungen und Pfändungen zu den fehlenden Jahren zu tun gehabt. Erschwerend sei eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch das Finanzamt im Jahr 2017 hinzugekommen. Da auch für dieses Jahr keine vollständigen Unterlagen hätten vorgelegt werden können, habe der Steuerprüfer Steuerrückstände fernab der Realität festgesetzt. Ein Steuerstrafverfahren und Strafbefehl seien die Folge gewesen, das Verfahren habe aber entkräftet werden können. Ähnlich gelagert sei die hiesige Angelegenheit. Hier sei ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet worden, wohl wissend, dass der geschuldete Betrag im Wesentlichen auf Schätzungen zurückgehe. Aus dem Kontostand vom 30.8.2021 sei ersichtlich, dass die tatsächliche Steuerschuld ohne Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Zinsen sich im Bereich von ca. 5.000,00 EUR bewege. Nach jetzigem Kenntnisstand des Klägers werde diese anhand zu viel gezahlter Umsatzsteuer aus 2020 um weitere 1.900,00 EUR herabgesetzt werden. Dies alles, obwohl am 27.11.2019 Steuerrückstände i.H.v. 27.581,50 EUR bestanden hätten. Im Übrigen gebe es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für Zinsen ab 2014 zusätzlichen Klärungsbedarf. Der Kläger gehe davon aus, dass sich die Haupt-Steuerschuld nach abschließender Klärung mit dem Finanzamt auf ca. 0,00 EUR belaufen werde. Der Kläger leugne nicht, dass es in den vergangenen Jahren massive Versäumnisse gegeben habe, er wolle nichts beschönigen. Allerdings habe zu keiner Zeit eine Gefahr für die Öffentlichkeit bestanden und bestehe eine solche auch jetzt nicht. Da der Kläger sich ins Leben zurückgekämpft habe und seinen Verpflichtungen im vollen Umfang nachgekommen sei, sehe er die Aufrechterhaltung der Gewerbeuntersagung als nicht mehr tragfähig an. Diese würde ihn zum lebenslangen Sozialhilfeempfänger degradieren, davor müsse vielmehr die Allgemeinheit geschützt werden. Schließlich sei noch anzumerken, dass der Kläger seit 1994 für seinen Lebensunterhalt selbst verantwortlich sei und lange Jahre allen Verpflichtungen vollumfassend nachgekommen sei.
23
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Landratsamts P… vom 28.5.2021, Az. …, aufzuheben.
24
Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
25
Die Klage sei unbegründet. Maßgeblich sei die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d.h. im Zeitpunkt des Erlasses der Gewerbeuntersagung. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger Steuerschulden i.H.v. 10.544,53 EUR gehabt. Zahlungen seien trotz Ankündigungen nicht geleistet, ein Sanierungskonzept sei nicht nachgewiesen worden. Durch die nachträgliche Abgabe von Erklärungen – nicht aber durch tatsächlich geleistete Zahlungen – hätten zwar während des Untersagungsverfahrens Rückstände reduziert werden können, eine Zahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt bestehe aber nicht. Ob es sich bei den Steuerschulden ferner um Säumniszuschläge o.Ä. handele sei ohne Bedeutung. Zu keinem Zeitpunkt habe es ein Sanierungskonzept mit dem Finanzamt gegeben. Eine Rückfrage beim Finanzamt habe außerdem ergeben, dass im gesamten Jahr 2021 keine Zahlungen geleistet worden seien. Aktuell (7.10.2021) bestünden Rückstände i.H.v. 10.744,42 EUR. Eine Zahlungsvereinbarung bestehe weiter nicht. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit habe nach alledem im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bestanden und bestehe fort. Die Klage sei abzuweisen.
26
Der Kläger erwidert hierauf, er habe hinreichend dargelegt, weshalb es zu Versäumnissen gekommen sei. Die Gründe für die Untersagung könne er weiterhin nicht nachvollziehen. Schließlich seien insbesondere unrealistische Schätzungen und übereifrige Prüfer dafür verantwortlich gewesen, dass es zum Untersagungsverfahren gekommen sei. Unter anderem eine schnelle Klärung der Sachlage hätte das Verfahren seiner Ansicht nach verhindern können, jedoch habe der Steuerprüfer – wie sich aus einem vorgelegten Schreiben vom 29.10.2019 ergebe – es nicht für nötig erachtet, eine Nachbesprechung nach § 203 AO anzuberaumen und sei kurz darauf aus dem Finanzamt ausgeschieden und zum Bürgermeister einer kleinen Gemeinde gewählt worden. Dies habe die Aufarbeitung weiter erschwert. Der Kläger hingegen habe die vergangenen sieben Jahre chronologisch steuerlich aufgearbeitet und zu seiner Entlastung am 5.8.2021 alle erforderlichen Unterlagen beim Finanzamt abgegeben. Es sei nun Sache des Finanzamtes, zutreffende Bescheide zu erstellen. Anschließend werde er die Zahlung der Restschuld veranlassen. Ein Sanierungskonzept sei wegen der völlig unrealistischen Steuerlast seiner Ansicht nach nie erforderlich gewesen. Auch sei es nicht zutreffend, dass nie Zahlungen geleistet worden seien. Es seien laufend Zahlungen an das Finanzamt geleistet worden. Zum Beweis dieser Tatsache legt der Kläger drei Zahlungsbelege an das Finanzamt Z… vor, vom 24.8.2020 über 704,26 EUR, vom 12.11.2020 über 889,22 EUR und vom 2.11.2021 über 406,20 EUR. Jedenfalls jetzt sehe er eine Unzuverlässigkeit nicht mehr als gegeben an. Abschließend sei noch anzumerken, dass durch das Verhalten des Finanzamtes in Form von Strafanzeigen, Pfändungen etc. die Konsolidierung des Klägers nicht erleichtert, sondern sogar noch erschwert worden sei. Hilfe habe man ihm nie geleistet.
27
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Behördenakte, die dem Gericht vorgelegen hat, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.9.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

28
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28.5.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
29
1. Die Untersagung der gewerblichen Tätigkeit „…“ in Ziffer 1 des Bescheids ist rechtmäßig, sie erfüllt die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO.
30
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
31
a) Der Kläger ist mit Bezug auf das von ihm ausgeübte Gewerbe unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Die Unzuverlässigkeit des Klägers folgt aus seinen Steuerschulden beim Finanzamt P… sowie der Verletzung steuerlicher Erklärungspflichten.
32
Gemäß ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich bspw. aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten etc. ergeben (vgl. BVerwG U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 14). Im Rahmen der Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist aufgrund der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, wie eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben damit außer Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 15).
33
Auf die Gründe und Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es hierbei nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt. Demzufolge ist es irrelevant, wenn es sich bei den Steuerschulden um Schätzungen, Säumniszuschläge o.Ä. handelt, zumal das Entstehen von Säumniszuschlägen und Zinsen (§ 3 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 5 Abgabenordnung) darauf beruht, dass der Gewerbetreibende seine Zahlungs- bzw. Erklärungsverpflichtungen nicht erfüllt hat, er also ein Verhalten gezeigt hat, welches die nicht ordnungsgemäße Ausübung des Gewerbes belegen kann (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2021 – 22 ZB 21.1862 – BeckRS 2021, 33601, Rn. 18). Auch eines Verschuldens bedarf es wegen der alleine maßgeblichen objektiven Umstände bezüglich der die Unzuverlässigkeit begründenden Tatsachen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17.79 – BeckRS 1982, 20431244).
34
Stattdessen wird im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs von einem Gewerbetreibenden erwartet, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Gründe der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese – durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete – Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 14). Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 14).
35
b) Nach diesen Maßstäben rechtfertigt sich die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers aus den im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bekannten und vorliegenden Tatsachen.
36
Im Zeitpunkt des Bescheidserlasses hatte der Kläger Steuerrückstände beim Finanzamt P… i.H.v. 10.544,53, die sowohl nach der absoluten Höhe als auch im Verhältnis zu dem konkreten Gewerbe erheblich sind. Worauf diese Rückstände beruhen, ist nicht entscheidend (s.o.). Maßgeblich ist alleine die fällige und vollziehbare, bestehende Steuerlast. Davon abgesehen ist der Kläger seinen steuerlichen Erklärungspflichten zu verschiedenen Zeitpunkten nicht nachgekommen (vgl. mehrere Schreiben des Finanzamtes in der Behördenakte, zuletzt vom 10.3.2021, Bl. 46 d. Behördenakte) und es mussten deshalb Steuern im Schätzungswege ermittelt werden; auch insoweit handelt es sich um Tatsachen, die gegen die gewerberechtliche Zuverlässigkeit sprechen. Hinzu tritt die Tatsache, dass nur in seltenen Fällen freiwillige Zahlungen geleistet wurden. Schließlich hat der Kläger sich auch, wie sich aus der Behördenakte ergibt, bei mehreren Gelegenheiten auf mit dem Finanzamt bzw. Landratsamt verständigte Fristen nicht zurückgemeldet, trotz der angedrohten Gewerbeuntersagung.
37
Zum maßgeblichen Zeitpunkt war auch nicht ersichtlich, dass der Kläger nach einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept gearbeitet hätte. Zwar hat der Kläger in mehreren Schreiben Rückzahlungen bzw. seine Konsolidierung angekündigt (vgl. bspw. seinen Schriftsatz vom 6.11.2021) und auch im Verwaltungsverfahren durch das Nachreichen von Steuererklärungen eine erhebliche Reduktion seiner offenen Steuerschuld von 27.581,50 EUR (vgl. Bl. 2 d. Behördenakte) auf knapp 11.000,00 EUR erreichen können. Jedoch hat er diese durchaus beachtliche Reduktion seiner Steuerlast einzig durch das Nachreichen von fehlenden Steuererklärungen erreichen können. Nachdem diese nachgereichten Erklärungen, Belege etc. im August 2020 verbucht worden waren (vgl. Bl. 30 d. Behördenakte) ist es bis zum Bescheidserlass am 28.5.2021 zu keiner weiteren erheblichen Reduzierung der Steuerlast mehr gekommen, weder durch das Einreichen weiterer Erklärungen, noch durch geleistete Zahlungen. Auch ist es dem Kläger in dem gesamten Zeitraum nicht geglückt, bspw. ein sinnvolles Ratenzahlungskonzept mit dem Finanzamt oder einen sonstigen Tilgungsplan auch nur zu vereinbaren, ganz abgesehen von den weitestgehend ausgebliebenen Zahlungen. Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass es dem Kläger schlicht an den finanziellen Mitteln und Einnahmen gefehlt hat und fehlt, um die Steuerschuld zu begleichen und einen ordnungsgemäßen Gewerbebetrieb zu führen.
38
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, er habe zwar nach wie vor Steuerrückstände in der Höhe, wie sie im Bescheid bezeichnet sind (diese dürften aufgrund seitdem aufgelaufener Säumniszuschläge etc. wohl höher sein, Anm. d. Gerichts), Schuld daran sei jedoch in erster Linie ein übereifriger Steuerprüfer. Er selbst habe dagegen seine Schuldigkeit erfüllt und nochmals im August 2021 diverse fehlende Unterlagen beim Finanzamt eingereicht, jedoch seitdem keinerlei Rückmeldung erhalten. Für diese Ausführungen hat er jedoch keinerlei Belege erbringen können, weder in Form der Vorlage irgendwelcher Unterlagen, noch auf sonstige Weise. Zudem spricht gegen die Richtigkeit dieser Ausführungen, dass es dem Kläger im Zeitraum zwischen dem 27.11.2019 und dem 19.8.2020 gelungen ist, durch das Nachreichen von Erklärungen ca. 16.000,00 EUR wegzufertigen; auch das Finanzamt war in diesem Zeitraum also offensichtlich dazu in der Lage und auch gewillt, nachgereichte Erklärungen und Belege zeitnah zu bearbeiten und bei Relevanz entsprechende Buchungen vorzunehmen. Daher erscheint es wenig wahrscheinlich, dass zwischen dem August 2021 und dem Tag der Gerichtsentscheidung dann keinerlei Bearbeitung der klägerischen Erklärungen mehr stattgefunden hat. Daher geht das Gericht davon aus, dass die Unterlagen entweder nicht den klägerischen Ausführungen entsprechend eingereicht wurden oder jedenfalls diese schlicht nicht geeignet waren, eine weitere Reduktion der Steuerlast herbeizuführen. Ohnehin kommt es aber nur auf die Prognose zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses an, s.o., sodass es letztlich dahinstehen kann, ob der Kläger im August 2021 und später noch relevante Unterlagen eingereicht hat, oder nicht. Soweit der Kläger die Versäumnisse außerdem mit einer chronischen Erkrankung sowie einer Depression erklärt, so kann dies keine Berücksichtigung finden. Das Gericht will nicht in Abrede stellen, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen schwere Zeiten hinter sich hat, die womöglich seine Versäumnisse (teilweise) erklären. Wie dargestellt (s.o.) ist die Gewerbeuntersagung jedoch verschuldensunabhängig und kommt es alleine auf die objektiven Umstände an. Denn Sinn und Zweck der Gewerbeuntersagung ist es, den Geschäftsverkehr vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden zu schützen. Auf welchen subjektiven Gründen die Unzuverlässigkeit beruht, spielt daher keine Rolle.
39
Zu Gute zu halten ist dem Kläger schließlich neben den weggefertigten Steuerschulden noch, dass er im laufenden Verwaltungsverfahren die Rückstände bei der IHK i.H.v. 100,00 EUR zurückbezahlt sowie für die Löschung der Eintragung im Schuldnerverzeichnis gesorgt hat.
40
Nach Würdigung aller angeführten Punkte kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nicht als zuverlässiger Gewerbetreibender anzusehen war. Denn die zu seinen Lasten angeführten Tatsachen belegen im Ergebnis, dass der Kläger, insbesondere weil er nicht wirtschaftlich leistungsfähig ist, aber auch was die Führung seines Betriebes und insbesondere die Beachtung sonstiger steuerlicher Pflichten anbelangt, nicht in der Lage ist, einen ordnungsgemäßen Gewerbebetrieb zu führen. Die Bemühungen, die er im Laufe des Untersagungsverfahrens ohne Frage gezeigt hat, vermögen dies im Ergebnis nicht aufzuwiegen.
41
c) Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen. Hierbei besteht kein Ermessensspielraum (sog. gebundene Entscheidung). In Anbetracht der beharrlichen Verletzungen steuerlicher Pflichten war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich.
42
d) Die Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – BeckRS 1994, 31221391; BayVGH, B.v. 24.10.2012 – 22 ZB 12.853 – BeckRS 2012, 59757). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zudem sind auch keine milderen Mittel ersichtlich oder wurden geltend gemacht, unter deren Zuhilfenahme die weitere Anhäufung von Steuerschulden hätte verhindert werden können.
43
2. Rechtsgrundlage für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit (Ziffer 2) ist § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Danach kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist.
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a) Der Beklagte hat aus nachvollziehbaren und überzeugenden Gründen eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen. Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist beispielsweise bei steuerrechtlichen Pflichtverletzungen der Fall (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 17). Indem der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses seinen steuerlichen Pflichten nicht vollständig nachgekommen ist, hat er Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde.
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b) Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten ist auch erforderlich. Erforderlich ist die Erstreckung der Gewerbeuntersagung, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird. Die Erweiterung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende in Zukunft ein anderes Gewerbe ausüben wird, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BeckRS 2015, 48135, Rn. 17). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, vielmehr hat der Kläger vorgetragen, dass er auf die Gewerbeausübung angewiesen sei, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.
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c) Auch Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO. Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, Art. 40 BayVwVfG. Dem Bescheid lassen sich unter Ziff. 2 Buchst. b) Erwägungen zum Ermessen im Zusammenhang mit der Erweiterung entnehmen, die unter Berücksichtigung von § 114 VwGO nicht zu beanstanden sind.
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d) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz in Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (vgl. BVerwG B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – BeckRS 1993, 4471; BayVGH B.v. 23.11.2011 – 22 CS 11.2600 – BeckRS 2011, 34442). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls mit der Folge eines anderen Ergebnisses sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, ebenso wenig wie mildere, gleich geeignete Maßnahmen.
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3. Hinsichtlich der Bemessung der Frist zur Einstellung der Gewerbeausübung und zur Gewerbeabmeldung, der Zwangsgeldandrohung und der Kosten (Ziffern 3, 4, 5) bestehen ebenso keine rechtlichen Bedenken, insoweit wird auf den Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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4. Abschließend weist das Gericht noch darauf hin, dass bei Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit der Kläger einen Antrag auf Wiedergestattung nach § 35 Abs. 6 GewO stellen kann. Sollte es dem Kläger zukünftig gelingen, insbesondere seine Steuerschulden zu begleichen, dürfte damit die Wiederherstellung seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit einhergehen. Da der Kläger laut seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung seit wohl mindestens einem Jahr seine gewerbliche Tätigkeit eingestellt hat, dürfte er in diesem Fall einen unmittelbaren Anspruch auf Wiedergestattung nach § 35 Abs. 6 GewO haben (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 90. EL Dezember 2022, § 35 Rn. 175a).
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Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 704 ff. ZPO.