Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 02.03.2023 – B 2 K 21.120
Titel:

Erfolgreiche Feststellungsklage gegen die behauptete Fälligkeit eines Zwangsgeldbescheides

Normenketten:
VwGO § 43, § 44
BayVwZVG Art. 23 Abs. 1, Art. 31 Abs. 1, Abs. 3, Art. 36 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei Unterlassungsverpflichtungen gilt das Fristsetzungserfordernis nach Art. 36 Abs. 1 S. 2 BayVwZVG nicht, die Verpflichtung kann dem Pflichtigen auch „ab sofort“ auferlegt werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Muss der Pflichtige zur Erfüllung seiner Verpflichtungen in die Rechte Dritter eingreifen und ist der Dritte nicht bereit, den Eingriff in seine Rechte zu dulden, so besteht ein Vollzugshindernis. Es bedarf dann einer Duldungsanordnung gegenüber dem Dritten (hier: Durchsetzung des bauordnungsrechtlichen Vollzugs einer Nutzungsuntersagung). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestimmtheit, Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes, Duldungsanordnung, Feststellungsklage, Zwangsgeldbescheid, Fälligkeit, Unterlassungsverpflichtung, Vollzugshindernis, Nutzungsuntersagung, bauordnungsrechtlicher Vollzug
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33788

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das im Bescheid vom 09.11.2020 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR nicht fällig geworden ist.
2.Der Bescheid des Beklagten vom 12.01.2021 wird aufgehoben.
3.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die behauptete Fälligkeit eines im Bescheid des Landratsamtes … vom 09.11.2020 angedrohten Zwangsgeldes i.H.v. 75.000,00 Euro sowie gegen eine erneute Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 100.000,00 Euro im Bescheid des Landratsamtes … vom 12.01.2021.
2
Der Klägerin wurde am 04.04.2019 eine Baugenehmigung „Neubau von 63 barrierefreien und behindertengerechten Eigentumswohnungen mit Tagespflege, Arztpraxen, Gemeinschaftsräumen und Wellnessbereich“ unter dem Aktenzeichen … auf dem Grundstück mit den Fl.-Nrn. …und … der Gemarkung … erteilt. Da jedoch im Laufe der Zeit festgestellt wurde, dass das Gebäude planabweichend errichtet wurde, wurde ein Änderungsantrag „Neubau von 62 barrierefreien und behindertengerechten Altenwohnungen mit Tagespflege, Intensivpflege, Pflegestützpunkt, Gemeinschaftsräumen und Wellnessbereich“ unter dem Aktenzeichen …am 19.08.2019 beim Landratsamt … eingereicht. Dieser Änderungsantrag ist bisher nicht genehmigt, da bislang nicht alle Unterlagen vorliegen.
3
Bei einer Ortseinsicht am 20.10.2020 wurde festgestellt, dass eine Nutzungsaufnahme des bereits errichteten Gebäudes unmittelbar bevorsteht. Zu diesem Zeitpunkt lagen weder eine Baugenehmigung des Änderungsantrages noch die Brandschutzbescheinigung II für eine Nutzungsaufnahme vor. Daher wurde die Klägerin mit Schreiben vom 22.10.2020 zur vorbeugenden Nutzungsuntersagung des Gebäudes angehört. Nach einer weiteren Ortseinsicht am 05.11.2020 wurde festgestellt, dass die Nutzung bereits aufgenommen worden ist und bereits drei Wohnungen bewohnt werden. Daraufhin wurde mit Bescheid vom 09.11.2020 die Nutzung des gesamten Gebäudekomplexes auf der Fl.-Nr. … und der Fl.-Nr. … der Gemarkung … untersagt (Ziffer 1 Satz 1). Dies beinhaltet die Verpflichtung, bereits bezogene Wohnungen bis spätestens 01.12.2020 zu räumen (Ziffer 1 Satz 2). Die Ziffer 1 wurde für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 4). Für den Fall der Nichteinhaltung der Ziffer 1 drohte das Landratsamt … ein Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR an (Ziffer 5).
4
Zur Begründung des Bescheids vom 09.11.2020 wird unter anderem ausgeführt, dass sich der Erlass der Nutzungsuntersagung auf Art. 76 Satz 2 BayBO stütze. Danach könnten Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt würden, untersagt werden. Die Nutzung der Wohnungen des Gebäudes stehe im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Der Änderungsantrag „Neubau von 62 barrierefreien und behindertengerechten Altenwohnungen mit Tagespflege, Intensivpflege, Pflegestützpunkt, Gemeinschaftsräumen und Wellnessbereich“ vom 19.08.2019 sei zwar am Landratsamt … eingegangen und befinde sich dort im laufenden Verfahren. Die erforderliche Baugenehmigung sei bisher jedoch nicht erteilt. Mit Schreiben vom 09.09.2020 sei ein Lärmgutachten durch das Landratsamt angefordert worden. Bisher sei dieses nicht eingegangen. Da die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO grundsätzlich erforderliche Baugenehmigung nicht vorliege, würden die Wohnungen bereits formell illegal genutzt. Ob die beantragte Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig und damit genehmigungsfähig sei, könne derzeit nicht beurteilt werden, da das geforderte Lärmgutachten zur Beurteilung der immissionsschutzrechtlichen Situation, insbesondere im Hinblick auf die hohe Schutzwürdigkeit der Intensivpflege, dem Landratsamt … derzeit nicht vorliege. Eine Genehmigung habe bisher für das Vorhaben nicht erteilt werden können. Aufgrund der nicht geprüften Brandschutzsituation sei eine Gefahr für Leib und Leben nicht auszuschließen.
5
Dem Landratsamt gelangte sodann zur Kenntnis, dass zum 01.01.2021 unter der Anschrift … in … mindestens ein zusätzlicher weiterer Bewohner gemeldet worden war (vgl. Behördenakte Bl. 258). Zudem wurde die Nutzung der …-Tagespflege, die zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses vom 09.11.2020 bereits genutzt wurde (vgl. Behördenakte Bl. 72, Bl. 137), nach dem 09.11.2020 fortgesetzt, wie bei einer Kontrolle am 23.11.2020 festgestellt wurde. Erst der bestandskräftige Bescheid vom 25.11.2020 beinhaltete die Verpflichtung, die …-Tagespflege bis spätestens 01.12.2020 zu räumen (Ziffer 1).
6
Daraufhin erklärte das Landratsamt … mit Schreiben vom 12.01.2021, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Nutzungsuntersagung nicht nachgekommen sei, weshalb nun das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR fällig sei (vgl. Behördenakte Bl. 244). Gleichzeitig wurde der Klägerin für den Fall, dass diese weiterhin die Ziffer 1 des Bescheids vom 09.11.2020 nicht befolge, erneut ein Zwangsgeld in Höhe von 100.000,00 EUR angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden könnte, bis die Verpflichtung erfüllt sei. Da die bisherige Nutzungsuntersagung nicht befolgt worden sei, habe das Landratsamt … daher erneut ein Zwangsgeld für den Fall angedroht, dass die Klägerin die mit Bescheid vom 09.11.2020 angeordnete Nutzungsuntersagung nicht einhalte. Die neue Androhung eines Zwangsgeldes sei zulässig, weil die vorausgegangene Zwangsgeldandrohung erfolglos geblieben sei.
7
Mit Schriftsatz vom 03.02.2021 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich die erhobene Anfechtungsklage gegen die neuerliche Anordnung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 100.000,00 EUR gegenüber der Klägerin richte; die Vollstreckungsabwehrklage richte sich gegen die Vollstreckung des Ordnungsgeldes in Höhe von 75.000,00 EUR gemäß dem Bescheid vom 09.11.2020. Die Anordnung eines weiteren Zwangsgeldes in Höhe von 100.000,00 EUR sei unzulässig. Einer solchen bedürfte es allenfalls dann, wenn die Klägerin den Anordnungen des Bescheids vom 09.11.2020 nicht Folge geleistet hätte. Hierbei stelle sich bereits die Frage, inwieweit die Klägerin Nutzungen von Eigentümern oder sonstigen Berechtigten der jeweiligen Sondereigentumseinheiten hätte verhindern können, sofern diese tatsächlich nach dem 09.11.2020 aufgenommen worden wären. Hierbei stelle sich schon die Frage, ob die Klägerin überhaupt der richtige Adressat der von der Beklagten angeordneten Nutzungsuntersagung sei. Dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass zweifelsohne die Klägerin die Räumlichkeiten im Sinne des Bescheids der Beklagten selbst nicht genutzt habe und nutze. Dies werde von der Beklagten im Bescheid vom 12.01.2021 auch nicht behauptet. Dieser Einwand des unrichtigen Adressaten und der tatsächlich fehlenden Nutzungsmöglichkeit der Klägerin könne aber vorliegend rein theoretischer Natur bleiben, da eine Nutzung von Räumlichkeiten des streitgegenständlichen Bauvorhabens nach dem 09.11.2020 insgesamt nicht begründet worden sei, somit ein Ordnungsgeld auslösender Tatbestand nicht vorliege. Soweit sich die Beklagte zur Begründung des fälligen Zwangsgeldes darauf berufe, dass nach Erlass des Bescheids vom 09.11.2020, entgegen der angeordneten Nutzungsuntersagung, die Tagespflege der …-Gruppe aufgenommen worden sei, sei dies sachlich unrichtig. Die Übergabe der Räumlichkeiten an die …-Tagespflege und damit die Aufnahme des Geschäftsbetriebs, einhergehend mit der Nutzung der dafür vorgesehenen Räumlichkeiten sei mit Datum zum 09.10.2020 erfolgt. Demgemäß könne ein Verstoß gegen die angeordnete Nutzungsuntersagung durch den Betrieb der …-Tagespflege durch die Beklagte nicht begründet werden, da zum Zeitpunkt der Nutzungsuntersagung diese bereits erfolgt sei. Auch die Nutzung der Räumlichkeiten durch die …-Tagespflege nach dem 09.11.2020 führe nicht zur Fälligkeit des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von 75.000,00 EUR, denn die Beklagte selbst habe durch weitere Bescheide, gerichtet an die jeweiligen Bewohner/Nutzer des streitgegenständlichen Bauvorhabens, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 09.11.2020 bereits die Räumlichkeiten nutzten, gegenüber diesen eine Duldungsverfügung der Gestalt ausgesprochen, dass eine Nutzung vorerst sanktionslos möglich sei, und die Frist für diese sanktionslose Nutzungsmöglichkeit mittlerweile bis zum 28.02.2021 verlängert. Soweit die Beklagte die Fälligkeit des angedrohten Zwangsgeldes von 75.000,00 EUR damit begründe, dass sich unter der Anschrift des streitgegenständlichen Bauvorhabens, … in …, ein weiterer Bewohner melderechtlich nach dem Erlass des Bescheids vom 09.11.2020 angemeldet habe, führe dies nicht ohne weiteres zur Fälligkeit des angedrohten Zwangsgeldes von 75.000,00 EUR. Es liege zum einen nicht in der Macht des Beklagten, melderechtliche Vorgänge durch Erwerber von Wohnungseigentumseinheiten im streitgegenständlichen Bauvorhaben zu unterbinden. Darüber hinaus sei die Erfüllung von melderechtlichen Vorschriften nicht gleichbedeutend mit der tatsächlichen Nutzung der Wohneinheit die jeweilige Meldung beim Meldeamt betreffend. So sei bekannt, dass einige Eigentümer, in der Befürchtung, gegen melderechtliche Auflagen zu verstoßen, diese erfüllt hätten, ohne tatsächlich ihre Sondereigentumseinheit im streitgegenständlichen Objekt zu nutzen. Soweit die Beklagte also ihre Sanktion eines Zwangsgeldes von 75.000,00 EUR fällig gestellt wissen wolle, sei sie gehalten zu überprüfen, ob vor Ort eine tatsächliche Nutzung durch die von ihr, der Klägerin nicht namentlich bekannt gegebene Person, erfolge. Die reine Annahme, dass ein melderechtlicher Vorgang gleichzusetzen sei mit einer tatsächlichen Nutzungsaufnahme sei empirisch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht belegt. Darüber hinaus habe die Klägerin ihre sich aus der Nutzungsuntersagung ergebende Verpflichtung dahingehend erfüllt, dass sie alle Erwerber von Wohneigentumseinheiten oder Sondereigentumseinheiten im streitgegenständlichen Objekt auf die Nutzungsuntersagung mehrfach hingewiesen habe. Insbesondere habe die Klägerin die mit der Vermietung beauftragte Maklerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass abgeschlossene Mietverträge mit einem Mietbeginn nach dem 09.11.2020 derzeit nicht faktisch in Vollzug gesetzt werden könnten. Obige Ausführungen würden belegen, dass ein Verstoß der Klägerin gegen das von der Beklagten ausgesprochene Nutzungsverbot mit Bescheid vom 09.11.2020 nicht gegeben sei. Demnach sei die Vollstreckung der Beklagten aus dem Bescheid vom 09.11.2020 für unzulässig zu erklären.
8
Mit Schriftsatz vom 19.03.2021 ließ die Klägerin weiter vortragen, dass die Beklagte nunmehr, zwecks Konkretisierung ihres bislang unbestimmten und unsubstantiierten Sachvortrages, die Kopie einer Wohnungsgeberbestätigung, datierend vom 11.01.2021, augenscheinlich unterzeichnet von einer Frau S. L. vorgelegt habe. Bei Frau S. L. handle es sich um die Erwerberin einer Eigentumswohnung im streitgegenständlichen Objekt. Zur Person von Frau S. L. sei festzuhalten, dass Frau S. L. nicht geschäftsfähig sei und daher unter amtlicher Betreuung stehe. Das eigenmächtige und gegen die Bescheidslage gerichtete Verhalten einer geschäftsunfähigen Person könne vorliegend der Klägerin nicht entgegengehalten werden.
9
Die Klägerin lässt durch ihren Bevollmächtigten zuletzt in der mündlichen Verhandlung beantragen,
1.
Der Bescheid des Beklagten vom 12.01.2021 wird aufgehoben.
2.
Es wird festgestellt, dass das im Bescheid des Beklagten vom 09.11.2020 angedrohte Zwangsgeld nicht fällig geworden ist.
10
Mit Schriftsatz vom 19.07.2021 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
11
Insbesondere sei auch der Zwangsgeldeinzug der fällig gewordenen 100.000,00 EUR rechtmäßig, da wiederholt gegen die Nutzungsuntersagung des Bescheids vom 09.11.2020 verstoßen worden sei, da 12 neue Bewohner unter der Anschrift … in … gemeldet und nachweislich dort eingezogen seien (vgl. Behördenakte Bl. 335 – 342). Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Duldung der Wohnnutzung nur für die Wohnungen ausgesprochen worden sei, die zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses vom 09.11.2020 dort bereits gewohnt hätten. Ziel dieser Duldung sei es gewesen, einen kurzfristigen Auszug und somit die Obdachlosigkeit mehrerer älterer Bewohner des Gebäudekomplexes zu verhindern. Insbesondere unter diesem Gesichtspunkt sei die Nutzungsuntersagung angemessen. Aufgrund nachweislichen Verstoßes gegen die Nutzungsuntersagung laut den Wohnungsgeberbestätigungen der Stadt … hätten sowohl das Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR sowie das Zwangsgeld von 100.000,00 EUR eingezogen werden können.
12
Mit Schriftsatz vom 25.01.2023 machte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten weitere Ausführungen. Es wird insbesondere geltendgemacht, dass die Ausführungen zum Lärmschutz insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht geeignet seien, eine entsprechende Nutzungsuntersagung zu rechtfertigen. Hinsichtlich des Brandschutzes werde ausgeführt, dass die vorgelegten und dem Beklagten zumindest zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 12.01.2021 bekannten Überwachungsberichte des Prüfsachverständigen Dipl.-Ing. U. M. festgestellt hätten, dass trotz des fehlenden Brandschutznachweises I und II eine Nutzung der errichteten Gebäude erfolgen könne.
13
Der Antrag der Klägerin, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 09.11.2021 bis zum Erlass eines Urteils in der Hauptsache vorläufig einzustellen, wurde mit Beschluss ohne mündliche Verhandlung am 16.03.2021 abgelehnt (B 2 E 21.119). Hierauf wird Bezug genommen.
14
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch im Verfahren B 2 E 21.119) samt dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2023 und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

15
Die Klägerin verfolgt im Wege der zulässigen objektiven Klagehäufung (§ 44 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) ein Feststellungsbegehren (dazu unter I.) sowie ein Anfechtungsbegehren (dazu unter II.).
16
Die zulässigen Klagen haben in der Sache Erfolg.
I.
17
Die auf Feststellung, dass das Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR nicht fällig geworden ist, gerichtete Klage ist zulässig und auch begründet.
18
1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Sie ist gem. § 43 VwGO statthaft, da die Fälligkeitsmitteilung mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt darstellt (BayVGH, B.v. 24.01.2011 – 2 ZB 10.2365 – juris). Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG liegt bereits in der Androhung eines bestimmten Zwangsgelds ein nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 VwZVG vollstreckbarer, aber aufschiebend bedingter Leistungsbescheid. Wird die zu erfüllende Pflicht nicht innerhalb der Handlungsfrist des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG erfüllt bzw. wird einer Pflicht zur Unterlassung zuwidergehandelt, wird die Zwangsgeldforderung gem. Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG zur Zahlung fällig. Die Fälligkeitsmitteilung stellt folglich lediglich eine behördliche Information über den angenommenen Bedingungseintritt dar (VG München, U.v. 15.07.2013 – M 8 K 12.3625 – BeckRS 2013, 59707). Das gem. § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Beklagte sich des Bestehens der Zwangsgeldforderung berühmt und die Schuldnerschaft des Klägers behauptet (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 148. EL 2022, Art. 76 Rn. 484).
19
2. Die Feststellungsklage ist auch begründet, weil die Voraussetzungen für die Fälligstellung des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von 75.000,00 EUR nicht vorliegen.
20
a. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG wird die Zwangsgeldforderung fällig im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG, wenn die Pflicht zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nach Art. 31 Abs. 1 VwZVG nicht bis zum Ablauf der Frist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG erfüllt wird. Bei Unterlassungsverpflichtungen gilt das Fristsetzungserfordernis nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nicht, die Verpflichtung kann dem Pflichtigen auch „ab sofort“ auferlegt werden (BayVGH, B. v. 15. 6. 2000 – 4 B 98.775 – NJW 2000, 3297). Nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG können Verwaltungsakte vollstreckt werden, wenn sie bestandskräftig sind; nach Art. 19 Abs. 2 VwZVG setzt die Vollstreckung voraus, dass der zur Zahlung von Geld oder zu einer sonstigen Handlung, Duldung oder einer Unterlassung Verpflichtete seine Verpflichtung nicht rechtzeitig erfüllt. Der behördliche Befehl, die Nutzung des ohne Baugenehmigung errichteten Gebäudes auf dem Grundstück mit den Fl.-Nrn. … und … der Gemarkung … ab sofort zu unterlassen, bedeutet, dass jegliche Nutzung – im Umfang der Nutzungsuntersagung – ab diesem Zeitpunkt zu unterbleiben hat.
21
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt zwar eine zurechenbare Zuwiderhandlung der Klägerin gegen die Nutzungsuntersagung vor. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 09.11.2020 wurde die Nutzung des Gebäudes auf dem Grundstück mit den Fl.-Nrn. … und … der Gemarkung … ab sofort untersagt. Es steht für das Gericht fest, dass die Klägerin gegen diese Verpflichtung verstoßen hat. Nach Bescheidserlass vom 09.11.2020 ist zum 01.01.2021 Frau L. in die Wohnung in …, …, eingezogen. Dies ergibt sich aus der den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung übergebenen E-Mail der Betreuerin von Frau L. vom 01.03.2023, die ausdrücklich bestätigt, dass Frau L. seit dem 01.01.2020 in der Wohnung im … wohnt.
22
Weiter liegt eine zurechenbare Zuwiderhandlung auch deshalb vor, weil die …-Tagespflege bereits Ende Oktober 2020 (vgl. Behördenakte Bl. 138, 150) die Nutzung der Räume aufgenommen hat und nach dem 09.11.2020 entgegen der Ziffer 1 Satz 1 des Bescheids vom 09.11.2020 nicht aufgegeben hat.
23
c. Die Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes im Hinblick auf eine Vielzahl unterschiedlicher Anordnungen ist allerdings keine taugliche Grundlage für eine spätere Zwangsgeldandrohung, wenn nicht erkennbar ist, für welchen Verstoß gegen welche Anordnung ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht ist. Davon ist vorliegend auszugehen. Im Bescheid vom 09.11.2020 wurde der Klägerin in der Ziffer 1 Satz 1 des Bescheids die Nutzung des ohne Baugenehmigung errichteten Gebäudes auf dem Grundstück mit der Fl.-Nr. … und … der Gemarkung …, … in … untersagt. Nach Ziffer 1 Satz 2 beinhaltet dies die Verpflichtung, bereits bezogene Wohnungen bis spätestens 01.12.2020 zu räumen. In Ziffer 5 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 75.000,00 EUR zur Zahlung fällig gestellt, falls die in Ziffer 1 erteilte Nutzungsuntersagung nicht ab sofort eingehalten wird.
24
Bei mehreren selbstständigen Verpflichtungen, die mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden sollen, ist grundsätzlich für jede einzelne Maßnahme ein bezifferter Betrag anzugeben. Abweichungen von diesem Grundsatz sind nur im Falle von rechtlich oder tatsächlich zusammenhängenden Anordnungen gerechtfertigt. Dies ist hier nicht der Fall. Zum einen wollte die Behörde erreichen, dass die Klägerin es unterlässt, das Gebäude weiterhin zu nutzen, d.h., dass in weiteren Wohnungen eine Nutzung aufgenommen wird (Ziffer 1 Satz 1). Zum anderen wurde verfügt, dass die bei Bescheidserlass bereits bewohnten Wohnungen erst bis spätestens 01.12.2020 zu räumen sind (Ziffer 1 Satz 2). Es handelt sich zwar letztlich um die Nutzungsuntersagung für ein Gebäude. Jedoch haben diese beiden Verpflichtungen unterschiedliche Bedeutung, einmal ein Unterlassen und einmal aktives Tun. Auch ist die Unterlassung der Nutzung ab sofort verfügt, während das aktive Handeln, dass bezogene Wohnungen zu räumen sind, mit einer Frist versehen ist. Da somit der Beklagte ein einheitliches Zwangsgeld für den Fall angedroht hat, dass die Klägerin den in Ziffer 1 des Bescheids festgelegten Verpflichtungen nicht nachkommt, bleibt unklar, welches Zwangsgeld bei welchem Pflichtenverstoß fällig wird. Angesichts der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Pflichten kommt auch eine Auslegung, dass bei jeder Pflichtverletzung ein Zwangsgeld von 75.000,00 EUR fällig wird, nicht in Betracht (BayVGH, B.v. 1. Februar 2010 – 10 CS 09.3202 –, Rn. 8, juris). Dem Bescheid lässt sich auch nicht entnehmen, dass das angedrohte Zwangsgeld erst dann zur Zahlung fällig wird, wenn gegen sämtliche Anordnungen im Tenor Ziffer 1 verstoßen wird. Diese Zwangsgeldandrohung kann somit trotz Bestandskraft nicht Grundlage für das Fälligstellen eines Zwangsgeldes in Höhe von 75.000,00 EUR sein.
25
Die in Ziffer 5 des Bescheids vom 09.11.2020 enthaltene Zwangsgeldandrohung ist damit nicht hinreichend bestimmt und daher trotz Unanfechtbarkeit nicht vollstreckungsfähig.
26
d. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung ist weiter, dass der durch den zugrundeliegenden Verwaltungsakt Verpflichtete in der Lage ist, die ihm auferlegten Pflichten innerhalb der ihm gesetzten Frist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG zu erfüllen. Muss der Pflichtige zur Erfüllung seiner Verpflichtungen in die Rechte Dritter eingreifen und ist der Dritte nicht bereit, den Eingriff in seine Rechte zu dulden, so besteht ein Vollzugshindernis. Es bedarf dann einer Duldungsanordnung gegenüber dem Dritten zur Durchsetzung des bauordnungsrechtlichen Vollzugs einer Nutzungsuntersagung (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675; U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.649; BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – jew. Juris; VG München, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – M 11 S 20.4129 –, Rn. 24 – 25, juris). So sind zwar die Bewohner der bereits bezogenen Wohnungen zur Duldung der Ziffer 1 des Bescheids vom 09.11.2020 verpflichtet worden; die Auflassungsvormerkungsberechtigten der noch nicht bezogenen Wohnungen wurden jedoch nicht zur Duldung der Nutzungsunterlassung verpflichtet. So hat auch Frau L. keine Duldungsverpflichtung erhalten, obwohl ihr gegenüber als Auflassungsvormerkungsberechtigte eine solche hätte ergehen müssen. Eine Duldungsanordnung ist dann nicht notwendig, wenn weder dargetan noch ersichtlich ist, dass ein Berechtigter sich dem Vollzug der Anordnung entgegenstellen wird. Dadurch, dass Frau L. die Wohnung bezogen hat, zeigt sich deutlich, dass sie mit einer Nutzungsuntersagung gerade nicht einverstanden ist. Gegenüber der Betreiberin der …-Tagespflege ist zwar eine solche Duldungsanordnung ergangen, jedoch erst mit Bescheid vom 25.11.2020. Für die Zeit vom 09.11.2020 bis zum 25.11.2020 existiert gegenüber der …-Tagespflege keine solche Duldungsanordnung. Ab dem 25.11.2020 lag dann zwar die Duldungsanordnung gegenüber der …-Tagespflege vor, allerdings gestattete der Bescheid vom 25.11.2020, dass die …-Tagespflege ihre bereits bezogenen Räume erst bis spätestens zum 31.01.2021 räumen musste.
27
Nach alldem hat die Feststellungsklage somit Erfolg.
II.
28
Die auf Aufhebung der erneuten Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 12.01.2021 gerichtete Klage ist ebenfalls zulässig und begründet.
29
Die gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG zulässige Anfechtungsklage gegen die erneute Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 12.01.2021 ist begründet, da die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 12.01.2021 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
30
Gem. Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG können Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Gem. Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG ist eine erneute Androhung eines Zwangsmittels erst dann zulässig, wenn die vorausgegangene Androhung des Zwangsmittels erfolglos geblieben ist. Es bestehen zwar keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsgeldandrohung. Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 100.000,00 EUR ist allerdings materiell rechtswidrig. Zum einen verbietet sich eine erneute Androhung vor dem Hintergrund, dass das erste Zwangsgeld nicht fällig geworden ist. Zum anderen steht die fehlende Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung auch der Vollstreckung des erneut angedrohten Zwangsgeldes entgegen (siehe oben unter I.).
III.
31
Die Entscheidung über die Kosten des gerichtlichen Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, da der Beklagte vollumfänglich unterliegt. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung – ZPO.