Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.11.2023 – M 11 SN 23.3745
Titel:

Prozeßkostenhilfeverfahren, Verwaltungsgerichte, Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften, Befähigung zum Richteramt, Bauaufsichtsbehörde, Prozeßbevollmächtigter, Elektronischer Rechtsverkehr, Nachbarklage, Bauaufsichtliche Genehmigung, Prozeßhandlungen, Abstandsflächenrecht, Nachbarschützende Vorschrift, Einhaltung der Abstandsflächen, Interessenabwägung, Anfechtungsklage, Abänderungsentscheidung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Festsetzung des Streitwerts, Abstandsflächenverstoß, Baugenehmigungsbescheid

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a Abs. 3
BayBO Art. 6
Art. 63 BayBO (n.F.)
Schlagworte:
Nutzungsänderung, Abstandsflächen, formelle Mängel, atypische Situation, Ermessensentscheidung, Nachbarklage, Baugenehmigung, Eilrechtsschutz, Nachbarschutz, Immissionsschutz, Dorfgebiet, Bestandsschutz, Abweichung, Nachbarrechte, Interessenabwägung, Ermessensfehler, Atypik, Nachbarliche Belange, Brandschutz, Anfechtungsklage, Rücksichtnahmegebot, Immissionskonflikt, Abstandsflächenrecht, Vollzugsinteresse, Drittschutz, Abweichung von Abstandsflächen, Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs, Aussetzung der Vollziehung, Hinreichende Bestimmtheit, Drittschützende Vorschriften, Rücksichtnahme, Gewerbliche Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33284

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers (M 11 K 23.3743) gegen die unter Ziff. II des Bescheids vom … Juni 2023 erteilte bauaufsichtliche Genehmigung des Landratsamts W.-S. wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich als Nachbar im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die teilweise Umnutzung des auf dem Vorhabengrundstück Fl.Nr. 3../.. der Gemarkung S. befindlichen Wohnhauses in eine gewerbliche Cateringküche.
2
Das Vorhabengrundstück, auf dem sich ein im Jahre 1953 genehmigtes Wohnhaus (Haus Nr. 16) befindet, wurde in der Vergangenheit geteilt und u.a. der Bereich der heutigen Fl.Nr. 3../12 (Nachbargrundstück) herausgemessen. Aufgrund der vorgenommen Grundstücksteilung befinden sich die nördliche, westliche und östliche Außenwand des Wohnhauses des Antragstellers (Haus Nr. 16a) direkt an der jeweiligen Grundstücksgrenze. Zwischen den beiden Wohnhäusern Nr. 16 und 16a befindet sich auf dem Vorhabengrundstück der – nach der Grundstücksteilung grenzständige – westliche Teil eines Garagengebäudes, der im Westen an das Wohnhaus des Beigeladenen und im Osten an das Wohnhaus des Antragstellers angebaut ist. Dieser Anbau ist – in Nord-Süd-Richtung – etwa 12,7 m lang und wird im südlichen (straßenseitigen) Bereich derzeit als Küche für einen Catering-Service des Beigeladenen genutzt; im rückwärtigen (nördlichen) Teil befindet sich ein Öltank des Beigeladenen.
3
Mit Bescheid vom .. Oktober 2018 erteilte das Landratsamt W.-S. (im Folgenden: Landratsamt) dem Beigeladenen zunächst eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des bestehenden Lager- und Geräteraums in eine Cateringküche und einen Catering-Service. Der von dem Antragsteller hiergegen erhobenen Anfechtungsklage gab die Kammer mit Urteil vom 12. März 2020 (M 11 K 18.5576) statt, da das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhielt.
4
In der Folge erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen mit Bescheid vom .. April 2022 eine bauaufsichtliche Genehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung: best. Lager- und Geräteraum wird Cateringküche u. -Service; Befreiung von den Abstandsflächen auf dem Grundstück Fl.Nr. 3../.. der Gemarkung S.“. Nachdem ein dagegen gerichteter Eilantrag des Antragstellers Erfolg hatte (Beschluss der Kammer vom 11. August 2022 – M 11 SN 22.2635), hob der Antragsgegner die Baugenehmigung vom .. April 2022 auf, woraufhin das zugehörige Klageverfahren M 11 K 22.2634 eingestellt wurde.
5
Mit weiterem Bescheid vom … Februar 2023 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen erstmals eine Baugenehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung: Bestehendes Schlafzimmer wird Cateringküche“. Nach erneuter Überprüfung der Abstandsflächen im Zuge des hiergegen gerichteten Klage- und Eilverfahrens des Antragstellers (Az. M 11 K 23.1642 und M 11 SN 23.1643) nahm das Landratsamt diese Baugenehmigung vom … Februar 2023 mit Bescheid vom … Juni 2023 zurück (Ziff. I des Bescheids). Klage- und Eilverfahren M 11 K 23.1642 und M 11 SN 23.1643 wurden nach übereinstimmender Erledigungserklärung durch die Beteiligten eingestellt.
6
Mit Bescheid vom … Juni 2023 (Ziff. II des Bescheids) erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen erneut eine Baugenehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung: Bestehendes Schlafzimmer wird Cateringküche“. Eine Betriebsbeschreibung vom … November 2022 wurde zum Bestandteil der Genehmigung erklärt (Ziff. III). Von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO wurden Abweichungen gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO dahingehend zugelassen, dass die Tiefe der Abstandsflächen von der östlichen Außenwand des bestehenden Hauptgebäudes 2,15 m statt 3,55 m betrage (Ziff. IV.1) und vor der östlichen Wand des bestehenden Nebengebäudes (Lager- und Geräteraum und Öltank) 0 m statt 3 m (Ziff. IV.2). Weiter waren dem Bescheid Auflagen zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz beigefügt (Ziff. V. 4 – 16). In den Gründen des Bescheids wurde zu den erteilten Abweichungen ausgeführt, dass sich im Rahmen der vorzunehmenden Neubewertung der abstandsflächenrechtlichen Beurteilung des Gesamtgebäudes hinsichtlich des unmittelbar an die nachbarliche Grundstücksgrenze angliedernden, bestehenden Lager- und Geräteraums sowie des Raumes für den Öltank weder bauliche Änderungen noch Änderungen in der Nutzung ergäben, was eine Abweichung für diese Räumlichkeiten rechtfertige. Eine neue Nutzung solle lediglich in dem dahinterliegenden Schlafraum erfolgen, der sich im innenliegenden Bereich des Grundstücks befinde. Die durch das Abstandsflächenrecht geschützten nachbarlichen Belange würden deshalb im Vergleich zum bisherigen Zustand nicht verändert und daher nicht negativ beeinflusst. Die Einrichtung einer Cateringküche anstelle eines Schlafzimmers wirke sich auf die nachbarlichen Belange nicht spürbar aus, da der Lager- und Geräteraum unverändert bestehen bleibe und eine gewisse Pufferfunktion entfalte. Zudem sei dem Nachbarn die beengte Grundstücksituation bei Teilung des Grundstücks bekannt gewesen. Eine Verkürzung der nachbarschützenden Belange sei vorliegend von beiden Seiten bewusst in Kauf genommen worden. Die so erfolgte Grundstückssituation könne nicht dazu führen, dass geringfügige Nutzungsänderungen der bestehenden Räumlichkeiten generell ausgeschlossen würden. Den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Belangen des Eigentümers sei bei einem Altbestand, der die nach dem gültigen Recht geltenden abstandsflächenrechtlichen Anforderungen nicht einhalte und sich anders als bei der Neuerrichtung nicht mehr auf das geltende Recht einstellen könne, entsprechend Rechnung zu tragen. Das Interesse des Nachbarn, am bisherigen Zustand festzuhalten, sei gegenüber dem Interesse des Bauherrn, nicht mehr benötigten Wohnraum sinnvoll nachzunutzen, nicht höher zu bewerten, zumal aufgrund der unveränderten Bausubstanz die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange auch durch die geänderte Nutzung nicht über das bisherige Maß hinausgehend negativ beeinflusst würden. Das Vorhaben liege in einem faktischen Dorfgebiet und sei dort allgemein zulässig. Eine Verschlechterung der immissionsschutzrechtlichen Situation sei im Hinblick auf die Geringfügigkeit der Abstandsflächenüberschreitung im Bereich des umgenutzten Raumes nicht ersichtlich. Die aufgenommenen Auflagen seien aus immissionsschutzrechtlicher Sicht unabhängig von der Einhaltung der Abstandsflächen geboten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass ein Nachbar sich nicht auf einen Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften berufen könne, wenn er selbst mit seiner Grenzbebauung in quantitativ und qualitativ vergleichbarer Weise die Abstandsflächenvorschriften nicht einhalte. Die Grenzbebauung des östlichen Nachbargrundstücks verlaufe auf der gesamten Länge der Grenzbebauung des Baugrundstücks. Die Nutzungsänderung des Schlafzimmers betreffe zudem lediglich einen Raum des Hauptgebäudes. Die Abstandsflächen der dem Nachbargrundstück zugewandten Außenwand würden sowohl nach Rechtslage vor dem 1. März 2021 als auch nach aktuell gültiger Rechtslage nicht eingehalten. Eine Überschreitung erfolge im Bereich des umgenutzten Raumes lediglich auf einer Fläche von 0,32 m². Der übrige, nicht umgenutzte Teil des Hauptgebäudes halte die Abstandsflächen auf einer Fläche von ca. 4,90 m² nicht ein. Die äußerst geringfügige Überschreitung stütze die Annahme, dass nachbarliche Belange durch die Umnutzung nicht spürbar berührt würden. Eine Verschlechterung aus Gründen des Brandschutzes sei ebenfalls nicht gegeben, da die Öffnungen des ungenutzten Raumes den erforderlichen Brandschutzabstand einhielten und im Übrigen der Raum durch eine Brandwand in Richtung des angrenzenden Nachbarn abgetrennt sei.
7
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid durch seine Bevollmächtigte am 27. Juli 2023 Anfechtungsklage erhoben, welche unter dem Az. M 11 K 23.3743 bei Gericht anhängig ist. Zugleich wurde beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 27. Juli 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … Juni 2023 anzuordnen.
9
Zur Begründung des Eilantrags wurde mit Schriftsatz vom 8. August 2023 im Wesentlichen vorgetragen: Die erteilte Baugenehmigung verstoße erneut gegen die Vorschriften zur Einhaltung von Abstandsflächen und verletze den Antragsteller in seinen Rechten. Das genehmigte Vorhaben sei als wesentliche Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes abstandsflächenpflichtig. Die Umnutzung eines Wohngebäudes in eine Cateringküche zur gewerblichen Nutzung stelle eine wesentliche Veränderung dar, sodass trotz unveränderter Kubatur eine neue abstandsflächenrechtliche Gesamtbeurteilung vorzunehmen sei. Entgegen der Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid würden die nachbarlichen Belange des Antragstellers gegenüber dem bisherigen Zustand verändert. Naturgemäß gingen von einer gewerblich genutzten Küche, welche laut der Auflagen des Bescheids für 150 Stunden pro Jahr betrieben werden dürfe, andere Geräusche und Gerüche aus, als von einem Schlafzimmer; dabei lasse das Verhalten des Beigeladenen in der Vergangenheit erwarten, dass sich dieser an die Auflagen nicht halten werde. Die Erfahrung des Antragstellers zeige, dass sämtliche Gerätschaften, welche zum Betrieb des Gewerbes des Beigeladenen notwendig seien, die zu duldenden und hinnehmbaren Richtwerte für Geräuschimmissionen überschreiten würden. Auch die entstehenden Gerüche seien auf dem Grundstück des Antragstellers wahrnehmbar. Ohnehin sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beigeladene sein Schlafzimmer auf der Ostseite in eine Küche umnutzen wolle, wenn doch die Küche auf der Nordwestseite bereits bestehe. Die von der Küche im Nordwesten ausgehenden Einflüsse würden den Antragsteller wohl auch bei einer gewerblichen Nutzung kaum beeinflussen, wenn die Auflagen tatsächlich eingehalten würden und der Lagerraum an der Grenze tatsächlich nur als Grenz[garage?] genutzt werde. Die erteilten Abweichungen von den Abstandsflächen seien rechtswidrig. Unabhängig davon, ob die nachträgliche Grundstücksteilung, welche ausführlich im Verfahren M 11 SN 22.2635 thematisiert worden sei, als atypische Situation zu werten sei, erweise sich die Entscheidung als ermessensfehlerhaft. Die dem Beigeladenen erteilte Abweichung müsse unter Berücksichtigung des Zwecks von Art. 6 BayBO und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Gerade im Hinblick darauf, dass die gesetzlich vorgesehenen Mindestabstandsflächen von 3 m erheblich verkürzt würden, überwiege jedenfalls das Interesse des Antragstellers das Umnutzungsinteresse des Beigeladenen. Der Antragsgegner verkenne, dass die Zulassung der Abweichung nicht öffentlich-rechtlichen Anforderungen entspreche. Insbesondere brandschutzrechtliche Vorschriften seien im Rahmen der Ermessensentscheidung unberücksichtigt geblieben. Die dem Grundstück des Antragstellers zugewandte Hauswand des Wohnhauses des Beigeladenen verfüge derzeit über 2 Fenster und eine Türe. Da Öffnungen in Brandwänden unzulässig seien, liege ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 und 8 BayBO vor. Darüber hinaus habe der Antragsteller einen Anspruch darauf, dass der Charakter seines Wohngebiets erhalten bleibe. Die beantragte Nutzungsänderung beeinträchtige den Gebietscharakter jedoch wesentlich. Der Antragsgegner habe den Bescheid zwar mit Nebenbestimmungen zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz versehen, diese seien jedoch nicht geeignet die Rechte des Antragstellers zu wahren. Die Nebenbestimmungen seien nicht unter Androhung eines Zwangsgeldes erlassen worden, sodass eine hiermit verbundene Abschreckungsfunktion nicht erreicht werde. Zudem werde die Beweislast hinsichtlich der Einhaltung einiger Nebenbestimmungen auf den Antragsteller abgewälzt. In der Regel könne von der Bauaufsichtsbehörde nicht überprüft werden, ob die Betriebszeiten korrekt eingehalten würden. Hinzu komme der Umstand, dass trotz mehrfacher Anzeigen des Antragstellers bei der Aufsichtsbehörde ein behördliches Einschreiten bislang unterblieben sei und der Beigeladene seine Cateringküche ohne Genehmigung seit Jahren betreibe. Insgesamt verstoße die erteilte Genehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot. Der Antragsgegner habe die baulichen Verhältnisse und damit verbundenen Schallschutzprobleme erneut nicht ausreichend berücksichtigt.
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Mit Schriftsatz vom 7. August 2023 beantragte der Antragsgegner,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde unter Verweis auf Ausführungen im Verfahren M 11 SN 23.1643 im Wesentlichen ausgeführt, es spreche alles für ein Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache. Die Baugenehmigung vom … Juni 2023 verletze den Antragsteller keinesfalls in nachbarschützenden Rechten. Der Antragsteller könne sich weder auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs noch auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen. Gehe es um die Lösung einer Immissionskonfliktlage, reiche es in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben werde, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten. Das Vorhaben verursache bei dem Antragsteller keine unzumutbaren Lärm- und Geruchsimmissionen. Nach der Genehmigungsinhaltsbestimmung in Ziff. V.8 des Genehmigungsbescheids, welche auf das Betriebskonzept vom … November 2022 Bezug nehme, werde die Betriebszeit von 150 Stunden im Jahr nicht überschritten. Das Betriebskonzept sei Bestandteil des Bauantrags und beschränke diesen hinsichtlich der Betriebszeit. Der Betrieb der Cateringküche beschränke sich nach dem Betriebskonzept vom … November 2022 zudem auf die Monate Oktober bis April, da der Beigeladene von Mai bis September einen Freibadkiosk in A. betreibe, weshalb in dieser Zeit kein Cateringservice stattfinde. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass der Beigeladene den Cateringservice nur im Nebenerwerb betreibe, würden die 150 Stunden jährlich nicht unrealistisch erscheinen. Im Regelfall reiche es aus, wenn die Bauaufsichtsbehörde mittels Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung dem Bauherrn aufgebe, beim Betrieb der Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten. Dies sei vorliegend geschehen. Nach der Stellungnahme des technischen Immissionsschutzes vom … Dezember 2022 sei im Regelbetrieb mit keinen Überschreitungen der maßgeblichen Zumutbarkeitsgrenze zu rechnen, sodass weitere Regelungen nicht notwendig gewesen seien. Eine Bewehrung von Nebenbestimmungen mit Zwangsgeldandrohungen vermittele keinen Drittschutz und würde den Bauherrn unter Generalverdacht stellen. Ebenso wenig verfange der Einwand, wonach der Beigeladene die Cateringküche seit Jahren ohne Genehmigung betreibe, die Bauaufsichtsbehörde dagegen aber nicht eingeschritten sei. Beim präventiven Drittschutz gehe es allein um die Baugenehmigung, etwaiges baurechtswidriges Verhalten sei hier nicht verfahrensgegenständlich. Schließlich werde der Antragsteller durch die Erteilung der Abweichungen nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt. Die Abweichungen in Ziff. IV des Bescheids seien objektiv rechtmäßig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484) komme es nicht mehr auf das ungeschriebene Merkmal der „Atypik“ an. Die Erteilung einer Abweichung liege daher allein im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Die geforderte Abwägungsentscheidung habe das Landratsamt in der Begründung des Bescheids rechtsfehlerfrei vorgenommen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass ein Drittbetroffener keinen Anspruch darauf habe, dass ein Bauvorhaben in jeder Hinsicht mit allen objektiv zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen übereinstimme. Vielmehr könnten der Abweichung nur die öffentlichen Belange entgegengehalten werden, die durch die Maßnahme erstmalig oder stärker als bisher beeinträchtigt würden. Für eine Veränderung der Belichtung, Belüftung, Besonnung und des Wohnfriedens sei nichts ersichtlich. Der Lager- und Geräteraum sowie der Öltank würden weder in der Nutzung noch baulich geändert. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Öltank und der unselbstständige Lagerraum bis zum … Dezember 1997 als unbedeutende bauliche Anlagen in den Abstandsflächen zulässig gewesen seien, weshalb sie zumindest materiellen Bestandsschutz genießen würden. Auch in Bezug auf das Hauptgebäude sei keine spürbare Verschlechterung der geschützten Belange ersichtlich. Der Lager- und Geräteraum übernehme eine Pufferfunktion und kompensiere damit die leichte Unterschreitung der gesetzlichen Mindestabstandsfläche von 3 m. Das Schlafzimmer im Erdgeschoss, das zur Cateringküche umgenutzt werde, sei auf diese Weise vom Gebäude des Antragstellers aus nicht sichtbar. Das einzige Fenster der Cateringküche sei zur Straße hin ausgerichtet. Dadurch werde ein Sozialabstand hergestellt und der Wohnfrieden gewahrt. Das restliche Gebäude bleibe unverändert ein Wohngebäude, das sich in den Abmessungen und der Gestalt nicht ändere, weshalb hierfür die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO intendiert sei. Die Abstandsflächen des Hauptgebäudes lägen größtenteils auf dem Grundstück des Beigeladenen und würden nicht erheblich verkürzt. Es werde nicht übersehen, dass nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse nach Möglichkeit bereinigt und nicht verfestigt werden sollten. Hier in einer innerörtlichen Lage bestehe indes keine solche Möglichkeit. Der Beigeladene sei nicht imstande sein Wohnhaus zu versetzen oder das Grundstück des Antragstellers zu erwerben. Würde gefordert, dass untergeordnete Nutzungsänderungen des Bestandsgebäudes in jedem Fall ausgeschlossen seien, obwohl die Nutzung an sich bauplanungsrechtlich zulässig wäre, dann laufe dies auf ein Bauverbot hinaus, welches die in Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Baufreiheit unverhältnismäßig beschränke. Soweit der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139) bei einer Abweichung von den Abstandsflächen das Merkmal der „Atypik“ weiterhin für erforderlich halte, zugleich aber davon ausgehe, dass der Gesetzgeber in Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO erstmalig definiert habe, wann eine atypische Situation vorliege, würden auch diese Anforderungen eingehalten. Mit der zum 1. August 2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderung habe der Gesetzgeber die Anzahl der Regelbeispiele in Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO erheblich ausgeweitet und die Erteilung einer Abweichung generell in das intendierte Ermessen der Bauaufsichtsbehörde gestellt. Nunmehr sei die Erteilung einer Abweichung der Regelfall und nur in atypischen Fallgestaltungen sei eine solche abzulehnen. Vorliegend sei für eine Abweichung vom Regelfall nichts ersichtlich. Überdies könne sich der Bauherr vorliegend auf das Regelbeispiel aus Art. 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO berufen. Denn die Umnutzung in eine Cateringküche diene der Weiternutzung des bestehenden Wohnhauses. Der Wortlaut und die Systematik im Vergleich zu Art. 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BayBO würden zeigen, dass es auf eine rechtmäßige Errichtung des Gebäudes nicht ankomme.
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Der Beigeladene hat sich bislang weder im Klage- noch im Eilverfahren geäußert und auch keine Anträge gestellt.
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Auf Nachfrage des Gerichts reichte der Antragsgegner unter dem 8. September 2023 historische Genehmigungsakten zum Vorhabengrundstück nach. Eingehend auf den Vortrag der Antragsbegründung wurde zudem vorgetragen, dass Art. 28 BayBO nicht anwendbar sei, da es sich bei dem Bauvorhaben um ein Gebäude der Gebäudeklasse 2 handele.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren M 11 K 23.3743, die Gerichts- und Behördenakten der Verfahren M 11 K 23.1642 und M 11 SN 23.1643 sowie die Gerichtsakten M 11 K 22.2634, M 11 SN 22.2634 und M 11 K 18.5576 Bezug genommen.
II.
16
1. Der Antrag, welcher erkennbar nur gegen Ziff. II des Bescheids vom … Juni 2023 gerichtet ist (§§ 88, 120 VwGO), hat Erfolg.
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Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.07.1973 – 1 BvR 155/73, 1 BvR 23/73 – BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage s. auch BayVGH, B.v. 14.01.1991 – 14 CS 90.3166 – juris).
18
Zu berücksichtigen ist, dass im Rahmen der Nachbarklage eine Aufhebung der Baugenehmigung nicht allein wegen objektiver Rechtswidrigkeit in Betracht kommt, sondern nur, wenn dritt- oder nachbarschützende Normen verletzt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42, Rn. 89 ff.). Bei den vorliegend gerügten Vorschriften zur Einhaltung der Abstandsflächen handelt es sich um derartige nachbarschützende Vorschriften.
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Gemessen daran ergibt die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichts- und vorgelegten Behördenakten, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird.
20
1.1 Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Klage in der Hauptsache aller Voraussicht nach zunächst insoweit Erfolg, als die unter Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen erteilte Baugenehmigung für einen „Lager- und Geräteraum“ aller Voraussicht nach rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Nachbarrechten verletzt.
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1.1.1 Die Baugenehmigung erweist sich insoweit im Hinblick auf Vorschriften, die drittschützenden Charakter haben, bereits nicht als hinreichend bestimmt.
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a) Wie jeder Verwaltungsakt muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss – ggf. nach objektivierender Auslegung – das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommene Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und/ oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (ständ. Rspr., vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 23 m.w.N.).
23
b) Daran gemessen erweist sich die angefochtene Baugenehmigung in Bezug auf den in dem Grenzgebäude genehmigten „Lager- und Geräteraum“ nicht als hinreichend bestimmt. Die Bezeichnung „Lager- und Geräteraum“ umfasst sowohl die Möglichkeit einer privaten wie auch einer gewerblichen Nutzung. Letzteres erscheint vorliegend auch deshalb keinesfalls fernliegend, weil mit dem Bescheid gerade der Betrieb einer gewerblichen Cateringküche legalisiert werden soll und der Lagerraum im Kontext dieses Gesamtvorhabens beantragt wurde. Ausweislich der im Verfahren M 11 K 23.1642 vorgelegten Behördenakte hatte der Beigeladene zudem ursprünglich sogar eine unmittelbare Verbindungstüre zwischen dem „Lager- und Geräteraum“ in dem Grenzgebäude und der künftigen Cateringküche geplant. Soweit das Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid unterstellt, dass eine Nutzung als „Lager- und Geräteraum“ unverändert bleibe, ist unklar, von welcher Nutzung der Antragsgegner insoweit ausgeht. Die Kammer hat sich bereits im Rahmen des Klageverfahrens M 11 K 18.5576 selbst davon überzeugen können, dass im vorderen Bereich des Grenzgebäudes – ohne entsprechende bauaufsichtliche Genehmigung – eine Cateringküche eingerichtet und betrieben wird, welche nunmehr in das angrenzende Wohngebäude verlegt werden soll. Ein etwaiger Bestandsschutz einer früheren (privaten) Abstell-/ Lagernutzung wäre aufgrund der vorgenommenen Nutzungsänderung in eine gewerbliche Cateringküche entfallen.
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Die im streitgegenständlichen Bescheid vom … Juni 2023 in Bezug genommene Betriebsbeschreibung vom … November 2022 ist in der zugehörigen Behördenakte nicht enthalten; ein nicht unterschriebenes und auch nicht mit Genehmigungsvermerk versehenes Dokument zur näheren Beschreibung des Cateringservice findet sich lediglich in der Behördenakte, welche dem Gericht zu dem zwischenzeitlich aufgehobenen Bescheid vom … Februar 2023 vorgelegt wurde. Angaben zur geplanten Nutzung des „Lager-/ Geräteraums“ lassen sich indes weder dieser Betriebsbeschreibung noch sonstigen Antragsunterlagen entnehmen.
25
c) Die genehmigten Bauunterlagen stellen nicht sicher, dass das Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber dem Antragsteller einhält. Insoweit stehen maßgeblich Geräuschimmissionen inmitten, die von einer gewerblichen Lager-/ Abstellnutzung des unmittelbar an die Gebäudewand des Wohnhauses des Antragstellers angebauten Grenzgebäudes ausgehen können. Ob das Vorhaben die gebotene Rücksicht auf den Antragsteller nimmt, kann ohne Klarstellung, dass lediglich eine private Lager-/ Abstellnutzung zugelassen werden soll, oder aber – bei Zulassung eines gewerblichen Lager- und Geräteraums – ohne dezidierte Betriebsbeschreibung nicht beurteilt werden. Hierzu wäre etwa die Art der Nutzung als Lager- bzw. Geräteraum (insbes. mit Klarstellung, ob eine Nutzung ausschließlich in Zusammenhang mit der vor Ort betriebenen Cateringküche oder auch in Zusammenhang mit dem unter Ziff. 7 der Betriebsbeschreibung angesprochenen Freibadkiosk erfolgen soll), sowie die Anzahl und Tageszeit der Bewegungen einschließlich eines etwaigen Anlieferverkehrs näher zu erläutern und darauf zu untersuchen, wie sich dies schalltechnisch auf die unmittelbar angrenzende Wohnnutzung des Antragstellers auswirkt.
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1.1.2 Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine für eine gewerbliche Lager-/ Abstellnutzung des Grenzgebäudes erteilte Abweichung von den Abstandsflächen voraussichtlich Nachbarrechte des Antragstellers verletzen würde.
27
a) Das Vorhaben ist abstandsflächenpflichtig und hält die erforderlichen Mindestabstandsflächen von 3 m (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO) nicht ein, da sich das Gebäude unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindet. Die Einhaltung von Abstandsflächen ist nicht deshalb entbehrlich, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden müsste oder dürfte (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO), oder deshalb, weil es sich um eine Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes handelt, dessen Kubatur nicht geändert werden soll. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die den Beteiligten bekannten Gründe des Urteils vom 12. März 2020 (M 11 K 18.5576) Bezug genommen. Klarzustellen bleibt, dass ein etwaiger Bestandsschutz, den das Grenzgebäude als Garage möglicherweise genossen haben mag, durch die zwischenzeitliche Nutzungsänderung in eine gewerbliche Cateringküche erloschen ist. Der Bestandsschutz deckt die bauliche Anlage nur in ihrer jeweiligen Funktion (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1974 – IV C 32.71 – BVerwGE 47, 185).
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b) Art. 6 Abs. 7 BayBO, wonach bestimmte Gebäude ohne eigene Abstandsflächen oder in den Abstandsflächen eines anderen Gebäudes errichtet werden dürfen, ist nach summarischer Prüfung nicht einschlägig. Zwar können grds. auch Lager- und Abstellräume, Schuppen und Werkstatträume nicht gewerblicher Art unter die Regelung in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO fallen (vgl. Hahn in Busse/Kraus, 150. EL Feb. 2023, BayBO, Art. 6, Rn. 497). Dies setzt allerdings voraus, dass die in der Norm genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das Grenzgebäude weist ausweislich der genehmigten Eingabeplanung eine Länge von 12,78 m auf, sodass bereits die 9 m-Beschränkung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO überschritten wird.
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c) Die auf Grundlage des Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften hält der rechtlichen Nachprüfung voraussichtlich auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage nicht stand.
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aa) Maßgeblich ist Art. 63 BayBO in der ab dem 1. August 2023 geltenden Fassung vom 7. Juli 2023 (nachfolgend: Art. 63 BayBO n.F.). Für die Prüfung, ob eine baurechtliche Genehmigung Rechte eines Nachbarn verletzt, ist zwar grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung maßgebend. Eine nach diesem Zeitpunkt erfolgte Änderung der Sach- und/ oder Rechtslage ist allerdings zu berücksichtigen, wenn sie sich – wie vorliegend – zugunsten des Bauherrn auswirkt (sog. Meistbegünstigungsprinzip, vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – NVwZ 1998, 1179; BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 97).
31
bb) Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO n.F. soll die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen des Bauordnungsrechts zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO n.F. gilt dies insbesondere für
32
1. Vorhaben, die der Weiternutzung bestehender Gebäude dienen,
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2. Abweichungen von den Anforderungen des Art. 6, wenn ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Gebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird,
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3. Vorhaben zur Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energien,
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4. Vorhaben zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen.
36
Es entspricht dabei der ständigen Rechtsprechung des für die Kammer zuständigen 1. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Zulassung einer Abweichung Gründe erfordert, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. An dieser Rechtsprechung, der die Kammer folgt, hat der Senat auch nach der BayBO-Novelle 2021 festgehalten (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26, ebenso: 15. Senat: BayVGH, U.v. 19.9.2023 – 15 CS 23.1208 – juris Rn. 22). Eine Atypik ist demnach weiterhin erforderlich, um dem Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO entsprechen zu können. Dies gilt umso mehr, als durch die BayBO-Novelle 2021 die Tiefe der Abstandsflächen im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 5 BayBO in Wohngebieten auf lediglich 0,4 H, mindestens aber 3 m reduziert wurde – mit der Folge, dass im Regelfall damit ohnehin nur noch der gesetzliche Mindestabstand von 3 m einzuhalten ist.
37
Soweit der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris) für Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO in der vom 1. Februar 2021 bis zum 31. Juli 2023 geltenden Fassung angenommen hat, der Gesetzgeber habe nunmehr selbst definiert, unter welchen Voraussetzungen eine Abweichung erteilt werden solle, bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechung auf die deutlich ausgeweiteten Regelbeispiele des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO n.F. übertragen lässt (s.a. nachfolgend: Rn. 49 ff.).
38
Die seitens des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren nachgeschobene Auslegung des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO n.F., wonach es auf die Rechtmäßigkeit des bestehenden Gebäudes nicht ankomme und die Erteilung einer Abweichung nur in atypischen Fällen abgelehnt werden dürfe, erscheint jedenfalls als zu weitgehend. Denn danach müssten Behörden – vorbehaltlich einer vorzunehmenden Interessenabwägung – selbst grenzständig errichtete Schwarzbauten im Wege intendierter Abweichungen nachträglich legalisieren und zwar allein deshalb, weil diese faktisch vorhanden sind. Eine solche Auslegung führt offensichtlich zu weit. Richtigerweise setzt Art. 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO n.F. daher ein vorhandenes und in seinem Bestand geschütztes Gebäude voraus (so auch Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 149. Aufl., Art. 63, Rn. 41a). Auf einen solchen Bestandsschutz kann sich der Beigeladene indes infolge der zwischenzeitlichen Umnutzung des Grenzgebäudes in eine gewerbliche Cateringküche gerade nicht berufen.
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cc) Letztlich kann in Bezug auf das Nebengebäude offenbleiben, ob vorliegend eine „atypische“ Situation anzunehmen wäre; zu diesbezüglichen Zweifeln wird indes auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen des Gerichts im Beschluss vom 11. August 2022 (M 11 SN 22.2635) sowie die nachfolgenden Ausführungen unter Rn. 52 verwiesen. Denn selbst wenn das Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation bejaht oder ganz auf das Erfordernis einer Atypik verzichtet würde, erweist sich die im Rahmen der nach Art. 63 Abs. 1 BayBO zu treffende Interessenabwägung des Antragsgegners als voraussichtlich ermessensfehlerhaft.
40
So nimmt der Antragsgegner an, dass sich hinsichtlich des Grenzgebäudes weder bauliche Änderungen noch Änderungen in der Nutzung ergäben, was hier indes zu kurz greift, da sich die maßgebliche Ausgangslage in Bezug auf das bestehende Grenzgebäude auch den nachgereichten Behördenakten nicht entnehmen lässt und behördlicherseits, wie zuletzt mit Schreiben vom 7. August 2023 von Seiten des Antragsgegners ausgeführt, in Hinblick auf Art. 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO n.F. auch gar nicht als entscheidungserheblich erachtet wird. Der Antragsgegner übersieht dabei offenbar, dass zumindest der vordere Teil des Grenzgebäudes einen etwaigen Bestandsschutz durch die zwischenzeitliche Nutzungsänderung in eine gewerbliche Cateringküche verloren hat. Damit hat die Behörde den für ihre Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt nicht vollständig ermittelt bzw. nicht zutreffend bewertet. Zur vorzunehmenden Interessenabwägung wird im Übrigen auf die Ausführungen des Beschlusses vom 11. August 2022 (M 11 SN 22.2635) und die nachfolgenden Ausführungen unter Rn. 54 verwiesen.
41
1.2 Die Klage des Antragstellers hat daneben voraussichtlich auch in Hinblick auf die genehmigte teilweise Nutzungsänderung des Wohnhauses des Beigeladenen in eine gewerbliche Cateringküche Erfolg.
42
1.2.1 Von Seiten des Antragstellers wurden in formeller Hinsicht keine Einwände gegen die erteilte Baugenehmigung erhoben und auch nach Auffassung der Kammer liegen insoweit im Ergebnis keine durchgreifenden Mängel vor.
43
Soweit das Betriebskonzept vom … November 2022 bislang nicht in unterschriebener und mit Genehmigungsvermerk versehener Form bei den Genehmigungsunterlagen enthalten ist (s.o. Rn. 24), kann dieser Mangel im Rahmen des Hauptsacheverfahrens jederzeit behoben werden und vermag daher die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die Cateringküche nicht zu rechtfertigen.
44
Soweit mit dem Bescheid Abweichungen von den Abstandsflächen sowohl für das Hauptgebäude als auch das bestehende Nebengebäude erteilt wurden, obwohl im Rahmen der Sachverhaltsdarstellungen des Bescheids lediglich von einem Abweichungsantrag in Bezug auf den Lager- und Geräteraum mit Öltank die Rede ist, kann der Eindruck entstehen, das Landratsamt habe in Bezug auf das Hauptgebäude eine von dem Beigeladenen überhaupt nicht beantragte Abweichung erteilt. Tatsächlich wird in den Antragsunterlagen (Bl. 31 f. d.BA) hinsichtlich des beantragten Abweichungsumfangs lediglich auf das Nebengebäude und nicht auch das Hauptgebäude abgestellt. In der Gesamtschau mit der Vorhabensbezeichnung und der eingereichten Eingabeplanung, der sich der Umfang der Abstandsflächenüberschreitung zeichnerisch eindeutig entnehmen lässt, legt die Kammer den Befreiungsantrag des Beigeladenen vom … Juni 2023 indes so aus, dass auch die für das Hauptgebäude erforderliche Befreiung mit beantragt werden sollte. Im Übrigen würde allein die Verletzung formeller Vorschriften der Nachbarklage des Antragstellers nicht zum Erfolg verhelfen (s. aber BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17, wonach im Falle der Abweichung von nachbarschützendem Abstandsflächenrecht auch die objektive Rechtswidrigkeit der erteilten Abweichung genügen soll; in der LT-Drs. 18/28882 wird das Antragserfordernis bei der Erteilung von Befreiungen explizit angesprochen) bzw. könnte ein entsprechender Abweichungsantrag im Rahmen des Klageverfahrens in der Hauptsache jederzeit von Seiten des Beigeladenen nachgeholt werden.
45
1.2.2 Das Landratsamt ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Zulassung der Nutzungsänderung nur unter Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen zulässig ist. Die erteilte Abweichung erweist sich indes auch unter Berücksichtigung der im Entscheidungszeitpunkt zugrunde zu legenden Gesetzeslage als voraussichtlich rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
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a) Die Nutzungsänderung des in der Südostecke des Wohngebäudes des Beigeladenen gelegenen Wohnraums in eine gewerblich betriebene Cateringküche führt unstrittig zu einer Neubetrachtung der von dem Gesamtgebäude geworfenen Abstandsflächen. Die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit der östlichen Gebäudewand ist damit in vollem Umfang neu zu prüfen; eine isolierte Betrachtung des von der Änderung betroffenen erdgeschossigen südlichen Wandbereichs kommt dabei nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 15 sowie gerade zur teilweisen Nutzungsänderung von Wohnin Gewerberäume: BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris Rn. 7). Das Landratsamt hat daher zu Recht nicht nur für das Grenzgebäude, sondern auch für das Hauptgebäude eine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt.
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b) Ausweislich der genehmigten Eingabeplanung hält das Hauptgebäude auf dem Vorhabengrundstück die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Die Einhaltung von Abstandsflächen ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes handelt, dessen Kubatur nicht geändert werden soll (s. bereits Rn. 27 sowie BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris Rn. 7).
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c) Die erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erweist sich voraussichtlich auch unter Berücksichtigung der seit dem 1. August 2023 geltenden Rechtslage als rechtswidrig, wobei die Frage der Atypik letztlich offenbleiben kann.
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aa) Aus Sicht der Kammer ist derzeit offen, ob die zu Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO in der vom 1. Februar 2021 bis zum 31. Juli 2023 geltenden Fassung ergangene Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris) auf die deutlich ausgeweiteten Regelbeispiele des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO in der seit dem 1. August 2023 geltenden Fassung übertragen werden kann. Die Klärung dieser auch für die künftige Kammerlinie grundlegenden Rechtsfrage kann nicht im summarischen Eilverfahren erfolgen. Nach lediglich überschlägiger Prüfung der Rechtslage merkt die Kammer dazu Folgendes an:
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Soweit der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angenommen hat, der Gesetzgeber habe mit Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO (a.F.) selbst definiert, unter welchen Voraussetzungen eine Abweichung erteilt werden solle und damit erstmals eine atypische Situation konkret festgelegt, betraf dies eine gesetzlich ganz konkret umschriebene Fallkonstellation, nämlich die Errichtung eines Wohngebäudes als Ersatzgebäude gleicher Kubatur für ein rechtmäßig errichtetes Gebäude. Damit verbunden war das in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angesprochene, konkret umrissene gesetzgeberische Ziel, vorhandene Wohnpotentiale zu reaktivieren und zu nutzen, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Der Gesetzesbegründung zur Neuregelung des Art. 63 BayBO (LT-Drs. 18/28882, S. 34) lässt sich demgegenüber lediglich entnehmen, dass die „Soll-Vorschrift“ des bisherigen Satzes 2 zugunsten der Antragsteller um weitere Fallgruppen, in denen Abweichungen in Betracht kämen, ergänzt werden und insbesondere die bislang nur für Wohngebäude geltende Regelung nunmehr für alle Gebäude gleicher Abmessung und Gestalt gelten solle, die ein rechtmäßig errichtetes Gebäude ersetzten. Auch bei einer engeren als der vorliegend von Seiten des Antragsgegners vertretenen Auslegung (s. Rn. 38), hätte die Annahme eines intendierten Ermessens bei der Erteilung von Abweichungen in den Fallgruppen des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO n.F. im Nachgang der BayBO-Novelle 2021 (erneut) weitreichende Konsequenzen für betroffene Nachbarn. Entgegen der vormaligen Intention des Gesetzgebers wird dabei nicht Wohnraum geschaffen, sondern – wie vorliegend – auch Wohnraum umgewandelt; zugleich werden abstandsflächenwidrige Zustände verfestigt.
51
Der Rechtsprechung zum sog. ungeschriebenen Merkmal der „Atypik“ liegt die grundsätzliche Erwägung zugrunde, dass bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt und im Wege der Abweichung zugelassen werden kann, während die Zwecke des Abstandsflächenrechts regelmäßig nur dann erreicht werden, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO hat damit zur Folge, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden (vgl. statt vieler nur BayVGH, U.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn.16). Dies gilt nach vorläufiger Auffassung der Kammer erst recht, nachdem im Zuge der BayBO-Novelle 2021 zumindest für den Regelfall eine deutliche Reduzierung der einzuhaltenden Abstandsflächen ermöglicht wurde und von Bauherren häufig ohnehin nur noch der gesetzliche Mindestabstand von 3 m einzuhalten ist. Werden von diesem gesetzlichen Mindestabstand im Wege einer „Soll-Vorschrift“ Abweichungen zugelassen, wird das nachbarschützende Abstandsflächenrecht in seinem Kernbereich tangiert. Dabei hat der Große Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 17. April 2000 (GrS 1/1999 – juris Rn. 16 f.) zum sog. 16m- Privileg ausgeführt, dass es sich bei den Regelungen des Abstandsflächenrechts um Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. d. Art. 14 GG handelt und sich eine Reduzierung auf 0,5 H einem Bereich nähere, in dem die Ziele des Abstandsflächenrechts angesprochen würden. Die Grenze der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit wurde bei 0,5 H als „noch“ nicht verletzt angesehen, wobei in der Entscheidung auch die aus dem 16m- Privileg resultierenden mittelbaren Vorteile der Nachbarn berücksichtigt wurden.
52
bb) Lässt sich die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2023 nicht auf die erweiterten Regelbeispiele des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO n.F. übertragen, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Kammer weiterhin einer Atypik als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal. Eine solche vermag die Kammer nach summarischer Prüfung vorliegend nicht zu erkennen. Zwar kann sich eine Atypik aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage in einem historischen Ortskern ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Kürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, U.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn.16), ein solche Lage ist hier indes nicht erkennbar und folgt insbesondere auch nicht aus dem besonderen Grundstückszuschnitt im Zuge der früheren Grundstücksteilung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen des Beschlusses vom 11. August 2022 (M 11 SN 22.2635, Rn. 30) und die dort in Bezug genommene Entscheidung der 29. Kammer (VG München, U.v. 15.9.2021 – M 29 K 20.2780 – juris) verwiesen. Die Entscheidung der 29. Kammer betreffend eine Nachbarklage gegen die (teilweise) Umnutzung eines Wohngebäudes in gewerbliche Büronutzung wurde im Nachgang auch durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt, wobei dieser maßgeblich darauf abstellte, dass die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderliche Interessenabwägung die erteilte Abweichung nicht begründen könne (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris).
53
cc) Selbst wenn das Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation bejaht oder ganz auf das Erfordernis einer Atypik verzichtet würde, erweist sich die zu treffende Interessenabwägung des Antragsgegners voraussichtlich als ermessensfehlerhaft.
54
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch insoweit zunächst auf die Ausführungen des Beschlusses vom 11. August 2022 (M 11 SN 22.2635, Rn. 40.) Bezug genommen, wonach die erfolgte Grundstücksteilung nicht einseitig zu Lasten des Antragstellers in die Abwägung eingestellt werden darf (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris Rn. 9). Dies hat das Landratsamt ausweislich der Ausführungen auf Seite 4 des Bescheids, letzter Abschnitt, jedoch erneut getan. Soweit sich die Sachlage gegenüber der Genehmigungslage des Bescheids vom .. April 2022 dahingehend geändert hat, dass die Cateringküche nicht mehr in dem Grenzgebäude selbst, sondern in der Südostecke des angrenzenden Wohngebäudes des Beigeladenen genehmigt werden soll, führt dies zwar zu einer Verringerung des Ausmaßes des Abstandsflächenverstoßes, was zu Gunsten des Beigeladenen zu berücksichtigen ist. Auch die nunmehr seitens des Landratsamts immerhin gewürdigte Brandschutzproblematik dürfte damit aller Voraussicht nach entschärft worden sein. Aufgrund der Unbestimmtheit des Bescheids in Bezug auf die genehmigte Lager-/ Abstellnutzung des Grenzgebäudes (s.o.) konnte dieses seitens des Antragsgegners jedoch nicht ohne Weiteres als „Puffer“ betrachtet werden. Ebensowenig muss sich der Antragsteller vor diesem Hintergrund einen eigenen quantitativ und qualitativ vergleichbaren Abstandsflächenverstoß entgegenhalten lassen, da sich eine private Wohnnutzung des Antragstellers und eine etwaige gewerbliche Lager-/ Abstellnutzung für die vor Ort betriebene Cateringküche (oder auch den weiteren Kiosk-Betrieb des Beigeladenen) nicht als qualitativ vergleichbar darstellen. Etwaige Unbestimmtheiten des Bescheids gehen insoweit zu Lasten der Behörde.
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2. Mit Blick auf die hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung bestehenden erheblichen Bedenken überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen, zumal der Beigeladene die Cateringküche nach eigenen Angaben nur als zeitlich eng begrenzten Nebenerwerbsbetrieb betreiben möchte.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, da er keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts.