Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Mehrfamilienhaus
Normenketten:
BauGB § 34, § 35
BauNVO § 12, § 15
BImSchG § 3
BayBO Art. 6, Art. 59
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit einer Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, sodass eine Genehmigung daher aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Antragsunterlagen Gegenstand und Umfang der Genehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein "Gebietsprägungserhaltungsanspruch" aus § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO (gegebenenfalls iVm § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder "fühlbarer" Beeinträchtigung des Nachbarn) – kann von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gem. den §§ 2 – 14 BauGB an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab; je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen, je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen, wobei darauf abzustellen ist, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung planungsrechtlich nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässiger Stellplätze und Garagen erwachsenden Störungen sind regelmäßig hinzunehmen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lärmschutzwand, Stellplätze, Duplex-Parker, Hinterlieger-Grundstück, Rücksichtnahmegebot, Nachbarklage, Kfz-Lärm, rückwärtiger Ruhebereich, Baugenehmigung, Mehrfamilienhaus, Bestimmtheit, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Garagen, Parklärm
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33790
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar, für den Beigeladenen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit 8 Wohneinheiten auf dem Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, Gemeinde … Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, Gemeinde … Sie bewohnen auf diesem Grundstück das Anwesen …, welches aus einem Einfamilienhaus besteht. Unmittelbar östlich angrenzend befindet sich das Vorhabengrundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, Gemeinde … Bei dem Vorhabengrundstück handelt es sich im Wesentlichen um ein Hinterlieger-Grundstück, welches nur durch einen schmalen Streifen zwischen den Grundstücken Fl.-Nr. … und …, Gemarkung …, mit der öffentlichen Erschließungsanlage „…“ verbunden ist. Der schmale Streifen des Vorhabengrundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, hat eine Länge von ca. 22,50 Meter und weist vom … zum Hinterlieger-Grundstücksteil ein Gefälle auf. Westlich und südlich des Vorhabengrundstücks befindet sich weitere Bebauung, das Vorhabengrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
2
Mit Bescheid vom 22.09.2022 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen im Rahmen eines vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 8 Wohneinheiten auf dem Vorhabengrundstück. Der Bescheid wurde dem Kläger zu 2) am 06.10.2022 zugestellt.
3
Mit Schriftsatz vom 25.10.2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, haben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 22.09.2022 erhoben und außerdem mit Schriftsatz vom 03.02.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes den Antrag gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 03.02.2023 vorgetragen, dass sich das Vorhabengrundstück in einem Hangbereich hangabwärts am Rande der Bebauung nördlich des … befinde. Als Hinterlieger-Grundstück liege es in einen Bereich, in dem sämtliche umherliegenden Anwesen ihre Garten- und Terrassenflächen angelegt hätten. In der unmittelbaren Umgebung existierten keine Mehrfamilienhäuser. Auch nehme das genehmigte Mehrfamilienhaus aufgrund seiner Lage (hangabwärts am Ortsrand) eine exponierte Lage ein und rücke (aus nordwestlicher Sicht betrachtet) mit seinem Standort aus dem bestehenden Bebauungszusammenhang nach vorne aus. Die Erschließung des Hinterlieger-Grundstücks erfolge über eine ca. 25 m lange einspurige Zufahrt direkt entlang der Grenze zu den benachbarten Grundstücken Fl.-Nr. … sowie Fl.-Nr. … Dabei habe die Zufahrt ein Höhenniveau von über 2,5 m bzw. eine Steigung von mindestens 10% zu bewältigen, woraus sich eine erhebliche Steigung der Zufahrt ergebe. Beim Grundstück der Kläger sei der Terrassen- und Gartenbereich in den von der öffentlichen Straße abgewandten, vom Gebäude abgeschirmten Teil des Grundstückes verlegt, so wie bei den sonstigen Grundstücken auf der nördlichen Seite des … auch. Das Vorhabengrundstück grenze direkt an diesen ruhigen, besonders schützenswerten Bereich des klägerischen Grundstücks. Darüber hinaus befinde sich die geplante Zufahrt sowie die Rangierfläche vor den Stellplätzen direkt angrenzend an das klägerische Grundstück in diesem Bereich. Die Baugenehmigung enthalte unter Ziff. 6.1. die Auflage, dass entsprechend dem schalltechnischen Gutachten eine Lärmschutzwand zu errichten sei. In dem eben genannten schalltechnischen Gutachten sei bestimmt, dass die Einfriedung des Grundstücks und des Zugangswegs durch eine Abschirmung mit einer mittleren relativen Höhe von h ≥ 2,5 m über Fahrweg und einer Abwicklungslänge von l ≥ 76 m zu erfolgen habe. Innerhalb des Baugenehmigungsverfahrens seien keine Prüfungen ersichtlich, inwieweit durch diese Maßnahmen, insbesondere durch die vorgesehene Lärmwand entlang der Grundstücksgrenze die Abstandsflächen zu den hierdurch betroffenen Grundstücken Fl.-Nr. … und … eingehalten würden. Wie dargestellt, befinde sich die Zufahrt nicht auf mehr oder weniger ebenem Gelände, sondern habe einen Höhenunterschied von über 2,5 m bzw. eine Steigung von mindestens 10% zu überwinden. Insofern hätte es zur Prüfung der Übereinstimmung mit den Abstandsflächen nach Art. 6 Bayerische Bauordnung – BayBO – Feststellungen bedurft, in welcher Länge die Lärmschutzwand errichtet werde und welche Höhe diese tatsächlich gegenüber den Nachbargrundstücken an der gemeinsamen Grundstücksgrenze unter Berücksichtigung des abfallenden Geländes einnehme. Aufgrund der vorgeschriebenen Höhe von h ≥ 2,5 m und der Tatsache, dass es sich um eine Zufahrt von ca. 25 m handele, sei unter Berücksichtigung des tatsächlichen Geländeverlaufs davon auszugehen, dass gegenüber dem klägerischen Grundstück die Abstandsflächen nicht eingehalten seien. Des Weiteren liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor, weil sich das Bauvorhaben durch die geplante Zuwegung sowie die Errichtung von insgesamt 14 Stellplätzen in der konkreten baulichen Situation gegenüber den Klägern als nicht mehr zumutbar erweise. Zwar seien innerhalb eines Wohngebiets die für die Wohnnutzung notwendigen Stellplätze und Garagen gemäß § 34 Abs. 2 Baugesetzbuch – BauGB –, § 12 Abs. 2 Baunutzungsverordnung – BauNVO – grundsätzlich zulässig. Sie könnten gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nur im Einzelfall unzulässig sein. Bei dieser einzelfallbezogenen Prüfung, ob ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft führe, sei der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundsatzentscheidung Rechnung zu tragen. Nachbarn hätten die von Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen, besondere örtliche Verhältnisse könnten aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Grundstück nicht oder nur mit Einschränkung genehmigt werden könne. Es komme entscheidend auf die konkrete Situation an, in deren sich die Belästigungen auswirken könnten. Der konkret vorliegende Fall sei durch eine Reihe atypischer Besonderheiten gekennzeichnet, vor deren Hintergrund sich die Genehmigung der Stellplätze als nicht mehr zumutbar erweise. Die Zufahrt zu den Stellplätzen erfolge über eine ca. 25 m lange Zufahrt, die einen Höhenunterschied von mindestens 2,5 m bzw. eine Steigung von mindestens 10% aufweise. Insofern sei von einem erhöhten Verkehrslärm auszugehen. Des Weiteren sei die Zufahrt so ausgebildet, dass ein Gegenverkehr nicht stattfinden könne, der jedoch bei insgesamt 14 Stellplätzen regelmäßig zu erwarten sei. Insofern sei von zusätzlichen Lärmemissionen dadurch auszugehen, dass bei Gegenverkehr ein Fahrzeug entweder vor den Stellplätzen oder aber an der Einmündung der öffentlichen Straße mit laufendem Motor warten müsse. Diese eben dargestellte Lärmemission finde unmittelbar an der Grenze zu dem klägerischen Grundstück statt. Des Weiteren verursache bereits die Anzahl von 14 Stellplätzen an sich durch den hierdurch hervorgerufenen Rangierbedarf beim Ein- oder Ausparken infolge des erforderlichen kurzen Vor- und Zurücksetzens eine erhebliche Lästigkeit. Hinzu komme, dass die Stellplätze als sog. Duplex-Parker ausgestaltet seien. Zusätzliche Lärmemissionen und Störpotenzial entstehe dadurch, dass regelmäßig für die Benutzung der Duplex-Parker eine Bedienung des jeweiligen Stellplatzes entweder vor dem Ausfahren oder dem Einfahren notwendig sei. Insbesondere beim Einfahren in den Stellplatz von der Straße kommend führe dies zu zusätzlichem Türenschlagen. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass der jeweilige Fahrer den Motor laufen lasse, bis der Duplex-Parker entsprechend für die Einfahrt bedient worden sei. Die geplanten Stellplätze befänden sich im Bereich der Garten- und Terrassenanlagen der Kläger. Sie befänden sich in dem maßgeblichen Baugebiet in einem Bereich, der bisher von Zufahrten zu Grundstücken freigehalten werde. Die rückwärtigen Grundstücksbereiche seien bislang durch Zufahrten zu Grundstücken und Stellplätzen nicht belastet. Somit dringe mit der genehmigten Nutzung in den bislang von Kraftfahrzeugverkehr im wesentlichen freigehaltenen Ruhebereich eine das Wohnen erheblich beeinträchtigende Nutzung ein. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergebe sich außerdem durch die erdrückende und einmauernde Wirkung des Bauvorhabens auf das klägerische Grundstück. Dies ergebe sich im vorliegenden Fall zum einen durch die Höhe und das Volumen des Mehrfamilienhauses mit 3 Vollgeschossen innerhalb der bestehenden engen Grundstücksverhältnisse. Hinzu kämen die Bauwerke infolge der Auflagen, also die Abschirmungswand entlang der Grundstücksgrenze, die Einhausung der Duplex-Parker sowie der Fahrradabstellraum als weitere Abschirmung direkt an der Grundstücksgrenze zu den Nachbargrundstücken. Somit werde die Grundstücksgrenze, an welcher die Zufahrt vorbeiführe und sich im Anschluss daran die Stellplätze befänden, regelrecht durch Maßnahmen zum Lärmschutz „eingemauert“. Schließlich verletze das Bauvorhaben außerdem den aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO abgeleiteten Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (sog. Gebietsprägungsanspruch). Zwar sei es so, dass grundsätzlich die gebietstypische Prägung „Wohnen“ im vorliegenden Fall durch das geplante Wohngebäude nicht verletzt sei. Im vorliegenden Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass der für die Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens relevante Bereich ausschließlich durch Ein- und Zweifamilienhäuser bzw. Reihenhäuser geprägt sei. Durch die Größe des beabsichtigten Mehrfamilienhauses mit insgesamt 8 Wohneinheiten schlage die geplante Nutzung ausnahmsweise aufgrund ihrer „Quantität in Qualität“ um, weshalb von einer andersartigen Nutzungsart auszugehen sei.
die mit Bescheid vom 22.09.2022 erteilte Baugenehmigung aufzuheben.
5
Der Beklagte beantragt,
6
Dabei wird mit Schriftsatz vom 22.02.2023 ausgeführt, dass sich das streitgegenständliche Vorhaben an die Abstandsflächenvorschriften der BayBO halte. Entgegen der Ausführungen des Klägerbevollmächtigten sei in der „Ansicht Grenze“ (S. 138 der Behördenakte) zweifelsfrei dargestellt, dass die Einfriedung für Immissionsschutz gemessen zum natürlichen Gelände an keiner Stelle eine Höhe von 2,00 m übersteige. Zum Niveau der geplanten Zufahrt weise die Schallschutzmaßnahme zwar durchgehend eine Höhe von 2,50 m auf. Für die Ermittlung der Abstandsflächen sei jedoch das Niveau des natürlichen Geländes an der Grundstücksgrenze zu den Grundstücken der Kläger maßgebend. Die Einfriedung sei somit nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO ohne eigene Abstandsflächen an der Grenze zulässig. Das grenzständige Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ stelle ein zulässiges Grenzgebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO dar, da es eine Wandlänge von 7,06 m und eine mittlere Wandhöhe von 2,92 m aufweise. Auch das Mehrfamilienhaus halte nach dem Abstandsflächenplan die bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsflächen ein. Aus Sicht des Beklagten sei auch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gegeben. Der Beklagte habe die nachbarlichen Belange und Einwände erkannt und gewürdigt, infolge der Anhörung (S. 89 der Behördenakte) habe der Beigeladene Umplanungen vorgenommen, die als Tektur eingereicht worden seien. Diese beinhalteten die Reduktion der Anzahl der Wohneinheiten (Wegfall von 2 Wohneinheiten im Kellergeschoss) und damit einhergehend auch die Reduktion der Stellplätze von 16 auf 14. Zusätzlich sei die Anordnung der für das Bauvorhaben nötigen Stellplätze abgeändert worden; im ersten Planentwurf seien zwei Reihen mit Stellplätzen angedacht gewesen, in der genehmigten Variante findet sich nun nur noch eine Reihe mit 7 Duplex-Garagen in Form des Parklifts (S. 63 ff. der Behördenakte). Insofern ergebe sich vor diesen Duplex-Garagen ausreichend Platz zur Ein- und Ausfahrt beim Parkvorgang. Mit Rangierproblemen sei mithin nicht zu rechnen. Zudem habe der Beigeladene auch ein von dem Beklagten gefordertes schalltechnisches Gutachten im Verfahren vorgelegt (S. 132 ff. der Behördenakte). Wie im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten selbst schon vorgetragen, sind die für die Wohnnutzung nötigen Stellplätze gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO zulässig und somit grundsätzlich zu dulden. Wie bereits ausgeführt, sei ein aufwändiges Rangieren objektiv aufgrund der geänderten Planung nicht mehr zu erwarten. Zudem würden die Doppelparker im Sinne des Immissionsschutzes vollständig eingehaust. Entgegen des Vorbringens des Klägerbevollmächtigten sei bei Duplex-Garagen, die dem Stand der Technik entsprechen, auch nicht von vermehrtem Lärm aufgrund des Hebe-/Senkvorgangs auszugehen (S. 125 der Behördenakte, S. 12 des schalltechnischen Gutachtens). Für die Abschirmung möglicher Lärmemissionen im Bereich der ebenfalls angesprochenen Zufahrt sei eine Lärmschutzwand vorgesehen und in der Baugenehmigung entsprechend beauftragt. Die Geräuschbelastung im rückwärtigen Gartenbereich sei im vorliegenden Fall explizit gutachterlich betrachtet (S. 123 der Behördenakte, S. 16 f. des schalltechnischen Gutachtens). Demnach sei eine erhöhte Geräuschbelastung durch Kfz-Lärm im Bereich der klägerischen Gärten bereits durch die Nähe zur vorhandenen Kreisstraße gegeben. Der Zu- und Abfahrtsverkehr des streitgegenständlichen Bauvorhabens wirke sich im Vergleich hierzu nur unwesentlich aus. Bestätigt werde diese Ansicht auch durch die Beurteilung des zuständigen Umweltingenieurs (S. 153 der Behördenakte). Die Einfriedung für Immissionsschutz und das Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ widerspräche weder dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht noch seien sie aufgrund ihrer Höhe, gemessen zum natürlichen Gelände, geeignet, eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Kläger auszuüben. Der Standort des Mehrfamilienhauses sei vom Grundstück der Kläger ca. 15 m und vom Wohnhaus der Kläger ca. 22 m in nordwestlicher Richtung entfernt, sodass allein schon wegen der Entfernung und der Lage des Mehrfamilienhauses von einer erdrückenden Wirkung nicht ausgegangen werden könne.
7
Der mit Beschluss vom 26.10.2022 beigeladene Bauherr beantragt ebenfalls,
8
Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 26.06.2023 auf die Entscheidungsgründe der im Parallelverfahren der Nachbarn ergangenen Beschwerdeentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26.05.2023 (Az.: 9 CS 23.663) Bezug genommen.
9
Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 20.03.2023 (Az.: B 2 S 23.82) den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 14.06.2023, 26.06.2023 und 10.07.2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
10
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten des Klage- und des Eilrechtsschutzverfahrens (Az.: B 2 S 23.82) sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenakte (§ 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Entscheidungsgründe
11
Mit Zustimmung der Beteiligten kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
12
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22.09.2022 verletzt die Kläger mangels Verstoß gegen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfende nachbarschützende Vorschriften nicht in ihren Nachbarrechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
13
Eine Baugenehmigung ist gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Da ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren durchgeführt worden ist, wird die gerichtliche Prüfung zum einen durch den Prüfungsrahmen des Art. 59 BayBO beschränkt. Zum anderen kann die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn gleichzeitig Nachbarrechte verletzt werden. Eine Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung kann der Nachbar hingegen nicht verlangen.
14
Innerhalb dieses Prüfungsrahmens verstößt das Vorhaben nicht gegen Vorschriften des Abstandsflächenrechts (1.) und ist bezogen auf zu prüfende nachbarschützende Vorschriften bauplanungsrechtlich zulässig (2.).
15
1. Es ist kein Abstandsflächenverstoß zulasten der Kläger ersichtlich (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO).
16
a. Die Baugenehmigung ist entgegen dem klägerischen Vortrag bestimmt genug, um die abstandsflächenrechtliche Situation zu beurteilen. Nach Art. 37 Abs. 1 des Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetzes – BayVwVfG – muss die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Der Inhalt der Genehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Genehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21.14 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 1 CS 21.2776 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 10). Nicht mit Genehmigungsvermerk versehene Unterlagen können allenfalls dann zur Auslegung des Inhalts der Baugenehmigung herangezogen werden, wenn anderweitig im Genehmigungsbescheid oder in den (gestempelten) Bauvorlagen auf sie Bezug genommen wird (BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 17). Nachbarn haben zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht. Sie müssen aber in der Lage sein, zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Genehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Genehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Antragsunterlagen Gegenstand und Umfang der Genehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (BayVGH, B.v. 5.12.2001- 26 ZB 01.1175 – juris; BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris; U.v. 20.5.1996 – 2 B 94.1513 – juris).
17
Die Baugenehmigung enthält alle Angaben, die für die abstandsflächenrechtliche Bewertung des Vorhabens erforderlich sind. Insbesondere ergeben sich entgegen der Behauptung des Klägerbevollmächtigten Angaben zur Lärmschutzwand nicht nur aus der Auflage und dem schallschutztechnischen Gutachten. Vielmehr ist diese auch in den gestempelten Bauvorlagen hinsichtlich Ort, Höhe und Länge eingezeichnet. Damit ist es für die Kläger ohne weiteres möglich, zu prüfen, ob diese gegen Abstandsflächenrecht verstößt.
18
b. Die Abstandsflächen sind eingehalten. Ausweislich der Planunterlagen ist die eingezeichnete Lärmschutzwand an der Grundstücksgrenze zu den Klägern, gemessen vom natürlichen Geländeniveau, an keiner Stelle höher als 2,00 m, womit die Grenzen des Privilegierungstatbestands des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO eingehalten sind. Auch wenn diese Privilegierung der Lärmschutzwand nicht direkt zugutekommen sollte (BayVGH, B.v. 01.07.2022 – 15 CS 22.1152 – juris), so kommt das Gericht angesichts ihrer Höhe zu der Einschätzung, dass jedenfalls keine gebäudeähnliche Wirkung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO vorliegt. Ob eine solche vorliegt, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts zu bestimmen (BayVGH, B.v. 19.05.2022 – 15 CS 22.1033 – BeckRS 2022, 12067). Dies kann bei Lärm- und Sichtschutzwänden angesichts der Wertung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO im Regelfall nur dann der Fall sein, wenn diese höher als 2,00 m sind (BayVGH, B. v. 29.4.2020 – 15 ZB 18.946 – BeckRS 2020, 9525 Rn. 12; VG Würzburg, U.v. 30.09.2021 – W 5 K 20.1697 – BeckRS 2021, 32583 Rn. 42; Kraus in Busse/Kraus, 148. EL November 2022, BayBO Art. 6 Rn. 40). Vorliegend sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die dazu führen könnten, von diesem Regelfall abzuweichen und davon auszugehen, dass die abstandsflächenrechtlich geschützten Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden im Vergleich zu einer gleich hohen bloßen Einfriedung im größeren Maße tangiert werden. Auch das grenzständige Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ erfüllt mit einer mittleren Wandhöhe von max. 3,00 m den Privilegierungstatbestand des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Das Mehrfamilienhaus selbst hält ebenfalls die gesetzlichen Abstandsflächen von 0,4 H zum Grundstück der Kläger ein, Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO.
19
2. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO).
20
a. Es liegt keine Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Innen- oder Außenbereich und ein faktisches Baugebiet vorliegt. Denn weder aus den Akten noch aus dem Sachvortrag ergeben sich Anhaltspunkte, dass eine Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs vorliegen könnte. Es ist nicht ersichtlich, dass die genehmigte Wohnnutzung unzulässig sein könnte.
21
b. Die Kläger vermögen sich auch nicht auf den geltend gemachten Anspruch auf Erhaltung der Gebietsprägung zu berufen. Nach § 15 Absatz 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 – 14 BauGB aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Daraus wird teilweise der Schluss gezogen worden, das Bauplanungsrecht beinhalte neben dem Gebietserhaltungsanspruch (s.o. a), dem Abwehranspruch wegen Verletzung einer (sonstigen) drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans und dem Abwehranspruch wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots (s.u. c) auch einen hiervon unabhängigen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, wonach ein Vorhaben, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, gleichwohl als gebietsunverträglich vom Nachbarn im (auch faktischen) Plangebiet abgewehrt werden können soll, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspreche, wenn es also – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke und deswegen gebietsunverträglich sei. Unabhängig von der Streitfrage über dessen Existenz kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (ggf. i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) – von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß den §§ 2 – 14 BauGB an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein von den Klägern behauptetes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden kann. Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B. v. 12.7.2022 – 15 CS 22.1437 – BeckRS 2022, 16894 Rn. 17; BayVGH B. v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221, BeckRS 2019, 27435 Rn. 9 f.; BayVGH B. v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – BeckRS 2019, 263 Rn. 18).
22
Liegt ein Vorhaben im Außenbereich, so kann schon gar kein solcher Anspruch bestehen. Aber selbst wenn man im konkreten Fall einen homogenen Innenbereich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB annimmt und gleichzeitig die Existenz eines solchen Anspruchs gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Absatz 1 Satz 1 BauNVO unterstellt, so liegen dessen strengen Voraussetzungen trotzdem nicht vor. Der bloße Verweis auf die Größe des beabsichtigten Mehrfamilienhauses mit insgesamt 8 Wohneinheiten und darauf, dass der Bereich ausschließlich durch Ein- und Zweifamilienhäuser bzw. Reihenhäuser geprägt sei, reicht hierfür nicht aus. Allein die Zahl der Wohnungen ist im Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise bei besonderen Großgebäuden „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte, sind beim hier streitgegenständlichen Mehrfamilienhaus keine weiteren Merkmale vorgetragen oder ersichtlich, die es erlauben würden, allein aufgrund der Anzahl der Wohnungseinheiten und der hiermit verbundenen Folgebelastungen gegenüber Einfamilien-, Zweifamilien- oder Reihenhäusern von einer qualitativ andersartigen, negativ abweichenden Nutzungsart zu sprechen. Auf die Ausmaße des Gebäudes kann es hierbei jedenfalls grundsätzlich nicht ankommen, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gerade nicht das Maß der baulichen Nutzung betrifft (BayVGH, B. v. 12.7.2022 – 15 CS 22.1437 – BeckRS 2022, 16894 Rn. 17; BayVGH B. v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221, BeckRS 2019, 27435 Rn. 13.; BayVGH B. v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – BeckRS 2019, 263 Rn. 18).
23
c. Das Vorhaben verletzt auch nicht das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot. Das bau-planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich im Fall des § 34 Abs. 1 BauGB mittelbar über das Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“, im Fall des § 34 Abs. 2 BauGB über § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – BeckRS 2013, 56189). Im Außenbereich lässt es sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG – (BayVGH B. v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – BeckRS 2016, 45206 Rn. 6) oder aus sonstigen (ungeschriebenen) öffentlichen Belangen gemäß § 35 Abs. 2, 3 BauGB (BVerwG, U. v. 25. 2. 1977 – IV C 22/75 – NJW 1978, 62; Spieß in Jäde/Dirnberger, 9. Auflage 2018, BauGB § 29 Rn. 91) ableiten. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – NJW 1978, 62).
24
aa. Hinsichtlich des von den Klägern befürchteten Parklärms wird durch § 12 Abs. 2 BauNVO zwar eine normative Duldungspflicht für Stellplätze begründet. Sie gehören ebenso wie die Geräuschimmissionen von Kinderspielplätzen zu einem Wohngebiet. Die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung planungsrechtlich nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässiger Stellplätze und Garagen erwachsenden Störungen sind regelmäßig hinzunehmen. Die Errichtung notwendiger Stellplätze und Garagen für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sind daher grundsätzlich sowohl bei Tag als auch bei Nacht als sozialadäquat hinzunehmen (BayVGH, B.v. 13.1.2022 – 2 ZB 20.548 – BeckRS 2022, 964; BayVGH, B.v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123 – juris; BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02 – NVwZ 2003, 1516). Insbesondere finden die Bestimmungen über Spitzenpegelkriterien gemäß Nr. 6.1 Satz 2 der TA Lärm insoweit keine Anwendung, weil ansonsten in allgemeinen Wohngebieten selbst in größeren Abständen Stellplatzanlagen nicht errichtet werden dürften. Hierdurch würde die Wertung des § 12 Abs. 2 BauNVO umgangen, zumal davon auszugehen ist, dass jedenfalls nachts bei jedem einzelnen Zu- bzw. Abfahrtsvorgang der Spitzenpegel im Nahbereich überschritten wird (BayVGH, B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris Rn. 17). Zu den eben dargestellten Grundsätzen stellt das Gebot der Rücksichtnahme jedoch eine Ausnahme dar. Es begründet auch beim Parklärm im Einzelfall bestimmte Anforderungen an bauliche und sonstige Anlagen, die zum Schutze qualifiziert Betroffener einzuhalten sind. (BayVGH, B. v. 13.1.2022 – 2 ZB 20.548 – BeckRS 2022, 964). Die Frage, wann die Benutzung von Garagen oder Stellplätzen die Umgebung unzumutbar stört, lässt sich nicht abstrakt und generell nach festen Merkmalen beurteilen. Vielmehr kommt es entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken. Ob sie im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbar sind, hängt also immer von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere auch der Eigenart des Baugebietes ab. Dementsprechend ist von Bedeutung, an welchem Standort die Garagen oder Stellplätze angeordnet werden sollen und in welcher Lage sich dieser Standort zu dem Grundstück, dem Wohnhaus und gegebenenfalls gegenüber den Wohn- und Aufenthaltsbereichen der betroffenen Nachbarn befindet. Außerdem sind die Art und Empfindlichkeit der auf den Nachbargrundstück stattfindenden Nutzungen, etwaige Vorbelastungen sowie der Umfang der zu erwartenden Belästigungen zu berücksichtigen (BayVGH, B.v. 26.5.2023 – 9 CS 23.663 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 9 ZB 22.322 – juris Rn. 8). Auch kann es im Einzelfall erforderlich sein, beispielsweise durch die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, den Verzicht auf Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Im Übrigen müssen selbst notwendige Stellplätze nicht auf dem Baugrundstück selbst errichtet werden (VG Bayreuth, U.v. 22.10.2019 – B 2 K 17.588).
25
Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt keine ausnahmsweise Rücksichtslosigkeit gegenüber den Klägern vor. Insbesondere die von den Klägern geltend gemachten atypischen Besonderheiten, namentlich die steile, enge Zufahrt, der erhöhte Rangierbedarf sowie die Bedienung der Duplex-Parker führen zu keinem anderen Ergebnis. Angesichts der Zahl von 14 Stellplätzen ist nicht von so viel gleichzeitigem Verkehr auszugehen, dass häufiger Gegenverkehr auf der Zufahrt erwartet werden kann. Das Gericht verkennt nicht, dass eine steile Zufahrt im Vergleich zu einer ebenerdigen Zufahrt sehr wohl mit erhöhten Lärmimmissionen einhergehen kann. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Lärmschutzwand die erhöhten Lärmimmissionen zu Gunsten der Kläger hinreichend abschwächt. Angesichts des Platzes vor den Duplex-Parkern von 6,00 m kann auch das Argument des erhöhten Rangierbedarfes nicht nachvollzogen werden. Die Installation oberirdischer, eingehauster Duplex-Parker mag zwar in ländlichen Gebieten eher ungewöhnlich wirken, daraus allein lässt sich aber ebenfalls bei dem Stand der Technik entsprechenden Duplex-Parkern noch nicht eine wesentlich höhere Lärmbelastung als etwa durch gewöhnliche Garagen ableiten. Beim Grundstück der Kläger Fl.-Nr. … kommt hinzu, dass dieses außerdem nur an die Einfahrt grenzt, nicht jedoch an die Fläche vor den Duplex-Parkern. Gewichtige Besonderheiten, die ausnahmsweise zu einer Unzumutbarkeit der Gestaltung der Stellplatzanlagen führen würden, etwa eine Positionierung der Stellplätze direkt an der Grundstücksgrenze oder eine außergewöhnlich große Zahl von Stellplätzen, wurden dagegen nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Die Stellplätze sind vielmehr in der Mitte des Vorhabengrundstücks lokalisiert, eingehaust und zusätzlich in Richtung der Kläger durch Lärmschutzwand und Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ abgeschirmt. Dieses Ergebnis wird auch durch das schalltechnische Gutachten vom 07.07.2022, das keine erkennbaren methodischen oder wissenschaftlichen Mängel aufweist, bestätigt. Der Gutachter geht darüber hinaus davon aus, dass angesichts der von ihm zugunsten der Kläger vorgeschlagenen Lärmschutzauflagen und -maßnahmen die Werte der TA Lärm eingehalten werden (S. 129 der Behördenakte, S. 7 des schalltechnischen Gutachtens). Diese Lärmschutzauflagen und -maßnahmen wurden im Bescheid auch umgesetzt, was sich aus der Auflage 6.1. und 6.4. sowie den Planunterlagen mit der eingezeichneten „Einfriedung für Immissionsschutz“ mit einer Höhe von 2,50 m über Fahrweg, den eingezeichneten weiteren Einfriedungen, dem eingezeichneten Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ an der Grundstücksgrenze sowie den eingezeichneten Einhausungen der Duplex-Parker, ergibt. Die außerdem vorliegende, im Vergleich zum schalltechnischen Gutachten für das Vorhaben noch günstigere, fachliche Einschätzung des Umweltingenieurs unterstreicht die Zumutbarkeit umso mehr. Auch der klägerische Einwand hinsichtlich eines bislang von Kraftfahrzeuglärm verschonten, rückwärtigen Ruhebereichs verfängt nicht. Die Kläger tragen vor, die Stellplätze seien in einem Bereich geplant, in dem sich auf den benachbarten Grundstücken die Garten- und Terrassenanlagen befänden. Die rückwärtigen Grundstücksbereiche seien bislang nicht durch Zufahrten und Stellplätze belastet und durch die jeweiligen Gebäude von der Verkehrsbelastung der öffentlichen Straße abgeschirmt. Somit dringe in einem bislang von Kraftfahrzeuglärm im Wesentlichen frei gehaltenen Ruhebereich eine das Wohnen erheblich beeinträchtigende Nutzung ein. Ausweislich der Lichtbilder und Pläne in den Akten sowie den im Internet einsehbaren Luftbildern verläuft nördlich des Baugrundstücks eine Kreisstraße, die gemeinsame Erschließungsstraße verschwenkt westlich vom Baugrundstück in Richtung Nordwesten. Aufgrund des hierdurch einwirkenden Straßenlärms in Verbindung mit der Situierung der Terrasse auf dem Grundstück der Kläger vermag das Gericht nicht zu erkennen, wie hier von einem besonders empfindlichen, weil straßenfernen, rückwärtigen Ruhebereich, an dem der Terrassen- und Gartenbereich der Kläger teilnimmt, gesprochen werden kann. Dies gilt umso mehr, als dass das schalltechnische Gutachten vom 07.07.2022 für den klägerischen rückwärtigen Gartenbereich eine erhebliche Geräuschvorbelastung durch Straßenverkehr ermittelt hat, die oberhalb der sich aus dem Bauvorhaben ergebenen Immissionspegel durch den Park- und Fahrverkehr für die Stellplätze liegt (S. 124 f. der Behördenakte, S. 16 f. des schalltechnischen Gutachtens).
26
bb. Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung kommt bei nach Höhe, Breite und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl. 1981, 928 ff: bejaht bei zwölfgeschossigem Gebäude in 15 m Entfernung zu zweieinhalb geschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl. 1986, 1271 f.: bejaht bei grenznaher 11,5 m hohen und 13,31 m langen, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 33: verneint bei einem ca. 160 m langen Baukörper mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 – 16 m zum Gebäude des Nachbarn; BayVGH, B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 9: verneint bei einem 33,3 m langen Baukörper mit einer maximalen Höhe von 11 m und einem Abstand von mindestens 15 m zur Baugrenze auf dem Nachbargrundstück; BayVGH, B.v. 3.5.2011 – 15 ZB 11.286 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – BauR 2014, 810 f.; BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 16.2.2016 – 3 S 2167/15 – juris Rn. 38). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – BeckRS 2016, 51753 Rn. 30). Dabei kommt der Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eine Indizwirkung zu. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet danach in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden. Denn in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (BVerwG, B.v. 22.11.1984 – 4 B 244.84 – NVwZ 1985, 653; BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – NVwZ-RR 1997, 516 f; BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 f.; BayVGH, B.v. 6.9.2011 – 1 ZB 09.3121 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 9).
27
Weder durch das Mehrfamilienhaus selbst noch durch die Immissionsschutzwand und das Nebengebäude „Fahrrad und Müll“ ergibt sich eine, die Kläger unzumutbar beeinträchtigende, erdrückende Wirkung. Die Abstandsflächen sind eingehalten. Eine Atypik, weshalb trotz Einhaltung der Abstandsflächen eine erdrückende Wirkung vorliegt, ist nicht erkennbar. Das geplante Mehrfamilienhaus ist ca. 15 m vom Grundstück und ca. 22 m vom Wohnhaus der Kläger entfernt. Trotz des drei Vollgeschosse ist es aufgrund des Flachdaches nicht wesentlich höher als die Umgebungsbebauung. Auch die Lärmschutzwand und das Nebengebäude „Fahrrad und Müll“, halten sich im Rahmen (der Wertung) der Privilegierungstatbestände des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO, was ebenfalls insoweit gegen eine unzumutbar beeinträchtigende, erdrückende Wirkung spricht. Dass diese nach Ansicht des Klägerbevollmächtigten gemeinsam die gesamte Grundstücksgrenze „abschirmen“, ist mangels weiterer Besonderheiten unbeachtlich. Gleiches gilt für die Einhausung der Duplex-Parker. Angesichts der eben beschrieben Gesamtsituation ist nicht ersichtlich, inwiefern die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung eine gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßende unzumutbar beeinträchtigende, erdrückende Wirkung anzunehmen ist, vorliegen könnten, insbesondere, wenn man die Fälle in den Blick nimmt, in denen die Rechtsprechung das Vorliegen einer solchen bejaht bzw. ebenfalls verneint hat.
28
Als unterlegene Beteiligte haben die Kläger die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen, §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Da der Beigeladene einen Sachantrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten tragen, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
29
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Vollstreckung durch den Beigeladenen ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO, hinsichtlich der Vollstreckung durch den Beklagten aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Die Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinsichtlich der Vollstreckung durch den Beklagten bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.