Inhalt

LG Landshut, Beschluss v. 02.02.2023 – 62 T 3288/22
Titel:

Betreuung: Voraussetzungen der Anordnung

Normenketten:
BGB § 104, § 1814, § 1815
FamFG § 68 Abs. 3
Leitsatz:
Ist der Betroffene zur freien Willensbestimmung fähig, darf gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (so auch BGH BeckRS 2012, 8381). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betreuung, Anordnung, schizotype Störung, Gutachten, freie Willensbestimmung, persönliche Anhörung, Verfahrensfehler
Vorinstanz:
AG Erding, Beschluss vom 04.08.2022 – 404 XVII 81/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.10.2023 – XII ZB 94/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33997

Tenor

1. Die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 04.08.2022, Az. 404 XVII 81/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Betroffene steht bereits seit 2018 unter gesetzlicher Betreuung. Erstmals wurde diese mit Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 27.02.2018 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Aufgabenbereiche Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Organisation der ambulanten Versorgung und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern angeordnet. Hintergrund war u. a. die Diagnose einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.8) aus einem ärztlichen Attest vom 23.02.2018. Mit Beschluss vom 28.06.2018 ordnete das Amtsgericht Ebersberg die Betreuung dann auch in der Hauptsache an. Grundlage dieser Anordnung war ein medizinisches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 07.05.2018, in dem dieser zur Diagnose einer schizotypen Störung gekommen war.
2
Mit Beschluss vom 10.02.2021 übernahm das Amtsgericht Erding das Betreuungsverfahren zuständigkeitshalber.
3
Mit Beschluss vom 15.06.2021 beauftragte das Amtsgericht Erding sodann ein medizinisches Gutachten zur Frage der Betreuungsverlängerung. Das beauftragte Gutachten erstattete die Sachverständige Dr. G. am 27.12.2021. Inhaltlich wird insoweit auf Bl. 534/546 d.A. Bezug genommen. Zusammengefasst trifft das Gutachten die Diagnose einer schizotypen Störung (ICD-10: F21). Zudem stellte die Sachverständige die Verdachtsdiagnose einer psychischen Störung auf Grund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (ICD-10: F06) bei Zustand nach bekannter cerebraler Ischämie. Aus medizinischer Sicht wurden die Voraussetzungen einer Verlängerung der Betreuung in der bestehenden Form bejaht.
4
Am 03.02.2022 hörte das Amtsgericht Erding sodann den Betroffenen persönlich an. Auf den Vermerk der Anhörung, Bl. 557/558 d.A., wird Bezug genommen. Im Anschluss an die Anhörung verfügte das Amtsgericht u. a. die Herausgabe einer Abschrift des Gutachtens vom 27.12.2021 an den Betroffenen mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Die Aushändigung des Gutachtens erfolgte nicht vor der Anhörung, weil die Sachverständige Dr. G. in ihrem Gutachten attestiert hatte, dass hierdurch eine Gesundheitsgefährdung beim Betroffenen zu erwarten gewesen wäre. Auf Bl. 558 Rückseite wird insoweit Bezug genommen.
5
Nach vom Amtsgericht gewährter zweimaliger Verlängerung der Stellungnahmefrist nahm der Betroffene persönlich in einem Schreiben vom 28.03.2022 Stellung. Auf Bl. 566/571 d.A. wird insoweit Bezug genommen. Diese Stellungnahme beschäftigt sich umfassend mit der angeordneten Betreuung, den agierenden Personen und auch dem zuletzt vorgelegten Sachverständigengutachten. Mit Verfügung vom 31.03.2022 leitete das Amtsgericht diese Stellungnahme an die Betreuerin, den Verfahrenspfleger, die Betreuungsbehörde und die Sachverständige G. weiter und gab Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.
6
Der Verfahrenspfleger teilte daraufhin mit Schreiben vom 14.04.2022, Bl. 579 d.A., mit, dass der Betroffene in einem Gespräch mit ihm geäußert habe, dass er sich eine weitere Betreuung für sich und seine Schwester vorstellen könne, es ihm aber wichtig sei, dass seine Kritik an dem Gutachten der Sachverständigen G. vom Betreuungsgericht wahrgenommen würde. Die Sachverständige Dr. G. nahm sodann mit Schreiben vom 21.04.2022 zu dem Schreiben des Betreuten Stellung. Insoweit wird inhaltlich auf Bl. 581/583 d.A. Bezug genommen. Thematisch geht es bei dieser Stellungnahme um die Dauer der Erstellung ihres Gutachtens, ihr methodisches Vorgehen und das Zustandekommen ihrer Diagnose. Inhaltlich enthält diese Stellungnahme jedoch keine Änderungen zu dem zuvor erstatteten Gutachten.
7
Mit Beschluss vom 04.08.2022 verlängerte das Amtsgericht Erding die Betreuung für den Betroffenen. In dem Beschluss sind die folgenden Aufgabenbereiche umfasst: Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heimpflegevertrages, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Haus- und Grundstücksangelegenheiten, Organisation der ambulanten Versorgung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Wohnungsangelegenheiten. Als Betreuerin blieb Frau M. A. bestellt. Als Termin zur spätesten Überprüfung der angeordneten bzw. verlängerten Betreuung setzte das Amtsgericht den 20.04.2023 fest. Grundlage dieser Entscheidung war das ärztliche Gutachten der Sachverständigen Dr. G. vom 27.12.2021, der Bericht der Betreuungsbehörde vom 20.04.2021, die Stellungnahme der Betreuerin vom 20.04.2021 und 17.01.2022, die Stellungnahme des Verfahrenspflegers E. vom 19.01.2022 und der unmittelbare Eindruck des Gerichts, den sich dieses bei der Anhörung des Betreuten in dessen üblicher Umgebung am 03.02.2022 verschafft hatte. Hinsichtlich der Begründung des Beschlusses wird im übrigen auf Bl. 606/608 d.A. Bezug genommen.
8
Ausweislich des Vermerks der Wachtmeisterei des Amtsgerichts Erding wurde der Beschluss im Sinne des § 15 FamFG am 10.08.2022 zur Post gegeben.
9
Mit Schreiben vom 05.09.2022, eingegangen beim Amtsgericht Erding am 07.09.2022, legte der Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 04.08.2022 Beschwerde ein. Auf die Begründung dieser Beschwerde, Bl. 647/648 d.A., wird Bezug genommen.
10
Daraufhin hat das Amtsgericht Erding am 15.09.2022 eine weitere persönliche Anhörung des Betroffenen vorgenommen. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk, Bl. 649/650 d.A., Bezug genommen. In dem Anhörungsvermerk ist u.a. folgende Formulierung enthalten: „Es wird vereinbart, dass im Rahmen der Abhilfe der Beschwerde eine erneute Begutachtung zur Frage der Aufhebung der Betreuung bzw. Verlängerung der Betreuung auch gegen den Willen des Betreuten erfolgen soll. Im Anschluss soll gegebenenfalls die Entscheidung geändert bzw. dem Beschwerdegericht vorgelegt werden.“
11
Mit Beschluss vom 16.09.2022, Bl. 651/652 d.A., beauftragte das Amtsgericht Erding sodann ein weiteres medizinisches Gutachten zu den Voraussetzungen der Betreuungsverlängerung bei der nunmehr neu bestellten Sachverständigen Dr. C.
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Dieses neue Gutachten erstattete die Sachverständige Dr. C. am 01.11.2022. Inhaltlich wird auf Bl. 663/679 d.A. Bezug genommen. Zusammengefasst kommt die neue Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen eine psychische Krankheit in Form einer anhaltenden wahnhaften Störung bzw. differenzialdiagnostisch eine Erkrankung aus dem schizophrenen Spektrum (ICD 10: F22.0) zu erkennen sei. Hierbei handele es sich um eine nicht nur vorübergehende krankhafte Störung der Geistestätigkeit. Die Sachverständige bejahte aus medizinischer Sicht die Anordnung bzw. Verlängerung der Betreuung in den bestehenden Aufgabenkreisen. Sie führt aus, dass der Betroffene bezüglich der Betreuung nicht einsichtsfähig sei und auf Grund seiner psychischen Erkrankung auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage. Auf Seite 16 unter Ziffer 12. führt die Sachverständige auch Folgendes aus: „Konfrontiert mit dem Ausmaß der Defizite, wie im Gutachten ausführlich dargestellt, begleitet von dem Wunsch weiterhin eigenständig zu agieren, zu lenken und letztendlich das Geschehen zu dominieren, kommt es bei Herrn L. zu einer Kränkung seiner Person, respektive einer Ausweitung des Wahnsystems, sowie einem Gefühl der Hilflosigkeit, das im Falle des Probanden suizidale Gedanken oder zumindest einer Destabilisierung der Psychopathologie induzieren könnte. Aus gutachterlicher Sicht wird deshalb eine Aushändigung des Gutachtens keinesfalls empfohlen.“
13
Mit Verfügung vom 18.11.2022 leitete das Amtsgericht dieses Gutachten an die Betreuerin und den Verfahrenspfleger mit Gelegenheit zur Stellungnahme weiter.
14
Am 07.12.2022 hörte das Amtsgericht Erding den Betroffenen sodann erneut im Betreuungszentrum – persönlich an. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk, Bl. 699/700 d.A., Bezug genommen.
15
Daraufhin half das Amtsgericht Erding mit Beschluss vom 12.12.2022 der Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 04.08.2022 nicht ab und legte die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor. Bezüglich des Nichtabhilfebeschlusses wird auf Bl. 701/702 d.A. Bezug genommen.
II.
16
Die zulässige Beschwerde des Betreuten gegen den Betreuungsverlängerungsbeschluss vom 04.08.2022 ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die Betreuung zu Recht angeordnet/ verlängert.
17
1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Betreuung liegen gem. § 1814 Abs. 1 BGB weiterhin vor. Demnach bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger seine Angelegenheiten ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen kann und dies auf einer Krankheit oder Behinderung beruht.
18
Diese Voraussetzungen liegen vor:
19
a) Der Betroffene leidet an einer schizotypen Störung (ICD-10: F21). Dies stellt eine psychische Erkrankung im Sinne von § 1814 Abs. 1 BGB dar. Ferner besteht der Verdacht auf eine psychische Störung aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (ICD-10: F06), bei Zustand nach bekannter cerebraler Ischämie.
20
Dieser Schluss ist aus der ausführlichen medizinischen Begutachtung zu ziehen, die das Amtsgericht Erding in dieser Sache angestrengt hat. So kam die Sachverständige Dr. G. nach einer eingehenden persönlichen Untersuchung des Betroffenen (vgl. Bl. 535 d. A.) und unter Würdigung aller relevanten Behandlungsunterlagen der Vorbehandler zu ihrer medizinischen Schlussfolgerung. Die Kammer hat das Gutachtensergebnis unter Beachtung der gesamten Verfahrenshistorie kritisch hinterfragt und hält es für fachlich fundiert, plausibel, gut nachvollziehbar und deshalb sehr überzeugend.
21
Vor allem ist zu konstatieren, dass sich die Diagnose der Sachverständigen mit den Vorbefunden deckt, die im Rahmen des Betreuungsverfahrens erhoben wurden und sich die Diagnose einer psychischen Erkrankung bei dem Betroffenen wie ein roter Faden durch das Verfahren zieht.
22
So hatte bereits der vormalige Sachverständige Dr. R. in seinem Gutachten vom 07.05.2018, Bl. 42 ff. d. A., festgestellt, dass bei dem Betroffenen diagnostisch von einer schizotypen Störung auszugehen sein. Die Kammer hat sich auch noch einmal eingehend mit diesem Gutachten befasst und hat auf diese Weise erkannt, dass das aktuelle Gutachten der Sachverständigen in einer logischen und plausiblen Folge zu den vorhergehenden Befunden steht.
23
Das Amtsgericht hat – an und für sich in „überobligatorischer“ Weise – im Rahmen des Abhilfeverfahrens sogar noch ein weiteres Gutachten einer weiteren Sachverständigen erholt, nach der Lesart der Kammer, um die Akzeptanz des Betroffenen für seine medizinische Situation zu erhöhen, nachdem er die Schlussfolgerungen der Sachverständigen Dr. G. vehement angegangen hatte. Der Betroffene kann sich demnach Gewiss sein, dass seine Kritik vom Amtsgericht sehr ernst genommen und daran anknüpfend weitere Prüfungen unternommen wurden.
24
So hat sich in der Folge auch noch die Sachverständige Dr. C. eingehend mit dem Fall des Betroffenen befasst und am 01.11.2022 ihr Gutachten, Bl. 663 ff., erstattet. Auch diesem Gutachten liegt eine persönliche Exploration des Betroffenen durch die Sachverständige zugrunde, die am 07.10.2022 durchgeführt wurde. Nach den erkennbar sorgfältigen und überzeugenden Ausführungen kommt auch diese Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen eine psychische Erkrankung vorliegt. Die Kammer hat dabei nicht verkannt, dass die Sachverständige Dr. C. das Krankheitsbild diagnostisch geringfügig anders umschrieben hat, nämlich als anhaltende wahnhafte Störung, bzw. differenzialdiagnostisch als Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F22.0). Die Ziffern F20-F29 ICD-10 umschreiben jedoch insgesamt die Krankheitsbilder Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen und die leicht unterschiedliche Diagnose der beiden Gutachterinnen macht im Ergebnis keinen Unterschied, weil es sich jedenfalls um eine psychische Erkrankung mit außerdem auch ähnlicher Symptomatik handelt. Gerade das äußere Erscheinungsbild der Erkrankung wird in beiden Gutachten im Prinzip identisch geschildert.
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b) Der Betroffene kann die im angegriffenen Beschluss umfassten Aufgabenbereiche nicht mehr selbst besorgen, § 1814 Abs. 1 BGB. Die Betreuung ist in diesen Aufgabenbereichen erforderlich.
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Die Unfähigkeit zur rechtlichen Besorgung der eigenen Angelegenheiten kann ihre Ursache in körperlichen Umständen des Betroffenen haben, aber auch geistiger oder seelischer Art sein, etwa iS eines Defizits im Bereich selbstverantwortlichen Handelns. Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten liegt im rechtsgeschäftlichen Bereich nicht nur vor, wenn die Besorgung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (zB wegen Geschäftsunfähigkeit) unmöglich ist, sondern bereits dann, wenn das Vermögen zur Besorgung der Angelegenheiten erheblich eingeschränkt ist. Dies ist hier der Fall.
27
Auch diesen Schluss zieht die Kammer aus dem überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. G. in Verbindung mit den weiteren Ermittlungsergebnissen, insbesondere den Gutachten Dr. R. und Dr. C. Die Sachverständige Dr. G. hat ausgeführt, dass die psychische Störung bei dem Betroffenen inzwischen einen chronischen Verlauf mit unterschiedlicher Intensität zeige. Der Betroffene sei aufgrund seiner leichten kognitiven Defizite, formalen Denkstörungen, dem misstrauischen Denken, den Defiziten des sozialen und beruflichen Lebens, der Affekt-, Antriebs- und Motivationsstörungen, seinen Verwahrlosungstendenzen, der Störung des Realitätsbezuges bei fehlender Krankheitseinsicht und auch der leicht eingeschränkten Kritik- und Urteilsfähigkeit bei hinzukommen somatischen Erkrankungen (morbus Bechterew, Zustand nach cerebraler Ischämie mit Hemiparese links und Blindheit auf dem rechten Auge und respiratorische Globalinsuffizienz) nicht mehr in der Lage, sich selbstständig um seine rechtlichen Angelegenheiten in den in Rede stehenden Aufgabenbereichen zu kümmern.
28
Aus medizinischer Sicht sei die Betreuung also erforderlich.
29
Diese Bewertung deckt sich auch vollständig mit den späteren Bewertungen der Sachverständigen Dr. C.. Diese führt aus, dass aufgrund des Ausmaßes der Psychopathologie (erhebliche Störung der exekutiven Funktionen, respiktive der Handlungskompetenz, persistierende wahnhafte Symptomatik, autistische Isolation mit Realitätsverlust bzw. Eigenweltlichkeit, fehlende Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft) die Weiterführung der Betreuung in den in Rede stehenden Aufgabenbereichen aus medizinischer Sicht erforderlich sei.
30
Dies deckt sich übrigens auch schlüssig mit den Bewertungen des Sachverständigen Dr. R. aus dem Jahr 2018.
31
Für die Kammer bestehen nach kritischer Würdigung dieses Ermittlungsergebnisses keine Zweifel, dass die Betreuung im Ausmaß des angegriffenen Beschlusses erforderlich ist. Die Sache ist eindeutig und wurde vom Amtsgericht Erding über das erforderlich Maß hinaus sehr intensiv aufgeklärt.
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c) Die Betreuung kann auch gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden.
33
§ 1814 Abs. 2 BGB sieht vor, dass gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1815 Abs. 2 BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz das für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können. Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Ist der Betroffene danach zur freien Willensbestimmung fähig, darf gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (BGH, Beschluss vom 14.03.2012, Az.: XII ZB 502/11; BGH, Beschluss vom 09.02.2011, FamRZ 2011, 630).
34
Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist festzustellen, dass der Betroffene derzeit zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage ist. Auch dies ergibt sich eindeutig aus den sachverständigen Bewertungen.
35
Die Kammer hat nicht verkannt, dass der Betroffene im Rahmen der Explorationen insoweit einen durchaus positiven Eindruck hinterlassen hat und bei der Sachverständigen den Eindruck vermitteln konnte, zumindest in der Untersuchungssituation seinen Willen relativ frei zu bestimmen. Gleichwohl führt die Sachverständige Dr. G. aber schlüssig und überzeugend aus, dass der Betroffene die Konsequenzen einer Nicht-Behandlung seiner somatischen Erkrankungen nicht erkennen kann und sich dadurch in der Vergangenheit bereits erheblich selbst gesundheitlich geschädigt hat. Auch in den Selbstverwaltungsangelegenheiten zeigten die anamnestischen Erkenntnisse aus der Vergangenheit, dass der Betroffene hier die Konsequenzen seines Handelns nicht einschätzen könne. In Verbindung mit der Grundsymptomatik kommt die Sachverständige auch in Ansehung dessen zu dem Ergebnis, dass die freie Willensbestimmung beim Betroffenen derzeit nicht vorliege.
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Auch dies wird von dem Gutachten der Sachverständigen Dr. C. eindeutig bestätigt. Diese erläutert in ihren Schlussfolgerungen, dass aufgrund des Ausmaßes der psychischen Erkrankung die freie Willensbestimmung aufgehoben sei.
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Beide Gutachten leiten dies überzeugend aus diversen Befunden her und begründen diese Bewertung einleuchtend. Die Kammer hat keinen Grund, dies anzuzweifeln.
38
d) Auch die vom Amtsgericht angeordnete Überprüfungsfrist ist nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich im gesetzlich vorgesehenen Rahmen und wurde so von beiden Sachverständigen empfohlen (7 Jahre).
39
e) Auch gegen die Auswahl der Betreuerin bestehen keine Bedenken. Es gibt vorliegend keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Berufsbetreuerin für den hier maßgeblichen Aufgabenbereich ungeeignet sein sollte. Auch eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Betreuerin und dem Betreuten ist nicht ersichtlich. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten im Sinne gelegentlicher Lästigkeiten für den Betroffenen reichen hierzu freilich nicht aus.
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2. Das Amtsgericht Erding hat auch das Verfahren ordnungsgemäß geführt. Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Vielmehr sollte der Betreute zur Kenntnis nehmen, dass sich das Amtsgericht hier in ungewöhnlich hohem Maße Mühe gegeben hat, die Voraussetzungen der Betreuungsverlängerung zu ergründen. So hätte es eigentlich der Erholung eines weiteren Gutachtens im Abhilfeverfahren gar nicht bedurft.
41
Das Amtsgericht hat den Betroffenen ordnungsgemäß vor der Entscheidung persönlich angehört. Der Verfahrenspfleger wurde dabei in vorbildlicher Weise beteiligt.
42
Es lagen zudem nach den beiden Sachverständigengutachten ausreichende Gründe vor, von einer Übersendung der Gutachten an die Betroffenen aus gesundheitlichen Gründen abzusehen. Der Verfahrenspfleger hat den Betroffenen vor der Anhörung auch vom Inhalt der Gutachten unterrichtet (vgl Bl. 551/552), bzw. dies versucht, so dass der Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör gewahrt wurde. Dem Betroffenen wurde das Gutachten der Sachverständigen Dr. G. dann nachträglich auch noch übersandt und er konnte hierzu Stellung nehmen. Dies hat das Amtsgericht sogar zum Anlass genommen, im Abhilfeverfahren ein weiteres Gutachten zu erholen. Auch dieses Gutachten wurde dem Betroffenen – der durch die Aushändigung nach Mitteilung der Sachverständigen Dr. C. hätte gesundheitlich geschädigt werden können – vom Verfahrenspfleger erläutert (vgl. Bl. 694 d. A.), bevor eine weitere persönliche Anhörung stattfand. Der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör wurde also gewahrt.
43
3. Von einer neuerlichen Anhörung hat die Kammer nach § 68 Abs. 3 FamFG abgesehen. Der Betroffene wurde vom Amtsgericht Erding im Kontext der angegriffenen Entscheidung mehrfach persönlich angehört. Von einer erneuten Anhörung sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.
44
4. Der Wert des Beschwerdegegenstands ergibt sich aus §§ 36 Abs. 3, 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.