Inhalt

VG München, Beschluss v. 20.04.2023 – M 7 K 20.6967
Titel:

Richterablehnung, Befangenheit (abgelehnt)

Normenketten:
VwGO § 54
ZPO § 42
Schlagworte:
Richterablehnung, Befangenheit (abgelehnt)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33301

Tenor

Die Ablehnung der Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht …, der Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie der Richterin … wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Kläger erstrebt mit seiner am 31. Dezember 2020 erhobenen Klage die Feststellung, dass das Schuldanerkenntnis samt Zahlungsverpflichtung zeitlich nicht begrenzt ist und fortdauert. Die Beklagte hatte in den Verfahren M 7 K 16.3258 und M 7 S 16.3259 mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017 den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben und sich verpflichtet, die Kosten beider Verfahren zu tragen.
2
Mit Schreiben des Gerichts vom 4. Juli 2022 wurde der Kläger um Mitteilung gebeten, ob weiter Akteneinsicht begehrt werde sowie um nähere Konkretisierung des Klagegegenstands und Darlegung des Bedürfnisses für gerichtlichen Rechtsschutz. Der Kläger äußerte sich hierauf nicht. Der Kläger wurde durch die Vorsitzende Richterin … mit Schreiben vom 18. November 2022 um Mitteilung bis 12. Dezember 2022 gebeten, ob die Klage zurückgenommen werde. Denn die Klage habe keine Erfolgsaussichten. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion des Klägers.
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Mit Schreiben vom 11. Januar 2023 wurde der Kläger gemäß § 92 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten die Anfrage des Gerichts vom 4. Juli 2022 und vom 18. November 2022 zu beantworten. Sollte der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkommen, gelte die Klage gemäß § 92 Abs. 2 VwGO als zurückgenommen.
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Mit Schreiben vom 19. März 2023 stellte der Kläger gegen die Vorsitzende sowie getrennt die namentlich nicht bekannten Beisitzer und Kammermitglieder einen Antrag gem. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung/ ZPO (insbes. § 42 ZPO – Befangenheit). Die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 VwGO lägen nicht vor. Das Gericht habe den Kläger darüber getäuscht, einen Katalog von Handlungen für den § 92 Abs. 2 VwGO abschließend festzulegen. Dadurch handle es sich um einen getrennt anzuführenden Ablehnungsgrund. Damit seien auch alle anderen Handlungen zur Förderung des Verfahrens für unwirksam im Sinn der Abweisungsandrohung des Schreibens des Gerichts erklärt worden. Damit werde die Dispositionsfreiheit des Klägers rechtswidrig eingeschränkt. Durch das Verhalten werde die gesamte Verfahrensführung behindert. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Vorgehen um eine geübte, vorgesprochene Kammerpraxis handle, bei anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten den Gesetzesinhalt „etwas opportuner“ darzustellen als er sei. Die Gründe für eine Besorgnis der Befangenheit der Richter wurden mit Schreiben vom 20. März 2023 ergänzt.
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In der dienstlichen Äußerung zum Befangenheitsantrag vom 19. März 2023 teilte die abgelehnte Vorsitzende Richterin mit, dass die Aufforderung vom 11. Januar 2023 nach § 92 Abs. 2 VwGO erging, da sich der Kläger über fast zwei Jahre nach Klageerhebung trotz wiederholter Bitte bzw. Aufforderung durch das Gericht nicht geäußert habe. Daher sei auf ein fehlendes Interesse an der Weiterverfolgung der Klage zu schließen gewesen. Eine Besprechung der Vorgehensweise mit den anderen Kammermitgliedern sei nicht erfolgt. Die beiden anderen Richterinnen der 7. Kammer teilten in ihren dienstlichen Äußerungen zum Befangenheitsantrag mit, dass sie die Sache nicht bearbeitet hätten bzw. mit der Verwaltungsstreitsache bislang nicht befasst gewesen seien.
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Wegen des Vorbringens des Klägers im Einzelnen und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Über das Ablehnungsgesuch des Klägers entscheidet gemäß § 54 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 45 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) nach Nr. 2 b) cc) des Geschäftsverteilungsplans des Bayerischen Verwaltungsgerichts München für das Jahr 2023 die vollständige 5. Kammer des Verwaltungsgerichts München.
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2. Das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht … ist unbegründet.
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a) Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann gegeben, wenn ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftiger Weise mögliche Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (st.Rspr. vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 2 BvR 54/04 – NVwZ 2004, 855; B.v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88 – BVerfGE 82, 30/38; B.v. 7.12.1976 – 1 BvR 460/72 – BVerwGE 43, 126; BVerwG, B.v. 20.1.2014 – 7 C 13/13 – NJW 2014, 953, 955; BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 23 A 13.1623; B.v. 31.1.2013 – 5 ZB 12.2690 – jeweils juris). Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht zur Ablehnung nicht aus. Die Besorgnis der Befangenheit muss durch genaue Bezeichnung bestimmter Tatsachen dargelegt werden. Die Mitwirkung eines Richters an einem anderen Gerichtsverfahren des die Ablehnung aussprechenden Beteiligten oder in der Vorinstanz bzw. die Mitwirkung an einer für die Beteiligten früher ergangenen ungünstigen Entscheidung (Vorbefassung) vermag die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu begründen. Verständiger Anlass zu einem aus einer solchen Vorbefassung hergeleitetem Misstrauen eines Beteiligten gegen die Unparteilichkeit eines Richters besteht erst dann, wenn sich aufgrund besonderer, zusätzlicher Umstände der Eindruck einer unsachlichen, durch Voreingenommenheit oder gar Willkür geprägten Einstellung des Richters aufdrängt (vgl. insgesamt: Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 54 Rn. 15 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 581).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze sind hinreichend objektive Gründe, die bei vernünftiger Betrachtungsweise Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht … zu zweifeln, weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
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Grundsätzlich reichen Verfahrensverstöße oder andere Fehler eines Richters allein nicht aus, dessen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Vielmehr müssen auch Anhaltspunkte dafürsprechen, dass das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (VG Köln, B.v. 28.10.2021 – 6 K 1043/21 – juris Rn. 6 f.; BFH, B.v. 5.9.1989 – VII B 65/89 – juris Rn. 4) .
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Das ist hier nicht gegeben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das von der Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht … unterzeichnete Aufforderungsschreiben nach § 92 Abs. 2 VwGO vom 11. Januar 2023 willkürlich erfolgt sein könnte.
13
Denn der Kläger wurde bereits im Schreiben des Gerichts vom 8. Januar 2021 über den Eingang seiner Klage beim Verwaltungsgericht München darauf hingewiesen, dass erhebliche Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der erhobenen Feststellungsklage bestünden. Daher werde um Mitteilung gebeten, ob die Klage ggf. nicht weiter aufrechterhalten werde. Hierzu erging im weiteren Verfahren keine Äußerung durch den Kläger, insbesondere nicht nach der entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung mit Schreiben des Gerichts vom 18. November 2022. Ungeschriebene Voraussetzung der Rücknahmefiktion ist, dass der Kläger sein Verfahren unzureichend betrieben und damit dem Gericht Anlass für die Betreibensaufforderung gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme durch die Vorsitzende Richterin nicht willkürlich, dass aufgrund des dargestellten Prozessverhaltens (keine Äußerung auf eine mehrfache Bitte des Gerichts hin, ob die Klage zurückgenommen wird, da erhebliche Zweifel an der Erfolgsaussicht der Klage bestünden) hinreichende Gründe dafür bestehen, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers entfallen sein könnte (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 92 Rn. 16). Dem Kläger bleibt unbenommen, durch andere Maßnahmen oder Erklärungen den Eindruck zu widerlegen, dass sein Rechtsschutzinteresse entfallen sein könnte. Die Vorsitzende Richterin hat auch dargelegt, dass die Aufforderung vom 11. Januar 2023 nach § 92 Abs. 2 VwGO nicht mit den übrigen Kammermitgliedern abgesprochen war. Es ist nichts vorgetragen oder ersichtlich, daran zu zweifeln.
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Auch ansonsten sind keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, aus denen aus Sicht der ablehnenden Partei nachvollziehbar ein vernünftiger und daher einigermaßen objektiver Grund besteht, der sie von ihrem Standpunkt aus vernünftigerweise befürchten lassen könnte, der Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (Göertz in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Auflage 2023, § 42 Rn. 10).
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c) Die übrigen berufsrichterlichen Mitglieder der 7. Kammer, Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie Richterin …, waren nach ihren dienstlichen Äußerungen zum Befangenheitsantrag mit der Sache nicht befasst. Damit bestehen Befangenheitsgründe gegen diese beiden Richterinnen offensichtlich nicht.
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3. Einer Kostenentscheidung sowie einer Streitwertfestsetzung bedurfte es im vorliegenden Verfahren nicht, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt, dessen Kosten Teil der Verfahrenskosten im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO sind, über die im Rahmen der die Instanz beendenden Entscheidung zu befinden ist.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 146 Abs. 2 VwGO.