Titel:
kein Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV für nigerianischen Stiefvater eines spanischen, Kindes
Normenketten:
FreizügG/EU § 1
AEUV Art. 20
AEUV Art. 21
GG Art. 6
Schlagworte:
kein Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV für nigerianischen Stiefvater eines spanischen, Kindes
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33815
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Abschiebungsschutz im Zusammenhang mit einer gegen einen Ausweisungsbescheid erhobenen Klage.
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Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 7. Mai 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines Visums oder sonstigen Aufenthaltstitels zu sein.
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Zuvor war der Antragsteller bereits im Jahr 2017 ins Bundesgebiet eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt, welchen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im sogenannten Dublin-Verfahren als unzulässig ablehnte und seine Abschiebung nach Italien anordnete. Hiergegen gerichtete Rechtsbehelfe zum Verwaltungsgericht Bayreuth blieben erfolglos. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte der Antragsteller angegeben, dass in Nigeria seine am … geborene Tochter … und sein am … geborener Sohn … lebten. Mit der Kindsmutter, die ebenfalls in Nigeria lebe, sei er nicht verheiratet.
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Eine für den 21. Februar 2018 terminierte Überstellung des Antragstellers nach Italien wurde storniert, nachdem der Antragsteller bereits ab dem 9. Januar 2018 unbekannten Aufenthalts war.
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Mit Schreiben vom 22. August 2022 beantragte der Antragstellerbevollmächtigte bei der Ausländerbehörde des X.-Kreises (Nordrhein-Westfalen), den Antragsteller unter der Anschrift …, …, anzumelden sowie ihm eine Aufenthaltskarte gemäß § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Art. 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), weiter hilfsweise eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller am 7. Mai 2022 „über das Mittelmeer kommend“ in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Der Grund für seine Einreise liege darin, dass er in … mit seiner Familie leben wolle und keine Möglichkeit gesehen habe, ein Visum „von Lagos“ zu bekommen. Zu dieser Familie gehörten die Ehefrau des Antragstellers, die nigerianische Staatsangehörige P. (geb. …*), und deren Tochter, die spanische Staatsangehörige W. (geb. …*). Die Ehefrau des Antragstellers sei als Mutter einer spanischen Staatsangehörigen freizügigkeitsberechtigt und im Besitz einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU. Weiter gehörten zur Familie die beiden nigerianischen Kinder Oi. (geb. …*) und Oz. (geb. …*). Der Antragsteller lebe seit seiner (erneuten) Einreise mit diesen Personen in einem Haushalt und betreue die Kinder, während seine Ehefrau einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe. Bei dem Antragsteller handele es sich um eine nahestehende Person i.S.v. § 3a Abs. 1 Nr. 2/Nr. 3 FreizügG/EU, weshalb die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes keine Anwendung fänden.
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Mit Schreiben vom 31. August 2022 teilte die Ausländerbehörde des X.-Kreises dem Antragstellerbevollmächtigten mit, dass den im Schreiben vom 22. August 2022 gestellten Anträgen nicht entsprochen werden könne. Mangels Anmeldung des Antragstellers im X.-Kreis sei dessen Kreisverwaltung nicht zuständige Ausländerbehörde. Darüber hinaus sei der Antragsteller weder Familienangehöriger eines Unionsbürgers noch nahestehende Person i.S.v. § 1 Nr. 4 FreizügG/EU, sodass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 3a FreizügG/EU ausscheide. Mangels bestehender Vaterschaft und Sorgeberechtigung für das Kind W. könne er auch kein Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 20 AEUV beanspruchen. Der Antragsteller könne auch kein Freizügigkeitsrecht von seiner Ehefrau P. ableiten, weil diese als nigerianische Staatsangehörige selbst nur ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht von ihrer Tochter W. habe. Ein familienbedingtes Aufenthaltsbegehren beurteile sich daher nur nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes.
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Aus den vom Gericht beigezogenen Akten der Ausländerbehörde des X.-Kreises geht hervor, dass Frau P., die auch über einen unbefristeten spanischen Aufenthaltstitel verfügt, als Mutter der spanischen Staatsangehörigen W. im Besitz einer Aufenthaltskarte für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige eines Unionsbürgers gemäß § 5 Abs. Satz 1 FreizügG/EU ist. Die Ausstellung der Aufenthaltskarte hat die Ausländerbehörde ausweislich eines Vermerks vom 28. Oktober 2021 (Bl. 608 d. Behördenakte betreffend Frau P. darauf gestützt, dass die Kindsmutter zwar kein Familienangehöriger i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU sei, sich für sie aber dennoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ein von ihrer spanischen Tochter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht ergebe, weil sonst deren Freizügigkeitsrecht als Unionsbürgerin praktisch nicht wirksam ausgeübt werden könne.
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Die im Bundesgebiet geborenen nigerianischen Kinder Oi. Und Oz. sind jeweils im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
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Aus den beigezogenen Akten des X.-Kreises ergibt sich außerdem, dass das Amtsgericht H. mit Beschluss vom 11. November 2020 (* …*) festgestellt hat, dass der Antragsteller Vater des Kindes Oi. ist, da er mit Frau P. rechtswirksam verheiratet ist. Zuvor hatte die Kindsmutter angegeben, nicht verheiratet zu sein, und einen Herrn I. als Kindsvater benannt, der auch die Vaterschaft des Kindes Oi. mit notariell beurkundeter Erklärung anerkannt hatte.
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Herr I. hat nach den Feststellungen des Standesamts … in der Vergangenheit bereits acht nigerianischen Müttern durch Vaterschaftsanerkennungen ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verschafft. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts H. (Beschluss vom 7.5.2020, …*) habe Frau P. versucht, sich durch falsche Angaben zum Familienstand einen Aufenthaltstitel zu erschleichen.
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Als Aufenthaltsort des Antragstellers hat Frau P. in der Vergangenheit wiederholt Italien angegeben.
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Hinsichtlich des Kindes W. hat Frau P. einen in Großbritannien lebenden nigerianischen Staatsangehörigen namens … als Vater benannt.
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Mit bei der Kreisverwaltung des X.-Kreises am 10. Oktober 2022 eingegangenem Antragsformular beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug.
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Mit Schreiben vom 1. März 2023 verwies die Ausländerbehörde des X.-Kreises den Antragsteller an die Regierung von … als für ihn zuständige Ausländerbehörde.
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Mit Bescheid vom 3. Mai 2023 wies die Regierung von … den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und befristete die „Wirkungen der Ausweisung und einer eventuellen Abschiebung (…) gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG“ auf vier Jahre ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Dem Antragsteller falle ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG zur Last. Seine illegale Einreise und sein illegaler Aufenthalt erfüllten den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AufenthG. Die Ausweisung erfolge aus spezial- und generalpräventiven Gründen. Dem Ausweisungsinteresse stehe lediglich ein allgemeines, wenn auch gesteigertes Bleibeinteresse des Antragstellers gegenüber. Dieser mache geltend, in einer Patchworkfamilie zu leben und eine besonders enge Bindung zu seiner spanischen Stieftochter zu haben. Ein Sorgerecht für diese sei indes weder behauptet noch nachgewiesen. Des Weiteren würden noch zwei leibliche Kinder in der Familie leben, welche nigerianische Staatsbürger seien. Für diese sei ein legaler Aufenthalt weder behauptet noch belegt worden. Auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK überwiege bei dieser Sachlage das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse.
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Hiergegen ließ der Antragsteller am 5. Juni 2023 Klage (B 6 K 23.445) zum Verwaltungsgericht Bayreuth erheben mit dem Antrag, den Bescheid vom 3. Mai 2023 aufzuheben (Klageantrag zu 1). Zugleich ließ er beantragen,
„Die Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zu einer Entscheidung über den Klageantrag zu 1) abzusehen“.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Ausweisung sei rechtswidrig, weil sie die familiären Bindungen des Antragstellers nicht hinreichend berücksichtige. Der Antragsteller lebe seit mehr als einem Jahr durchgängig mit seiner Patchworkfamilie. Neben den beiden leiblichen nigerianischen Kindern im Alter von vier Jahren [sic], die beide im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG seien, lebe die 15-jährige spanische Stieftochter des Antragstellers mit ihm in einem Haushalt. Die Beziehung zwischen dem Antragsteller und der spanischen Stieftochter sei sehr eng. Diese nenne ihn „Daddy“. Er habe mit der Stieftochter, als diese fünf Jahre alt gewesen sei, bereits ein Jahr in Nigeria zusammengelebt. Diese enge Bindung führe dazu, dass sich die Familie gezwungen sähe, den Antragsteller nach Nigeria zu begleiten, wenn ihm kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewährt werde. Dem Antragsteller stehe deshalb nach der Rechtsprechung des EuGH ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zu. Der EuGH habe in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass sich auch Stiefväter auf ein entsprechendes Aufenthaltsrecht berufen könnten, wenn, wie hier, eine enge Bindung zum Stiefkind bestehe. Grundsätzlich komme zudem ein Familiennachzug zur Ehefrau gemäß § 30 AufenthG in Betracht, welcher durch die Ausweisung und die festgesetzte Einreisesperre nun jedoch vereitelt werde. In Bezug auf § 30 AufenthG lasse sich auch die Rechtsansicht vertreten, dass der Antragsteller sein Aufenthaltsrecht bereits vom Inland aus beanspruchen könne, da die Sorge um die Stieftochter sowie um die leiblichen Kinder „besondere Umstände des Einzelfalls“ i.S.v. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG begründen könnten. Dementsprechend habe das Bundesverwaltungsgericht ein unmittelbar aus Art. 21 AEUV resultierendes Aufenthaltsrecht für drittstaatsangehörige Elternteile von Unionsbürgerkindern bejaht, sofern die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie vorlägen und der Elternteil die Sorge für das Kind auch tatsächlich ausübe. Letzteres sei zu vermuten, wenneine häusliche Gemeinschaft bestehe. Dann könne auch das fehlende Visumverfahren dem Drittstaatsangehörigen nicht entgegen gehalten werden. Zum einstweiligen Rechtsschutzbegehren sei darauf hingewiesen, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig und daher jederzeit mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei.
20
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
21
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, da der Aufenthalt des Antragstellers derzeit mangels gültigen Reisepasses nicht beendet werden könne. Der Antragsteller sei vorsätzlich ohne das erforderliche Visum ins Bundesgebiet (wieder-)eingereist. Aufgrund des deswegen bestehenden Ausweisungsinteresses i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 30 AufenthG schon mangels Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzulehnen. Den Schutzwirkungen des Art. 6 GG trage die angegriffene Behördenentscheidung hinreichend Rechnung. Während der Geltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots könne dem Antragsteller eine Betretenserlaubnis erteilt werden, sodass der persönliche Umgang mit den Kindern nicht völlig ausgeschlossen sei.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
23
Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
24
Soweit der Antragsteller Abschiebungsschutz im Sinne einer Verfahrensduldung bis zur gerichtlichen Entscheidung über die gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2023 erhobene Anfechtungsklage begehrt, kann er keinen Anordnungsgrund glaubhaft machen (1.). Soweit der Antragsteller Abschiebungsschutz aus sonstigen Gründen begehrt, kann er zwar einen Anordnungsgrund, jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen (2.).
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1. Der einstweilige Rechtsschutzantrag des Antragstellerbevollmächtigten (Ziffer 2 des Schriftsatzes vom 5.6.2023) ist seinem Wortlaut nach auf die Verpflichtung des Antragsgegners zur Aussetzung der Abschiebung bis zur gerichtlichen Entscheidung über die gegen den Bescheid vom 3. Mai 2023 erhobene Anfechtungsklage, mithin auf die Erteilung einer Verfahrensduldung, gerichtet. Abgesehen davon, dass bei einer in der Hauptsache statthaften Anfechtungsklage gemäß § 123 Abs. 5 VwGO einstweiliger Rechtsschutz grundsätzlich über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu suchen ist, kann der Antragsteller keinen Anordnungsgrund in Bezug auf eine solche Verfahrensduldung glaubhaft machen. Zum einen hat die Klage gegen die Ausweisungsverfügung im Bescheid vom 3. Mai 2023 gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, weil der Antragsgegner die Ausweisung nicht für sofort vollziehbar erklärt hat. Die Ausweisung ist ungeachtet dessen gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wirksam und kann daher in rechtmäßiger Weise Grundlage für das gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegen einen ausgewiesenen Ausländer anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot sein (vgl. Zimmerer in BeckOK MigR, Stand April 2023, § 84 AufenthG Rn. 24; Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand April 2023, § 84 AufenthG Rn. 43, 56). Zum anderen ist der Antragsteller völlig unabhängig von der angefochtenen Ausweisungsverfügung vollziehbar ausreisepflichtig, da er einen erforderlichen Aufenthaltstitel i.S.d. § 50 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt und die Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG vollziehbar ist (dem im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt nicht die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG zu). Der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist daher nicht von der gerichtlichen Entscheidung über die gegen die Ausweisung erhobene Anfechtungsklage abhängig, da auch ein Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren ihm kein Aufenthaltsrecht gewährt.
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2. Der Antragsteller hat auch aus sonstigen Gründen, d. h. unabhängig von der Frage einer Verfahrensduldung im Hinblick auf die gegen den Ausweisungsbescheid erhobene Klage, keinen Anspruch auf vorläufigen Abschiebungsschutz. Insoweit kann der Antragsteller zwar einen Anordnungsgrund, jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen.
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Das Gericht geht gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO im Hinblick auf die Ausführungen des Antragstellers zu seinen familiären Verhältnissen antragstellerbegünstigend davon aus, dass der Antragsteller – über den Wortlaut des einstweiligen Rechtsschutzantrags in Ziffer 2 des Schriftsatzes vom 5. Juni 2023 hinaus – auch unabhängig von der Frage einer Verfahrensduldung in Bezug auf die gegen den Ausweisungsbescheid erhobene Anfechtungsklage Abschiebungsschutz aus familiären Gründen begehrt.
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Insoweit kann der Antragsteller die Eilbedürftigkeit seines vorläufigen Rechtsschutzbegehrens und damit einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Der Antragsteller begehrt als vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer Abschiebungsschutz. Ein konkreter Abschiebungstermin darf dem Antragsteller gem. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht mitgeteilt werden. Dem Antragsteller kann das Bedürfnis für die vorläufige Sicherung seiner Rechte daher nicht abgesprochen werden (vgl. nur BVerfG, B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – NVwZ 2018, 254; BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2453 – BeckRS 2018, 32942 Rn. 15).
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Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller kann nicht glaubhaft machen, dass er als Familienangehöriger eines Unionsbürgers freizügigkeitsberechtigt und daher nicht ausreisepflichtig ist (2.1.). Er kann auch nicht unmittelbar aus Art. 6 GG einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung ableiten (2.2.). Auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer (Verfahrens-)Duldung zur Einholung eines (nationalen) Aufenthaltstitels aus familiären Gründen hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (2.3.).
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2.1. Der Antragsteller kann ein Aufenthaltsrecht aufgrund der geltend gemachten Beziehung zu seiner spanischen Stieftochter weder aus den Vorschriften des FreizügG/EU noch unmittelbar aus Art. 21 AEUV oder Art. 20 AEUV ableiten.
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2.1.1. Der Antragsteller ist nicht als Familienangehöriger eines Unionsbürgers freizügigkeitsberechtigt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Er ist kein Familienangehöriger seiner spanischen Stieftochter i.S.d. allein in Betracht kommenden § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. d. FreizügG/EU. Denn er ist mit dieser nicht verwandt i.S.d. § 1589 BGB. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Stieftochter ihm Unterhalt gewährt. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. d FreizügG/EU setzt voraus, dass der Unionbürger dem Verwandten Unterhalt gewährt. Im umgekehrten Fall, dass ein Elternteil dem Unionsbürger Unterhalt gewährt, greift die Norm nicht (BayVGH, U.v. 16.11.2022 – 10 B 20.2616 – BeckRS 2022, 43090 Rn. 33).
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Für den Antragsteller kommt auch kein Aufenthaltsrecht als sog. nahestehende Person gemäß § 3a i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU in Betracht. Denn der Antragsteller ist keine nahestehende Person eines Unionsbürgers (hier der spanischen Stieftochter) im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU.
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2.1.2. Der Antragsteller kann sich nicht auf Art. 21 AEUV berufen.
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Gemäß Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrecht). Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in besonders gelagerten Fallkonstellationen anerkannt, dass drittstaatsangehörige Familienangehörige eines Unionsbürgers, die zwar aus der RL 2004/38/EG kein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat herleiten können, dennoch auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV die Anerkennung eines Rechts erreichen können (EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12, Alopka – NVwZ-RR 2013, 1017/1018 Rn. 28 ff.; U.v. 12.3.2014 – C-456/12, O. und B. – NVwZ-RR 2014, 401/402 Rn. 44 ff., U.v. 10.5.2017 – C-133/15, Chavez-Vilchez u.a. – NVwZ 2017, 1445/1446 Rn. 52 ff.; U.v. 27.6.2018 – C-230/17, Altiner u.a. – BeckRS 2018, 13199 Rn. 27 ff.). Ein unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV hergeleitetes Aufenthaltsrecht für Familienangehörige eines Unionsbürgers vermittelt nicht nur ein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme, sondern ein Freizügigkeitsrecht i.S.d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. In Art. 21 Abs. 1 AEUV ist die Freizügigkeit der Unionsbürger primärrechtlich verankert, die auch das Recht umfasst, im Aufnahmemitgliedstaat ein normales Familienleben zu führen. Dieses Aufenthaltsrecht steht auf einer Stufe mit den Freizügigkeitsrechten aus der RL 2004/38/EG. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht Verwandten, die mangels Unterhaltsgewährung in aufsteigender Linie nicht Familienangehörige i.S.v. Art. 2 Nr. 2 Buchst. d RL 2004/38/EG sind, dennoch aus Art. 21 AEUV und der RL 2004/38/EG ein Aufenthaltsrecht als drittstaatsangehöriger Elternteil zu, wenn sie tatsächlich für das Kind sorgen und dieses über ausreichende Existenzmittel i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12, Alopka – NVwZ-RR 2013, 1017/1018 Rn. 29; U.v. 8.11.2012 – C 40/11, Iida – NVwZ 2013, 357/360 Rn. 68 f.). Begründet hat der EuGH dies damit, dass ansonsten dem Aufenthaltsrecht des Kindes jede praktische Wirksamkeit genommen werde (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 23.9.2020 – 1 C 27/19 – juris Rn. 19 f.). Anders als ein aus Art. 20 AEUV resultierendes Aufenthaltsrecht, das nur „ausnahmsweise“ oder bei „Vorliegen ganz besondere(r) Sachverhalte“ besteht (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – NVwZ 2019, 486/490 Rn. 34 m.w.N. zur Rspr. des EuGH) und gegenüber dem Recht aus Art. 21 AEUV nachrangig ist (EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-456/12, Chavez-Vilchez u.a. – NVwZ 2017, 1445/1447 Rn. 56 f.), handelt es sich bei dem aus Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleiteten Freizügigkeitsrecht um ein vollwertiges und eigenständiges Recht, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten (BVerwG, U.v. 23.9.2020 – 1 C 27/19 – juris Rn. 24).
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Dies zugrunde gelegt, kann sich der Antragsteller nicht auf Art. 21 AEUV berufen. Es kann dahinstehen, ob der hier zu beurteilende Fall mit den vom EuGH zum primärrechtlichen Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV entschiedenen Fällen schon deswegen nicht vergleichbar ist, weil die Stieftochter des Antragstellers bereits seit Jahren – ohne den Antragsteller – mit ihrer Mutter im Bundesgebiet gelebt hat und das vorgetragene häusliche Zusammenleben mit dem Antragsteller in Nigeria bereits lange zurück liegt. Insofern erscheint es durchaus sehr zweifelhaft, ob die der EuGH-Rechtsprechung zugrunde liegende Erwägung, dass das Freizügigkeitsrecht des Kindes bei Verwehrung der Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Familienangehörigen seiner praktischen Wirksamkeit beraubt würde, auf die vorliegende Konstellation zutrifft. Jedenfalls ist der Antragsteller aber kein Familienangehöriger seiner Stieftochter, der sich auf Art. 21 AEUV berufen kann. Der EuGH billigt ein aus dieser Norm abgeleitetes Freizügigkeitsrecht dem „Elternteil, der für diesen Staatsangehörigen tatsächlich sorgt“ (EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12, Alopka – NVwZ-RR 2013, 1017/1018 Rn. 29; vgl. auch BayVGH, U.v. 16.11.2022 – 10 B 20.2616 – BeckRS 2022, 43090 Rn. 35: „tatsächlich das Sorgerecht wahrnehmender Elternteil“), zu. Der Antragsteller ist nicht Elternteil eines Unionsbürgers. Er ist weder biologischer noch rechtlicher Vater der spanischen Stieftochter noch hat er dargelegt, dass er für diese sorgeberechtigt ist. Dass allein die behauptete emotionale Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und der Stieftochter ausreichen könnte, um ein Freizügigkeitsrecht des Antragstellers zu begründen, lässt sich der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 21 AEUV nicht entnehmen. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte auf das Urteil des EuGH vom 6. Dezember 2012 (C-356/11, C-357/11, O. und S./Maahanmuuttovirasto u. a. – NVwZ 2013, 419) verweist, ist festzustellen, dass diese Entscheidung nicht Art. 21 AEUV, sondern das vom EuGH nur „ausnahmsweise“ und bei „Vorliegen ganz besondere(r) Sachverhalte“ (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – NVwZ 2019, 486/490 Rn. 35 m.w.N.). anerkannte Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV betrifft. In jenem Zusammenhang – und nicht zu dem hier (zunächst) zu prüfenden Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV – hat der EuGH im Urteil O. und S./Maahanmuuttovirasto unter Fortentwicklung der im Zambrano-Urteil (U.v. 8.3.2011 – C 34/09 – NVwZ 2011, 545) entwickelten Grundsätze zum Kernbestand der Unionsbürgerrechte ausgeführt, dass „die im Urteil Ruiz Zambrano aufgestellten Grundsätze zwar nur unter außergewöhnlichen Umständen anwendbar sind, sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedoch nicht ergibt, dass ihre Anwendung auf Sachverhalte beschränkt wäre, in denen zwischen dem Drittstaatsangehörigen, für den ein Aufenthaltsrecht beantragt wird, und dem Unionsbürger, der ein minderjähriges Kind ist, eine biologische Beziehung besteht, aus der sich möglicherweise das Aufenthaltsrecht des Ast. ergäbe.“ (Rn. 55). Der EuGH hat es mithin bei der Beurteilung der Frage, ob dem Unionsbürger infolge der Verweigerung des Aufenthaltsrechts für einen Drittstaatsangehörigen eine Verletzung des Kernbereichs der Unionsbürgerrechte droht, weil er sich wegen dieser Aufenthaltsrechtsverweigerung selbst zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sieht, als nicht entscheidend angesehen, ob das besondere Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Unionsbürger und dem Drittstaatsangehörigen auf einer (auch) biologischen Beziehung gründet. Daraus lässt sich nach Überzeugung der Kammer aber nicht folgern, dass der EuGH im Rahmen des hinsichtlich seines Anwendungsbereichs deutlich weiteren Freizügigkeitsrechts für Drittstaatsangehörige aus Art. 21 AEUV, das zwar die tatsächliche Sorge für ein Kind, nicht aber das im Rahmen des Art. 20 AEUV gesteigerte, besondere Abhängigkeitsverhältnis voraussetzt, weder die leibliche noch die rechtliche Elternschaft verlangt und auch das rechtliche Innehaben der elterliche Sorge unerheblich wäre. Dass allein die emotionale Verbundenheit zwischen Stiefvater und Stiefkind und das häusliche Zusammenleben ausreichten, lässt sich der Rechtsprechung des EuGH vielmehr nicht entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat es im Kontext des Art. 21 AEUV als wesentlich angesehen, dass „die elterliche Sorge (…) rechtlich beiden Elternteilen zugestanden hat und (…) auch tatsächlich von beiden ausgeübt wurde (U.v. 23.9.2020 – 1 C 27/19 – juris Rn. 30). Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung (U.v. 16.11.2022 – 10 B 20.2616 – BeckRS 2022, 43090) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die (Mit-)Ausübung der „tatsächlichen Sorge“ für das Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Vaters bei alleinigem Sorgerecht der Kindsmutter ausreichen lässt, bezieht sich das nicht auf die hier zu beurteilende „Stiefkind-Konstellation“, sondern auf das Verhältnis des rechtlichen Vaters zu seinem Kind (vgl. Rn. 4, 7, 35, 39 d. vorgenanntes Urteils).
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2.1.3. Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 20 AEUV berufen.
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Nach der Rechtsprechung des EuGH kann einem Drittstaatsangehörigen ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis zustehen, das aus Art. 20 AEUV abgeleitet wird. Dieses setzt voraus, dass ein vom Drittstaatsangehörigen abhängiger Unionsbürger ohne den gesicherten Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands seiner Rechte als Unionsbürger verwehrt wird (grundlegend: EuGH, U.v. 8.3.2011 – C 34/09, Zambrano – NVwZ 2011, 545). Die Gewährung eines solchen Aufenthaltsrechts kann nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nur „ausnahmsweise“ oder bei Vorliegen „ganz besondere(r) Sachverhalte“ erfolgen (EuGH, U.v. 15.11.2011 – C-256/11, Dereci – NVwZ 2012, 97/100 Rn. 67; U.v. 8.11.2012 – C 40/11, Iida – NVwZ 2013, 357/360 Rn. 71). Verhindert werden soll nämlich nur eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen oder sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – NVwZ 2019, 486/490 Rn. 35; VGH BW, B.v. 4.7.2023 – 11 S 448/23 – juris Rn. 14 f.).
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Nach diesen Maßstäben kann der Antragsteller kein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV ableiten. Denn durch die Verweigerung des Aufenthaltsrechts wird seine spanische Stieftochter nicht faktisch gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Vielmehr kann die spanische Stieftochter zusammen mit den weiteren Familienmitgliedern ihren Aufenthalt in Spanien nehmen. Sollte zwischen den Antragsteller und der spanischen Stieftochter das für ein aus Art. 20 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht erforderliche besondere Abhängigkeitsverhältnis bestehen, könnte sich der Antragsteller dann gegenüber dem spanischen Staat auf Art. 20 AEUV berufen (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 – C-86/12, Alopka – NVwZ-RR 2013, 1017/1019 Rn. 34 f.). Dass ein gemeinsamer Aufenthalt der Patchworkfamilie trotz der spanischen Staatsangehörigkeit der Stieftochter und des unbefristeten spanischen Aufenthaltstitels der Ehefrau des Antragstellers in Spanien nicht möglich ist, ist nicht dargetan.
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2.2. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung aufgrund von Art. 6 GG.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (zum Ganzen BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – NJW 2022, 1804/1806 Rn. 45 f. m.w.N. zur Rspr.).
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Der Antragsteller ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts H. Vater des Kindes Oi.. Zur Vaterschaft des Kindes Oz. findet sich in den Akten keine konkrete Feststellung. Es ist im hiesigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon ausgehen, dass der Antragsteller auch Vater des Kindes Oz. ist, da die für die amtsgerichtlichen Feststellungen in Bezug auf Oi. maßgebliche Begründung, dass der Antragsteller mit der Kindsmutter rechtswirksam verheiratet ist, für beide Kinder in gleichem Maße gilt (vgl. Aktenvermerk der Ausländerbehörde des X.-Kreises vom 15.12.2020, Bl. 546 d. beigezogenen Ausländerakte betreffend Frau P.). Art. 6 GG gewährt dem Antragsteller jedoch in der vorliegenden Konstellation keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung. Es erscheint vielmehr zumutbar, dass die Patchworkfamilie die familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland, insbesondere in Spanien, herstellt. Kein beteiligter Familienangehöriger ist deutscher Staatsangehöriger. Die Stieftochter des Antragstellers ist spanische Staatsangehörige. Seine Ehefrau ist nigerianische Staatsangehörige und verfügt über einen unbefristeten spanischen Aufenthaltstitel. Dieser wurde ihr nach Auskunft des in Düsseldorf ansässigen spanischen Generalkonsulats bereits am 31. Oktober 2003 erteilt und ist zuletzt am 19. September 2018 mit Gültigkeit bis 30. Oktober 2023 verlängert worden (Bl. 430 d. beigezogenen Ausländerakte betreffend Frau P.; siehe auch Bl. 569 f. dieser Akte). Die gemeinsamen Kinder sind ebenfalls nigerianische Staatsangehörige. Ein Bezug zur Bundesrepublik Deutschland hat sich nur durch die Ausübung des Freizügigkeitsrechts der spanischen Stieftochter des Antragstellers und daraus abgeleiteter Aufenthaltsrechte der Kindsmutter und der nigerianischen Kinder ergeben. Im Hinblick auf diese familiären Verhältnisse ist weder vorgetragen noch anzunehmen, dass der Antragsteller und die gemeinsamen nigerianischen Kinder kein Aufenthaltsrecht für das Königreich Spanien erlangen könnten. Eine längerfristige oder gar dauerhafte Familientrennung ist vor diesem Hintergrund nicht zu befürchten. Eine vorübergehende Trennung bis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland hält das Gericht hingegen für zumutbar, da der Antragsteller allen Anhaltspunkten nach bereits vor seiner erneuten illegalen Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 2022 von den übrigen Familienmitgliedern getrennt gelebt hat. Die Kindsmutter hat als früheren Aufenthaltsort des Antragstellers wiederholt Italien benannt, wo er sich offenbar mehrere Jahre aufgehalten hat. Die vorübergehende Abwesenheit des Vaters war für die Kinder daher schon in der Vergangenheit keine ungewohnte Situation.
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2.3. Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verfahrensduldung zur Einholung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug im Bundesgebiet. Dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des von den Beteiligten thematisierten § 30 AufenthG vorliegen, ist auch unabhängig von dem im Hauptsacheverfahren angefochtenen Ausweisungsbescheid nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Ehefrau des Antragstellers nach Aktenlage nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, sondern freizügigkeitsberechtigt. Ein Familiennachzug zu den beiden nigerianischen Kindern scheidet gemäß § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aus. Aus der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) folgt nichts anderes. Das ergibt sich schon daraus, dass nach Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG der Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich der Familienangehörige noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats befindet, in dem sich der Zusammenführende aufhält (vgl. auch BayVGH, B.v. 25.10.2022 – 19 CE 22.1816 – BeckRS 2022, 31577 Rn. 13).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs.
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Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth,
Hausanschrift: Friedrichstraße 16, 95444 Bayreuth oder Postfachanschrift: Postfach 110321, 95422 Bayreuth,
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Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwig straße 23, 80539 München oder Postfachanschrift in München: Postfach 340148, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,
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Über die Beschwerde entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
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Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht erster Instanz. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in den § 3 und § 5 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz bezeichneten Personen und Organisationen.
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Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen.
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Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
50
Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR nicht übersteigt.
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Für die Streitwertfestsetzung gilt diese Rechtsmittelbelehrungmit der Maßgabe, dass Vertretungszwang nicht besteht und die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen ist. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingelegt werden. Diese Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.