Titel:
Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung
Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155
ZPO § 138, § 142 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Erforderlich ist die Angabe, dass die Veränderung der Rechnungsgrundlage einen bestimmten Schwellenwert überschritten hat; wie groß die Überschreitung des Schwellenwertes ist, ist dagegen ohne Bedeutung (Anschluss an BGH BeckRS 2021, 37439 Rn. 19 mwN; BeckRS 2023, 13644 Rn. 22 f.; s. auch BGH BeckRS 2020, 37391). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung ist die isolierte Rüge des Versicherungsnehmers, dem Treuhänder seien die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden, ohne gleichzeitigen Angriff auf die kalkulatorische Richtigkeit der Beitragsanpassungen unzulässig (Anschluss an LG Koblenz BeckRS 2022, 47570; s. auch OLG Nürnberg BeckRS 2023, 3605; OLG Bremen BeckRS 2023, 10761). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung rechtfertigt auch die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, – auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Grundsatz der Waffengleichheit – keine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung zugunsten des Bereicherungsgläubigers (Anschluss an OLG Brandenburg BeckRS 2019, 65784). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Soweit das Bestreiten der jeweils materiell ordnungsgemäßen Beitragsanpassung offen erkennbar "ins Blaue hinein", dh ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen des behaupteten Sachverhalts, erfolgt, ist dies prozessual unbeachtlich (Anschluss an OLG Brandenburg BeckRS 2023, 20320 Rn. 13 ff. mwN). (Rn. 44 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
1. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Erforderlich ist die Angabe, dass die Veränderung der Rechnungsgrundlage einen bestimmten Schwellenwert überschritten hat; wie groß die Überschreitung des Schwellenwertes ist, ist dagegen ohne Bedeutung. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die isolierte Rüge des Versicherungsnehmers, dem Treuhänder seien die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden, ist ohne gleichzeitigen Angriff auf die kalkulatorische Richtigkeit der Beitragsanpassungen unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, rechtfertigt – auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Grundsatz der Waffengleichheit – keine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung zugunsten des Bereicherungsgläubigers. (redaktioneller Leitsatz)
4. Soweit das Bestreiten der jeweils materiell ordnungsgemäßen Beitragsanpassung offen erkennbar "ins Blaue hinein", d.h. ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen des behaupteten Sachverhalts erfolgt, ist dies prozessual unbeachtlich. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, materielle Rechtmäßigkeit, Treuhänder, Vollständigkeit der Unterlagen, Limitierungsmaßnahmen, Darlegungs- und Beweislast
Fundstellen:
BeckRS 2023, 33460
FDVersR 2024, 933460
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 19.335,45 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung.
2
Der Kläger ist seit 01.12.1992 bei der Beklagten mit der Versicherungsnummer 513/... privat krankenversichert. Die Beklagte nahm Beitragsanpassungen im Tarif EBE63 zum 01.01.2018 sowie im Tarif CV3H500 zum 01.01.2020 und zum 01.01.2022 vor. Im Vorfeld der Prämienanpassungen informierte die Beklagte den Kläger jeweils schriftlich über die bevorstehenden Erhöhungen. Sie übersandte jeweils ein Anschreiben mit einem Nachtrag zum Versicherungsschein. Der Kläger zahlte jeweils den angepassten Beitrag.
3
Der Kläger behauptet, dass die Beklagte darüber hinaus eine Beitragsanpassung i.S.d. § 203 Abs. 2 VVG auch im Tarif CV3H500 zum 01.01.2014 vorgenommen habe.
4
In seiner Klage vom 10.05.2023 hat der Kläger zunächst darüber hinaus Beitragsanpassungen i.S.d. § 203 Abs. 2 VVG auch im Tarif CV3H500 zum 01.07.2019 sowie im Tarif EBE63 zum 01.01.2021, zum 01.01.2022 und zum 01.01.2023 behauptet und dabei die Rechtsauffassung vertreten, dass alle diese Prämienanpassungen mangels ordnungsgemäßer Begründung im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG formell rechtswidrig erfolgt seien. Ferner seien alle diese Beitragsanpassungen auch materiell rechtswidrig erfolgt, wobei der Kläger die materielle Rechtmäßigkeit „umfassend“ dahingehend bestreite, dass „die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht“ (Bl. 15 d.A.), dass „dem Treuhänder 'sämtliche für die Prüfung der Prämienänderungen erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der hierfür benötigten kalkulatorischen Herleitungen und statistischen Nachweise' i.S.d. § 155 Abs. 1 S. 3 VAG vorgelegen [hätten] und er die Zustimmung nach 155 Abs. 1 S. 1 VAG daher nicht hätte erteilen dürfen“ (Bl. 16 d.A.) und „[i]nsoweit […] die Prämienkalkulation umfänglich“ (Bl. 16 d.A.). Die angegriffenen Beitragsanpassungen seien „bereits materiell rechtswidrig, da (1) die Beklagtenseite dem jeweils verantwortlichen Treuhänder ihr unternehmerisches Ermessen bei der Gewährung und Verteilung von Limitierungen nicht durch ein Limitierungskonzept (§ 155 Abs. 2 Satz 3 VAG/§ 12b Abs. 1a Satz 3 VAG a. F; § 155 Abs. 2 Satz 2 VAG/§ 12b Abs. 1a Satz 2 VAG a. F.) nachgewiesen [habe] und die Zustimmung des Treuhänders somit unwirksam [gewesen sei]; (2) mangels Vollständigkeit der sonstigen vorgelegten Unterlagen, insbesondere mangels eines Nachweises der erfolgten treuhänderischen Überprüfung der Erstkalkulation, der Treuhänder die erforderliche Zustimmung nicht hätte erteilen dürfen und diese somit unwirksam [gewesen sei] (§ 155 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VAG/§ 12b Abs. 1 Sätze 2 und 3 VAG a. F.)“ (Bl. 16/17 d.A.). Aufgrund des streitigen Tatsachenvortrags stünden „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagtenpartei zunächst nicht im Streit“ (Bl. 18 d.A.), weshalb „vorliegend ein Vorschuss von 1.500 Euro mehr als ausreichend“ sei (Bl. 35, 164 d.A.).
5
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Es wird festgestellt, dass alle auf Grundlage von § 203 Abs. 5 VVG erfolgten einseitigen Erhöhungen in den Krankenversicherungstarifen der Klägerseite – mit Ausnahme sowohl der Erhöhungen in den Tarifen zur Pflegepflichtversicherung als auch der Erhöhungen zur Beitragsentlastung im Alter, wiederum mit Ausnahme des gesetzlichen Zuschlags – die die Beklagtenseite gegenüber der Klägerseite im Rahmen des zwischen ihnen bestehenden Krankenversicherungsverhältnisses zur Versicherungsnummer 513/... im streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommen hat, unwirksam sind sowie dass der monatlich fällige Gesamtbetrag auf 460,33 EUR zu reduzieren ist:
a) im Tarif CV3H500 zum 01.01.2022 um 119,80 €
b) im Tarif CV3H500 zum 01.01.2020 um 66,15 €
c) im Tarif EBE63 (168,00) zum 01.01.2018 um 8,44 €
d) im Tarif CV3H500 zum 01.01.2014 um 80,47 €
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite 9.768,36 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für Beitragszahlungen ab dem 01.01.2020 zu zahlen, zzgl. Nutzungen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, die die Beklagte aus den Zahlungen der Klagepartei auf die gem. Antrag Nr. 1 unwirksamen Prämienerhöhungen bis zur Rechtshängigkeit der Klage gezogen hat, zudem zur Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf diese Nutzungen seit Rechtshängigkeit.
3. Die Beklagtenseite wird verurteilt, die Klägerseite von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von EUR freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
7
Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass alle Beitragsanpassungen formell und materiell rechtmäßig seien. Zudem beruft sich die Beklagte auf Verjährung.
8
Das Gericht hat in der öffentlichen Sitzung vom 31.10.2023 mündlich verhandelt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll vom 31.10.2023 Bezug genommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und des Verfahrensgangs wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
10
Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und die örtliche Zuständigkeit aus § 17 Abs. 1 ZPO.
12
Die Klage ist unbegründet.
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1. Der Feststellungsantrag Ziffer 1 ist unbegründet.
14
a) Seine in der Klageschrift aufgestellte Behauptung über Beitragsanpassungen auch im Tarif CV3H500 zum 01.07.2019 sowie im Tarif EBE63 zum 01.01.2021, zum 01.01.2022 und zum 01.01.2023 (Bl. 2 d.A.) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 05.10.2023, mit dem er „die Klage geändert“ und seinen Feststellungsantrag nicht länger auf diese erstreckt hat (Bl. 134 d.A.), fallen lassen.
15
b) Gemäß § 138 Abs. 2, Abs. 3 ZPO ist der durch den als Anlage B 2.1 vorgelegten Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2013 untermauerte Vortrag der Beklagten, dass im Tarif CV3H500 zum 01.01.2014 keine Beitragsanpassung i.S.d. § 203 Abs. 2 VVG stattgefunden habe, sondern die Beitragserhöhung auf eine Reduzierung einer eingeräumten Limitierungsgutschrift zurückzuführen sei (Bl. 69 d.A.), mangels substantiierter Entgegnung durch den Kläger als zugestanden anzusehen.
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c) Die Beitragsanpassungen waren allesamt ordnungsgemäß begründet i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG und damit formell unwirksam.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes besteht die Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG ausschließlich in der Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, NJW 2022, 389, Rn. 19, beck-online). Hingegen ist es nicht erforderlich, die konkrete Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage anzugeben. Erforderlich ist die Angabe, dass die Veränderung der Rechnungsgrundlage einen bestimmten Schwellenwert überschritten hat (BGH, Urteil vom 26.04.2023, A.z IV ZR 248/21, BeckRS 2023, 13644, Rn. 22 f., beck-online) – wie groß die Überschreitung des Schwellenwertes ist, ist dagegen ohne Bedeutung (vgl. OLG Celle, Az. 8 U 57/18, VersR 2018, 1179, Rn. 88 ff.). Abstrakt gehaltene, gänzlich allgemeine Ausführungen reichen zwar nicht aus. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Gründe den Versicherungsnehmer in die Lage versetzen, eine Plausibilitätsprüfung der vorgenommenen Beitragsanpassung vorzunehmen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 27). Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungshistorie, wonach der Gesetzgeber mit der Änderung des § 203 Abs. 5 VVG zum 01.01.2008 keine grundsätzlich andere Neuausrichtung der Mitteilungsanforderungen bezweckt hat (vgl. BGH a.a.O. Rn. 23) .
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bb) Diesen Vorgaben genügte die Beitragsanpassung im Tarif CV3H500 zum 01.01.2022.
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Im Anschreiben vom November 2021 (Anlage B 2.8) sind die folgenden Angaben enthalten:
„Warum ändert sich Ihr Beitrag? Alle privaten Krankenversicherer (PKV) müssen die Beiträge jährlich prüfen. Das ist gesetzlich geregelt. Ausgaben und Einnahmen müssen sich langfristig entsprechen. Wenn sich beispielsweise die Ausgaben für Leistungen erhöhen, ändern sich die Beiträge. Auf den folgendenen Seiten erklären wir die Gründe für die Änderungen der Beiträge in diesem Jahr genauer.“
20
Im beigefügten Nachtrag zum Versicherungsschein ist der Tarif CV3H500 mit einem Sternchen-Symbol („*“) hervorgehoben, das weiter unten wie folgt erläutert wird:
„Tarife mit Beitragsanpassungen sind mit „*“ gekennzeichnet.“ Im beiliegenden Informationsblatt finden sich die folgenden Ausführungen:
„Wann genau kommt es zu Beitragsanpassungen? Wenn in einem Tarif der ermittelte Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung um mehr als einen tariflich festgelegten Prozentsatz ergibt, müssen wir die Beitragskalkulation überprüfen. Zudem müssen wir kontrollieren, ob die erforderlichen von den einkalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten um mehr als fünf Prozent abweichen. Wir sind verpflicht, die Beiträge neu zu berechnen, wenn zumindest eine der beschriebenen Abweichungen festgestellt wird und nicht nur vorübergehend ist. In diesem Fall müssen wir neben den Leistungsausgaben und den Sterbewahrscheinlichkeiten auch alle anderen Rechnungsgrundlagen aktualisieren. Durch die Aktualisierung aller Rechnungsgrundlagen ändert sich der Beitrag.
Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung der Beiträge und genehmigt sie, wenn die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind. Zusätzlich informieren wir die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Beitragsanpassung zum 1. Januar 2022: Aus welchem Grund ändert sich Ihr Beitrag?
Der maßgebliche Grund für die Neuberechnung Ihrer Beiträge zum 1. Januar 2022 sind höhere Ausgaben für Leistungen. Beim Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen hat die Abweichung den tariflich festgelegten Prozentsatz überschritten.“
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Diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende, einen Schwellenwert überschreitende Änderung der Versicherungsleistungen ausgelöst wurde.
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cc) Auch die Beitragsanpassung im Tarif CV3H500 zum 01.01.2020 war ordnungsgemäß begründet i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG.
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Im Anschreiben vom November 2019 (Anlage B 2.5) sind die folgenden Angaben enthalten:
„Um Ihnen Ihre versicherten Leistungen dauerhaft zur Verfügung zu stellen, müssen wir die Beiträge regelmäßig prüfen und den Kosten anpassen. Das ist gesetzlich so geregelt.“
24
Im beigefügten Nachtrag zum Versicherungsschein ist der Tarif CV3H500 mit einem Sternchen-Symbol („*“) hervorgehoben, das weiter unten wie folgt erläutert wird:
„Tarife mit Beitragsanpassungen sind mit „*“ gekennzeichnet.“
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Im beiliegenden Informationsblatt (Anlage B 2.6) finden sich die folgenden Ausführungen:
„Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben.“
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Diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende und „deutlich[e]“, mithin einen Schwellenwert überschreitende Änderung der Versicherungsleistungen ausgelöst wurde.
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dd) Die Beitragsanpassung im Tarif EBE63 zum 01.01.2018 war ebenfalls ordnungsgemäß begründet i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG.
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Im Anschreiben vom November 2017 (Anlage B 2.2) sind die folgenden Angaben enthalten:
„Um Ihnen Ihre versicherten Leistungen dauerhaft zur Verfügung zu stellen, müssen wir die Beiträge regelmäßig prüfen und den Kosten anpassen. Das ist gesetzlich so geregelt.“
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Im beigefügten Nachtrag zum Versicherungsschein ist der Tarif EBE63 mit einem Sternchen-Symbol („*“) hervorgehoben, das weiter unten wie folgt erläutert wird:
„Tarife mit Beitragsanpassungen sind mit „*“ gekennzeichnet.“
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Im beiliegenden Informationsblatt (Anlage B 2.3) finden sich die folgenden Ausführungen:
„Ihr Versicherungsvertrag ändert sich Zum 1. Januar 2018 ändert sich der Beitrag in Ihrem Versicherungsvertrag. Informationen und Hintergründe zu dieser Änderung haben wir hier für Sie zusammengestellt.
Ihre Leistungen sind Ihnen garantiert
Die Leistungen Ihrer Versicherung garantieren wir Ihnen – ein wichtiger Unterschied zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die GKV kann ihre Leistungen reduzieren.
Bei der Central erhalten Sie Ihre versicherten Leistungen über die gesamte Vertragsdauer.
Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung Jedes Jahr prüfen wir neu, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen, geändert haben.
Wenn die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Das ist gesetzlich so geregelt. Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung und genehmigt sie. Zusätzlich legen wir die Änderung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor.
Die demografische Entwicklung führt zu Änderungen in der Krankenversicherung. Wir freuen uns über eine höhere Lebenserwartung; gleichzeitig erhöhen sich die Kosten, weil Leistungen länger in Anspruch genommen werden.“
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Diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende und „deutlich[e]“, mithin einen Schwellenwert überschreitende Änderung der Lebenserwartung, mithin der Sterbewahrscheinlichkeiten ausgelöst wurde.
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d) Der Kläger kann den o.g. Beitragsanpassungen nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass diese materiell rechtswidrig gewesen seien.
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aa) Soweit der Kläger bestreitet, dass „dem Treuhänder 'sämtliche für die Prüfung der Prämienänderungen erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der hierfür benötigten kalkulatorischen Herleitungen und statistischen Nachweise' i.S.d. § 155 Abs. 1 S. 3 VAG vorgelegen [hätten] und er die Zustimmung nach 155 Abs. 1 S. 1 VAG daher nicht hätte erteilen dürfen“ (Bl. 16 d.A.) und „[i]nsoweit […] die Prämienkalkulation umfänglich“ (Bl. 16 d.A.), und behauptet, die angegriffenen Beitragsanpassungen seien „bereits materiell rechtswidrig, da (1) die Beklagtenseite dem jeweils verantwortlichen Treuhänder ihr unternehmerisches Ermessen bei der Gewährung und Verteilung von Limitierungen nicht durch ein Limitierungskonzept (§ 155 Abs. 2 Satz 3 VAG/§ 12b Abs. 1a Satz 3 VAG a. F; § 155 Abs. 2 Satz 2 VAG/§ 12b Abs. 1a Satz 2 VAG a. F.) nachgewiesen habe] und die Zustimmung des Treuhänders somit unwirksam [gewesen sei; (2) mangels Vollständigkeit der sonstigen vorgelegten Unterlagen, insbesondere mangels eines Nachweises der erfolgten treuhänderischen Überprüfung der Erstkalkulation, der Treuhänder die erforderliche Zustimmung nicht hätte erteilen dürfen und diese somit unwirksam [gewesen sei] (§ 155 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VAG/§ 12b Abs. 1 Sätze 2 und 3 VAG a. F.)“ (Bl. 16/17 d.A.), wobei aufgrund des streitigen Tatsachenvortrags „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagtenpartei zunächst nicht im Streit“ stünden (Bl. 18 d.A.) und daher „vorliegend ein Vorschuss von 1.500 Euro mehr als ausreichend“ sei (Bl. 35, 164 d.A.), und damit die Richtigkeit der versicherungsmathematischen Kalkulation unstreitig stellen will, ist eine solche isolierte Rüge der Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ohne gleichzeitigen Angriff auf die kalkulatorische Richtigkeit der Beitragsanpassungen unzulässig, worauf bereits die Beklagte hingewiesen hatte (Bl. 86/92 d.A.):
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Hinsichtlich der fehlenden Eigenständigkeit der in Frage stehenden Prüfverfahrensvoraussetzung in Gestalt der Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen besteht eine Vergleichbarkeit zu den Überlegungen des Bundesgerichtshofs zur Unabhängigkeit des Treuhänders (BGH, Urteil vom 19.12.2018, NJW 2019,919):
„Müsste das Zivilgericht dagegen die Unabhängigkeit des Treuhänders […] überprüfen, würde das die Gefahr bergen, dass eine Überprüfung ihrer [der Beitragsanpassungen] Richtigkeit unterbliebe und eine diesbezüglich nicht zu beanstandende Anpassung für unwirksam erklärt würde, obwohl auch ein anderer Treuhänder ebenso die Zustimmung hätte erteilen müssen und sich eine etwa fehlende Neutralität oder Unabhängigkeit des tatsächlich tätig gewordenen Treuhänders damit gar nicht ausgewirkt hätte, weil dieser aufgrund des Vorliegens der materiellen Anpassungsvoraussetzungen verpflichtet war, der Beitragserhöhung zuzustimmen.“
35
Dieser Gedanke der fehlenden Eigenständigkeit der in Frage stehenden Prüfverfahrensvoraussetzung ist teleologisch übertragbar auf die isolierte Rüge der fehlenden Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ohne gleichzeitigen Angriff auf die kalkulatorische Richtigkeit der Beitragsanpassungen (so auch LG Koblenz, Urteil vom 17.11.2022, Az. 16 O 208/22, juris):
36
Denn müsste das Zivilgericht die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen überprüfen, wobei gleichzeitig eine darüber hinausgehende Überprüfung der Richtigkeit der Beitragsanpassungen unterbliebe (woraus sich eine „isolierte“ Rüge der Treuhänderunterlagenunvollständigkeit ergibt), würde das die Gefahr bergen, dass eine bezüglich ihrer aktuariellen bzw. rechnerischen Richtigkeit – unstreitig – nicht zu beanstandende Anpassung für unwirksam erklärt würde, obwohl sich eine etwaig fehlende Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen gar nicht ausgewirkt hätte, weil auch bei Unterlagenvollständigkeit – unstreitig – die Beitragsanpassungen in ihrer kalkulatorischen Höhe gleich blieben.
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Zu diesem Ergebnis der fehlenden Eigenständigkeit der Pflicht des Versicherers zur Unterlagenvorlage an den Treuhänder (so auch OLG Dresden, Hinweis vom 19.01.2023, Az. 6 U 1968/22) führt auch eine Betrachtung des Wortlauts und der Systematik des § 203 Abs. 2, Abs. 5 VVG i.V.m. § 155 Abs. 1 Sätze 2, 3 und 5 VAG:
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Die Rechtsgrundlage des § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG berechtigt den Versicherer, die Prämie „entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen […] neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat“. Der Wortlaut des § 203 VVG selbst bestimmt mithin keine von der Berechnungsprüfung abstrakte, eigenständige Unterlagenvorlagepflicht des Versicherers gegenüber dem Treuhänder, sondern verweist hinsichtlich der Ausgestaltung des Treuhänderprüfverfahrens mittels § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG auf § 155 VAG.
39
Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 hat der Treuhänder zu prüfen, ob die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht. Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VAG sind dem Treuhänder „dazu“, also zur Prüfung der Berechnung nach § 155 Abs. 1 Satz 2 VAG die Unterlagen vorzulegen. Bereits diesem Gesetzeswortlaut („dazu“) lässt sich entnehmen, dass der Unterlagenvorlage an den Treuhändern keine selbständige, neben die Berechnungsprüfung tretende Funktion zukommt, sondern die Unterlagenvorlage vielmehr als bloßer die Berechnungsprüfung vorbereitender Zwischenschritt in der Berechnungsprüfung aufgeht (so auch OLG Dresden a.a.O.).
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Zusätzlich folgt dieses Ergebnis auch aus dem Wortlaut des § 155 Abs. 1 Satz 5 VAG, wonach die Zustimmung des Treuhänders dann zu erteilen ist, „wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt sind“. Dass die Zustimmung des Treuhänders ausdrücklich bedingt ist durch das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 2 und nicht (auch) des Satzes 3, zeigt, dass (letztlich) maßgeblich ist, ob die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht (§ 155 Abs. 1 Satz 2 VAG).
41
Zu diesem Ergebnis führt auch ein systematischer, abgrenzender Vergleich mit § 203 Abs. 5 VVG: Denn § 203 VVG bestimmt durchaus abstrakte, von der kalkulatorischen Richtigkeit eigenständige Pflichten des Versicherers – jedoch ausschließlich hinsichtlich der Mitteilungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer (§ 203 Abs. 5 VVG), nicht dagegen hinsichtlich einer Unterlagenvorlagepflicht des Versicherers gegenüber dem Treuhänder.
42
Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus einem teleologischen Vergleich: Die Mitteilungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer gemäß § 203 Abs. 5 VVG hat die von den übrigen Prämienanpassungsvoraussetzungen eigenständige (Außenwirkungs- bzw. Mitteilungs-)Funktion, den Versicherungsnehmer über die maßgeblichen Gründe für die Prämienanpassung zu informieren. Demgegenüber wohnt der Unterlagenvorlage an den Treuhänder kein derartiger „Selbstzweck“ inne; vielmehr erschöpft sich der Zweck der Unterlagenvorlage an den Treuhänder in der bloßen Vorbereitung der – letztlich maßgeblichen – Berechnungsprüfung (so auch OLG Dresden a.a.O.).
43
bb) Soweit der Kläger die materielle Rechtmäßigkeit insgesamt und in diesem Zusammenhang insbesondere die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Prüfunterlagen bestreiten will, beschränkt sich dies auf einen prozessual unbeachtlichen Vortrag ins Blaue hinein, sodass der Darlegungs- und Beweislast des Klägers nicht Genüge getan ist, worauf bereits die Beklagte hingewiesen hatte (Bl. 92 ff. d.A.):
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(1) Nach allgemeinen systematischen Grundsätzen trägt bei einer auf §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) bzw. § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) gestützten (Rück-)Zahlungsklage derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf das Fehlen eines Rechtsgrunds für seine eigene vorbehaltlose Zahlung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB) bzw. die Pflichtverletzung des anderen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) beruft, mithin der auf (Rück-)Zahlung klagende Versicherungsnehmer.
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(2) Im Bereich der Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung wird zwar teilweise unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.12.1999, Az. 1 BvR 2203/98 (r+s 2000, 167, beck-online), eine Umkehr dieser allgemeinen Darlegungs- und Beweislast mit dem Argument befürwortet, dass nur auf diese Weise dem Versicherungsnehmer effektiver Rechtsschutz gewährt werden könne, weil der Versicherungsnehmer ohne Kenntnis bzw. mangels eigener versicherungsmathematischer Kenntnisse selbst bei Kenntnis der Kalkulationsunterlagen des beklagten Versicherers nicht in der Lage sei, zur aktuariellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen substantiiert vorzutragen.
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Eine (bloß) von der materiell-rechtlichen Einbettung einer auf §§ 812 ff. BGB bzw. § 280 BGB gestützten Rückzahlungsklage in den Bereich der Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung gemäß § 203 Abs. 2 VVG abhängigen Annahme einer „Ausnahme“
von den allgemeinen systematischen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislastverteilung überzeugt jedoch nicht. Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, rechtfertigt – auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Grundsatz der Waffengleichheit – keine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung zugunsten des Bereicherungsgläubigers (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17, BeckRS 20193, 65784, beck-online):
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Denn eine derartige Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin die Annahme einer (primären) Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers hätte die folgenden zivilprozessualen und daraus folgend höchst unbilligen praktischen Konsequenzen:
48
Bei einer Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin bei Annahme einer primären Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers würde dem klagenden Versicherungsnehmer als Bestreitendem zugleich die Privilegierung des § 138 Abs. 4 ZPO zufallen. Denn dann lägen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO, nämlich erstens das Betroffensein von „Tatsachen […], die weder eigene Handlungen noch Gegenstand [der] eigenen Wahrnehmung gewesen sind“ und zweitens die „[w]eitere Voraussetzung […], dass die Partei für die jeweiligen Tatsachen nicht darlegungs- und beweisbelastet ist“ (BGH, Urteil vom 04.04.2014, Az. V ZR 275/12, NJW 2015, 468, 469, Rn. 12 nach beck-online), kumulativ vor. Als Konsequenz dürfte die versicherungskalkulatorische und aktuarielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen durch den Versicherungsnehmer „mit bloßem Nichtwissen bestritten werden“ – und zwar selbst angesichts eines „detaillierte[n] Vortrag[s]“ des beklagten Versicherers auf Grundlage preisgegebener Kalkulationsunterlagen, selbst dann, wenn dieser Vortrag des beklagten Versicherers „plausibel und naheliegend erscheint“, ferner ohne „[e]ine Pflicht [des Versicherungsnehmers], eigene Ermittlungen anzustellen, um im Einzelnen auf den gegnerischen Vortrag [des beklagten Versicherers] eingehen zu können“, ferner „ohne dass [der Versicherungsnehmer als] die bestreitende Partei Anhaltspunkte dafür aufzeigen muss, dass der Vortrag [des beklagten Versicherers] falsch sein könnte“ (BGH a.a.O. m.w.N.) und grundsätzlich selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer bei seinem Bestreiten schlichtweg Behauptungen „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2021, Az. I ZR 123/20, NJW 2021, 3464, 3466, Rn. 25 nach beck-online).
49
Demgegenüber ist eine primär darlegungsbelastete Partei nicht vom Anwendungsbereich des § 138 Abs. 4 ZPO umfasst (BGH, Urteil vom 04.04.2014, Az. V ZR 275/12, NJW 2015, 468, 469, Rn. 12 nach beck-online). Denn § 138 Abs. 4 ZPO regelt nach der Systematik seiner Absätze ausschließlich die Reaktion einer Partei auf „von dem Gegner behauptete Tatsachen“ i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO (und stellt sie einem Bestreiten gleich, vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1988, Az. III ZR 111/87, NJW-RR 1989, 41, 43, beck-online; MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, ZPO § 138 Rn. 31). Zwar ist auch eine primär darlegungsbelastete Partei grundsätzlich berechtigt, Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen, die sie lediglich „nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält“ bzw. „vermutet“ (BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10, NJW 2012, 2427 Rn. 40,beck-online; Urteil vom 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, NJW-RR 2017, 1520, Rn. 33 nach beck-online; Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f., Rn. 22 nach beck-online). Dabei bleibt die primär darlegungsbelastete Partei jedoch – anders als die bloß sekundär darlegungsbelastete Partei – dem Verbot des „Vortrags in Blaue hinein“ unterworfen, sodass ein unzulässiger, auf bloße Ausforschung zielender Vortrag dann anzunehmen ist, wenn die Partei bei „Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ bzw. „ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen ‚aufs Geratewohl‘ oder ‚ins Blaue hinein‘ aufstellt“ (BGH a.a.O.).
50
Die höchst unbillige praktische Konsequenz der Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin der Annahme einer primären Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers wäre, dass bereits auf die bloße unsubstantiierte, durch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und somit „aufs Geratewohl“ bzw. „ins Blaue hinein“ aufgestellte klägerische Behauptung einer materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen hin auch der redliche Versicherer zahlreiche geheimhaltungsbedürftige Unterlagen über unter Umständen eine Vielzahl von Jahren aufwendig zusammenstellen und sodann (im Verfahren gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG) offenlegen und noch dazu die Versichertengemeinschaft hinter dem beklagten Versicherer das wirtschaftliche Risiko des durch den einzelnen klagenden Versicherungsnehmer betriebenen Prozesses zu tragen hätte. Denn gemäß §§ 402, 379 ZPO hat sich das Gericht hinsichtlich der Einzahlung eines Vorschusses zur Deckung der Auslagen für das vom Gericht in Auftrag zu gebende, die Kalkulationsunterlagen überprüfende Gutachtens eines neutralen versicherungsmathematischen Sachverständigen (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606) an den „Beweisführer“, mithin an die beweisbelastete Partei zu halten. Da sich die Beweisaufnahmen zur materiellen Rechtsmäßigkeit von Beitragsanpassungen aufgrund der erheblichen Überlastung der bundesweit nur sehr wenigen hierfür zur Verfügung stehenden Sachverständigen mit gleichartigen gerichtlichen Gutachtenaufträgen über mehrere, nämlich nach Kenntnis der hiesigen Kammer mindestens fünf Jahre hinziehen, bedeutet dies, dass die Versichertengemeinschaft hinter dem beklagten Versicherer die Beweisaufnahme über Jahre kreditieren und sogar das Ausfallrisiko tragen müsste für den Fall, dass der klagende Versicherungsnehmer zwar schließlich den Prozess verliert, jedoch (dann) nicht (mehr) leistungsfähig ist hinsichtlich des Erstattungsanspruchs gemäß §§ 91, 104 f., 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO des zu Unrecht in Anspruch genommenen Versicherers. Angesichts der Masse der bundesweit an Amts- und Landgerichten rechtshängigen Klagen stellt dies eine erhebliche finanzielle Belastung der Gemeinschaft der Versicherten dar (so auch OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21, Rn. 29 ff. bei juris mit Verweis auf Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage, Überbl v § 194 Rn. 8).
51
Einem derartigen Ergebnis steht bereits die Überlegung entgegen, dass gerade die – regelmäßig jahrelange – vorbehaltlose Zahlung der Erhöhungsbeiträge durch den Versicherungsnehmer es normativ rechtfertigt, ihn nicht vom Verbot des Vortrags ins Blaue hinein zu befreien, sondern von ihm „tatsächliche“ bzw. „greifbare Anhaltspunkte“ (BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10, NJW 2012, 2427 Rn. 40,beck-online; Urteil vom 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, NJW-RR 2017, 1520, Rn. 33 nach beck-online; Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f., Rn. 22 nach beck-online) für die durch ihn nunmehr behauptete materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen zu fordern.
52
Der Annahme einer Pflicht des beklagten Versicherers zur Offenlegung geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen trotz „Fehlen[s] jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ (BGH a.a.O.) widerspräche darüber hinaus dem ausdrücklichen Willen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers der Zivilprozessordnung, eine – im Ergebnis dann vorliegende – bloße „Ausforschung“ als unzulässig und prozessordnungswidrig zu untersagen [siehe Bundestagdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)]:
„Eine solche Ausforschung der Parteien oder des Dritten ist und bleibt prozessordnungswidrig [Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)].“
53
Führt man sich die oben dargestellten zivilprozessualen und die sich daraus ergebenden höchst unbilligen praktischen Konsequenzen vor Augen, so erscheint eine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin die Annahme einer primären Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers allein wegen der Stellung des Versicherungsnehmers außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung nicht gerechtfertigt. Vielmehr hat es bei dem systematischen Grundsatz der primären Darlegungslast und Beweislast des auf Rückzahlung von in der Vergangenheit gezahlten Beiträgen klagenden Versicherungsnehmers zu verbleiben und sich der auf Rückzahlung klagende Versicherungsnehmer von dem durch den Bundesgerichtshof genannten „Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ (BGH a.a.O.) für die materielle Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen abgrenzen, um die prozessuale Beachtlichkeit seines diesbezüglichen Vortrags und eine darauf gestützte Beweisaufnahme zu bewirken. Ihn trifft demnach eine Pflicht zur Konkretisierung seines Vortrags in Bezug auf die materielle (Un) Rechtmäßigkeit der durch ihn angegriffenen Beitragsanpassungen.
54
(3) Durch diese allgemeine Darlegungs- und Beweislastverteilung ist ein redlicher auf Rückzahlung klagender Versicherungsnehmer keineswegs prozessual unangemessen benachteiligt oder gar rechtsschutzlos gestellt. Die allgemeine Darlegungs- und Beweislastverteilung stellt den redlichen auf Rückzahlung klagenden Versicherungsnehmer nicht vor nennenswerte oder gar unzumutbare Herausforderungen:
55
Denn der redliche Kläger hat seine Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der konkret ihn betreffenden Beitragsanpassungen bereits vor Erhebung seiner Klage gegen den Versicherer gebildet; die ihm vorgerichtlich als Versicherungsnehmer gekommenen Zweifel sind gerade Anlass seiner Klage, mit der er diese bereits bestehenden Zweifel nunmehr gerichtlich klären möchte. Diese Zweifel stützt er somit auf ihm bereits vorgerichtlich zur Verfügung stehende Informationsquellen bzw. bereits gewonnene Erkenntnisse – beispielsweise auf eine fragwürdige Entwicklung der Beitragshöhen in seinen konkreten Tarifen, wie sie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 28.12.1999, Az. 1 BvR 2203/98 (r+s 2000, 167, 168, beck-online), hervorgehoben hatte: So hatte der dortige Versicherungsnehmer vorgetragen, die „Prämienerhöhungen seiner privaten Krankenversicherung […] lägen weit über den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und wären viel höher als bei anderen Versicherungsgesellschaften“ (BVerfG a.a.O.). Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass es mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar sei, den Versicherungsnehmer auf die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde oder des Treuhänders zu verweisen, da deren Tätigkeit durch den Versicherungsnehmer nicht gerichtlich überprüfbar sei, und ihm daher effektiver Rechtsschutz im Zivilrechtsweg gewährt werden müsse (vgl. BVerfG a.a.O.), statuiert nicht, dass dieser Anspruch des Versicherungsnehmers auf zivilgerichtliche Überprüfung voraussetzungslos bestehen würde und gar eine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung oder eine Außerkraftsetzung der Grundsätze des Willkürverbots und des Rechtsmissbrauchs rechtfertige.
56
Mit diesem Ergebnis, dass Voraussetzung einer Beweisaufnahme über die materielle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen der Vortrag bereits vorgerichtlich gebildeter, diesbezüglicher Zweifel in Gestalt „tatsächlicher Anhaltspunkte“ (BGH a.a.O.) durch den Versicherungsnehmer ist, lässt sich auch die jüngere höchstrichterliche Zivilrechtsprechung in Einklang bringen, wonach die Klage „voraus[setzt], dass der Versicherungsnehmer Kenntnis von einer Prämienerhöhung hat und diese für materiell nicht berechtigt hält“ (BGH, Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, NJOZ 2022, 1167, 1172, Rn. 51, beck-online): Dass der Versicherungsnehmer die Prämienerhöhung für materiell nicht berechtigt halten muss, verlangt nichts anderes als bereits vorgerichtlich gebildete Zweifel. Eine Befreiung des die materielle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen behauptenden und deshalb auf (Rück-)Zahlung klagenden Versicherungsnehmers von der nach allgemeinen Grundsätzen ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast und somit auch von den oben dargestellten prozessualen Grundsätzen zur Unbeachtlichkeit von „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ getätigtem Vortrag und zur Grenze des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB dagegen wurde durch den Bundesgerichtshof in dem o.g. Urteil gerade nicht bestimmt (so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 12.07.2023, Az. 11 U 250/22, BeckRS 2023, 20320, Rn. 20, beck-online; so auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.08.2022, Az. 12 U 159/18).
57
Der redliche Kläger kann somit die ihn treffende Konkretisierungspflicht ohne Weiteres erfüllen, indem er ebendiese ihn bereits vorgerichtlich zu Zweifeln veranlassende „Lage der Dinge“ bzw. die „tatsächliche[n]“ und „greifbare[n] Anhaltspunkte“ (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f., Rn. 22 nach beck-online; Urteil vom 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10, NJW 2012, 2427 Rn. 40, beck-online; Urteil vom 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, NJW-RR 2017, 1520, Rn. 33 nach beck-online) im Zivilprozess schlüssig vorträgt. Über diese „Lage der Dinge“ bzw. „tatsächliche“ und „greifbare Anhaltspunkte“ (BGH a.a.O.) hinausgehender Vortrag ist nicht erforderlich, insbesondere auch nicht zu – zunächst nicht dem Versicherungsnehmer, sondern nur dem Versicherer zur Verfügung stehenden – „Berechnungsgrundlagen für die Prämienanpassungen“ (so auch BGH, Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, NJOZ 2022, 1167, 1172, Rn. 51, beck-online). Der Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, vermag die allgemeine, oben dargestellte Systematik der Darlegungs- und Beweislastregeln durch eine sekundäre Darlegungslast des beklagten Versicherers Rechnung zu tragen (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17, und auch LG Meiningen, Az. 3 O 510/22): Anknüpfend an diese sekundäre Darlegungslast des beklagten Versicherers kann das Gericht den Versicherer gemäß § 142 Abs. 1 ZPO zur Offenlegung seiner geheimhaltungsbedürftigen Kalkulationsunterlagen (im Verfahren gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG) verpflichten. Allerdings ist nicht nur nach der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers eine derartige sekundäre Darlegungslast des Versicherers erst dann aktiviert und somit eine den beklagten Versicherer zur Offenlegung seiner geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen verpflichtende gerichtliche Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO erst dann zulässig, wenn der klagende Versicherungsnehmer seiner vorangehenden Konkretisierungspflicht entsprochen und einen „schlüssigen Vortrag“ als „Grundlage“ für eine richterliche Unterlagenvorlageanordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO vorgebracht hat – andernfalls eine vom Gesetzgeber als unzulässig erachtete Ausforschung stattfände [Bundestagdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)]:
„§ 142 ZPO-E lässt diesen Rechtszustand schon deswegen unberührt, weil die Vorschrift die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast befreit. Das Gericht darf die Urkundenvorlage nur auf der Grundlage eines schlüssigen Vortrags der Partei, die sich auf die Urkunde bezieht, anordnen. § 142 ZPO-E gibt dem Gericht nicht die Befugnis, unabhängig von einem schlüssigen Vortrag zum Zwecke der Informationsgewinnung Urkunden anzufordern. Eine solche Ausforschung der Parteien oder des Dritten ist und bleibt prozessordnungswidrig [Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)].“
58
So steht dem redlichen Kläger, der eine Klage erhebt, um seine aufgrund konkreter „tatsächlicher Anhaltspunkte“ (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f., Rn. 22 nach beck-online; Urteil vom 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10, NJW 2012, 2427 Rn. 40, beck-online; Urteil vom 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, NJW-RR 2017, 1520, Rn. 33 nach beck-online) bereits bestehenden Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der ihn konkret betreffenden Beitragsanpassungen gerichtlich prüfen zu lassen, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten ohne nennenswerte Hindernisse offen. Versperrt ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten dagegen ausschließlich einer vom konkreten Einzelfall völlig losgelösten Klage „ins Blaue hinein“ mit dem Ziel, den Versicherer bloß „auszuforschen“ und ohne konkrete Tatsachengrundlage und damit „aufs Geratewohl“ überhaupt erst einmal ermitteln zu lassen, ob sich (erst) im Laufe des Zivilprozesses überhaupt Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen ergeben. Diese Differenzierung nach Schutzwürdigkeitsgesichtspunkten ist nach der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie nach dem Willen des Gesetzgebers gerade beabsichtigt und gewollt.
59
(4) An dieser den klagenden Versicherungsnehmer treffenden Konkretisierungspflicht ändert auch nichts, dass der Kläger neben seinem auf (Rück-)Zahlung gerichteten Leistungsantrag zugleich einen in die Zukunft gerichteten Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe stellt.
60
Zwar wird teilweise vertreten, dass ein derartiger in die Zukunft gerichteter Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Beitragshöhe (ausschließlich) als negative Feststellungsklage aufzufassen sei und daher insoweit den die zukünftigen Beiträge erhebenden Versicherer die primäre Darlegungslast und Beweislast treffe. Eine derartig pauschale Betrachtung überzeugt jedoch nicht, da sie insbesondere nicht die „Doppelrelevanz“ der Beitragsanpassungswirksamkeit als gleichzeitigen Rechtsgrund für vergangene und für zukünftige Beitragszahlungen berücksichtigt:
61
Denn ein in die Zukunft gerichteter Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe setzt zwingend die Unwirksamkeit zumindest der „jüngsten“ in der Vergangenheit liegenden Beitragsanpassung voraus. Umgekehrt umfasst ein Antrag auf Feststellung der (behaupteten) Unwirksamkeit der „jüngsten“ in der Vergangenheit liegenden Beitragsanpassung zwangsläufig auch eine Feststellung bezüglich der zukünftig durch den Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer geschuldeten Prämienhöhe. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass eine wirksame Beitragsanpassung eine vollständige (Gesamt-)Neufestsetzung der Prämie in dem jeweiligen Tarif bewirkt (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, r+s 2021, 95, Rn. 54). Ist die „jüngste“ Beitragsanpassung wirksam, betrifft dies nicht nur die Höhe des auf die Vergangenheit bezogenen (Rück-)Zahlungsantrags, sondern zwangsläufig zugleich auch die zukünftig geschuldete Prämienhöhe.
62
Aus diesem Grund bringt ein auf die (Un-)Wirksamkeit einer Beitragsanpassung gerichteter Feststellungsantrag stets auch eine zivilprozessuale Vorgreiflichkeit im Sinne einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO als Vorfrage für den (Rück) Zahlungsantrag mit sich (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19, NJW 2021, 378, 379 f., Rn. 19 f.). Davon geht auch der Kläger aus (Bl. 7 d.A.). Diese Klageanträge stehen mithin nicht gleichrangig nebeneinander, sondern in einem Vorgreiflichkeitsverhältnis zueinander.
63
Dieser Charakter des Feststellungsantrags als vorgreifliche Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO gebietet dann aber konsequenterweise nicht die Anwendung der für eine – davon zu unterscheidende – negative Feststellungsklage, sondern eben der für eine Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO geltenden zivilprozessualen Grundsätze (so auch LG Meiningen, Az. 3 O 510/22 und 3 O 323/22, und auch LG Darmstadt, Urteil vom 07.12.2022, Az. 4 O 15/22):
64
Die Beweislastverteilung im Rahmen der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO folgt der Beweislastverteilung im Rahmen der Hauptsacheklage. Dies hat seinen Grund in Zweck und Natur der Zwischenfeststellungsklage, die die Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf das vorgreifliche Rechtsverhältnis bewirken soll (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.1994, Az. VIII ZR 165/93, NJW 1994, 1353, 1354; beck-online). Somit gilt für die Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO das Verbot eines Widerspruchs zwischen Hauptsacheentscheidung und Zwischenfeststellung (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, § 256 Rn. 31).
65
Die Gefahr eines solchen verbotenen Widerspruchs zwischen Hauptsacheentscheidung und Zwischenfeststellung läge aber im Zivilverfahren über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung – aufgrund der oben genannten „Doppelrelevanz“ der Beitragsanpassungswirksamkeit sowohl für den Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 2 ZPO als auch für den (Rück-)Zahlungsantrag – dann vor, wenn die Verteilung der primären Darlegungslast und Beweislast „je nach Antrag aufgespalten“, mithin für den vorgreiflichen Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 2 ZPO anders als für den (Rück-)Zahlungsantrag beurteilt werden würde und das Gericht bei fehlender Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO (non liquet) auf diese unterschiedliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zurückgreifen müsste (so auch Landgericht Meiningen, Az. 3 O 510/22 und 3 O 323/22).
66
Demnach ist nach allgemeingültigen zivilprozessualen Grundsätzen – gerade – im Zivilverfahren über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung die primäre Darlegungslast und Beweislast einheitlich dem klagenden Versicherungsnehmer auferlegt. Somit trifft den klagenden Versicherungsnehmer auch hinsichtlich seines in die Zukunft gerichteten Antrags auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe die (oben dargestellte) Pflicht zur Konkretisierung seines Angriffs auf die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen.
67
Zu diesem Ergebnis führt auch die Kontrollüberlegung, dass andernfalls – aufgrund der oben dargestellten „Doppelrelevanz“ der in Streit stehenden Beitragsanpassungen sowohl als Rechtsgrund der vergangenen als auch der zukünftigen Prämienzahlungen – die oben dargestellten zivilprozessualen Grundsätze und der Wille des Gesetzgebers hinsichtlich des Verbots einer Ausforschung des Prozessgegners unterwandert werden würden.
68
(5) Mit diesen Argumenten, insbesondere hinsichtlich des systematischen Grundsatzes, dass bei einer auf §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) bzw. § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) gestützten (Rück-)Zahlungsklage derjenige die Darlegungs- und Beweislast trägt, der sich auf das Fehlen eines Rechtsgrunds für seine eigene vorbehaltlose Zahlung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB) bzw. die Pflichtverletzung des anderen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) beruft, sowie hinsichtlich des in der Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO) dokumentierten Gesetzgeberwillens, wonach eine „Ausforschung der Parteien […] prozessordnungswidrig“ ist und bleibt Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO), setzt sich auch der Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 08.05.2023, Az. 38 U 6499/22 (BeckRS 2023, 13103, beck-online), nicht auseinander, sodass dessen von der hiesigen Ansicht abweichendem Ergebnis eine überzeugende Herleitung fehlt. Vielmehr vertreten sowohl das OLG Nürnberg (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 18.09.2023, Az. 8 U 810/23, BeckRS 2023, 24824, Rn 19 ff., beck-online) als auch das OLG Brandenburg (OLG Brandenburg, Urteil vom 12.07.2023, Az. 11 U 250/22, juris) als auch das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.07.2023, Az. 1 U 70/23, juris; Beschluss vom 19.06.2023, Az. 1 U 222/22, BeckRS 2023, 17333, beck-online; Hinweisbeschluss vom 22.05.2023, Az. 1 U 218/22, BeckRS 2023, 13996, beck-online) als auch das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21, juris) die Auffassung, dass die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen nicht ohne konkrete Anhaltspunkte bzw. nicht ins Blaue hinein bestritten werden kann. Diese Ansicht teilt auch der 14. Senat beim Oberlandesgericht München selbst (OLG München, Verfügung vom 09.05.2023, Az. 14 U 745/23 e). Damit muss es bei den oben dargestellten systematischen Grundsätzen sein Bewenden haben.
69
(6) Diesen o.g. prozessualen Voraussetzungen hat der Kläger trotz der o.g. und durch ihn wahrgenommenen (Bl. 141 d.A.) Hinweise bis zuletzt nicht genügt.
70
Insbesondere hat der Kläger seinen Vortrag, dass „[d]er Klägervertreterin […] gegen die Beklagten und deren Mitbewerber:innen bereits zahlreiche geheimhaltungsbedürftige Kalkulationsunterlagen vor[liegen]“ würden (Bl. 142 d.A.), sowie seinen gleichermaßen pauschalen Verweis auf eine Entscheidung des OLG Stuttgart (Bl. 26 d.A.) trotz diesbezüglicher substantiierter Einwendung der Beklagten, dass diese „gegen einen anderen Versicherer“ ergangen seien (Bl. 88 d.A.), völlig pauschal gehalten und nicht auf den hier vorliegenden Einzelfall konkretisiert. Der bis zuletzt völlig pauschale klägerische Vortrag beschränkt sich damit auf einen offensichtlich „aufs Geratewohl“ für eine Vielzahl von Verfahren gegen eine Vielzahl unterschiedlicher Versicherer vorformulierten, nicht auf den hier vorliegenden Einzelfall individualisierten und jeglichen Bezug zum konkreten hiesigen Versicherungsverhältnis zwischen dem konkreten Kläger und der konkreten Beklagten vermissen lassenden und somit gemäß der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung als rechtsmissbräuchlich zu klassifizierenden Vortrag „ins Blaue hinein“.
71
e) Demnach bilden die o.g. Beitragsanpassungen jeweils die wirksame Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der ungekürzten Beiträge im nichtverjährten Zeitraum ab 01.01.2020 (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, r+s 2021, 95, Rn. 54, beck-online).
72
2. Entsprechend – gerade wegen der oben dargestellten Vorgreiflichkeit des Zwischenfeststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 2 ZPO für den Zahlungsantrag kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden – besteht auch kein klägerischer Zahlungs-, Zins-, Nutzungsherausgabe- oder Nutzungsverzinsungsanspruch.
73
Auf die Verjährung klägerischer Ansprüche aus Beitragszahlungen bis einschließlich 31.12.2019 (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, VerR 2022, 97; Urteil vom 19.12.2018; Az. IV ZR 255/17; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020, Az. 9 U 237/19; Urteil vom 07.04.2017; Az. 20 U 128/16) kommt es somit im vorliegenden Fall nicht an.
74
3. Ein mit dem Klageantrag Ziffer 3 geltend gemachter – und anhand des vorangegangenen Freistellungsantrags Ziffer 3 aus der Klageschrift vom 10.05.2023 hinsichtlich seiner geltend gemachten Höhe bestimmbarer – Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen scheidet bereits mangels Anspruchs in der Hauptsache aus.
75
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
76
Der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit liegt § 709 ZPO zugrunde.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 39, 40, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3, 4, 5, 9 ZPO (analog): Neben dem zuletzt gestellten Zahlungsantrag Ziffer 2 (9.768,36 €) erhöht der Feststellungsantrag Ziffer 1 den Streitwert nicht, soweit er sich auf denselben Zeitraum bezieht (BGH, Beschluss vom 20.01.2021, Az. IV ZR 294/19, BeckRS 2021, 1269, beckonline). Vom (zuletzt gestellten) Zahlungsantrag Ziffer 2 umfasst sind die Beitragzahlungen bis einschließlich Oktober 2023 (Bl. 135 d.A.). Von dem gemäß § 9 ZPO analog zugrunde zu legenden Zeitraum von 3,5 Jahren bzw. 42 Monaten ab Anhängigkeit des Rechtsstreits (vgl. BGH a.a.O. und MüKoZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 9 Rn. 9) zum 10.05.2023 (elektronischer Eingangsvermerk vom 10.05.2023 um 16:02 Uhr zu Bl. 1/47 d.A.) wirken daher nur 37 Monate streitwerterhöhend; die ersten fünf Monate ab Anhängigkeit (Juni, Juli, August, September und Oktober 2023) dagegen sind bereits vom (zuletzt gestellten) Zahlungsantrag Ziffer 2 umfasst (vgl. BGH a.a.O.). Hiernach ist der Wert des ursprünglich gestellten (§ 40 GKG) Klageantrags Ziffer 1 mit [-0,10 € + 119,80 € – 0,08 € – 0,13 € + 66,15 € – 15,98 € + 8,44 € + 80,47 €) x 37] 9.567,09 € anzusetzen. Der Klageantrag Ziffer 3 und die im Klageantrag Ziffer 2 enthaltenen Anträge auf Zinsen, Nutzungen und Nutzungszinsen bleiben als Nebenforderungen gemäß § 4 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung außer Betracht.