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VG München, Urteil v. 31.10.2023 – M 5 K 20.32223
Titel:

Verfolgung wegen lesbischer Sexualität in Uganda nicht glaubhaft 

Normenketten:
AsylG § 3, § 74 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Fehlt es an einer nachvollziehbaren Schilderung insbesondere des Erkennens und Auslebens der Sexualität sowie des „inneren Ringens“ zwischen den erwarteten gesellschaftlichen Konventionen und der Erkenntnis bzw. dem Nachgeben der eigenen sexuellen Veranlagung, erscheint eine bewusste Entscheidung gegen die gesellschaftlichen Erwartungen nicht glaubhaft. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Uganda, Homosexualität, Lesbisch, Unglaubhaft, Angebliche Entführung in den Niederlanden, Asylrecht, Klagefrist, lesbische Sexualität
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33281

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die 1990 geborene Klägerin ist ugandische Staatsangehörige, reiste am … Mai 2019 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am … Juni 2019 einen Asylantrag.
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Bei ihrer Anhörung erklärte sie, dass sie aufgrund ihrer Homosexualität ausgereist sei. Sie habe auf der Schule im Jahr 2005 eine Freundin gehabt. Als das entdeckt worden sei, sei sie von ihrer Familie von der Schule genommen worden. Ihre Familie habe versucht, sie durch einen traditionellen Arzt von ihrer Homosexualität zu heilen. Von 2006 bis 2009 sei sie bei ihrem Bruder in einer anderen Stadt versteckt worden. 2009 sei sie zurückgekehrt und hätte eine Arbeitsstelle angenommen. Da habe sie wieder eine Beziehung mit einer anderen Frau aufgenommen. 2016 habe sie ihre Freundin kennengelernt. Am … Februar 2017 sei sie von ihrer Nachbarin beim Sex mit ihrer Freundin überrascht worden. Die Nachbarn hätten sie verprügelt. Dann sei die Polizei gekommen und habe sie verhaftet. Nach zwei Tagen habe ihr Bruder sie gegen Bestechung freibekommen. Weil auch eine Tante wegen der Klägerin von der Polizei mitgenommen worden sei, habe ihre Mutter entschieden, dass die Klägerin das Land verlassen müsse. Bis zu ihrer Ausreise am … April 2018 habe sie sich in ihrer Wohnung versteckt. Auf dem Flug von Uganda in die Niederlande sei sie betäubt worden. Dann sei sie aufgewacht und zwei Männer hätten versucht, sie zu vergewaltigen. Da sie ihnen aber vorgegeben habe, HIVpositiv zu sein, hätten sie von ihr abgelassen. Sie sei ein Jahr und zwei Wochen in einem Raum gefangen gehalten worden. Sie habe dann entkommen können, habe sich zum Bahnhof durchgefragt und sei mit dem Zug bis nach K* … gefahren.
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Bei ihrer ergänzenden Anhörung gab die Klägerin an, dass sie erst einen Monat vor ihrer Ausreise mit ihrer Freundin bei dessen Bruder in der Wohnung gewohnt habe, zuvor bei ihrer Mutter. Weil die Verwandten die Homosexualität der Klägerin nicht akzeptiert hätten, hätten sie im Jahr 2016 die Felder ihres Vaters verbrannt. Zunächst habe ihr Vater nicht geglaubt, dass sie homosexuell sei. Nachdem die Verwandten die Felder niedergebrannt hätten, sei ihr Vater aber auch der Ansicht gewesen, dass sie lesbisch sei. Den Widerspruch, dass ihr Vater im Jahr 2008 gestorben sei, die Verwandten die Felder etwa im Jahr 2016 abgebrannt hätten, könne sie nicht aufklären. Sie sei auch an Männern interessiert und habe auch Beziehungen zu Männern gehabt. Probleme wegen ihrer Homosexualität habe sie nur mit ihren Verwandten gehabt.
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Mit Bescheid vom … Juli 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Dieser Bescheid wurde der Klägerin am … Juli 2020 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Die Klagepartei hat am 4. August 2020 zur Niederschrift Klage erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … Juli 2020 wird in Ziffer 1) und Ziffern 3) bis 6) aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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3. Hilfsweise. Die Beklagte wird verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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4. Weiter hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen.
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5. Für den Fall einer eventuellen Klagefristversäumnis wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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Der Bescheid sei der Klägerin tatsächlich erst am … Juli 2020 ausgehändigt worden. Mit Schreiben vom … August 2020 bestätigte die für die Unterkunft zuständige Asylbetreuerin, dass sie den Brief am … Juli 2020 aus dem Briefkasten geholt habe, obwohl auf dem Schriftstück das Datum … Juli 2020 gestanden sei. Sie habe den Brief am selben Tag der Freundin und Zimmerkollegin der Klägerin mitgegeben. Es sei in letzter Zeit immer wieder vorgekommen, dass Briefe aus dem Briefkastenschlitz entnommen worden seien. Sie gehe davon aus, dass es hier auch so gewesen sei und die Person dann den Brief wieder in den Briefkasten geworfen habe. Mittlerweile sei ein neuer Briefkasten angeschafft worden.
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Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt und keinen Antrag gestellt.
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Am 30. Oktober 2023 fand mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Niederschrift vom 30. Oktober 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig.
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Vorliegend begann die zweiwöchige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG) erst mit der tatsächlichen Aushändigung des Bescheids vom … Juli 2020 an die Zimmerkollegin der Klägerin am … Juli 2020. Wie aus der Stellungnahme der Leiterin der Asylunterkunft vom … August 2020 hervorgeht, hat sie den Brief am … Juli 2020 der Zimmerkollegin der Klägerin übergeben. Zuvor war es aufgrund baulicher Unzulänglichkeiten möglich, dass aus dem Briefkasten Sendungen unbefugt entnommen und später dort wieder eingeworfen wurden. Das sei wohl auch wiederholt vorgekommen. Die Leiterin der Unterkunft hat in der zitierten Stellungnahme angegeben, dass sie sich ausdrücklich daran habe erinnern können, dass sie den gegen Postzustellungsurkunde vom … Juli 2020 zugestellten Bescheid erst am … Juli 2020 im Briefkasten vorgefunden und ihn der Zimmerkollegin der Klägerin übergeben habe. Die Klageerhebung am 4. August 2020 erfolgte damit fristgemäß. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist (§ 60 Abs. 1 VwGO) geht somit ins Leere.
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2. Die Klage ist unbegründet.
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a) Die Klägerin hat kein Verfolgungs- oder Lebensschicksal geschildert, das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 des Asylgesetzes/AsylG) rechtfertigen würde.
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Der Vortrag der Klägerin ist unglaubhaft. Das gilt insbesondere für ihren Vortrag, sie sei lesbisch und befürchte daher eine Verfolgung bei einer Rückkehr nach Uganda.
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Gerade in einer Gesellschaft wie der in Uganda, die gleichgeschlechtlicher Sexualität ablehnend gegenübersteht, ist das Bewusstwerden der eigenen lesbischen Sexualität ein Schritt, der eine Abweichung der persönlichen sexuellen Orientierung von der gesellschaftlich erwarteten Orientierung bedingt. Das bedeutet eine Distanzierung von den gesellschaftlichen Konventionen, was sich nicht in einem einfachen Erkennen der eigenen abweichenden Orientierung erschöpft, sondern einen Prozess erfordert – gerade in einem eine solche Form der Sexualität ablehnenden Umfeld. Hierzu hat die Klägerin nichts Überzeugendes vorgetragen. Insgesamt wirkt der Vortrag der Klägerin zu ihrer angeblichen Homosexualität sehr knapp, oberflächlich und aufgesetzt. Die Angabe, dass sie sich ihrer sexuellen Orientierung im Alter von 13 Jahren bewusst geworden sei und sie sich zu Frauen hingezogen fühle, „da es in ihr drin sei“, wirkt oberflächlich und aufgesetzt. Auch wenn im Alter von 13 Jahren noch keine intensive Auseinandersetzung mit dieser Problematik zu erwarten ist, muss doch angesichts der Rahmenbedingungen, wonach gerade in einer diese Form der Sexualität ablehnenden Gesellschaft wie der in Uganda eine lesbische Beziehung einen Verstoß gegen die Regeln darstellt, wenigstens ein Erkennen der Grundproblematik angegeben werden. Das gilt insbesondere mit Blick darauf, dass die Familie kein Schulgeld mehr für die Klägerin gezahlt habe, als sie gemerkt hätten, dass sich die Klägerin zu Frauen hingezogen gefühlt habe. Hierzu hat die Klägerin auch nicht ansatzweise etwas vorgetragen.
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Erst recht gilt das für das angeblich spätere Ausleben ihrer homosexuellen Veranlagung. Wenn die Klägerin vorträgt, dass ihre Familie ihr Lesbischsein strikt abgelehnt habe, hat sie lediglich angegeben, dass sie sich schlecht gefühlt habe, als ihre Familie sie davongejagt habe, für sie sei „das aber gut gewesen“, „sie fühle sich gut mit ihrem Lesbischsein“, wirkt das oberflächlich und platt. Ein „inneres Ringen“ zwischen den von ihr erwarteten gesellschaftlichen Konventionen und der Erkenntnis bzw. dem Nachgeben der eigenen sexuellen Veranlagung ist auch nicht ansatzweise vorgetragen worden. Ein solcher Prozess drängte sich geradezu auf, nachdem sich die Klägerin entsprechenden Erwartungen der Gesellschaft und insbesondere ihrer Familie gegenübersah. Zum Zwiespalt zwischen den nach außen erwarteten Konventionen gegenüber der eigenen sexuellen Veranlagung, hat die Klägerin auch nicht ansatzweise etwas vorgetragen (vgl. hierzu Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 332 ff.). Insgesamt wirkt der Vortrag der Klägerin zu ihrem angeblichen Lesbischsein äußerst oberflächlich, knapp und aufgesetzt. Das gilt auch mit Blick auf ihre Äußerungen beim Bundesamt zu dem Umstand, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühle. In der ergänzenden Anhörung am … März 2020 hat sie angegeben, dass sie kein Problem damit gehabt habe, anders zu sein, sie habe Spaß gehabt und es genossen. Das sind völlig oberflächliche Angaben. Wenn ihre Familie sie deswegen verstoßen haben will und sie sogar Angst davor habe, dass ihre Verwandten sie umbringen könnten (Anhörung vom …6.2019), dann setzt das Ausleben ihrer sexuellen Orientierung eine bewusste Entscheidung gegen die gesellschaftlichen Erwartungen voraus. Das hat die Klägerin aber nicht ansatzweise geschildert.
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Unterstrichen wird der Eindruck der Unglaubhaftigkeit des Vortrags der Klägerin durch den Umstand, dass sie angeblich über ein Jahr in den Niederlanden ohne erkennbaren Grund gefangen gehalten worden sein will. Die geschilderten Umstände, dass sie durch ein Getränk betäubt worden sein will und dann in einem Zimmer aufgewacht sein will, in dem sie etwa ein Jahr und zwei Wochen verbracht haben will, ohne dass die Entführer von ihr etwas gewollt oder sie näher befragt hätten, wirken völlig unlogisch und frei erfunden. Auch der Vortrag, dass die Entführer vom Versuch, sie zu gewaltigen abgelassen hätten, nachdem sie auf eine angebliche HIV-Infektion hingewiesen hätte, wirkt aufgesetzt. Hinzu kommt, dass es völlig unlogisch ist, wenn die Klägerin vorträgt, dass sie nach ihrer Flucht aus der Gefangenschaft nicht zur Polizei gegangen ist, sondern ohne Geld und Identitätsdokumente aus den Niederlanden mit dem Zug nach K* … gefahren sein will. Nach der Flucht aus einer Entführung drängt es sich auf, bei der Polizei um Schutz zu suchen und nicht mit der Bahn zu irgendeinem Ziel zu fahren, wobei ihr die Mittel für eine Fahrkarte völlig fehlten. Dieser Vortrag wirkt frei erfunden.
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b) Die von anderen Verwaltungsgerichten in Bezug auf Homosexuelle in Uganda vertretene Ansicht (vgl. VG Regensburg, U.v. 4.9.2017 – RN 1 K 17.32818 – juris S. 12 m.w.N.), dass insoweit die Voraussetzungen der § 3 ff. AsylG erfüllt wären, kommt für den vorliegenden Fall von vornherein nicht zum Tragen. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft vortragen können, lesbisch zu sein.
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c) Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Es sind keine Gesichtspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen in Frage stellen könnten. Für eine akut bestehende Erkrankung der Klägerin ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
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Da die Klägerin vor ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt ohne weiteres bestreiten konnte, wird ihr das auch bei einer Rückkehr nach Uganda möglich sein. Da ihr Vortrag unglaubhaft ist, dass sie angeblich lesbisch veranlagt sei, kann sie ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. Im Übrigen kann sie hierfür – landesüblich – auch auf die Hilfe ihrer Familie verwiesen werden.
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3. Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
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Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes vom … Juli 2020 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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4. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Nach § 83 b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.