Titel:
Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung – Darlegungs- und Beweislast – Darstellung des Meinungsstands in Rechtsprechung und Diskussion
Normenketten:
BGB § 195, § 199 Abs. Nr. 1, § 217
VVG § 203
VAG § 155 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Maßgeblich für die Verjährung ist nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch entstanden ist. Ein möglicher Anspruch auf Rückzahlung der Beitragsanpassungen entsteht im Moment der Zahlung und nicht bereits im Moment der Beitragsfestsetzung. Bei den Beitragszahlungen handelt es sich auch nicht um Nebenleistungen nach § 217 BGB, denn sie sind die Hauptleistung des Versicherungsnehmers. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Orientierungsätze:
Auch unter Berücksichtigung der dagegen vorgebrachten Argumente in der Rechtsprechung besteht im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen kein Grund von der üblichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast abzuweichen. Das Urteil des BGH vom 22.06.2022 AZ. IV ZR 193/20 wird unterschiedlich interpretiert (mit umfassender Darstellung der Rechtsprechung).
Nachdem sich eine einheitliche Rechtsprechung, insbesondere der Oberlandesgerichte, noch nicht herauskristallisiert hat, ist wegen der Bedeutung der Rechtsfrage zur Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen die Revision zuzulassen.
Schlagworte:
Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung, Darlegungs- und Beweislast, Zusammenstellung der Rechtsprechung mit Diskussion, konkrete Anhaltspunkte, beschränkter Angriff auf die Verteilung der Limitierungsmittel, private Krankenversicherung, Prämienanpassung, Prämienerhöhung, Begründung, Prämienrückzahlungsanspruch, Verjährung
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 21.06.2023 – 242 C 16846/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
BeckRS 2023, 33955
FDVersR 2024, 933955
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 21.06.2023, Az. 242 C 16846/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.190,12 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in seiner privaten Krankenversicherung. Der Kläger vertrat dabei in erster Instanz die Ansicht, die Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 und 01.01.2021 seien bereits formell unwirksam, nachdem sie nicht ordnungs-gemäß begründet worden seien. Zudem bestritt der Kläger, dass die Beklagte dem Treuhänder im Rahmen der Beitragsanpassungsverfahren jeweils alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt hätte und die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für diese Beitragsanpassungen. Die Beklagte berief sich unter anderem auf Verjährung.
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Das Amtsgericht München wies mit Urteil vom 21.06.2023 die Klage mit der Begründung ab, dass hinsichtlich der Beiträge, die bis zum 31.12.2018 geleistet wurden, eventuelle Rückforderungsansprüche verjährt seien. Die Prämienanpassung zum 01.01.2021 sei formell rechtmäßig. Die Beitragsanpassung sei auch materiell wirksam. Ob dem Treuhänder alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt wurden, sei für die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung nicht erheblich. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf die bestrittene Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen/Limitierungsmittelvergabe berufen. Sehe man die Limitierungsmittelvergabe als einen formalen Zwischenschritt der Treuhänderprüfung, sei der entsprechende Vortrag bereits aus den vorgenannten Gründen irrelevant. Sollten damit Einwendungen gegen die ordnungsgemäße Berechnung der Limitierungsmittel erhoben werden, sei nicht ersichtlich, ob die Maßnahmen Auswirkungen auf die von der Klägerseite nicht bestrittene Gesamtprämie habe. Es fehle zudem an einem geeigneten Beweisangebot.
3
Gegen dieses dem Kläger am 22.06.2023 zugestellte Urteil legte der Kläger am 17.07.2023 Berufung ein. In der innerhalb der verlängerten Frist eingegangenen Berufungsbegründung führte der Kläger aus, dass das Amtsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Das Amtsgericht habe die formelle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung zum 01.01.2017 zu Unrecht nicht geprüft. Denn die daraufhin bezahlten Mehrbeiträge ab dem 01.01.2019 seien nicht verjährt. Die Beitragsfestsetzung zum 01.01.2017 sei unzureichend begründet worden.
4
Das Amtsgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Vollständigkeit der Unterlagen, die dem Treuhänder im Rahmen des Überprüfungsverfahrens übergeben wurden, für die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen nicht relevant sei. Die Art und Weise der Limitierungsmittelvergabe liege im Ermessen der Versicherung. Nachdem die Limitierungsmittelvergabe nicht nur die tatsächlich richtig erfolgte Vergabe, sondern daneben auch noch ein volun-tatives bzw. kognitives Element erfordere, erlangten die Unterlagen, die den Limitierungsmittelvergabevorgang dokumentierten, eine besondere Bedeutung. Daher sei relevant, welche Unterlagen dem Treuhänder in diesem Zusammenhang zur Prüfung vorgelegt worden seien. Im Übrigen habe der BGH seine Auffassung, dass rein formale Kriterien bei der Beitragsfestsetzung keine Rolle spielten, inzwischen revidiert, denn der BGH habe entschieden, dass auch eine materiellrechtlich in vollem Umfang berechtigte Beitragsanpassung allein deshalb unwirksam sei, weil die Änderungsmitteilung formell unwirksam war. Hier würden offensichtlich die hiervon ausgehenden Gefahren für die Beitrags- und Leistungsstabilität hingenommen. Erst die Geeignetheit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen zur Überprüfung der Ermessensentscheidung mache die Limitierungsmittelvergabe materiell rechtmäßig.
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Im Übrigen habe das Amtsgericht verkannt, dass die Klageseite die Richtigkeit der Limitierungsmaßnahmen auch als solche bestritten habe. Der Kläger könne sich darauf beschränken, nur diesen Aspekt des Prämienanpassungsvorgangs als Teilbereich der materiellen Berechtigung einer Beitragsanpassung überprüfen zu lassen.
6
Den Kläger treffe nach der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der materiellen Rechtswidrigkeit keine Darlegungslast, gleich aus welchem Grund und in welchem Umfang diese vom Versicherungsnehmer angenommen werde.
7
Der BGH habe im Zusammenhang mit den Beitragsanpassungsverfahren die Grundsätze zum unbeachtlichen Bestreiten „ins Blaue hinein“ fortentwickelt. Dies sei auf Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts geschehen, nachdem dem Versicherungsnehmer eine umfassende Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit erfolgter Beitragsanpassungen zu gewährleisten sei. Der BGH habe zuletzt mit Urteil vom 22.06.2022 Az: IV ZR 193/20, bekräftigt, dass die Klage eines Versicherungsnehmers keines über das Bestreiten der Rechtmäßigkeit hinausgehenden Tatsachenvortrags bedürfe. Die Gegenansicht führe faktisch dazu, dass dem Versicherungsnehmer niemals Rechtsschutz gegen Prämienerhöhungen gewährt werden würde. Denn dem Versicherungsnehmer würde lediglich das Ergebnis einer erfolgten Prämienanpassung mitgeteilt, nicht jedoch der kalkulatorische oder aktuarielle Weg dorthin. Sämtliche Umstände im Zusammenhang mit der Beitragsberechnung spielten sich hinter verschlossenen Türen ab. Die Beklagte würde in anderen Verfahren die Unterlagen nur auf Grundlage eines strafbewehrten Geheimhaltungsbeschlusses vorlegen und damit sicherstellen, dass etwaige Unregelmäßigkeiten in diesem Verfahren nicht oder nur sehr erschwert offenbart werden könnten.
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Die Beklagte treffe insoweit die Darlegungslast. Sie müsse nicht nur sämtliche dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen zur Akte reichen, sondern in Bezug hierauf auch alle Umstände schrift-sätzlich vortrage, aus denen sie die Berechtigung der Beitragsanpassung ableitete.
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Im Hinblick auf die inzwischen erfolgten weiteren Beitragszahlungen auf die streitigen Beitragsanpassungen wurde die Klage im Verhältnis zur ersten Instanz erweitert.
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 21.06.2023, Az. 242 C 16846/22, wird abgeändert und die Beklagte nach Maßgabe der nachfolgenden Anträge verurteilt:
1) Es wird festgestellt, dass Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 190.186873571 unwirksam sind:
a) im Tarif COMFORT-U die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 20,84 €
b) im Tarif COMFORT-U die Erhöhung zum 01.01.2021 in Höhe von 38,33 €
c) im Tarif SP2 die Erhöhung zum 01.01.2021 in Höhe von 2,54 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen, um 61,71 € insgesamt zu reduzieren ist.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 2.598,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
Hilfsweise wird beantragt,
a) das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht München zurückzuverweisen.
b) die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung hinsichtlich des erweiterten Leistungsanspruchs in Höhe von 617,10 Euro zu verwerfen, sowie im vorgenannten Umfang hilfsweise, im Übrigen unbedingt, zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klageerweiterung verspätet sei. Der entsprechende Vortrag wäre ohne weiteres in der ersten Instanz möglich gewesen. Der neue Rückzahlungsanspruch sei ein abweichender Klagegegenstand. Zu Recht gehe das Erstgericht von einer Verjährung der Rückzahlungsansprüche bis einschließlich 31.12.2018 aus. Die Beitragsmitteilungen seien formell hinreichend begründet gewesen.
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Der Kläger habe in erster Instanz ausschließlich in Abrede gestellt, dass dem Treuhänder die für die Beurteilung erforderlichen Unterlagen nicht alle vorgelegen hätten. Der jetzige Vortrag, die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen werde allgemein bestritten, sei verspätet und diffus. Der Kläger könne auch die Limitierung nicht gesondert angreifen, nachdem sie ein Teil der Beitragskalkulation sei. Im Übrigen sei die Vollständigkeit der Unterlagen auch nicht Kriterium der materiellrechtlichen Prüfung.
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtswidrigkeit der Prämienanpassungen läge im Übrigen auf Klägerseite. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20. Soweit der Kläger vortrage, dass ihm entsprechende Fehler bekannt seien, was bestritten werde, könne dem Klägervertreter durchaus zugemutet werden, sein Wissen aus Parallelverfahren in den Prozess einzubringen. Die Klagepartei habe ihre Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit naturgemäß bereits vor Klageerhebung gebildet. Somit stützten sich diese Zweifel auf folgerichtig zur Verfügung stehende Informationsquellen bzw. gewonnene Erkenntnisse, beispielsweise einen ungewöhnlichen Beitragsverlauf. Damit könne eine redliche Klagepartei auch im Prozess ohne Weiteres vortragen, warum Zweifel gerade gegen die hiesige Beklagte vorliegen und diese Zweifel anhand tatsächlicher Anhaltspunkte schlüssig machen. Es könne nicht angehen, dass schlichte pauschale, textbausteinartige Bausteine standardmäßig gegen alle Versicherer verwendet werden könnten, ohne dass die Klagepartei vortragen müsse, warum ihre bereits geäußerten Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit auch gegenüber der hiesigen Beklagten begründet seien. Bei den anderen Parallelverfahren, auf die der Kläger sich stütze, sei ein anderer Versicherer beteiligt gewesen und nicht die hiesige Beklagte. Auch seien die Parallelverfahren von anderen Klägervertretern geführt worden. Der BGH habe nicht bestimmt, dass in Beitragsanpassungsverfahren die aufgestellten Grundsätze zu Beachtlichkeit eines Vortrags „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ und zur Grenze des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB nicht gelten würden. Der standardmäßige Vortrag der Klägervertreter in allen Verfahren bezwecke die Ausforschung der Beklagten und solle den Aufwand einer im Einzelfall zu begründenden Klage ersparen. Der Vortrag erfolge folglich ins Blaue hinein und sei somit un-beachtlich, unabhängig von der Frage der Beweislastverteilung. Es handele sich um einen Ausforschungsbeweis.
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Der Sach- und Streitstand wurde in der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2023 ausführlich erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil vom 21.06.2023, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Hinweise des Gerichts und die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung der Klagepartei ist nicht begründet.
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Die Berufungsanträge sind zulässig.
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Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt. Die Klageerweiterung ist nach §§ 263, 533 ZPO zulässig, weil sie sachdienlich ist. Die nun zusätzlich geltend gemachten Rückzahlungsansprüche sind nur teilweise vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden und beruhen im Übrigen auf denselben Beitragsanpassungen, die schon in erster Instanz streitgegenständlich waren.
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Die Anträge der Klagepartei sind jedoch insgesamt unbegründet.
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Die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen sind formell rechtmäßig. Auf die Vollständigkeit der Unterlagen, die dem Treuhänder im Zusammenhang mit dem Zustimmungsverfahren vorgelegt wurden, kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Klagepartei hat auch nicht in rechtserheblicher Weise Einwände gegen die materielle Rechtmäßigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen erhoben.
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1. Es sind zwar nicht alle Ansprüche aus der Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 verjährt, so dass das Amtsgericht auch diese Beitragsanpassung auf ihre formelle Rechtmäßigkeit hätte überprüfen müssen. Die Beitragsanpassung erweist sich jedoch als formell rechtmäßig, sodass sich dieser Fehler nicht entscheidungserheblich ausgewirkt hat.
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Maßgeblich für die Verjährung ist nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch entstanden ist. Ein möglicher Anspruch auf Rückzahlung der Beitragsanpassungen entsteht im Moment der Zahlung und nicht bereits im Moment der Beitragsfestsetzung (BGH 17.11.2021 – IV ZR 113/20, NJW 2022, 389). Bei den Beitragszahlungen handelt es sich auch nicht um Nebenleistungen nach § 217 BGB, denn sie sind die Hauptleistung des Versicherungsnehmers.
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Die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 ist jedoch formell rechtmäßig. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die von der Beklagtenseite vorgelegten Entscheidungen und Hinweise samt Begründungen in den Anlagen B 8 bis B 11 (OLG Hamm, Urteil vom 27.01.2023, Hinweis des OLG Koblenz vom 05.03.2021, Hinweis des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 03.02.2022 und Hinweis des OLG Schleswig vom 328.03.2022 (vorgelegt als Anlagen B 8 bis B 11) Bezug genommen.
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2. Das Amtsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Vollständigkeit der Unterlagen, die dem Treuhänder bei der Prüfung zur Verfügung standen, für die Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen irrelevant sind. Hier wird zunächst vollumfänglich auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen. Auch aus den zusätzlichen Erwägungen in der Berufungsbegründung ergibt sich nichts anderes.
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Eine rechtswirksame Prämienanpassung setzt nur voraus, dass die Versicherung bei der Prämienanpassung die Prämie korrekt nach den in § 203 Abs. 1 VVG genannten Vorschriften berechnet hat und der Treuhänder gemäß § 155 Abs. 1 VAG der Prämienanpassung zugestimmt hat. Ob der Treuhänder die Zustimmung aufgrund der vorgelegten Unterlagen hätte erteilen dürfen, ist nur aufsichtsrechtlich relevant und berührt die Wirksamkeit der Beitragsanpassung als solche nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen des OLG Nürnberg im Beschluss vom 05.06.2023, Az. 8 U 3284/22 (juris, Rn. 45), Bezug genommen. Soweit die Klagepartei sich darauf bezieht, dass die ermessensfehlerfreie Verteilung der Limitierungsmittel ein voluntatives Element enthält, ist dem zwar zuzustimmen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass bei einer Unvollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen zur Limitierungsmittelverteilung auch die zugrunde liegende Entscheidung der Versicherung ermessensfehlerhaft gewesen sein muss, weil sie offenbar nicht alles bedacht habe. Denn der Versicherung stehen naturgemäß alle Informationen zur Verfügung, nicht nur die, die sie dem Treuhänder ggf. unter Verkennung des Prüfungsumfangs übermittelt hat. Daher kann aus möglicherweise insofern lückenhaften Unterlagen nicht darauf geschlossen werden, dass die Entscheidung der Versicherung zur Limitierungsmittelverteilung ermessensfehlerhaft war.
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3. Unzutreffend ist die Auffassung des Amtsgerichts, der Kläger könne die materielle Rechtmäßigkeit nicht beschränkt hinsichtlich der Verteilung der Limitierungsmittel angreifen.
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Dass der Kläger dies beabsichtigte, ergibt sich aus der Zusammenschau seines Vortrags in erster Instanz. Im Schriftsatz vom 16.05.2023 hat der Kläger erläuternd aufgeführt, dass er nur die ordnungsgemäße Berechnung der Prämie entsprechend der Formeln der KVAV (§§ 10, 11 KVAV sowie §§ 15, 16 KVAV mit Anlage 1 und Anlage 2) unstreitig stellt, folglich die Limitierungsmittelvergabe nicht.
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Die Festsetzung der Versicherungsprämie erfolgt in einem 2-stufigen Verfahren. Zunächst werden die Prämien entsprechend den versicherungsmathematischen Grundlagen nach den Vorschriften der KVAV berechnet und sodann die Limitierungsmittel unter Berücksichtigung der Interessen der Versicherungsnehmer verteilt. Die Vergabe der Limitierungsmittel ist Teil des Prämienanpassungsverfahrens. Gemäß § 155 Abs. 2 VAG hat der Treuhänder diese zeitlich nach der Berechnung der Prämien in den einzelnen Tarifen nach § 155 Abs. 1 VAG auf etwaige Ermessensfehler zu überprüfen.
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Der Streitstoff unterliegt im Zivilprozess der Dispositionsbefugnis der Parteien. Daher kann sich der Versicherungsnehmer darauf beschränken, nur die im zweiten Schritt des Prämienanpassungsverfahrens erfolgte Verteilung der Limitierungsmittel als ermessensfehlerbehaftet anzugreifen.
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4. Dabei muss der Versicherungsnehmer auch nicht darlegen, dass eine ermessensfehlerfreie Verteilung der Limitierungsmittel bei ihm zu einer Beitragssenkung geführt hätte. Es genügt vielmehr, dass die Neuberechnung der Prämie möglicherweise zu seiner Besserstellung führen kann, denn die Verteilung der Limitierungsmittel kann nur insgesamt und nicht nur im Verhältnis zu einer bestimmten Person wirksam oder unwirksam sein (OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.11.2021 – 12 U 112/20, BeckRS 2021, 37080, Rn. 42, m.w.N. im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Verteilungsgerechtigkeit). Daher fehlt ihm insoweit nicht das Rechtsschutzbedürfnis an der Überprüfung.
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5. Die Klagepartei kann sich mit ihrem Vortrag jedoch im Ergebnis dennoch nicht mit Erfolg auf die behauptete materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen bzw. der Limitierungsmittelvergabe berufen. Im Hinblick auf die geltend gemachten Rückforderungsansprüche trägt nämlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast und außerdem erfolgt der Vortrag der Klagepartei ins Blaue hinein und ist damit auch im Hinblick auf den in Ziffer 1) der Anträge gestellten Feststellungsantrag unbeachtlich. Das ergibt sich aus Folgendem:
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Die von der Klagepartei erhobene Klage hat zwei Zielrichtungen: Zum einen wird die Rückzahlung der in der Vergangenheit auf die strittigen Beitragsanpassungen geleisteten Zahlungen verlangt. Zum anderen soll festgestellt werden, dass die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen unwirksam sind und die Klagepartei auch künftig nicht zur Zahlung des verlangten Mehrbetrags verpflichtet ist.
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Die Darlegungs- und Beweislast für Rückforderungsansprüche trägt nach allgemeinen Regeln für die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen gemäß § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) und §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) derjenige, der den Anspruch erhebt, also die Klagepartei. Darlegungs- und beweispflichtig für die Frage, ob der Mehrbetrag künftig vom Versicherungsnehmer verlangt werden kann, ist hingegen die Versicherung, die den Betrag geltend macht.
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Bei Beitragsanpassungen ist die Geltung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln jedoch höchst umstritten.
b) Überblick über die Rechtsprechung
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aa) Grundlegend für die gegenwärtige Diskussion sind folgende Gerichtsentscheidungen:
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Mit Beschluss vom 28.12.1999, Az. 1 BVerfG 2203/98 (juris), stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar sei, wenn der Versicherungsnehmer auf die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde oder des Treuhänders verwiesen wird. Denn deren Tätigkeit könne der Versicherungsnehmer nicht gerichtlich überprüfen lassen. Daher müsse ihm gegen Beitragsanpassungen ein effektiver Rechtsschutz im Zivilrechtsweg gewährt werden.
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Mit Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/ 2, entschied sodann der BGH, dass der Versicherer die Berechtigung zur Prämienanpassung darzulegen und zu beweisen habe, wenn sich der Versicherungsnehmer mit einer negativen Feststellungsklage gegen eine Prämienerhöhung wehrt.
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Im Beschluss des BGH vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, ging es im Wesentlichen um Fragen im Zusammenhang mit dem bei einer Beweisaufnahme gegebenenfalls durchzuführenden Geheimhaltungsverpflichtungsverfahren nach §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG. Hier hat der BGH seine bereits vorherige Ansicht im Urteil vom 09.12.2015 wiederholt. In diesem Verfahren hatte der Versicherungsnehmer nach der angegriffenen Beitragserhöhung den geforderten Mehrbetrag unter Vorbehalt bezahlt, sodass es bereits nach allgemeinen Grundsätzen bei der Darlegungs- und Beweislast des Versicherers blieb.
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Im Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, stellte der BGH dann fest, dass eine Klage auf Rückzahlung der Erhöhungsbeträge aufgrund einer behaupteten materiellen Unwirksamkeit der Prämienanpassung nur voraussetze, dass der Versicherungsnehmer Kenntnis von einer Prämienerhöhung habe und diese für materiell nicht berechtigt hält. Er habe insbesondere nicht das Fehlen einer materiell wirksamen Prämienerhöhung als Rechtsgrund für die Zahlung der erhöhten Beiträge darzulegen. Die Darlegungs- und Beweislast liege vielmehr beim Versicherer. Damit wich der BGH anscheinend erstmals – und überraschenderweise ohne Begründung (so z.B. Gramse: Beitragsanpassungen, Geheimnisschutz und effektiver Rechtsschutz, r+s 2023, 577, 578) – im Rahmen von Prämienanpassung von den sonst üblichen Darlegungs- und Beweislastregeln bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB ab.
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In der Rechtsprechung werden Zweifel daran geäußert, ob der BGH hiermit eine derart weitreichende Festlegung zur Darlegungs- und Beweislast für Beitragsrückforderungsklagen vornehmen wollte:
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Das OLG Brandenburg schreibt in seinem Urteil vom 12.07.2023, Az. 11 U 250/22 (BeckRS 2023, 20320, Rn. 20), dass „der BGH offen erkennbar keine Abkehr von dem allgemein anerkannten […] Grundsatz im Zivilprozessrecht erklärt [habe], wonach 'ins Blaue hinein' bzw. 'aufs Geratewohl' erfolgter Vortrag rechtsmissbräuchlich und zivilprozessual unbeachtlich“ sei, zumal „sich der BGH in [seinem Urteil vom 22.06.2022] vorrangig nicht auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast bezog, sondern in Bezug auf die Verjährung thematisierte, unter welchen Voraussetzungen einem Kläger es zumutbar ist, Klage zu erheben“.
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Im Urteil des LG Wuppertal vom 04.07.2023, Az. 4 U 276/22 (BeckRS 2023, 17390, 2. Leitsatz), heißt es: „Es ist nicht erkennbar, dass der 4. Senat des Bundesgerichtshofs von den anerkannten Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast – ohne konkrete Auseinandersetzung und Begründung – zulasten der Versicherer abweichen wollte. Die in diesem Zusammenhang üblicherweise genannten Entscheidungen beziehen sich entweder auf den Fall – wie hier nicht – einer negativen Feststellungsklage bzw. den Substantiierungsanforderungen im Zusammenhang mit der Verjährung“ (ähnlich im Urteil vom 24.10.2023, Az. 4 O 74/23, BeckRS 2023, 29956, Leitsatz und Rn. 22).
43
Das LG Stralsund schreibt in seinem Urteil vom 25.08.2023, Az. 6 O 84/22 (juris Rn. 151): „Der BGH hat sich noch nicht abschließend zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast geäußert, denn es liegt fern, dass der 4. Senat beim BGH ohne jegliche Begründung von den allgemein anerkannten Grundsätzen abweichen wollte, die er im Übrigen in anderen Zusammenhängen nicht infrage stellt.“
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Auch das LG Neuruppin (Urteil vom 11.07.2023, Az. 6 O 97/22, juris, Rn. 63) und das LG Oldenburg (Urteil vom 03.03.2023, Az. 13 O 731/22, BeckRS 2023, 4659) gehen davon aus, dass sich der BGH in dieser Entscheidung in erster Linie nur zur Frage der Verjährung äußern wollte (LG Oldenburg, a.a.O., Rn. 39: „Dies überzeugt aber nicht und ist womöglich auch vom BGH nicht in dieser Allgemeinheit gemeint“).
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Das LG Wuppertal schreibt im Beschluss vom 25.03.2023, Az. 3 O 4/21 (nicht veröffentlicht): „Die Entscheidung betrifft nur einen Einzelfall. Hätte der BGH tatsächlich uneingeschränkt für alle Prämienprozesse von der dargelegten grundsätzlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast abweichen wollen, und zwar unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer Rückzahlung zu Unrecht geleisteter Prämien oder der Versicherer unberechtigte Prämienzahlungen begehrt, und allgemein die Auffassung vertreten wollen, dass immer und uneingeschränkt der Versicherer das Vorliegen der Voraussetzungen einer Prämienerhöhung darlegen und beweisen muss, wäre zur Vermeidung einer scheinbaren Divergenz zur Entscheidungspraxis der anderen Senate beim BGH sowie der sonstigen ober- und untergerichtlichen Rechtsprechung im Zusammenhang mit bereicherungsrechtlichen Ansprüchen eine detaillierte rechtliche Begründung in der Entscheidung zu erwarten gewesen. Eine solche findet sich in der Entscheidung gerade nicht.“ Und weiter: „Für solche grundsätzlichen Erwägungen gab der vom BGH entschiedene Rechtsstreit gar keinen Anlass.“
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bb) Es hat sich in der Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, in der zur Frage der Darlegungs- und Beweislast in Beitragsanpassungsverfahren unterschiedlichste Auffassungen vertreten werden.
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(1) Überwiegend wird unter Bezugnahme auf das o.g. Urteil des BGH vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20 angenommen, dass bei Rückforderungsansprüchen die Darlegungs- und Beweislast beim Versicherer liege, jedoch mit unterschiedlichen Konsequenzen:
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Zum Teil wird der Standpunkt vertreten, dass sich der Versicherungsnehmer bei Beitragsrückforderungsprozessen mit einem schlichten Bestreiten ohne Angabe weiterer Anhaltspunkte begnügen könne:
49
Das OLG Dresden, Urteil vom 28.06.2023, Az. 1 U 167/23 (BeckRS 2023, 20473, Rn. 20), argumentiert, dass die Beweislast wegen des einseitigen Anpassungsrechts und zur Vermeidung unterschiedlicher Beweislast zum Feststellungsanspruch beim Versicherer liege.
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Ohne nähere Begründung unter Bezugnahme auf die o.g. BGH-Rechtsprechung vertreten diese Auffassung ferner das OLG Nürnberg (Hinweisbeschluss vom 05.06.2023, Az. 8 U 3284/22, juris), das OLG Köln (Urteil vom 10.02.2023, Az. 20 U 355/22, BeckRS 2023, 14927, und Urteil vom 01.09.2023, Az. 20 U 50/23, juris) und der 38. und 39. Senat des OLG München (Hinweisbeschluss vom 08.05.2023, Az. 38 U 6499/22, BeckRS 2023, 13103; Hinweisbeschluss vom 06.09.2023, Az. 39 U 2581/23 e, nicht veröffentlicht).
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Der 38. Senat des OLG München stellt sich in seinem Hinweisbeschluss vom 08.05.2023, Az. 38 U 6499/22 (BeckRS 2023, 13103, Rn 20), auf den folgenden Standpunkt: „Eine sekundäre Darlegungslast hat der Kläger – jedenfalls im aktuellen Verfahrensstadium – nicht.“ Und weiter: „Dagegen muss er nicht das Fehlen einer materiell wirksamen bei Prämienerhöhung als Rechtsgrund für die Zahlung der erhöhten Beiträge darlegen. In einem gerichtlichen Verfahren hat vielmehr der Versicherer darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für die erhöhte Prämie vorliegen“.
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Das OLG Köln führt im Urteil vom 10.02.2023, Az. 20 U 355/22 (BeckRS 2023, 14927, Rn 12), aus: „Trifft den Kläger damit keine Darlegungslast, so kann er sich mit einem schlichten Bestreiten der materiellen Richtigkeit und erst recht mit dem Bestreiten eines aus seiner Sicht für die materielle Richtigkeit erheblichen Teilaspekts begnügen. Daran ändert sich auch nicht deshalb etwas, weil die Beklagte substantiiert dargelegt haben mag, welche Unterlagen dem Treuhänder vorgelegt worden sein sollen. Ein entsprechender Vortrag würde nämlich nur dazu führen, dass Beweis zu erheben wäre, nicht aber zur Unbeachtlichkeit des Bestreitens des Klägers.“
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Andere Gerichte fordern vom Versicherungsnehmer zumindest konkrete Anhaltspunkte für die behauptete Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen:
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So erteilte der 14. Senat des OLG München in der Verfügung vom 09.05.2023, Az. 14 U 745/23 e (nicht veröffentlicht), folgenden Hinweis: „Anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass der Versuch einer näheren Begründung einfachen Bestreitens (bzw. einer eigenen Erklärung mit Nichtwissen) durch Behauptungen 'ins Blaue hinein' grundsätzlich nicht zur Unbeachtlichkeit der bestreitenden Einlassung führt. Eine Ausnahme ist allerdings zu machen – und hieran knüpft das Landgericht (EU S. 12) erkennbar an –, wenn die Behauptung ins Blaue hinein offensichtlich willkürlich oder sonst rechtsmissbräuchlich ist.“ Und weiter: „Für eine materielle Unwirksamkeit der konkreten Beitragsanpassungen im konkreten Tarif des konkreten Versicherers fehlt damit jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt, zugleich deutet die Art des Vortrags bereits auf sachfremde Motive hin.“
55
Das OLG Zweibrücken hält im Beschluss vom 19.06.2023, Az. 1 U 222/22 (BeckRS 2023, 17333, Rn 41), fest, dass ein Versicherungsnehmer schon in Ermangelung besonderer versicherungstechnische Kenntnisse, aber auch aufgrund der ihm unbekannten Kalkulationen des Versicherers gerade nicht gehalten sei, sich Spezialkenntnisse anzueignen: „Dennoch darf ein Parteivortrag nicht ohne greifbare Anhaltspunkte für das Behauptete erfolgen. Denn es ist der den Zivilprozess beherrschende Beibringungsgrundsatz zu beachten und bleiben Ausforschungen des Verfahrensgegners grundsätzlich unzulässig. Dementsprechend muss sich die Partei auf konkrete Tatsachen bzw. Anhaltspunkte stützen, die zumindest nachvollziehbar eine bestimmte Behauptung stützen.“
56
Das AG Singen ist in seinem Urteil vom 10.02.2023, Az. 1 C 147/22 (BeckRS 2023, 2074 Rn. 60), der Ansicht, „Die gegenteilige Rechtsauffassung setzt sich über elementare Regeln der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess hinweg“, und begründet seine Rechtsauffassung mit der analogen Anwendung des Rechtsgedanken der §§ 260 Abs. 2, Abs. 3, 259 Abs. 3 BGB.
57
Das LG Rottweil urteilte am 03.03.2023, Az. 3 U 281/22 (BeckRS 2023, 3099, Rn. 37 ff. 41): „Vielmehr ist von ihr [= der Klagepartei] nur zu fordern, dass sie greifbare Umstände angeführt, auf die sich der Verdacht gründet, dass die Beitragsanpassung in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht gesetzeskonform ist.“
58
Wieder andere Gerichte sind der Auffassung, dass die Klagepartei sich im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast mit den von der Beklagtenseite im Prozess vorgelegten Unterlagen Prozess ggf. unter Einschaltung eines Privatgutachters auseinandersetzen müsse:
59
Das OLG Nürnberg steht im Hinweisbeschluss vom 18.09.2023, Az. 8 U 810/23 (BeckRS 2023, 24824, Rn. 19), auf folgendem Standpunkt: „Zweifellos durfte sich der Kläger zunächst darauf beschränken, pauschal die materiell-rechtliche Richtigkeit der Verteilung der Limitierungsmittel durch die Beklagte zu bestreiten. Nachdem die Beklagte jedoch das Limitierungskonzept erläutert und dem Kläger die maßgeblichen, dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen zugänglich gemacht hatte, oblag es dem Kläger, sein Bestreiten näher zu konkretisieren.“
60
Im Urteil des OLG Köln vom 04.05.2021, Az. 9 U 306/19 (r+s 2021, 403, Rn. 26), heißt es: „Soweit das LG sich demgegenüber darauf bezogen hat, dass es einem VN bereits im Vorfeld einer Beweisaufnahme möglich und zumutbar sei, auf der Grundlage von Informationen aus allgemein zugänglichen und umfangreichen Quellen in der modernen Informationswelt zumindest Plausibilitätserwägungen anzustellen, überspannt es die Anforderungen an die Substantiiertheit des klägerischen Vortrags. Zwar ist das pauschale Bestreiten der von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen seinem versicherungsmathematischen Gutachten zugrunde gelegten statistischen Nachweise in den technischen Berechnungsgrundlagen ohne Darlegung jedweder Anhaltspunkte als Bestreitens ins Blaue hinein unzulässig, wenn ein Kl. die Möglichkeit der Überprüfung dieser statistischen Nachweise durch einen eigenen Sachverständigen nicht wahrnimmt. […] Diese zutreffende Erwägung ist nach der Rspr. des erkennenden Senats aber nicht auf den hier vorliegenden Fall übertragbar, indem der Kl. ohne Durchführung einer Beweisaufnahme schon mangels Zugang zu und Kenntnis von den technischen Berechnungsgrundlagen die Plausibilität der versicherungsmathematischen Herleitung der im Streit stehenden Prämienanpassungen gar nicht überprüfen kann; weder selbst noch durch einen eigenen Sachverständigen […].“
61
Das LG Arnsberg führt im Urteil vom 16.05.2019, Az. 1 O 127/18 (juris, Rn. 78), aus: „Greifbare Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Berechnung hat der Kläger nicht dargelegt. Insoweit hätte der Kläger die Möglichkeit wahrnehmen können, die Plausibilität technischer Nachweise durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen lassen zu können. […] Ausreichend wäre aber nach Wertung der Kammer bereits die Darlegung von Anzeichen für eine fehlerhafte Berechnung gewesen, wie beispielsweise im Vergleich zu anderen Versicherern ungewöhnlich hohe Beitragsanpassungen.“
62
(2) Einige Oberlandesgerichte und Landgerichte gehen dagegen davon aus, dass es für Rückforderungsansprüche bei der üblichen Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers bleibe:
63
Das OLG Brandenburg schreibt im Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17 (BeckRS 2019, 65784): „Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs trägt die volle Darlegungsund Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des Mangels des rechtlichen Grundes […]. Weiter ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, die der Senat teilt, zu beachten, dass die Darlegungs- und Beweislast für vertragliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche, die auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, entsprechend den jeweiligen Regeln des materiellen Rechts unterschiedlich verteilt ist und daher für die einzelnen Ansprüche auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann (vergleiche nur BGH WM 2004, 195, 196, WM 2008, 2155, 2008, 2158). Danach schlägt weder die eine noch die andere Beweislastverteilung auf die jeweils andere Anspruchsituation durch, sondern jeder der unterschiedlichen Ansprüche teilt beweisrechtlich das Schicksal der für ihn maßgeblichen Beweisregeln“ (siehe auch: OLG Brandenburg, Urteil vom 12.07.2023, Az. 11 U 250/22, BeckRS 2023, 20320, Rn. 20).
64
Das OLG Düsseldorf weist in seinem Beschluss vom 25.02.2020, Az. 4 U 117/18 (nicht veröffentlicht), darauf hin, dass es ggf. den Auslagenvorschuss für ein Sachverständigengutachten von beiden Parteien einholen wird, „da der Kläger hinsichtlich des geltend gemachten Bereicherungsanspruchs für das Fehlen eines Rechtsgrundes beweisbelastet ist“ (dem folgend: LG Wuppertal, Urteil vom 11.10.2023, Az. 3 O 299/19, juris, Rn. 47.)
65
Das OLG Nürnberg führt in seinem Hinweisbeschluss vom 07.03.2023, Az. 8 U 3056/20 (NJW-RR 2023, 888, Rn. 29), mit Bezug auf die seiner Auffassung nach unbedeutende Rüge der Klagepartei, die dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen seien unvollständig gewesen, aus: „Dies gilt nach den obigen Ausführungen ungeachtet der differenziert zu bewertenden Frage der Beweislast, deren Verteilung davon abhängt, ob die Versicherung einen Beitragsanspruch auf der Grundlage eines angepassten Beitrags geltend macht oder ob der Versicherungsnehmer bereits bezahlte Beiträge bereicherungsrechtlich zurückverlangt.“
66
Dabei wird wiederum teilweise die Auffassung vertreten, dass der Versicherungsnehmer im Rahmen seiner Darlegungslast zwar Behauptungen mit Nichtwissen aufstellen darf, jedoch mindestens konkrete Anhaltspunkte für seine Behauptungen darstellen muss:
67
Das OLG Köln schreibt in seinem Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21 (nicht veröffentlicht, S. 9): „Für die Schadensersatzklage kann ein Vortrag wie der des Klägers nicht ausreichen, auch nicht mit dem zutreffenden Hinweis versehen, dass sich die materielle Richtigkeit einer Prämienfestsetzung in aller Regel nur mithilfe eines Sachverständigengutachtens klären lässt. Ohne Hinweis auf Fehler einen Sachverständigen mit der Überprüfung streitiger Prämienanpassungen zu beauftragen, bedeutet Ausforschung. Rechtlich und in seinen praktischen Auswirkungen, erschiene es dem Senat unvertretbar, wenn ein Versicherungsnehmer mit der blanken Behauptung, der Auslösende Faktor habe den Schwellenwert nicht überschritten, alle Prämienanpassungen der letzten zehn Jahre gerichtlich mittels aufwendiger Gutachten überprüfen lassen könnte. Das widerspräche den Zielen des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens und wäre nicht nur für die Versicherer unzumutbar, sondern müsste zwangsläufig zulasten der Gesamtheit der Versicherten gehen.“
68
Das LG Bremen führt in seinem Urteil vom 30.06.2022, Az. 6 O 1093/21 (BeckRS 2022, 47481, Rn 35), aus: „Danach kann eine Partei, hier der Kläger, eine Beweisaufnahme und die Klärung der erheblichen Tatsachen nur erreichen, wenn sie eine hinreichend bestimmte Behauptung aufstellt. Dadurch kann sie unter Umständen genötigt sein, eine Tatsache zu behaupten, die sie vermutet, über die sich jedoch kein eigenes gesichertes Wissen besitzt. Gleichwohl ist es in diesem Fall erforderlich, dass die beweisbelastete Partei zumindest Anhaltspunkte oder Indizien vorbringt. Die Behauptung darf nicht „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden.“
69
Das LG Neuruppin argumentiert in seinem Urteil vom 11.07.2023, Az. 6 O 97/22 (juris, Rn 64): „Um somit einem ansonsten erforderlich werdenden uferlosen Vortrag der darle-gungs- und beweisbelasteten Partei zu begegnen, bedarf es hier zunächst eines Erstvortrages des Klägers, der den Umfang seines Angriffs hinreichend erkennen lässt.“ Zu angeblich fehlenden Unterlagen im Treuhänderverfahren führt es aus: „Auch wenn es naturgemäß der Klägerseite schwerfallen wird, hier nähere Umstände darzulegen, ist hier gleichwohl zu fordern, dass zumindest hinreichende Anhaltspunkte für derart gravierende Ermessensfehler vorgetragen werden, dass hier die Einlegung eines Vetos durch den Treuhänder geboten gewesen wäre.“
70
Andere legen der Versicherung eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast auf, wobei der Versicherungsnehmer nach einem entsprechenden Vortrag der Gegenseite substantiiert vortragen muss:
71
Das LG Oldenburg führt in seinem Urteil vom 03.03.2023, Az. 13 O 731/22 (BeckRS 2023, 4659, Rn. 39), aus: „Die Darlegungs- und Beweislast für die materielle Unwirksamkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen liegt vorliegend beim Kläger. […] Zwar sind dem Versicherungsnehmer die Grundlagen einer Beitragsanpassungen nicht im Einzelnen bekannt, sodass ihm ein substantiierter Vortrag zu deren Unwirksamkeit nicht ohne weiteres möglich ist. Dem kann jedoch durch eine sekundäre Darlegungslast des Versicherers hinreichend Rechnung getragen werden. […] Soweit sich der Versicherungsnehmer als Laie nicht in der Lage sieht, die vom Versicherer zur Verfügung gestellten Unterlagen selbst zu prüfen, mag er sich selbst wiederum sachverständiger Hilfe bedienen.“
72
Das LG Stralsund vertritt in seinem Urteil vom 25.08.2023, Az. 6 O 84/22 (juris Rn. 150, 155), folgende Meinung: „Etwaige Wissenslücken können […] über eine sekundäre Darlegungslast kompensiert werden. […] Da nunmehr die Unterlagen überreicht wurden, obliegt es der Klagepartei darzulegen und zu beweisen, dass die Beitragsrückerstattung rechtswidrig erfolgt ist. Dazu gehört auch anhand der übergebenen Unterlagen konkret darzulegen, welche Maßnahmen bei der Limitierungsmittelvergabe unangemessen gewesen seien.“
73
Ebenso sieht es das LG Wiesbaden im Urteil vom 19.02.2020, Az. 5 O 104/19 (BeckRS 2020, 4385, Rn. 48).
74
Das LG Wuppertal argumentiert in seinem Urteil vom 04.07.2023, Az. 4 U 276/22 (BeckRS 2023, 17390, Rn 24, 26): „Eine Abweichung von den Grundsätzen zugunsten der Klägerseite und damit zulasten der Beklagtenseite lässt sich auch nicht pauschal mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes begründen. Für die Klagepartei wäre es äußerst effektiv, wenn sie von jeder Vortrags- und Nachweislast befreit würde. Dem steht aber der Anspruch der Beklagtenseite auf ein faires Verfahren gegenüber, demgemäß vergleichbare Sachverhalte gleichbehandelt werden müssen. […] Denn die Beklagtenseite hat die Übergabe der technischen Berechnungsunterlagen angeboten, ohne dass die Klägerseite die Einsichtnahme zur Substantiierung verlangte. Ihr diesbezüglicher Vortrag erfolgte immer gestützt auf der rechtlich unzutreffenden Ansicht, dass die Beklagte durch die Vorlage der Unterlagen weiter substantiieren müsse. […] Ein Verweis auf angeblich nicht eingehaltene Rechtsvorschriften stellt kein Sachvortrag dar, sondern ist erst Ergebnis der Bewertung des – hier fehlenden – Sachvortrages.“
75
(3) Wieder andere Gerichte verlangen von dem Versicherungsnehmer zumindest die Darlegung konkreter Anhaltspunkte oder eine Auseinandersetzung mit den Unterlagen der Gegenseite, ohne sich ausdrücklich zur Darlegungs- und Beweislast zu positionieren:
76
Das OLG Brandenburg schreibt in seinem Urteil vom 12.07.2023, Az. 11 U 250/22 (juris Rn 15, 20): „Unbeachtlich ist ein auf Vermutungen gestützter Sachvortrag einer Partei aber dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen 'aufs Geratewohl' oder 'ins Blaue hinein' aufstellt. […] Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch keine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor […].“
77
Das LG Düsseldorf führt in seinem Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2022, Az. 9a O 159/22 (Seite 6 f., nicht veröffentlicht), aus: „Zum einen geht aus dem Klagevortrag in keiner Weise hervor, auf welche konkreten Anhaltspunkte die Klägerseite ihre Vermutung der Unvollständigkeit der Unterlagen stützt. Der Vortrag bleibt – genau wie in zahlreichen anderen Verfahren, die die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei in der gesamten Bundesrepublik gegen Beitragsanpassungen führen – in Gestalt stereotyper Textbausteine, die jeden Bezug zum individuellen Fall vermissen lassen. Wenn es der Klägerseite nur um die abstrakte Möglichkeit geht, dass sich bei einer generellen Überprüfung aller Versicherungstarife eventuell ein Fehler zu ihren Gunsten ergeben könnte, umschreibt dies im besten Sinne den Begriff der Ausforschung. Bereits aus diesem Grund ist dem entsprechenden Vortrag der Klagepartei nicht weiter nachzugehen.“
78
Ebenso sieht es das LG Frankfurt (Oder) in seinem Urteil vom 11.11.2022, Az. 15 O 344/22 (BeckRS 2022, 32933, Rn. 21): „Die Kammer hält den Klägervortrag für ins Blaue erhoben. […] Er hangelt sich abstrakt an Überlegungen einer Entscheidung des OLG Stuttgart entlang, ohne auch nur ansatzweise zu unterlegen, wie dies zum vorliegenden Streitfall passt – nicht einmal die Frage erläuternd, ob dieselbe beklagte Versicherung betroffen war oder welche Erhöhungsjahre.“
79
Das LG Koblenz argumentiert in seinem Urteil vom 17.11.2022, Az. 16 O 208/22 (juris, Rn 44, 46): „Auch soweit der Kläger zum Prüfungsgegenstand des Treuhänders allgemein und nicht auf den konkreten Streitfall bezogen ausführt, verhelfen seine Angriffe nicht zum Erfolg. […] Kann das Gericht selbst, wie anscheinend der Kläger meint, die erforderliche Prüfung durchführen, so ist es auch dem anwaltlich beratenen Kläger zumutbar, die Unterlagen zunächst zu sichten und erst sodann auf der Grundlage der Sichtung – nicht mehr einfach ins Blaue hinein – konkret vorzutragen.“
80
Die unterschiedlichen Auffassungen haben erhebliche Auswirkungen auf die prozessuale Situation der Beteiligten und die wirtschaftlichen Konsequenzen:
81
Könnte der Versicherungsnehmer die materielle Rechtsmäßigkeit der Beitragsanpassungen ohne konkrete Anhaltspunkte und ohne Darlegungs- und Beweislast einfach pauschal bestreiten, läge das wirtschaftliche Risiko für die Prozessführung vollständig beim Versicherer. Auch der redliche und rechtmäßig handelnde Versicherer wäre allein aufgrund der durch nichts gestützten Behauptung eines Versicherungsnehmers, die Beitragsanpassungen seien materiell rechtswidrig, gezwungen, im Rahmen einer Beweisaufnahme Versicherungsunterlagen für u.U. viele Jahre vorzulegen und die Beweisaufnahme vorzufinanzieren, §§ 402, 379 ZPO. Wegen der erheblichen Überlastung der wenigen zur Verfügung stehenden Sachverständigen ziehen sich die Beweisaufnahmen über mehrere Jahre hin (nach aktueller Auskunft der von der Kammer beauftragten Sachverständigen bis zu 5 Jahre). Außerdem könnte der Versicherungsnehmer während der andauernden Beweisaufnahme seine Klage voraussetzungslos immer wieder auf zwischenzeitliche weitere Beitragsanpassungen erstrecken, was nach Erfahrung der erkennenden Kammer auch geschieht. Dies bedeutet, dass die betroffenen Versicherungen die Beweisaufnahme über Jahre kreditieren und letztlich gemäß §§ 91, 104 f., 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch das Ausfallrisiko tragen müssten, falls sie den Prozess zwar gewinnen, die Klagepartei jedoch nicht leistungsfähig ist. Angesichts der Masse der bei den Amtsgerichten und Landgerichten anhängigen Verfahren stellt dies eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung der Gemeinschaft der Versicherten bzw. der Versicherungswirtschaft dar. Letztendlich läuft dies auch auf einen Ausforschungsbeweis zulasten der beklagten Versicherungen hinaus.
82
Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an den klagenden Versicherungsnehmer auch nicht überspannt werden, da ihm effektiver Rechtsschutz im Zivilprozess zu gewähren ist (BVerfG, Az. 1 BvR 2203/98, Beschluss vom 28.12.1999, juris).
c) Lösung nach allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln
83
Vor diesem Hintergrund vertritt die erkennende Kammer die Auffassung, dass unter Abwägung der Interessen der Prozessbeteiligten kein Grund besteht, von den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln abzuweichen:
84
(aa) Für Rückforderungsansprüche nach §§ 812 ff. BGB oder aus vertraglicher Pflichtverletzung gilt nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast desjenigen, der den Anspruch geltend macht.
85
(1) Das bedeutet nicht, dass von Versicherungsnehmern in Zivilverfahren über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen bei Klageerhebung ein unzumutbarer Sachvortrag verlangt wird. Denn gemäß § 138 ZPO kann eine Partei, der die erforderlichen Kenntnisse fehlen, bestimmte Erklärungen mit Nichtwissen abgeben (Zöller, 33. Aufl., § 138 ZPO Rn. 2; BGH – VII ZR 190/20, juris, Rn. 22). Anschließend muss sich der Prozessgegner im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast zu den Streitpunkten äußern (Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 138 Rn 8b unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung).
86
Die Grenze der zulässigen Erklärung mit Nichtwissen ist allerdings erreicht, wenn die Klagepartei Behauptungen aufstellt, die sich lediglich auf Vermutungen stützen, aus der Luft gegriffen sind und sich somit als Rechtsmissbrauch darstellen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20 m.w.N., juris). Was darunter zu verstehen ist, hat der BGH in dem o.g. Urteil zum sogenannten „Dieselskandal“ dargelegt (BGH a.a.O., Rn. 21 ff.): Der BGH äußerte sich dazu, was der Käufer eines Dieselfahrzeugs für die prozessuale Beachtlichkeit seiner Behauptung, dass in seinem Fahrzeug eine Steuerungseinheit, mit der Vorschriften zur Abgasregulierung umgangen würden, verbaut sei, vortragen muss, und den Vortrag „tatsächlicher Anhaltspunkte“ verlangt (BGH a.a.O. Rn. 23 ff.). Nur dann ist der Prozessgegner verpflichtet, sich zu den Behauptungen der Gegenseite überhaupt detailliert zu äußern (BGH, Urteil vom 04.08.2022, Az. III ZR 230/20, juris, Rn. 19-21, ebenfalls zum „Dieselskandal“). Die Situation der Käufer eines Dieselfahrzeugs ist vergleichbar mit der Situation von Versicherungsnehmern, deren Beiträge in der privaten Krankenversicherung erhöht wurden und die sie nun zurückverlangen: In beiden Fällen hat der Anspruchsteller keinerlei Kenntnisse der Firmeninterna. In beiden Fällen kann der Anspruchsteller u.U. ohne Hinzuziehung von Sachverständigen keine abschließende Beurteilung des Sachverhalts vornehmen. Eine unterschiedliche Behandlung dieser Sachverhalte ist nicht gerechtfertigt.
87
(2) Die Klagepartei ist auch nicht in Beweisnot. Sie kann gemäß §§ 421 ff. ZPO beantragen, dass die beklagte Versicherung die im Rahmen der Beweisaufnahme erforderlichen Unterlagen vorlegen soll. Dabei müssen die Voraussetzungen des § 424 ZPO erfüllt sein, der den Zweck verfolgt, eine Ausforschung des Gegners zu vermeiden (Feskorn in Zöller, 33. Auflage, § 424 ZPO Rn. 2). Darüber hinaus kann die Urkundenvorlage auch nach § 142 ZPO unter den dortigen erleichterten Voraussetzungen angeordnet werden, wobei jedoch nach der Gesetzesbegründung die Vorlageanordnung gemäß § 142 ZPO die antragstellende Partei nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast befreit [Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 f. zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)]:
„Hinsichtlich der Regelungen in den §§ 142, 144 (Vorlage von Urkunden u. a.) ist klarzustellen, dass damit keine (unzulässige) Ausforschung der von einer richterlichen Anordnung betroffenen Partei oder des Dritten bezweckt wird. Die genannten Bestimmungen erweitern die Befugnisse, die dem Richter bereits nach dem geltenden Recht eingeräumt sind, nur behutsam. Schon nach geltendem Recht kann den Parteien nach Maßgabe der §§ 142, 273 ZPO die Vorlage von Urkunden und anderen Gegenständen aufgegeben werden. Den Interessen der Parteien an der Wahrung ihrer Geheimnisse trägt der Richter dadurch Rechnung, dass er von dem ihm eingeräumten Ermessen entsprechenden Gebrauch macht. Diese flexible, den gegenläufigen Interessen Raum gebende Lösung hat sich in der Vergangenheit bewährt. Der vorliegende Entwurf wird daran im Grundsatz nichts ändern. Insbesondere ist die Befürchtung, die geplanten Neuregelungen näherten den deutschen Zivilprozess an das Leitbild des USamerikanischen 'discovery'-Verfahren an, nicht begründet: Die neuen Vorschriften verleihen ebenso wenig wie das geltende Recht die Befugnis, schutzwürdige Geheimbereiche von Verfahrensbeteiligten auszuforschen. […] Eine solche Ausforschung der Parteien oder des Dritten ist und bleibt prozessordnungswidrig.“
88
(3) Demzufolge müssen Versicherungsnehmer im Rückforderungsprozess nach den üblichen Grundsätzen konkrete Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen vortragen. Dies bedeutet weniger als eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Berechnungsunterlagen der Beklagtenseite, die den Versicherungsnehmern bei Klageerhebung regelmäßig nicht bekannt sein dürften, jedoch mehr als schlichtes Bestreiten bzw. schlichtes Behaupten „ins Blaue hinein“.
89
Daher ist es nicht ausreichend, wenn der Versicherungsnehmer im Verfahren lediglich abstrakt Ausführungen dazu macht, was die Versicherung im Rahmen eines Beitragsanpassungsverfahrens alles zu beachten hat. Er muss vielmehr unter Hinzuziehung der verfügbaren Informationen konkret zu Anhaltspunkten für die mögliche Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen Stellung nehmen.
90
Um welche Art von Darstellung es dabei gehen kann, kann beispielhaft dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Az. 1 BvR 2203/98 (Beschluss vom 28.12.1999, juris, Rn. 6), entnommen werden:
„Der Beschwerdeführer erhob vor den Zivilgerichten Klage auf Feststellung, dass Prämienerhöhungen seiner privaten Krankenversicherung unwirksam seien. Sie lägen weit über den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und wären viel höher als bei anderen Versicherungsgesellschaften. Nach einer Vertragsdauer von 30 Jahren müssten sich die angesammelten Altersrückstellungen günstiger auswirken. Seine Krankenversicherung verteile die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen einseitig zu Lasten der Alten und Kranken und bevorzuge die Jungen und Gesunden, um einen Anreiz für den Abschluss einer Neuversicherung zu geben.“
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Informationen hierzu kann sich der Versicherungsnehmer bereits vor Klageerhebung aus öffentlich zugänglichen Quellen verschaffen und auf dieser Basis die Erfolgsaussichten seiner Klage abwägen und sodann im ggf. anschließend eingeleiteten Zivilprozess hierzu konkret vortragen. Auch Erkenntnisse, die den Klägervertretern aus anderen Verfahren bekannt geworden sind, können vorgetragen werden. Dabei muss der Vortrag mit Rücksicht auf etwaige Geheimhaltungpflichten nur so konkret sein, dass die Beklagtenseite den Vortrag zuordnen kann, also die erwähnten Verfahren identifizieren und beurteilen kann, ob die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen überhaupt davon betroffen waren. Etwaige Geheimhaltungspflichten aus anderen Verfahren erfassen regelmäßig nur die Geschäftsunterlagen selbst, nicht jedoch die Schlüsse, die hieraus gezogen wurden. Damit wird der Streitstoff von Anfang an sinnvoll eingegrenzt (vgl. § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO) und ein pauschaler, umfassender Angriff im Sinne eines Ausforschungsbeweises zulasten der beklagten Versicherung unterbunden.
92
Außerdem wird vermieden, dass die wohl überwiegend für notwendig gehaltene Eingrenzung des Streitstoffs erst im Rahmen einer Art Zwischenverfahren vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolgt, nämlich wenn zunächst von der Beklagtenseite ein detaillierter Vortrag zu den Beitragsanpassungen verlangt wird, zu dem die Klagepartei dann substantiiert Stellung nehmen muss. Dies würde nämlich einerseits bedeuten, dass die Klagepartei unter Umständen noch vor einer Beweisaufnahme einen Privatsachverständigen zurate ziehen müsste, um in der nötigen Detailtiefe zu den Unterlagen der Beklagtenseite Stellung nehmen zu können. Auf der anderen Seite würde dies eine Ausforschung der beklagten Versicherung ermöglichen, weil sich die Klagepartei nach Vorlage der Unterlagen daraus die passenden Argumente heraussuchen könnte.
93
Durch die Anwendung der allgemeinen Beweisgrundsätze wird der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite nicht unangemessen benachteiligt und nicht in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Es entspricht der gesetzgeberischen Wertung des § 812 BGB, dass die Verschiebung des Vermögensgegenstands vom Anspruchsinhaber zum Anspruchsgegner zu einer Umkehr der Beweislast führt. Dies gilt nach der gesetzgeberischen Wertung sogar für den Fall der Eingriffskondiktion, bei der der Anspruchsteller – anders als hier – an der Verschiebung des Vermögenswerts gar nicht beteiligt war. Der Versicherungsnehmer hat die nun zurückgeforderten Beiträge – oft jahrelang – vorbehaltlos gezahlt.
94
Die o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht dieser Sichtweise nicht entgegen: Das Bundesverfassungsgericht hat nur festgestellt, dass dem Versicherungsnehmer effektiver Rechtsschutz im Zivilrechtsweg gewährt werden muss. Es hat jedoch nicht entschieden, dass der Anspruch auf materiellrechtliche Überprüfung von Beitragsfestsetzungen voraussetzungslos gewährt werden müsse. Von einer Außerkraftsetzung der Grundsätze über die Beweislastverteilung, des Willkürverbots und des Rechtsmissbrauchs ist nicht die Rede. Vielmehr hat sich das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden, die konkreten Anhaltspunkte des Versicherungsnehmers für die Klage immerhin in einen ganzen Abschnitt aufzunehmen (s.o.). Es ist nicht anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht dies getan hätte, wenn diese konkreten Anhaltspunkte für den Rechtsstreit vollkommen irrelevant gewesen wären.
95
bb) Für die negative Feststellungsklage, also den Antrag der Klagepartei, festzustellen, dass sie auch künftig nicht zur Zahlung des erhöhten Beitrags verpflichtet ist, ist nach allgemeiner Meinung derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der sich des streitigen Anspruchs berühmt, hier also die Beklagte (BGH, Urteil vom 02.03.1993, Az. VI ZR 74/92; ständige Rechtsprechung; für Beitragsanpassungen z.B. BGH 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02, juris, Rn. 15).
96
(1) Das betrifft jedoch zunächst nur die jeweils letzte Beitragsanpassung in dem streitgegenständlichen Tarif. Denn jede spätere formell und materiell rechtmäßige Beitragsanpassung stellt eine vollständige Neufestsetzung der Prämie in dem betreffenden Tarif für den neu kalkulierten Zeitraum dar, sodass frühere Prämienanpassungen ab diesem Zeitpunkt keine Bedeutung mehr haben (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19; Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19). Ist die letzte Beitragsanpassung in dem jeweiligen Tarif formell und materiell wirksam, ist die negative Feststellungsklage unbegründet. Weiter zurückliegende Tarifanpassungen sind dann insoweit irrelevant.
97
(2) Die Klagepartei kann im Rahmen der negativen Feststellungsklage grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen pauschal und ohne Angabe von Gründen bestreiten.
98
Denn der BGH führt nämlich zum Bestreiten mit Nichtwissen in ständiger Rechtsprechung Folgendes aus:
„Gemäß § 138 II ZPO hat sich eine Partei grundsätzlich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Sie darf sich also, wenn der Gegner seiner Erklärungslast nachgekommen ist, nicht mit einem bloßen Bestreiten begnügen, sondern muss erläutern, von welchem Sachverhalt sie ausgeht. Der Umfang der erforderlichen Substantiierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gem. § 138 II ZPO. Ob ein einfaches Bestreiten als Erklärung gem. § 138 II ZPO ausreicht oder ob ein substanziiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn eine Partei einen Vortrag mit Nichtwissen gem. § 138 IV ZPO bestreiten kann. Nach dieser Vorschrift ist die Erklärung einer Partei mit Nichtwissen über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Weitere Voraussetzung ist, dass die Partei für die jeweiligen Tatsachen nicht darlegungs- und beweisbelastet ist. Die Zulässigkeit einer solchen Erklärung schließt die Verpflichtung der Partei zu substanziiertem Bestreiten aus“ (BGH, Urteil vom 04.04.2014 – V ZR 275/12, m.w.N.).
99
(3) Etwas anderes gilt nur im Falle des Rechtsmissbrauchs. Dazu führt der BGH in ständiger Rechtsprechung Folgendes aus:
„Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen “aufs Geratewohl” oder “ins Blaue hinein” aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (vgl. BGH, NJW 1995, 2111 [2112] = LM H. 9- 1995 § 138 ZPO Nr. 35; NJW 1992, 1967 [1968] m.w.Nachw. = LM H. 9 -1992 § 286 [E] ZPO Nr. 25)“ (BGH, Urteil vom 17.09.1998, Az. III ZR 174-97, NJW-RR 1999,361, m.w.N.).
100
Dies greift auch das OLG Zweibrücken in seinem Hinweisbeschluss vom 22.05.2023, Az. 1 U 218/22 (BeckRS 2023, 13996, Rn. 13 f.) auf:
„Allerdings ist anerkannt, dass eine Partei gegnerischen Vortrag nicht ins Blaue hinein bestreiten darf; insoweit gilt das Gleiche wie beim Sachvortrag ins Blaue hinein. Dementsprechend ist ein Bestreiten dann unbeachtlich, wenn es willkürlich erfolgt, d.h. ohne greifbare tatsächliche Anhaltspunkte vorgenommen wird (konkret für das Bestreiten BGH, Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15; BGH, Urteil vom 15.06.2000, Az. I ZR 55/98,; jeweils Juris; vgl. auch [für den Sachvortrag] BGH, Urteil vom 21.07.2021, Az. VIII ZR 254/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19; BGH, Urteil vom 26.04.2018, Az. VII ZR 139/17; jeweils Juris; s. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris: 'hinreichende Anhaltspunkte'). In dem einen wie in dem anderen Fall ist der den Zivilprozess beherrschende Beibringungsgrundsatz zu beachten und bleiben Ausforschungen des Verfahrensgegners grundsätzlich unzulässig. Dementsprechend muss sich die Partei auf konkrete Tatsachen bzw. Anhaltspunkte stützen, die zumindest nachvollziehbar eine bestimmte Behauptung stützen. […] Der Versicherte muss deshalb, will er die Beitragsanpassung des Versicherers wirksam bestreiten, gewisse Anhaltspunkte benennen, die zumindest die Möglichkeit aufscheinen lassen, dass die Beitragsanpassung materiell rechtswidrig war. Das erfordert keinen Angriff gegen einzelne Berechnungsparameter, erst recht keine Nachberechnung des beklagtenseits vorgelegten Rechenwerks. Erforderlich ist aber, dass Umstände benannt werden, die ganz grundsätzlich – so namentlich etwa durch einen Bezug auf allgemeine oder branchenspezifische Umstände oder einen konkreten Bezug auf vergleichbare andere Versicherungstarife – es legitimieren, mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand (zumal in mehrfacher Weise auch zulasten der Versichertengemeinschaft) die Beitragsanpassungen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen.“
101
Der Beschluss des BGH vom 29.11.2018, Az. I ZR 5/18 (juris), auf den sich das OLG München im Urteil vom 17.11.2022, Az. 25 U 1527/22 (nicht veröffentlicht), und im Hinweisbeschluss vom 08.05.2023, Az. 38 U 6499/22 (BeckRS 2023, 13103, Rn. 21) bezieht, um zu begründen, dass der Versicherungsnehmer die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen auch ins Blaue hinein bestreiten dürfe, steht dem nicht entgegen: Denn in der o.g. Entscheidung des BGH ging es nicht um ein vermeintlich rechtsmissbräuchliches Bestreiten, sondern um die Anwendung üblicher Beweiserhebungsregeln. Wie sich aus dem vorangegangenen Urteil des OLG München vom 07.12.2017, Az. 23 U 2440/17 (juris), ergibt, stritten die Parteien in jenem Verfahren um die Auslegung eines Vertrags. Hierzu war der Kläger angehört worden. Das Oberlandesgericht hatte die erst in der Berufungsinstanz angebotene Parteieinvernahme des Geschäftsführers der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, dass es mit Bezug auf § 448 ZPO an einer gewissen Anfangswahrscheinlichkeit für dessen Parteieinvernahme fehle.
d) Schlussfolgerung für den vorliegenden Fall:
102
Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, dass er auf der Grundlage der den klägerischen Prozessbevollmächtigten bekannten Informationen zuversichtlich sei, dass die Beklagte den ihr obliegenden Vollbeweis für die Rechtmäßigkeit der erfolgten Limitierungsmaßnahmen nicht führen können wird. Die Beklagte hat sich hierzu bereits in erster Instanz dahingehend eingelassen, dass den Klägervertretern die Treuhänder-Unterlagen der hiesigen Beklagten nicht bekannt seien, weil sie diese nicht gesichtet hätten, und dass es sich um denselben Textbaustein handele, der undifferenziert und wortgleich gegen sämtliche Krankenversicherer verwendet werde. Diese Ausführungen sind unstreitig geblieben. Obwohl der Kläger in zweiter Instanz rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung auf die Rechtsauffassung der erkennenden Kammer hingewiesen wurde, nach der die Darlegung von konkreten Anhaltspunkten für die behauptete Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen erforderlich ist, hat der Kläger seine Ausführungen nicht weiter konkretisiert, sondern ist bei der Behauptung geblieben, dass einem Versicherungsnehmer nähere Ausführungen nicht möglich seien. Das überzeugt nicht: Der Klägervertreter kann mitteilen, in welchen anderen Verfahren welche Fehler im Hinblick auf die Verteilung von Limitierungsmittel hinsichtlich der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Beklagten festgestellt worden seien, ohne gegen Geheimhaltungspflichten zu verstoßen. Im Übrigen stünde es dem Kläger auch frei, z.B. Auffälligkeiten im Hinblick auf die Beitragslast von jungen Versicherten und älteren Versicherten aufzuzeigen, ähnlich derer, die in dem o.g. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht dargestellt wurden und die ein Indiz für eine ermessensfehlerhafte Verteilung der Limitierungsmittel darstellen könnten. Das hat der Kläger nicht getan.
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aa) Damit kann er sich im Hinblick auf den geltend gemachten Rückforderungsanspruch (Ziffer 2. der Anträge) nicht auf eine materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen berufen.
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bb) Der Vortrag des Klägers erfolgt außerdem offensichtlich ins Blaue hinein, nachdem er sich unbestritten eines Textbausteins bedient, den er in gleicher Weise gegenüber allen Versicherern verwendet und der noch dazu im konkreten Fall unzutreffend ist, weil den Klägervertretern bisher gerade keine Unterlagen der Beklagtenseite zur Verteilung der Limitierungsmittel bekannt geworden sind. Damit dient der Sachvortrag des Klägers offensichtlich der Ausforschung der Beklagten, erfolgt ins Blaue hinein und ist mithin auch bezüglich des Feststellungsantrags in Ziffer 1. der Klage unbeachtlich.
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Das Amtsgericht hat demnach die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird gemäß § 543 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Vor den Gerichten sind unzählige Verfahren über Beitragsanpassungen in privaten Krankenversicherungen anhängig, über die noch zu entscheiden ist. Ein Abebben dieser Klagewelle ist nicht ersichtlich. Eine einheitliche Rechtsprechung hat sich noch nicht herauskristallisiert, insbesondere deshalb, weil sich die Oberlandesgerichte zwar mehrheitlich auf die Entscheidung des BGH vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, berufen, aus diesem Urteil jedoch unterschiedliche Schlüsse ziehen (s.o.).