Inhalt

LG München I, Beschluss v. 03.03.2023 – 37 O 6688/22
Titel:

Rechtsweg für Ansprüche wegen wettbewerbswidriger Vergabe 

Normenketten:
VwGO § 40
GVG § 13
AEUV Art. 108 Abs. 3 S. 3
Leitsatz:
Für eine Klage, mit der Auskunft über sowie Rückforderung von seitens der Beklagten einem Wettbewerber der Klägerin unionsrechtswidrig gewährte Beihilfen geltend gemacht wird, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. (Rn. 6 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsweg, öffentliche Auftragsvergabe, Wettbewerber, Beihilfeverbot
Fundstellen:
ZfBR 2023, 500
NZBau 2023, 630
BeckRS 2023, 3335
LSK 2023, 3335

Tenor

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für zulässig erklärt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Vereinbarkeit eines zwischen dem Beklagten und einem Mitbewerber der Klägerin abgeschlossenen Vertrags mit Beihilferecht.
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Zu Beginn der COVIDI 9-Pandemie Anfang 2020 am 03.04.2020 kaufte der Beklagte im Wege der Direktvergabe unter anderem Blutgasanalysesysteme und zu deren Betrieb erforderliche Reagenzkassetten bei der S. H. GmbH zur sofortigen Unterstützung der Krankenhäuser in Bayern.
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Die Klägerin meint, dass die Erfüllung dieses Vertrags eine unionsrechtswidrige Beihilfe darstelle, da wegen der ihrer Meinung nach vorliegenden Vergaberechtswidrigkeit die fehlende Marktkonformität indiziert werde.
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Daher sich die Klägerin mit ihrer Klage vom 08.06.2022 gegen diesen Vertrag und beantragt nach einer wegen einer zuvor erfolgten Falschbezeichnung des Vertragspartners der Beklagten erfolgten Klageänderung am 22.02.2023 nunmehr,
1. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Höhe der Zahlungen, die die Beklagte seit März 2020 an die S. H. GmbH für
a) den Kauf von Blutgas-Analysesystemen, die für den Einsatz in Krankenhäusern bestimmt waren,
und
b) den Kauf von Reagenzkassetten für die unter a) genannten Blutgas-Analysesysteme geleistet hat;
2. den Beklagten (auf zweiter Stufe) zu verurteilen, erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides statt zu versichern;
3. den Beklagten zu verurteilen, die an die S. H. GmbH seit März 2020 geleisteten Zahlungen für die Direktbeschaffung von Blutgas-Analysesystemen und Reagenzkassetten zurückzufordern, soweit diese unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV geleistet wurden;
4. den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, in Zukunft staatliche Beihilfen, in Form von Zahlungen für die Direktbeschaffung von Blutgas-Analysesystemen und Reagenzkassetten an die S. H. GmbH zu leisten;
5. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Akteneinsicht in die Akten über die Direktbeschaffung von Blutgas-Analysesystemen und Reagenzkassetten, die für den Einsatz in Krankenhäusern bestimmt sind, bei der S. H. GmbH, einschließlich der Unterlagen über die Vergütung hierfür, seit März 2020 zu gewähren.
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Der Beklagte rügt die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Seiner Meinung nach sind für den vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich die Vergabekammern und nicht die Kammer für Kartellsachen beim Landgericht zuständig. Kern der Prüfung der Klägerin, mit welcher sie zu der angeblichen Beihilfewidrigkeit gelangt, seien aufgrund der behaupteten Indizienwirkung vergaberechtliche Normen, sodass sie die Zuständigkeit der Vergabekammern umgehe. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, da das Beihilferecht eine Indizwirkung wegen der nach Ansicht des Beklagten schon gar nicht vorliegenden Vergaberechtswidrigkeit nicht kennt. Vielmehr sei die Frage der Marktüblichkeit durch die Ermittlung des Marktpreises zu bestimmen, wobei man hierdurch zu dem Ergebnis käme, dass der abgeschlossene Vertrag zu marktüblichen Konditionen abgeschlossen worden sei.
II.
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Gegenstand der Klage ist eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, für die nach S. 13 GVG der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist.
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1. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der Streitgegenstand maßgeblich, der allein durch den Kläger bestimmt wird (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 43. Auflage 2022, S. 13 GVG Rn. la m.w.N.). Grundlage der Abgrenzung zur öffentlich-rechtlichen (oder einer anderen) Streitigkeit ist daher die klägerische Antragstellung samt Tatsachenvortrag, da diese den Streitgegenstand bestimmen (Rathmann in Saenger, Zivilprozessordnung, 9. Auflage 2021, GVG, S. 13 Rn. 11; BGH NJW 1986, 1109). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, sondern nur darauf, ob die vom Kläger behaupteten Tatsachen bei Unterstellung ihrer Richtigkeit Rechtsbeziehungen begründen würden, für deren Beurteilung die Zuständigkeit der Zivilgerichte eröffnet ist (GemS-OGB NJW 1986, 2359) bzw. die nach dem bürgerlichen Recht zu beurteilen sind (BGH NJW 1993, 1799).
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Die Klägerin macht mit ihrer Klage ausweislich der Klageanträge und des diesen zugrundegelegten Sachverhaltes entgegen der Ansicht der Beklagten keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Auswahl in einem Vergabeverfahren geltend. Gegenstand der Klage sind vielmehr aus Sicht der Klägerin seitens der Beklagten einem Wettbewerber der Klägerin (S. H. GmbH) unionsrechtswidrig gewährte Beihilfen, deren Rückforderung bzw. künftige Unterlassung die Klägerin mit der hier gegenständlichen Klage begehrt. Soweit die Klägerin im Zuge ihres Sach- und Rechtsvortrags dem aus ihrer Sicht erfolgten vergaberechtlichen Verstoß durch die Beklagte Indizwirkung für die Frage einer unzulässig gewährten Beihilfe zuschreibt, ändert dies an dem vorstehend bezeichneten Streitgegenstand nichts.
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2. Für den Rechtsstreit über diesen Streitgegenstand ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet, da es sich um eine bürgerlich rechtliche Streitigkeit handelt.
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Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird (BVerwG, NJW 2007, 2275 unter Hinweis auf GmS-OGB, BGHZ 97, 312 [313f.] = NJW 1986, 2359 = GRUR 1986, 685; BGHZ 102, 280 [283] = NJW 1988, 2295, und BGHZ 108, 284 [286] = NJW 1990, 1527; BVerwGE 96, 71 [73] = Buchholz 436.0 S. 12 BSHG Nr. 24, S. 2f. = NJW 1994, 2968 = NVwZ 1995, 79 L; NJW 2006, 2568; BGH, NJW 2000, 1042 = NVwZ 2000, 594 L). Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient (GmS-OGB, BGHZ 97, 312 [314] = NJW 1986, 2359 = GRUR 1986, 685, und BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295; BVerwG, NJW 2006, 2568). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (GmS-OGB, BGHZ 108, 284 [286f.] = NJW 1990, 1527; BVerwG, NJW 2006, 2568).
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Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wird der Staat als Nachfrager am Markt tätig, um einen Bedarf an bestimmten Gütern und Dienstleistungen zu decken. In dieser Rolle als Nachfrager unterscheidet er sich nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern (BVerfG, NJW 2006, 3701 [3702] = NZBau 2006, 791 Rdnr. 52). Die von der öffentlichen Hand abgeschlossenen Werk- und Dienstverträge gehören ausschließlich dem Privatrecht an (BVerwGE 5, 325 [326] = NJW 1958, 394; BVerwGE 14, 65 [72, 76] = NJW 1962, 1535, und BVerwGE 35, 103 [105] = Buchholz 310 S. 40 VwGO Nr. 88, S. 11 [12]; BGHZ 36, 91 [96] = NJW 1962, 196; NJW 1967, 1911 und NJW 1977, 628 [629]; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2006, 843 [844]; Gröning, ZWeR 2005, 276 [280]; Gurlit, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwaltungsR, 13. Aufl. [2005], S. 29 Rdnr. 6; Maurer, Allg. VerwaltungsR, 16. Aufl. [2006], S. 17 Rdnr. 31; Sodan, in: Sodan/Ziekow, S. 40 Rdnr. 334; Vygen, in: Ingenstau/Korbion, VOB, 15. Aufl. [2006], Einl. Rdnr. 10). Das gleiche gilt für das dem Abschluss des Vertrags vorausgehende Vergabeverfahren, das der Auswahl der öffentlichen Hand zwischen mehreren Bietern dient. Mit der Aufnahme der Vertragsverhandlungen entsteht zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den Bietern ein privatrechtliches Rechtsverhältnis, welches bis zur Auftragsvergabe an einen der Bieter andauert. Die öffentliche Hand trifft in diesem Vergabeverfahren eine Entscheidung über die Abgabe einer privatrechtlichen Willenserklärung, die die Rechtsnatur des beabsichtigten bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäfts teilt. Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist als einheitlicher Vorgang insgesamt dem Privatrecht zuzuordnen (BVerwG, NJW 2007, 2275; BVerwGE 14, 65 [72, 77] = NJW 1962, 1535; BGHZ 49, 77 [80] = NJW 1968, 547; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, S. 40 Rdnr. 250; ders., in: Erichsen/Ehlers, S. 3 Rdnr. 47; Guriit, in: Erichsen/Ehlers, S. 29 Rdnr. 6; Jaeger, ZWeR 2006, 366 [381]; Maurer, S. 17 Rdnr. 31; Siegel, DÖv 2007, 237 [241f.]; Ziekow/Siegel, ZfBR 2004, 30 [32f.]).
12
Vorliegend hat die Beklagte auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages einen Wettbewerber der Klägerin im Wege der Direktvergabe mit der Belieferung mit Blutgas-Analysesystemen beauftragt; mit Blick auf die Bestimmung des Rechtswegs ist es insofern unerheblich, dass die öffentliche Hand bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch – zumindest mittelbar – öffentliche Aufgaben wahrnimmt und dass die Abgrenzung zur Wirtschaftsförderung und -lenkung im Einzelfall fließend sein kann (BVerwG, NJW 2007, 2275 m.w.N.). Die Klägerin, welche die auf privatrechtlicher Basis erfolgte Beauftragung insofern als Verstoß gegen Unionsrecht ansieht, als sie in diesem Zusammenhang die unzulässige Gewährung von Beihilfen vermutet, macht zivilrechtlich begründete Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rückforderung und Unterlassung geltend (SS 823, 1004 BGB). Damit ist nicht nur das klägerseits zum Gegenstand des Rechtsstreits gemachte Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und der S. H. GmbH privatrechtlicher Natur; auch das durch die geltend gemachten bürgerlich-rechtlichen Anspruchsnormen (SS 823, 1004 BGB) bestimmte, nach dem Vortrag der Klägerin deliktische Rechtsverhältnis zwischen den Streitparteien ist bürgerlich-rechtlicher Natur: Die behauptete Rechtsverletzung gegenüber der Klägerin hat ihre Ursache nicht in einem hoheitlichen Handeln der Beklagten gegenüber der Klägerin, denn eine unmittelbare Handlung der Beklagten gegenüber der Klägerin ist nach dem Sachvortrag der Klägerin gar nicht erfolgt und kann daher auch nicht Gegenstand des Rechtsstreits sein; Gegenstand des Rechtsstreits sind vielmehr die Folgen einer privatrechtlichen Handlung der Beklagten (Lieferauftrag an die S. H. GmbH) für die Klägerin, die sich dadurch geschädigt sieht.
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3. Es steht auch nicht in Rede, dass sich die Beklagte bei dieser möglicherweise deliktischen Handlung gegenüber der Klägerin als Trägerin hoheitlicher Gewalt in Bezug auf die Klägerin besonderer Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient hätte. Insbesondere eine Zuständigkeit der Vergabekammern nach SS 155, 156 Abs. 1 GWB, welche den Rechtsweg zu den Zivilgerichten nach S. 156 Abs. 2 GWB ausschließen würde, ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da Gegenstand des Rechtsstreits nicht das der Direktvergabe zugrundeliegende Verfahren selbst, sondern allein der Inhalt des nach der Direktvergabe geschlossenen privatrechtlichen Vertrages mit einem Wettbewerber der Klägerin ist. Auch aufgrund der Regelungen in Art. 108 AEUV, an die die Klage anknüpft, ist keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben. Der unzulässige Erhalt von Beihilfen betrifft grundsätzlich keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Es handelt sich im Gegenteil um eine eigene, vom Vergabeverfahren losgelöste – sowohl verfahrensrechtlich als auch materiellrechtlich selbstständige – rechtliche Angelegenheit (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. 7. 2002, Verg 22/02, „Connex“, NZBau 2002, 634/ beck-online). Über Klagen betreffend die Rückforderung unzulässiger Beihilfen entscheiden daher grundsätzlich die ordentlichen Gerichte (so z.B. auch der BGH, Urteil vom 10. 2. 2011, I ZR 136/09, „Flughafen Frankfurt-Hahn“, EuZW 201 1, 440/ beck-online).
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4. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs war entgegen der Ansicht des Beklagten unabhängig von der Frage zu klären, ob für das hiesige Verfahren funktionell die Kammer für Kartellsachen nach S. 87 GWB zuständig ist. Die Frage der Zuständigkeit des entscheidenden Spruchkörpers innerhalb der Zivilgerichtsbarkeit ist von der Frage der Rechtswegzuständigkeit zu unterscheiden.