Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 08.11.2023 – Au 6 K 23.236
Titel:

Erfolglose Klage (Syrien) gegen Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung

Normenkette:
AufenthG § 5, § 25 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 60 Abs. 5
Leitsätze:
1. Mit der gesetzlichen Einführung des Ausschlussgrundes bei der Regel-Erteilungsnorm für eine Aufenthaltserlaubnis ist beabsichtigt, insbesondere bestimmten Straftätern grundsätzlich kein Aufenthaltsrecht mangels Schutzwürdigkeit zu gewähren, womit entsprechend den Überlegungen im internationalen Flüchtlingsschutz verhindert werden soll, dass schwere Straftäter und Gefährder, deren Aufenthalt nicht beendet werden kann, einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland erhalten, ohne vom Abschiebungsschutz ausgeschlossen zu werden. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der unionsrechtlichen Wertung verletzt eine Straftat ein Grundinteresse der Gesellschaft, wenn sie sich gegen hochrangige Rechtsgüter richtet, an deren Schutz die Gesellschaft ein besonderes Interesse hat (Kollektivschutzgüter). (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ausweisungsentscheidung haben die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen eine eigene Beurteilung und Prognoseentscheidung vorzunehmen, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Syrischer Staatsangehöriger, Abschiebungsverbot nach Syrien, schwere Betäubungsmitteldelikte, Suchtmitteltherapie im Maßregelvollzug, Erledigterklärung des Maßregelvollzugs aufgrund Scheitern der Therapie, inlandsbezogene Ausweisung, Aufschiebend bedingte Abschiebungsandrohung mit Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf acht Jahre, Ausländerrecht, Syrer, Flüchtlingseigenschaft, Aufenthaltserlaubnis, Regelerteilung, Betäubungsmittel, Kokain, Marihuana, Straftaten, erhebliche Bedeutung, Urkundenfälschung, Betäubungsmittelhandel, Betäubungsmittelbesitz, Krankenhausbehandlung, Erziehungsanstalt, Rückfallwahrscheinlichkeit, Ausweisungsschutz, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, schwerwiegende Gefährdung, Rückkehr
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33348

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ausweisungsentscheidung und Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels durch die Beklagte.
2
Der Kläger wurde am ... 1992 in ... (Syrien) geboren und ist syrischer Staatsangehöriger. Sein Vater war Taxifahrer, die Mutter Schneiderin. Er hat vier Brüder und drei Schwestern, seine Eltern leben mittlerweile im Libanon. Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Er hat neun Jahre die Schule besucht. Im Anschluss daran arbeitete er ebenfalls als Schneider, ohne dies richtig erlernt zu haben. Zudem gab er – ohne dass dies belegt wäre – an, für zwei Jahre die Universität besucht und dort Jura studiert, dies dann aber abgebrochen zu haben.
3
Im Dezember 2014 verließ er Syrien und gelangte über Algerien und die Türkei am 15. Februar 2015 nach Deutschland. Er gab an, seine Heimat wegen des Krieges verlassen zu haben. Der Kläger erhielt im Rahmen seines Asylverfahrens am 29. Juni 2016 die Flüchtlingseigenschaft. Er kam in einem Heim in … unter. Im März 2017 bezog er gemeinsam mit einem dort kennengelernten Bekannten und späteren Mittäter (vgl. VG Augsburg, U.v. 26.10.2022 – Au 6 K 22.1731) eine gemeinsame Wohnung in, im April 2019 zogen die beiden gemeinsam nach ... um. Zunächst besuchte der Kläger einen Sprachkurs, den er aber nicht bestanden hat. Im Anschluss daran arbeitete er bis zu seiner Verhaftung als Möbelpacker, wodurch er einen Verdienst von durchschnittlich 1.400,00-1.500,00 Euro netto pro Monat (inklusive Trinkgeld) erwirtschaften konnte. Er hat in dem Zusammenhang auch einen Lkw-Führerschein gemacht und war auch als Fahrer tätig.
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Der Kläger gab an, noch nie in seinem Leben Alkohol getrunken zu haben, jedoch habe er bereits in Syrien ab und an Drogen konsumiert. Er gab an, in Deutschland zwei bis dreimal pro Woche 3-5 Mal nasal Kokain konsumiert zu haben, am Wochenende mehr. Zudem habe er nach der Arbeit täglich Kräutermischungen geraucht.
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Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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- Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 27. April 2015 (Aktenzeichen ...), rechtskräftig seit 28. Mai 2015, Verurteilung wegen Urkundenfälschung (Datum der letzten Tat: 21. Februar 2015) zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je fünf Euro.
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- Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 7. September 2016, rechtskräftig seit 24. September 2016, Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen (Tatzeit: 7. August 2016) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro.
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- Landgericht, Urteil vom 11. September 2020 (Aktenzeichen ...): Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlichem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 BtMG. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet, weiter wurde Vorwegvollzug von einem Jahr und fünf Monaten angeordnet. Sein Mitbewohner wurde als Mittäter (einer von zwei weiteren Mittätern) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
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Im Wesentlichen erfolgte die Verurteilung der drei Mittäter wegen folgender Taten:
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- Anfang Juli 2019: Verkauf von 3 kg Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 7,3% THC zum Preis von 9.000,00 Euro (hierbei war der Kläger nicht namentlich erwähnt)
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- 17. August 2019: Verkauf von 100 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8% THC zum Preis von 5,00 Euro pro Gramm
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- 19. August 2018: Verkauf 100 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8% THC zum Preis von 650,00 Euro
13
- 28. August 2018: Verkauf von 1.000 Gramm Amphetamin mit Wirkstoffgehalt von mindestens 10% Amphetamin-Base zum Preis von 5.000,00 Euro; 500 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8% THC zum Preis von 4.250,00 Euro und 1 Gramm Kokain mit Wirkstoffgehalt von mindestens 40% CHC zum Preis von wenigstens 70,00 Euro
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- 6. September 2019: Verkauf von 250 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8% THC zum Preis von mindestens 8,00 Euro pro Gramm
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- 6. September 2019: Verkauf von 1.000 Gramm Marihuana zum Preis von mindestens 5,00 Euro pro Gramm mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8% THC
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- 12. September 2019: Beschaffungsfahrt nach Berlin (Kläger als Fahrzeugführer) mit Kauf von 3.864,3 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 7,5% THC, 560,8 Gramm Amphetamin mit Wirkstoffgehalt von mindestens 8,7% Amphetamin-Base, 48 Ecstasy-Tabletten mit Wirkstoffgehalt von mindestens 15,1% Amphetamin-Base und 197,1 Gramm Kokain mit Wirkstoffgehalt von mindestens 87,7% CHC zu einem unbekannten Preis (Verbringen in die Wohnung nach ... war geplant, wegen polizeilichem Zugriff nicht erfolgt)
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- 12. September 2019: Aufbewahrung in Kellerabteil („Bunker“) von 932 Ecstasy-Tabletten mit Wirkstoffgehalt von mindestens 35,11% MDMA und 1573 Gramm Marihuana mit Wirkstoffgehalt von mindestens 9,5% THC (919,3 Gramm) bzw. 0,45% THC (653,7 Gramm)
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- 12. September 2019: Aufbewahrung in der Wohnung in ... von 18,27 Gramm Kokain mit Wirkstoffgehalt von mindestens 87,6% CHC (nicht ausschließbar zum Eigenkonsum)
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Der Kläger hat bei den festgestellten Taten die Mittäter nicht lediglich unterstützt, sondern jeweils nennenswerte Tatbeiträge geleistet, die für die Begehung der Taten essenziell waren. So hat der Kläger nicht nur Betäubungsmittel abgeholt und ausgeliefert, sondern auch selbstständig mit Kunden verhandelt und Gespräche geführt, wie im Strafurteil ausgeführt.
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Zur Strafzumessung des Klägers führt das Urteil aus:
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„Auch hinsichtlich des Angeklagten […] hat die Kammer zunächst durch eine umfassende Gesamtabwägung aller für wie wider den Angeklagten […] sprechender Umstände für jeden der abgeurteilten Fälle geprüft, ob von einem minder schweren Fall im Sinne von § 29a Abs. 2 BtMG auszugehen war, dies aber jeweils verneint.
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Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung hat die Kammer nochmals sämtliche für die Strafzumessung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen, dabei ihr Augenmerk nochmals auf die teilweise geständige Einlassung des Angeklagten gerichtet und letztlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.“
23
Am 8. März 2021 wurde der Kläger auf Grundlage des § 64 StGB von der JVA ... ins Bezirkskrankenhaus ... aus dem Strafin den Maßregelvollzug verlegt. Das Urteil erlangte am 11. März 2021 Rechtskraft.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat mit Bescheid vom 30. April 2021 die mit Bescheid vom 29. Juni 2016 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft widerrufen, der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt, es wurde festgestellt, dass ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt. Der Bescheid erlangte am 21. Mai 2021 Rechtskraft. Das BAMF teilte ferner mit Schreiben vom 3. Mai 2021 mit, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Vorliegens von Ausschlussgründen ausgeschlossen sei. Am 25. August 2021 beantragte der Kläger erstmals eine Duldung. Mit Fax vom 18. Oktober 2021 beantragte der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 teilte das Landratsamt ... mit, dass keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne.
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Mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 gab das BKH eine Stellungnahme ab. Der Kläger zeige sich absprachefähig, zuverlässig und sei im Kontakt stets freundlich. Er nehme regelmäßig an den Komplementärtherapien teil. Er würde am Sprachkurs teilnehmen und Fortschritte erzielen. Die Sozialprognose sei vorerst als bedingt günstig einzuschätzen.
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Mit Schreiben vom 26. Januar 2022 übersandte das BKH den elektronischen Aufenthaltstitel (eAT) des Betroffenen. Der Reiseausweis für Flüchtlinge sowie der syrische Ausweis seien aktuell nicht auffindbar. Der Betroffene wollte sich diesbezüglich im familiären Umfeld noch erkundigen.
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Mit Schreiben vom 9. Juni 2022 wurde der Betroffene über seinen Bevollmächtigten zum Erlass dieses Bescheids angehört. Mit Schreiben vom 22. Juni 2022 machte der Bevollmächtigte folgende Angaben: Der Kläger sei dringend auf die Therapie in Deutschland angewiesen. Er würde zudem nach Abschluss der Therapie rechtstreu leben. Weiter sei er in Syrien von potentieller Bestrafung betroffen, da er vor Ableistung des Militärdienstes das Land verlassen habe. Deswegen würde das Abschiebeverbot bestehen.
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Mit Schreiben vom 21. November 2022 teilte das BKH mit, dass wegen fehlender Aussicht auf Erfolg bei der Staatsanwaltschaft die Erledigung der Maßregel angeregt worden sei.
29
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 übermittelte die Staatsanwaltschaft ... die aktuelle Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses, die zu dem Ergebnis kommt, dass aus sachverständiger Sicht aus Gründen, die in der Persönlichkeit des Klägers liegen, eine weitere Behandlung ohne Aussicht auf Erfolg sei.
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Insbesondere verfestige sich der Eindruck, dass dem Kläger die Einsicht in die Dissozialität seiner Verhaltensweisen fehle (mangelndes Problembewusstsein und fehlende Verantwortungsübernahme) und eine solche auch nicht erarbeitet werden könnte. Es sei zunehmend deutlich geworden, dass der Kläger die jeweils geltenden Regeln genau kenne und zur Befriedigung eigener Bedürfnisse gezielt gegen sie verstoße, sofern er hoffen könne, dabei unentdeckt zu bleiben. Die durchgeführten Suchtmittelkontrollen hätten stets negative Befunde erbracht. Seine Abstinenzmotivation sei jedoch fraglich, da er im Rahmen einer Hausaufgabe im Oktober 2022 als möglichen Rückfallfaktor angegeben habe, wenn er viel Geld habe, könnte er in Versuchung kommen, Kokain zu kaufen.
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In einer interdisziplinären Konferenz vom 8. November 2022 wurde entschieden, dass die Behandlung wegen fehlender Aussicht auf Erfolg beendet wird, am 9. November 2022 wurde der Kläger in einen besonders gesicherten Bereich der Station verlegt. Er habe sich über die Verlegung sehr aufgebracht gezeigt und sei affektiv zwischen weinerlichem und wütendem Auftreten geschwankt. Wenn er zurück in Haft müsse, werde er mit Sicherheit wieder konsumieren und Straftaten begehen.
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Zur diagnostischen Einschätzung führt das Bezirkskrankenhaus ... abschließend und prognostisch aus, es werde vom Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs multipler Substanzen ausgegangen. Im aktuellen Berichtszeitraum hätten sich außerdem deutliche narzisstische und dissoziale Züge gezeigt. Die damit einhergehenden dysfunktionalen Verhaltensmuster, die sucht- und deliktrelevant seien, würden vom Kläger als zu seiner Persönlichkeit zugehörige erlebt, sodass entgegen seinen wiederholten verbalen Beteuerungen Problembewusstsein und intrinsische Veränderungsmotivation nicht bestünden. Der Kläger habe zunehmend therapieschädigendes Verhalten in Form von Intransparenz und Manipulation gezeigt, eine therapeutische Bearbeitung dieses Verhaltens sei mangels Verantwortungsübernahme nicht möglich gewesen. Aus sachverständiger Sicht seien nach 20 Monaten Behandlung die therapeutischen Möglichkeiten als ausgeschöpft zu beurteilen.
33
Zur Sozialprognose wird ausgeführt, dass der Kläger nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge. Er strebe nach einer Entlassung eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker an, da er diesen Beruf auch in Syrien ausüben könne, wenn er in sein Heimatland zurückkehren müsse. Der Kläger gab an, sich von seinem alten deliktnahen Umfeld distanzieren und einen neuen Lebensmittelpunkt in Mönchengladbach aufbauen zu wollen, da dort zwei seiner – bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen – Brüder wohnhaft seien. Einer der beiden Brüder wolle den Kläger perspektivisch bei sich und seiner Familie aufnehmen. Dem Gutachten zufolge bestehe ein geeigneter sozialer Empfangsraum – auch vor dem Hintergrund der ausländerrechtlichen Situation – gegenwärtig allerdings nicht. Auch die Kriminalprognose sei als prognostisch ungünstig einzuschätzen, da statistisch von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen sei.
34
Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. November 2022, die durch Urteil des LG ... vom 11. September 2020 angeordnete Maßregel für erledigt zu erklären und den noch offenen Strafrest aus diesem Urteil nicht zur Bewährung auszusetzen, wurde mit Beschluss des LG ... vom 28. Dezember 2022 abgelehnt (Ziff. 1), die Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (Ziff. 2) und eine verkürzte Prüffrist mit Fristende zur erneuten Überprüfung am 21. April 2023 bestimmt (Ziff. 3). Die Kammer sei unter Würdigung des Therapieverlaufs noch nicht davon überzeugt, dass keine weiteren Anknüpfungspunkte für eine erfolgreiche Fortführung der Therapie bestünden, die Behandlungsmöglichkeiten seien nach vorläufiger Beurteilung des Gerichts noch nicht ausgeschöpft. Zugunsten des Klägers sei berücksichtigt worden, dass ihm bisher in allen gutachterlichen Stellungnahmen ein positiver Therapieverlauf bescheinigt worden sei und er sich nach der Stellungnahme vom 21. Januar 2022 in einzeltherapeutischen Gesprächen transparent und reflektiert zeige und man von ausreichender Krankheitseinsicht, vorhandenem Problembewusstsein und Veränderungswillen ausgehen könne. In der Stellungnahme vom 19. Mai 2022 werde berichtet, dass die offene Selbstdarstellung sowie die Gesprächs- und Reflexionsbereitschaft bezüglich des Delikts positiv zu werten sei. Die Kammer könne daher nicht ausschließen, dass sich der Kläger lediglich in einer vorübergehenden Motivationskrise befinde. Der geschilderte Regelverstoß sei nicht derart schlimm, dass in jedem Fall ein Therapieabbruch gerechtfertigt wäre. Dem Kläger solle nochmals eine Chance eingeräumt werden.
35
Mit Bescheid vom 18. Januar 2023 lehnte das Landratsamt ... die Erteilung eines Aufenthaltstitels ab (Ziff. 1) und wies den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziff. 2). Die Wirkung der Ausweisung wurde auf die Dauer von acht Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise/Abschiebung befristet (Ziff. 3). Der Kläger wurde zudem im Falle des bestandskräftigen Widerrufs bzw. der Rücknahme der festgestellten Abschiebeverbote aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von vier Wochen nach bestandskräftiger Entscheidung zu verlassen und für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung seiner Ausreiseverpflichtung die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen Staat, in welchen er erlaubt einreisen darf bzw. welcher zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Ziff. 4).
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Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sei – trotz des bestehenden Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG – wegen entgegenstehender schwerwiegender Gründe nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 bzw. Nr. 4 AufenthG aufgrund der begangenen Straftaten abgelehnt worden.
37
Auch scheitere eine Erteilung an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, denn der Kläger übe derzeit keine Erwerbstätigkeit aus und lebe von Sozialleistungen, er befinde sich im Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus ... und sei daher nicht fähig, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Nachdem der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe, dürfe der Aufenthalt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen oder gefährden, dies sei aber vorliegend schon aufgrund der fehlenden Erwerbstätigkeit und der kostenverursachenden Haft bzw. dem Maßregelvollzug der Fall. Der Kläger verfüge außerdem derzeit über keinen gültigen Pass nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Zuletzt sei der Kläger unerlaubt ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist, § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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Das Ausweisungsinteresse überwiege nach erfolgter Abwägung das Bleibeinteresse nach § 53 Abs. 1 AufenthG, dies ergebe sich aus § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a Buchst. a) und b) und Abs. 2 Nr. 1, Nr. 9 AufenthG aufgrund der Verurteilung. Auf ein Bleibeinteresse könne sich der Kläger nach § 55 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 i.V.m. § 81 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG mangels Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels nicht berufen. Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 bis Abs. 4 AufenthG liege nicht vor, da die Flüchtlingseigenschaft mittlerweile wieder bestandskräftig widerrufen sei.
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Die Abschiebung werde nach §§ 58 Abs. 1 und Abs. 3, 59 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG angedroht, da derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG bestehe. Zudem sei nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verfügen, über die Befristung sei nach pflichtgemäßem Ermessen (insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Straffälligkeit und langjährigen Haftstrafe) entschieden worden.
40
Mit Beschluss des LG ... – Strafvollstreckungskammer – (Az. ...) vom 24. April 2023 wurde die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt (Ziff. I). Die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt (Ziff. II) und Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren festgesetzt (Ziff. III). Die Erledigterklärung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB wurde mit gutachterlicher Stellungnahme der Sachverständigen des Bezirkskrankenhauses ... vom 2. März 2023 empfohlen und mit Verfügung vom 9. März 2023 von der Staatsanwaltschaft ... beantragt. Das Gericht begründete den Beschluss damit, dass vom Scheitern der Therapie ausgegangen werden müsse. Es bestehe keine konkrete Aussicht auf Heilung durch die weitere Behandlung in einer Entziehungsanstalt oder Bewahrung vor dem Rückfall in die Sucht und der Begehung erheblicher rechtswidriger, auf die Abhängigkeit zurückgehender Taten. Das Bezirkskrankenhaus gehe diagnostisch vom Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs multipler Substanzen aus. Zudem bestehe eine Akzentuierung von narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitszügen. Nach einer Behandlungsdauer von zwei Jahren sei es dem Kläger nicht gelungen, sich von seinen dysfunktionalen Verhaltensmustern zu lösen. Er habe sich offensichtlich in eine Vorwurfshaltung begeben, die es ihm nicht mehr erlaube, sich auf den weiteren therapeutischen Prozess einzulassen. Der Kläger habe selbst der Erledigung der Maßregel zugestimmt.
41
Seit 11. Mai 2023 befindet sich der Kläger in der Justizvollzugsanstalt ... zum Vollzug der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des LG ... vom 11. September 2020. Der Zweidrittel-Zeitpunkt ist am 30. März 2024 erreicht, das Strafende für den 10. Juli 2026 vorgemerkt.
42
Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023, bei Gericht eingegangen am 14. Februar 2023, ließ der Kläger Klage erheben und beantragt,
43
Der Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2023, dem Bevollmächtigten des Klägers zugegangen am 24. Januar 2023, wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen.
44
Zur Begründung wird auf den Ablehnungsbeschluss des LG ... vom 28. Dezember 2022 im Strafvollstreckungsverfahren gegen den Kläger verwiesen. Es erscheine im Hinblick auf die Tatsache, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden könne, auch für die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland weitaus sinnvoller, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und ihn nicht auszuweisen, insbesondere nachdem er nach wie vor die Perspektive habe, die Therapie erfolgreich zu beenden.
45
Der Beklagte beantragt,
46
Die Klage wird abgewiesen.
47
Der Kläger habe die Chance auf ein friedliches Leben in Deutschland nicht genutzt, sondern mit Betäubungsmittelhandel und -konsum zunichtegemacht. Auch die zweite Chance im Rahmen des Maßregelvollzugs habe er gemäß Stellungnahme vom 11.November 2022 und 21. November 2022 des Bezirkskrankenhauses ... (BKH) nicht genutzt, vielmehr sei die Erledigung der Maßregel angeregt worden. Dieser Antrag des BKH und der Staatsanwaltschaft ... sei zwar seitens des Landgerichts ... abgelehnt worden, dies ändere jedoch nichts am therapieschädlichen Verhaltens des Klägers. Die Sozialprognose sei ungünstig, der Kläger verfüge über keine realistischen Vorstellungen bezüglich seiner Gestaltung eines sozialen Empfangsraums und übertrage den Großteil der Verantwortung auf seine Brüder. Es sei kein geeigneter sozialer Empfangsraum vorhanden. Die Kriminalprognose werde als ungünstig eingeschätzt. Die Frist zur Prüfung der Fortdauer der Unterbringung sei verkürzt worden und ende am 21. April 2023. Unabhängig vom Therapieverlauf lasse die Verurteilung keine andere Entscheidung als die im Bescheid vom 18. Januar 2023 getroffene Verfügung, zu.
48
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 16. Februar 2023, der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 7. November 2023 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
49
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.

Entscheidungsgründe

50
Die Klage – über welche wegen des Verzichts der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte – ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid vom 18. Januar 2023 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
51
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis, der Ausweisung, der Befristungsentscheidung und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18).
52
1. Die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist unbegründet, da dem Kläger hierauf kein Anspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
53
a) Der Kläger hat mangels internationalen Schutzes keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Auf die Wirksamkeit der in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids verfügten Ausweisung kommt es daher nach § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entscheidungserheblich an.
54
b) Der Kläger hat wegen der Verurteilung wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung ausnahmsweise auch keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 2 AufenthG. Ob der derzeit noch nicht erfolgreich therapierte Kläger darüber hinaus auch eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nach § 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 4 AufenthG darstellt und auch deswegen keine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, ist daher nicht entscheidungserheblich.
55
aa) § 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 2 AufenthG ist als Regel-Erteilungsnorm mit einem gesetzlichen Ausnahmetatbestand ausgestaltet. Der Kläger erfüllt derzeit zwar unstreitig die Voraussetzungen des Regel-Anspruches, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. April 2021 ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Syriens festgestellt hat, das nicht widerrufen ist.
56
bb) Gleichwohl erfüllt der Kläger die Voraussetzungen einer gesetzlichen Ausnahme zur Regel-Erteilungsnorm nach § 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 2 AufenthG, da er eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat und schwerwiegende Gründe – die strafgerichtliche Verurteilung (LG, U.v. 11.9.2020 – ... – Behördenakte Bl. 536 ff.) – dies belegen.
57
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des Ausschlussgrundes beabsichtigt, insbesondere bestimmten Straftätern grundsätzlich kein Aufenthaltsrecht mangels Schutzwürdigkeit zu gewähren. So soll entsprechend den Überlegungen im internationalen Flüchtlingsschutz verhindert werden, dass schwere Straftäter und Gefährder, deren Aufenthalt nicht beendet werden kann, einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland erhalten, ohne vom Abschiebungsschutz ausgeschlossen zu werden. Diese Ausschlussklausel ist zwingend ohne Ermessensspielraum und schließt eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis und damit die Legalisierung des tatsächlichen Aufenthalts wegen persönlicher „Unwürdigkeit“ aus, nicht aber den Schutz vor einer Abschiebung mit folgender Duldung (zum Ganzen BayVGH, U.v. 15.6.2011 – 19 B 10.2539 – juris Rn. 27, 34; BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 10 C 18.2425 – juris Rn. 10). Anders gewendet: Der internationale Schutz soll Opfer, nicht Täter schützen – Täter werden nur vor konkreten Gefahren für ihren Leib und ihr Leben durch etwaige Abschiebungsverbote und Duldung geschützt.
58
Für den Ausschlussgrund kommt es auch nicht auf eine aktuelle Gefährlichkeit des Klägers und etwaige – hier (noch) nicht erzielte – Therapie- oder Resozialisierungserfolge an, sondern er gilt dauerhaft als „unwürdig“ (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 -1 C 16.14 – juris Rn. 29 m.w.N.).
59
Die vom Kläger begangene Straftat mit der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten (LG, U.v. 11.9.2020 – ... – Behördenakte Bl. 536 ff.) wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge stellt eine Straftat von erheblicher Bedeutung dar. Dies folgt erstens aus der nationalen gesetzlichen Wertung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer Vorsatztat bereits ein besonders schweres Ausweisungsinteresse vorliegt. Zweitens entspricht es der unionsrechtlichen Wertung, wonach eine Straftat ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt, wenn sie sich gegen hochrangige Rechtsgüter richtet, an deren Schutz die Gesellschaft ein besonderes Interesse hat. Solche Kollektivschutzgüter sind die durch besonders schwere Kriminalität im Sinne von Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV wie Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität bedrohten Schutzgüter. Hier hat der Kläger einen intensiven illegalen Drogenhandel betrieben.
60
cc) Auf die Wirksamkeit der in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids verfügten Ausweisung kommt es für den Ausschluss des Klägers von jeder Legalisierung seines Aufenthalts daher nach § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entscheidungserheblich an.
61
c) Einem Anspruch des Klägers auf eine sonstige Aufenthaltserlaubnis steht neben einem nicht erfüllten anderweitigen Aufenthaltszweck auch die Nichterfüllung mehrerer Regelerteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 (fehlende Sicherung des Lebensunterhalts), Nr. 2 (Ausweisungsinteresse auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung), Nr. 4 (fehlender gültiger Reisepass) AufenthG entgegen, wie der Beklagte zutreffend im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen wird. Dass bei dem schwer straffälligen und nicht therapierten sowie aktuell auch nicht therapierbaren Kläger kein atypischer Ausnahmefall zu den Regelerteilungsvoraussetzungen anzunehmen ist, liegt auf der Hand.
62
2. Die Anfechtungsklage gegen die Ausweisung in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls unbegründet.
63
Die Ausweisung ist nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gerechtfertigt, weil vom Aufenthalt des Klägers eine besonders schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des hier besonders schwerwiegenden öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit seinem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der inlandsbezogenen Ausweisung des Klägers sein Interesse an einer Legalisierung seines Aufenthalts – bei voraussichtlich weiterem tatsächlichem weil geduldetem Verbleib im Bundesgebiet – überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt, auch wenn der Kläger nach Art. 8 EMRK in seinem seit Jahren im Bundesgebiet geführten Privatleben und nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auch vor einer Abschiebung nach Syrien geschützt ist.
64
a) Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach §§ 53 ff. AufenthG. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Bescheid verwiesen, insbesondere dazu, dass der Kläger keine asylrechtlich geschützte Rechtsposition mehr innehat.
65
b) Da der Kläger die zutreffenden Ausführungen des Beklagten zum besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b 2. Alt. AufenthG einerseits und zum lediglich unbenannten Bleibeinteresse des Klägers analog § 55 AufenthG andererseits nicht substantiiert in Zweifel gezogen hat, wird auch hierauf verwiesen und lediglich aktuell ergänzt:
66
aa) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, weil er eine besonders schwere Straftat begangen hat und sowohl ein spezialpräventives Interesse an der Ausweisung des untherapierten Klägers als auch ein generalpräventives Interesse (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 15 ff., 20 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13) zur Abschreckung anderer Ausländer ebenfalls von Straftaten wie bandenmäßigem Betäubungsmittelhandel besteht. Solche Taten verletzen ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. oben zu Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV).
67
(1) Dem Kläger liegt auf Grund seines persönlichen Verhaltens eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses auch unerlässlich macht.
68
Die Ausweisung setzt als gebundene und gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 22) tatbestandlich voraus, dass der Ausländer durch sein persönliches Verhalten oder seinen weiteren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig schwerwiegend gefährdet, diese Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung der gefährdeten Interessen in der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich ist. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem dieser Schutzgüter eintreten wird (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 23). Dies ist hier der Fall.
69
(2) Ein hinreichender Ausweisungsanlass ist die Straffälligkeit des Klägers (vgl. oben).
70
Die wiederholt und bandenmäßig begangenen Betäubungsmitteldelikte stellen eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Mitglieder dar (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/282 Rn. 15).
71
Für eine ausnahmsweise abweichende Gewichtung bieten Tat, Täter und Nachtatverhalten keine Anhaltspunkte (vgl. zur Berücksichtigung von Sondersituationen BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – InfAuslR 2020, 424 ff. Rn. 27). Auch nach strafgerichtlicher Bewertung rechtfertigten die Tatumstände und die Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Insbesondere eine Minderung der Schuldfähigkeit des Klägers oder eine Tatprovokation wurden nicht festgestellt. Im Gegenteil stellte sich die Tatbegehung für das Strafgericht als planvolles Vorgehen dar.
72
(3) Eine Wiederholungsgefahr der Begehung vergleichbarer Delikte durch den Kläger liegt vor.
73
Bei der Ausweisungsentscheidung haben die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen eine eigene Beurteilung und Prognoseentscheidung vorzunehmen, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – Rn. 8; BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17). Allein ein positives Verhalten in der Haft oder Unterbringung lässt noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen könnte (BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die eine Wiederholungsgefahr entfallen ließe (BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – Rn. 9). Wohlverhalten kommt insbesondere dann nur begrenzte Aussagekraft zu, wenn es unter der Kontrolle des Strafvollzugs und unter dem Druck eines Ausweisungsverfahrens gezeigt wird (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12).
74
Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung sind im Rahmen der tatrichterlichen Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der mögliche Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277 Rn. 16; BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 9). Die vom Kläger wiederholt durch Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht unerheblichen Mengen verletzte körperliche Unversehrtheit Dritter ist ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG besonders geschütztes Rechtsgut von hervorgehobener Bedeutung, dessen Verletzung zu besonders schweren Schäden führen kann und dessen Schutz zu den Kernaufgaben der innerstaatlichen Friedensordnung gehört. Die körperliche Integrität anderer Menschen zählt mithin zu den wichtigsten Rechtsgütern. Genau dieses Rechtsgut hat der Kläger wiederholt vorsätzlich, also bewusst und gewollt, verletzt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind daher hier geringere Anforderungen zu stellen.
75
Die im Rahmen der eigenständigen ausländerrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 14) hier zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr:
76
Der Kläger ist erstens Serientäter, da er die wesentlich gleichartigen Delikte in einem längeren Zeitraum gleichförmig begangen hat. Hinzu kommen die zwei vorausgehenden Strafbefehle (zum Strafbefehl Urkundenfälschung mit Asylzusammenhang Arg. ex Art. 31 GFK), die ebenfalls zeigen, dass der Kläger nicht zu einem gesetzeskonformen Verhalten bereit oder fähig ist.
77
Der Kläger ist zweitens nicht nur Händler, sondern auch Besitzer und Konsument von Betäubungsmitteln gewesen, wobei er nach den strafgerichtlichen Feststellungen selbst regelmäßig Kokain und Kräutermischungen konsumiert hat. Sein Konsum war zwar mengenmäßig massiv, aber nicht so intensiv, dass ein Kontrollverlust eingetreten wäre. Er besaß während seiner Taten hinreichende Steuerungsfähigkeit.
78
Drittens ist der Kläger als langjähriger Konsument verschiedener, auch „harter“ Drogen (schädlicher Gebrauch multipler Substanzen) nicht nachweislich erfolgreich therapiert. Die Therapie ist nach dem Beschluss des LG ... vom 24. April 2023 gescheitert. Die Beendigung wurde seitens des Bezirkskrankenhauses bereits mit Schreiben vom 21. November 2022 angeregt, nach Auffassung des Gerichts sollte dem Kläger zu diesem Zeitpunkt aber eine weitere Chance gegeben werden (LG, B.v. 28.12.2022), die der Kläger nicht genutzt hat. Es bestehe keine konkrete Aussicht auf Heilung durch die weitere Behandlung in einer Entziehungsanstalt oder Bewahrung vor dem Rückfall in die Sucht und der Begehung erheblicher rechtswidriger, auf die Abhängigkeit zurückgehender Taten. Der Kläger habe nach den Feststellungen des Bezirkskrankenhauses narzisstische und dissoziale Züge gezeigt, die sucht- und deliktsrelevant seien. Nach einer Behandlungsdauer von zwei Jahren sei es dem Kläger nicht gelungen, sich von seinen dysfunktionalen Verhaltensmustern zu lösen. Er habe sich in eine Vorwurfshaltung begeben, die es ihm nicht mehr erlaube, sich auf den weiteren therapeutischen Prozess einzulassen. Auch, dass der Kläger selbst der Erledigung der Maßregel zugestimmt hat, zeigt seine fehlende Motivation und Therapiebereitschaft.
79
Das Verhalten des Klägers gibt derzeit keinen Anlass für eine günstige Prognose. Die aufgezeigten Probleme sind schwerwiegend und verfestigen den Eindruck, der sich aus den begangenen Straftaten und dem bisherigen Verhalten ergibt. Dieser Einschätzung steht nicht die erste gerichtliche Ablehnung der Erledigung der Maßregel entgegen. Sofern das Gericht dem Kläger hier eine weitere – und ungenutzt gebliebene – Chance zugestand, war dies als Entgegenkommen zu betrachten, nicht aber als eine für sich stehende positive Beurteilung des klägerischen Verhaltens. Eine Bewährung des Klägers nach erfolgreichem Abschluss der Therapie und auf freiem Fuß ist erst recht noch nicht erfolgt.
80
Wegen des hohen Rangs der von ihm verletzten und bei einem Rückfall erneut bedrohten Rechtsgüter, insbesondere der Volksgesundheit und der körperlichen Integrität anderer Personen, denen er Drogen für deren Betäubungsmittelmissbrauch verschafft hat, sind an die Annahme einer Wiederholungsgefahr keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Kläger nach Beendigung der Maßregel nach wie vor nicht erfolgreich suchttherapiert ist, geschweige denn sich ohne den Druck der drohenden Aufenthaltsbeendigung auf freiem Fuß nachhaltig bewährt hätte. Sind aber die Ursachen seiner Straftaten nicht beseitigt, ist weiter von einer konkreten Rückfallgefahr wie zuvor auszugehen.
81
bb) Zudem liegt eine Gefahr der Begehung vergleichbarer Delikte durch andere Ausländer vor. Auch solche generalpräventiven Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen (vgl. BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13) wie hier bei massiven Betäubungsmitteldelikten.
82
c) Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG überwiegt.
83
aa) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b 2. Alt. AufenthG besonders schwer.
84
Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b 2. Alt. AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer wie hier wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bzw. wegen vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Beides ist beim Kläger der Fall.
85
Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten, doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Insbesondere das Strafgericht hat keine Anhaltspunkte für einen minderschweren Fall oder gar für schuldmindernde oder schuldausschließende Umstände festgestellt (vgl. oben).
86
bb) Demgegenüber liegt kein vertyptes besonders schweres oder schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG vor.
87
Weder ist der volljährige Kläger im Besitz eines Aufenthaltstitels, da seine bisherige Aufenthaltserlaubnis abgelaufen und ihre Verlängerung bzw. eine Neuerteilung versagt worden ist (vgl. oben), noch ist er als Schutzberechtigter anerkannt, noch verfügt er in der Bundesrepublik über hinreichende familiäre, soziale oder wirtschaftliche Anknüpfungspunkte. Sonstige, ungeschriebene besonders schwere oder schwere Bleibeinteressen sind ebenfalls nicht ersichtlich, insbesondere handelt es sich bei dem im Alter von 23 Jahren eingereisten und damit noch von der Kultur seines Herkunftsstaates und des weiteren Aufenthaltsstaats geprägten Kläger schon mit Blick auf seinen vergleichsweise kurzen Aufenthalt in Deutschland nicht um einen faktischen Inländer. Er lebte hier rund sechs Jahre gestattet und erlaubt (2015-2021), blieb davon aber – abgesehen von einem Strafbefehl wegen Urkundenfälschung mit Tatzeit 21. Februar 2015 – nur rund ein Jahr straffrei (Strafbefehl wegen Erschleichens von Leistungen mit Tatzeit 7. August 2016 und Verurteilung Betäubungsmittel mit Tatzeit August 2018 bis September 2019) und befindet sich seit fast drei Jahren (September 2020) in Haft bzw. Maßregelvollzug. Von einer nennenswerten Integration kann derzeit nicht gesprochen werden. Die Absicht, nach einer Entlassung eine Ausbildung zum KfzMechatroniker anzustreben, ist über das Stadium der reinen Pläne noch nicht hinaus gediehen. Wesentliche Bindungen des Klägers in die Bundesrepublik sind daher nicht ersichtlich.
88
Seine Schutzbedürftigkeit hinsichtlich eines Abschiebungsschutzes ist als nicht vertyptes Bleibeinteresse zwar zu seinen Gunsten zu gewichten. Da der Gesetzgeber aber – wie oben ausgeführt – in seinem Fall eine Legalisierung des Aufenthalts ausgeschlossen hat, kommt diesem Belang nicht dasselbe Gewicht zu wie einer sonst vorhandenen legalen Aufenthaltsperspektive. Letztlich bleibt es bei der gesetzlichen und durch die behördliche Bedingung auch berücksichtigten Wertung, dass ein Abschiebungsverbot nur vorübergehenden Schutz bis zu seinem Entfall auf Grund einer Änderung der Sachlage bieten, aber nicht in einen Daueraufenthalt münden soll.
89
d) Auch die inlandsbezogene Ausweisung mit bedingter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
90
Zwar verlangt Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG (sog. Rückführungs-Richtlinie), dass die Mitgliedstaaten unbeschadet der dortigen Ausnahmen verpflichtet sind, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, die nach Art. 11 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen kann oder muss (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19, NVwZ 2021, 1207/1209 f. Rn. 55 f.). Dies gilt auch für Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und nicht abgeschoben werden können, da der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht. In diesen Fällen muss ebenfalls entweder der Aufenthalt legalisiert oder eine Rückkehrentscheidung erlassen werden, deren Vollstreckung aber aufgeschoben werden kann (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19, NVwZ 2021, 1207/1209 f. Rn. 59 – sog. Aufschub der Abschiebung). In Fällen des Aufschubs der Vollstreckung der Rückkehrentscheidung (Abschiebungsandrohung) kann dennoch eine rechtmäßige Ausweisung ergehen, um eine Legalität des Aufenthalts zu beenden oder zu verhindern. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung als rechtliche Beendigung des Aufenthalts bleibt auch vom Erlass oder dem Entfall der Rückkehrentscheidung (Abschiebungsandrohung) oder ihrem tatsächlichen Aufschub unberührt (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2023 – 10 ZB 22.2540, Rn. 11 ff.).
91
So liegt es auch hier: Der Kläger stellt auf Grund seines persönlichen Verhaltens eine akute Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, so dass eine Ausweisung zur rechtlichen Beendigung seines zunächst legalen Aufenthalts gerechtfertigt ist. Dass eine tatsächliche Beendigung seines Aufenthalts durch Abschiebung bis zum bestandskräftigen Widerruf der festgestellten Abschiebungsverbote in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids aufschiebend bedingt ist, rührt daher nicht an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung.
92
e) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich ein Ausländer rechtstreu verhalten hat, überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers daher deutlich.
93
f) Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
94
Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens durch die Ausweisung gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist. Er ist geeignet, die vom Kläger ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu mindern, da er einen weiteren Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland rechtlich beendet und einer Verfestigung entgegensteht. Er ist auch geeignet, andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Taten abzuhalten. Er ist erforderlich, da ausländerrechtlich nur durch eine Aufenthaltsbeendigung der genannten Gefahrenlage wirksam begegnet werden kann. Er ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, denn dem Kläger ist unter Würdigung seiner nicht schützenswerten Bindungen im Inland und seiner Prägung durch das Herkunftsland letztlich eine Rückkehr nach Syrien vorbehaltlich eines Widerrufs der festgestellten Abschiebungsverbote zumutbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf obige Abwägung verwiesen.
95
3. Die in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene sowie implizit und ausweislich der Bescheidsbegründung (dort S. 19) auch verfügte Anordnung und Befristung der Wirkung der Ausweisung auf die Dauer von acht Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise bzw. Abschiebung ist rechtmäßig.
96
Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG).
97
Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 66 m.w.N.).
98
Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten festgesetzte Frist rechtlich nicht zu beanstanden. Als Annex zur aufgeschobenen Rückkehrentscheidung ist sie rechtstechnisch ebenfalls aufschiebend bedingt und erlangt daher derzeit ebenfalls noch keine Wirkung, sondern erst im Zeitpunkt der freiwilligen Ausreise oder zwangsweisen Abschiebung. Dies ist mit Unionsrecht vereinbar, denn eine Rückkehrentscheidung kann oder muss nach Art. 11 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19, NVwZ 2021, 1207/1209 f. Rn. 55 f.). Dies ist hier der Fall, wobei der Aufschub die Unionsrechtskonformität sicherstellt (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2023 – 10 ZB 22.2540, Rn. 11 ff.). Der Beklagte hat die Länge der Frist weiter zu prüfen und dabei die Gesamtumstände des Klägers zu beobachten wie insbesondere die Fortgeltung der Abschiebungsverbote wegen der Situation in Syrien, die Führung des Klägers in der Haft, den bisherigen und künftigen Therapieverlauf usw. Derzeit jedenfalls ist die Frist von acht Jahren vor dem Hintergrund des gesetzlichen Höchstrahmens nach § 11 Abs. 5 AufenthG rechtlich nicht zu beanstanden. Ermessensfehler hinsichtlich des im Bundesgebiet – mit Ausnahme der Brüder – bindungslosen und auf Grund seiner Ausweisung nicht aufenthaltsberechtigten Klägers sind nicht ersichtlich (§ 114 VwGO).
99
4. Die in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene, mit einem bestandskräftigen Widerruf der festgestellten Abschiebungsverbote aufschiebend bedingte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtmäßig.
100
Wie soeben zur Ausweisung ausgeführt, begegnet eine aufschiebend bedingte Rückkehrentscheidung keinen unionsrechtlichen Bedenken, solange sichergestellt ist, dass einerseits das Refoulement-Verbot beachtet wird, andererseits aber auch der Aufschub so konkret gefasst ist, dass die Bedingung eintreten kann und ihr Eintritt auch zweifelsfrei festgestellt werden kann. Dies ist hier der Fall. Sollte das Bundesamt die Feststellung der Abschiebungsverbote nach § 73c Abs. 2 AsylG widerrufen und die Widerrufsentscheidung bestandskräftig werden, wäre die Bedingung eingetreten. Der Kläger wird auch nicht schutzlos gestellt, denn er kann bei einer unterstellten künftigen Bestandskraft der Ausweisungsentscheidung zwar nicht mehr gegen diese vorgehen, allerdings nach § 74 VwGO und §§ 74 ff. AsylG gegen die Widerrufsentscheidung, um den Eintritt der Bedingung zu verhindern (BayVGH, B.v. 4.9.2023 – 10 ZB 22.2540, Rn. 12).
101
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.