Titel:
Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Streitwertes
Normenketten:
GKG § 39 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Nr. 1
AktG § 243 Abs. 4 S. 2, § 246a Abs. 1, § 247 Abs. 1 S. 1
ZPO § 260
Leitsätze:
1. Eine Gegenvorstellung ist statthaft, wenn der Gegenstandswert nach § 63 Abs. 3 GKG auch von Amts wegen geändert werden könnte. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten, liegt eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO vor. Es ist dann für jeden Klageantrag ein Teilstreitwert zu ermitteln und der Gesamtstreitwert durch Addition nach § 39 Abs. 1 GKG zu bilden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenvorstellung, Streitwertfestsetzung, Gegenstandswert, Beschlussmängelklage, Anfechtungsklage, Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, Hauptversammlungsbeschlüsse, Gesamtstreitwert, Freigabeverfahren
Vorinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 11.10.2023 – 7 U 380/23 e
LG München I, Endurteil vom 10.11.2022 – 5 HK O 2654/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33950
Tenor
1. Auf die Gegenvorstellung des Klägers zu 3) vom 01.11.2023, wird der Beschluss des Senats vom 11.10.2023, mit dem der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 500.000 € festgesetzt wurde, dahingehend abgeändert, dass der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 160.000 € herabgesetzt wird.
2. Im Übrigen wird der Gegenvorstellung des Klägers zu 3) keine Folge gegeben.
Gründe
1
Mit Schriftsätzen vom 23.01.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, legten die Kläger zu 1) bis 3) Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 10.11.2022, Az. 5 HK O 2654/22, ein, mit dem das Landgericht die Beschlussmängelklagen der Kläger zu 1) bis 3) gegen die Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 03.02.2022 zu Top 1 (“Beschlussfassung über die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der V. B. GmbH als herrschendem Unternehmen und der S. H. AG als abhängigem Unternehmen“) sowie zu den TOP 3.1, 3.2, 3.3 und 3.4 (Wahl des Herrn Dr. F. D., der Frau V. L., des Herrn W. A. S. sowie des Herrn W. W. in den Aufsichtsrat der Beklagten) abgewiesen hatte. In der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2023 setzte der Senat den Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren auf 500.000,00 € fest (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2023, Bl. 71 d. e.A.) und wies mit Endurteil vom selben Tag, Az. 7 U 380/23 e, Bl. 75/103 d. e.A., die Berufungen der Kläger zurück.
2
Bereits mit Beschluss vom 29.06.2022, Az. 7 AktG 2/22, hatte der Senat in dem von der Beklagten angestrengten Freigabeverfahren gegen die Kläger zu 1) bis 3) festgestellt, dass die Erhebung der Beschlussmängelklagen durch die Kläger zu 1) bis 3) beim Landgericht München I gegen den in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 03.02.2022 unter Tagesordnungspunkt TOP 1 gefassten Beschluss über die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der V. B. GmbH als herrschendem Unternehmen und der S. H. AG als abhängigem Unternehmen der Eintragung des Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten vom 03.02.2022 nicht entgegenstehe und Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt ließen.
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Mit seiner Gegenvorstellung vom 01.11.2023 (Bl. 104 d. e.A.) gegen den Streitwertbeschluss des Senats vom 11.10.2023 möchte der Kläger zu 3) unter Berufung auf den Beschluss des OLG Köln vom 04.01.2021, Az. I-18 U 161/17, die Herabsetzung des Streitwerts auf 27.790,91 € erreichen. Denn für die Zeit nach der Freigabeentscheidung des Senats vom 29.06.2022 komme es für die Bemessung des Streitwerts nur noch auf den Schadensersatzanspruch an, der den Klägern gemäß § 246 a Abs. 1 AktG zustehe. Als möglicher Schaden der Kläger in Folge der Freigabe seien vor allem die im Freigabeverfahren entstandenen Verfahrenskosten anzusetzen. Ein darüber hinausgehender Schaden sei nicht erkennbar. Dieser liege insbesondere nicht im Wert der Aktien. Denn soweit dieser über den im Verschmelzungsbeschluss [sic] vorgesehenen Abfindungsbetrag hinausgehe, sei dies gemäß § 243 Abs. 4 S. 2 im Spruchverfahren festzustellen. Dem Interesse der Beklagten an der Umsetzung des angefochtenen Beschlusses könne nach diesem Zeitpunkt keine Bedeutung mehr zukommen, weil der angefochtene Beschluss mit seiner Eintragung in Folge der Freigabeentscheidung endgültig wirksam geworden sei.
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Die Beklagte wendet gegen die Gegenvorstellung zunächst ein, dass sie nicht statthaft und wegen widersprüchlichen Verhaltens auch unzulässig sei. Im Übrigen seien bei der Streitwertfestsetzung auch nach einer Freigabeentscheidung weiterhin die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen, sodass die Höhe des Grundkapitals und das Interesse der Beklagten an der Umsetzung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags weiterhin den ursprünglichen Streitwert von 500.000 € rechtfertigten. Im Übrigen werde die vom OLG Köln in dessen Beschluss vom 04.01.2021, auf den der Kläger zu 3) Bezug nehme, vorgenommene gestaffelte Streitwertfestsetzung überwiegend abgelehnt.
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Die statthafte Gegenvorstellung des Klägers zu 1) ist insoweit erfolgreich, als der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 160.000 € herabzusetzen war. Im Übrigen bleibt die Gegenvorstellung erfolglos.
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1. Statthaft ist die Gegenvorstellung, wenn der Gegenstandswert nach § 63 Abs. 3 GKG auch von Amts wegen geändert werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 17.08. 2017 – V ZR 277/16, Rdnr. 5). Dies ist vorliegend gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 1 GKG der Fall. Der Gegenvorstellung wird auch nicht dadurch unzulässig, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2023 vor dem Senat bei der Erörterung des Streitwerts keine Einwendungen gegen eine Festsetzung auf 500.000 € erhoben haben.
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2. Die Gegenvorstellung ist allerdings nur teilweise begründet.
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a. Gemäß § 247 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmt das Prozeßgericht den Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen. Zu berücksichtigen ist dabei nicht nur das Interesse der Parteien des Beschlussmängelprozesses, d.h. der jeweiligen Anfechtungskläger und der Gesellschaft, sondern auch das Interesse der übrigen Aktionäre. Denn deren Interessen sind schon aufgrund der erweiterten Rechtskraftwirkung nach § 248 Abs. 1 S. 1 AktG stets betroffen (vgl. Vatter in BeckOGK AktG, Stand 01.10.2023, Rdnr. 9 zu § 247 AktG). Werden – wie vorliegend – mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten, liegt eine objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO) vor und ist für jeden Klageantrag ein Teilstreitwert zu ermitteln und der Gesamtstreitwert durch Addition nach § 39 Abs. 1 GKG zu bilden (vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.1992 – II ZR 249/90, Rdnr. 5).
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b. Das Interesse des Klägers zu 3) als Anfechtungskläger an der Nichtigerklärung des Beschlusses zu TOP 1 bemisst sich nach dem mit der Anfechtungsklage verfolgten wirtschaftlichen Vorteil bzw. dem mit dem angefochtenen Beschluss für den Kläger verbundenen wirtschaftlichen Nachteil. Nachdem der angefochtene Beschluss zu TOP 1 Gegenstand der Freigabeentscheidung des Senats vom 29.06.2022, Az. 7 AktG 2/22, war, würde die Wirksamkeit des klageweise angegriffenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags auch dann erhalten bleiben, wenn die Anfechtungsklage diesbezüglich Erfolg haben würde (vgl. Koch in ders., AktG, 17. Auflage, München 2023, Rdnr. 11 zu § 246a AktG), sodass nach der Freigabeentscheidung das streitwertrelevante Interesse der Anfechtungskläger hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 1 nur noch in der Begründung eines Schadensersatzanspruchs gegen die Gesellschaft nach § 246 a Abs. 4 AktG besteht. Als möglicher, durch die auf der Freigabeentscheidung beruhende Eintragung des Beschlusses zu TOP 1 entstandener Schaden der Anfechtungskläger kommen vorliegend die ihnen im Freigabeverfahren entstandenen eigenen sowie die von ihnen der Beklagten zu erstattenden Prozesskosten in Betracht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.01.2021 – I-18 U 161717, Rdnr. 14). Diese belaufen sich nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers zu 3) in seiner Gegenvorstellung einschließlich der Gerichtskosten auf insgesamt 27.790,91 €.
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Hinsichtlich der Gesellschaft ist grundsätzlich maßgeblich ihr Interesse an der Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses zu TOP 1. Aufgrund der infolge der nach der Freigabeentscheidung des Senats eingetretenen Wirksamkeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ist dieses Interesse jedoch bedeutungslos geworden. Das Interesse der Beklagten am Beschlussmängelverfahren hinsichtlich des TOP 1 besteht demnach nur noch in der Abwehr etwaiger klägerischer Schadensersatzansprüche nach § 246 Abs. 4 AktG. Es ist daher zum Interesse der Anfechtungskläger gegenläufig und begründet deshalb keine höhere Wertfestsetzung.
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Interessen weitere Aktionäre an dem Beschlussmängelverfahren zu TOP 1 sind nicht ersichtlich; dies insbesondere deshalb, weil an dem Freigabeverfahren keine weiteren Aktionäre beteiligt waren.
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c. Was der Kläger zu 3) bei seiner Gegenvorstellung außer Acht lässt, ist, dass Gegenstand des Berufungsverfahrens nicht nur die Anfechtung des Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung zu TOP 1 war. Vielmehr haben die Anfechtungskläger auch die Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung zu TOP 3.1 bis 3.4 angegriffen, mit denen vier Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten gewählt wurden. Diese Beschlüsse sind vom Freigabeverfahren nicht betroffen, sodass insoweit auf das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung dieser Beschlüsse abzustellen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei Beschlüssen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern die Beeinträchtigung des geschäftlichen Ansehens der Gesellschaft im Falle des Erfolgs der Beschlussmängelklage von Wertrelevanz. Dies bemisst der Senat in Anbetracht des nicht unerheblichen Grundkapitals der Beklagten von 13.288.166,80 € auf 125.000 €.
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d. Insgesamt entspricht es daher der Billigkeit, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 160.000 € herabzusetzen. Damit sind auch etwaige weitere, über die im Freigabeverfahren zu tragenden Kosten hinausgehenden Schäden der Anfechtungskläger ausreichend berücksichtigt.
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e. Auf die von der Beklagten in ihrer Stellungnahme auf die Gegenvorstellung des Klägers zu 3) ventilierte Frage, ob die vom OLG Köln in dessen Beschluss vom 04.01.2021 – I-18 U 161/17 vorgenommene Streitwertstaffelung zulässig ist, kommt es vorliegend nicht an. Denn zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufungen der Anfechtungskläger am 23.01.2023 war die Freigabeentscheidung des Senats vom 29.06.2022 bereits ergangen und das Freigabeverfahren daher bereits abgeschlossen. Es ist deshalb keine Veränderung erfolgt, die – was der Senat ausdrücklich offenlässt – möglicherweise eine Staffelung rechtfertigen könnte.