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AG München, Endurteil v. 15.11.2023 – 1295 C 16480/22 WEG
Titel:

Rechtsmißbrauch, Eigentümerversammlung, Anderer Wohnungseigentümer, Übrige Wohnungseigentümer, Gemeinschaftsordnung, Streitwert, Treuwidrigkeit, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Mehrheitseigentümer, Elektronischer Rechtsverkehr, Negativbeschluss, Verwaltervertrag, Beschlüsse, Majorisierung, Stimmrechtsausübung, Beschlußfassung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung

Leitsatz:
Eine Majorisierung, die es dem Versammlungsleiter gestattet, die Stimme des Mehrheitseigentümers nicht zu berücksichtigen, liegt nur vor, wenn die Art und Weise der Stimmrechtsausübung die übrigen Eigentümer so offenkundig und ohne jeden Zweifel in treuwidriger Weise benachteiligt, dass der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Wohnungseigentümerversammlung
Fundstellen:
BeckRS 2023, 33275
LSK 2023, 33275
ZWE 2024, 125

Tenor

1. Der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der WEG F. Str. 41 - 45, 49 - 59, 59 a / S.str. 2 - 24 / V.str. 2 -16 / Il.Str. 17 -  23, 80. M. vom 28.10.2022 zu TOP 01.1 „Weiterbestellung der Bayerischen  Wert- und Grundbesitz Verwaltung GmbH“ gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
2. Es wird festgestellt, dass der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der  WEG F. Str. 41 - 45, 49 - 59, 59 a / S.str. 2 - 24 / V.str. 2 -16 / Il.Str. 17 -  23, 80. M. vom 28.10.2022 zu TOP 01.1 „Weiterbestellung der Bayerischen Wert- und Grundbesitz Verwaltung GmbH" als mehrheitlich angenommen verkündete Beschluss nicht angenommen wurde und als abgelehnt zu verkünden ist.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.  Beschluss Der Streitwert wird auf 248.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist als Eigentümerin mehrerer Einheiten Mitglied der beklagten WEG. Nach der Berechnung in der Teilungserklärung stehen ihr für die in ihrem Eigentum stehenden Einheiten 2.752 der insgesamt 3.317 Stimmen zu.
2
Die geltende Gemeinschaftsordnung enthält u.a. folgende Regelung:
㤠11 Gemeinschaftsordnung:
1. […] „Es stehen zu:
a. 10 Stimmen jedem Wohnungseigentümer und jedem Gewerbe-Teileigentum,
b. 1 Stimme jedem Teileigentum Kfz-Abstellplatz“
…“
3
Vor der Eigentümerversammlung am 28.10.2022 erteilte die Klägerin der Hausverwaltung eine gebundene Vollmacht u.a. dahingehend, dass zu TOP 01.1. mit „Nein“ abgestimmt werden sollte, ferner zu den vorgeschlagenen TOP 01.2.3 und 01.2.4 mit „Ja“.
4
Laut Protokoll der Eigentümerversammlung vom 28.10.2022 wurde unter TOP 01.1. folgender Beschluss gefasst:
„Die Eigentümergemeinschaft bestellt die Bayerische Wert- und Grundbesitz Verwaltung GmbH, A.straße 2, 8. N. für die Zeit vom 01.01.2023 – 31.12.2025 zur Verwalterin gemäß § 26 WEG.
Der derzeit vereinbarte Verwaltervertrag wird inhaltsgleich über den 01.01.2023 hinaus bis zum 31.12.2025 fortgesetzt, wobei folgende Änderungen vereinbart werden: […] Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen: einstimmig Enthaltungen: 1 Nein-Stimmen: 0
Darüber hinaus liegt eine Nein-Stimme des Mehrheitseigentümers Karo SCS, 41 avenue de la Liberte, 1931 Luxemburg vor. Laut weisungsgebundener Vollmacht soll die S2. GmbH zum Verwalter bestellt werden. Diese Stimmabgabe ist jedoch bereits wegen einer Stimmrechtsmajorisierung unwirksam, da der Mehrheitseigentümer insoweit Sonderinteressen verfolgt und sich mit seinem Stimmenübergewicht über den mehrheitlichen Willen aller anderen Eigentümer „nach Köpfen“ hinwegsetzen möchte. Ferner liegen für eine Neubestellung eines Verwalters anstelle der erforderlichen 3 Vergleichsangebote nur 2 Angebote vor. Hinzu kommt, dass die vom Mehrheitseigentümer vorgeschlagene S2. GmbH zur heutigen Versammlung nicht erschienen ist, sich nicht vorgestellt hat und gegenüber der WEG kein Angebot zur Bestellung und Abschluss eines Verwaltervertrags abgegeben hat; vielmehr liegt insoweit nur ein Vorschlag des Mehrheitseigentümers vor, die Südhausbau zu bestellen.
Somit ist die Bayerische Wert- und Grundbesitz Verwaltung gemäß Beschlussantrag zu TOP 1.1 einstimmig zur Verwalterin für drei Jahre (01.01.2023-31.12.2025) bestellt worden.“
5
Zu TOP 01.2 enthält das Protokoll folgende Angaben:
„TOP 01.2 Neuwahl der Fa. S2. zur Verwalterin
Die Mehrheitseigentümerin KARO 6 SCS schlägt als neue Verwalterin die Fa. S2. vor. Vertragslaufzeit 01.01.2023 bis 31.12.2025.
Basisvergütung monatlich:
Der Vertragsentwurf nebst Anlagen kann jederzeit im Eigentümerportal eingesehen werden. Bei Bedarf kann er gerne auch bei der Verwaltung angefragt werden.
Die Mehrheitseigentümerin KARO SCS bittet hierzu um folgende 5 Beschlüsse: siehe hierzu nachfolgende Unter-TOPs 1.2.1 bis 1.2.5 (sind wortgleich hier aufgenommen).
Keine Beschlussfassung (siehe hierzu TOP 01.1).“
6
Die Klägerin führt aus, dass der Verwalter den Beschluss zu TOP 01.1. in rechtswidriger Weise als angenommen verkündet habe, weil er zu Unrecht die Stimmen der Klägerin wegen angeblicher Majorisierung nicht gezählt habe. Die bloße tatsächliche Stimmenmehrheit der Klägerin reiche für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Majorisierung nicht aus, es lägen keine besonderen Umstände vor, die dies begründen würden. Die anderen Eigentümer hätten keinen Anspruch auf die Weiterbestellung gerade dieser Verwalterin.
7
Die Klägerin beantragt,
Der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der WEG F. Str. 41 - 45, 49 - 59, 59 a / S.str. 2 - 24 / V.str. 2 -16 / Il.Str. 17 -  23, 80. M. vom 28.10.2022 zu TOP 01.1 „Weiterbestellung der Bayerischen Wert- und Grundbesitz Verwaltung GmbH' gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt. Es wird festgestellt, dass der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der WEG F. Str. 41 - 45, 49 - 59, 59 a / S.str. 2 - 24 / V.str. 2 -16 / Il.Str. 17 -  23, 80. M. vom 28.10.2022 zu TOP 01.1 „Weiterbestellung der Bayerischen Wert- und Grundbesitz Verwaltung GmbH“ als mehrheitlich angenommen verkündete Beschluss nicht angenommen wurde und als abgelehnt zu verkünden ist.
8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte führt aus, die Klägerin habe aus reinem Eigeninteresse und daher rechtsmissbräuchlich und majorisierend ihre Stimmenmehrheit ausgenutzt. Sie wolle die bisherige Verwalterin, mit der seitens der übrigen Eigentümer ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe, loswerden, um eine andere Verwalterin gegen den Willen der anderen Eigentümer „durchzudrücken“. Die Südhausbau habe sich in der Versammlung nicht einmal vorgestellt. Bei Anwendung des Kopfprinzips hätte die Klägerin nur 2% der Stimmen. Die Stimmen der Klägerin könnten auch nicht einfach rückwirkend gezählt werden.
10
Im Übrigen wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
11
Die Klage ist zulässig.
12
1. Insbesondere ist das Amtsgericht München als Wohnungseigentumsgericht örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2 lit. c) GVG. Die Anfechtungsfrist des § 45 WEG ist eingehalten.
13
2. Die Klägerin hat zur Erreichung ihres Rechtsschutzziels zulässigerweise zunächst den aus ihrer Sicht rechtswidrig zustande gekommenen Beschluss angefochten und gleichzeitig Im Wege der Gestaltungsklage die Feststellung des aus ihrer Sicht richtigen Beschlusses beantragt (vgl. hierzu BeckOGK, WEG § 44 Rn. 26.1).
II.
14
Die Klage ist begründet.
15
Die Stimmen der Klägerin wurden zu Unrecht bei der Beschlussfassung und -feststellung nicht berücksichtigt. Ein Fall der Majorisierung liegt nicht vor.
16
1. In Abweichung von § 25 Abs. 2 S. 1 WEG können die Wohnungseigentümer durch Vereinbarung hinsichtlich der für die Mehrheitsberechnung maßgeblichen Stimmkraft anstelle des gesetzlich vorgesehenen Kopfprinzips auch z.B. das Objektprinzip anordnen (vgl. etwa BeckOGK, WEG § 25 Rn. 149).
17
Vorliegend ist dies in § 11 der Gemeinschaftsordnung so geschehen. Es gibt dabei keine Regelung, dass für die Stimmenzahl pro Einheit etwas Anderes gelten soll, wenn sich mehrere Einheiten im Eigentum desselben Eigentümers befinden.
18
Die bloße Gefahr der Majorisierung führt nicht zur Unzulässigkeit des Objektprinzips, weil die betroffenen Wohnungseigentümer durch die Möglichkeit der Anfechtung der im Einzelfall gefassten Beschlüsse vor rechtsmissbräuchlichem Abstimmungsverhalten des Mehrheitseigentümers geschützt werden (vgl. BeckOGK aaO, RN 130).
19
2. Ein Fall der Majorisierung, d.h. ein rechtsmissbräuchliches Abstimmungsverhalten des Mehrheitseigentümers, liegt nicht vor:
20
a) Grundsätzlich sind die Mehrheitsverhältnisse in einer WEG von den anderen Wohnungseigentümern hinzunehmen. Die Gemeinschaftsordnung ist bei Erwerb des Wohneigentums bekannt, über die Nachteile und Gefahren des Objektprinzips kann man sich informieren. Dass die eigene Meinung ggf. überstimmt wird, ist dabei auch bei anderen Regelungen der Entscheidungsfindung in einer Gemeinschaft immanent. Eine Kontrolle solcher Beschlüsse kann ggf. durch das Instrument der Anfechtungsklage oder einer anderen Beschlussklage erfolgen.
21
b) Die übrigen Wohnungseigentümer sind jedoch unabhängig von dieser Rechtsschutzmöglichkeit dann vor der Mehrheitsentscheidung eines einzelnen Mehrheitseigentümers zu schützen, wenn dieser seine Mehrheitsmacht rechtsmissbräuchlich ausübt.
22
Für die Annahme einer Majorisierung reicht es nicht aus, dass der mit den Stimmen eines Mehrheitseigentümers gefasste Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht oder dass ein Wohnungseigentümer aufgrund seines Stimmenübergewichts Beschlussfassungen blockiert, obwohl es ein Gebot ordnungsgemäßer Verwaltung wäre, einen positiven Beschluss zu fassen. Vielmehr muss die Art und Weise der Stimmrechtsausübung die übrigen Wohnungseigentümer so offenkundig und ohne jeden Zweifel in treuwidriger Weise benachteiligen, dass der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann (vgl. Bärmann WEG § 25 RN 201). Majorisierende Beschlüsse können dabei insbesondere unter dem Blickwinkel der Willkür, des Rechtsmissbrauchs oder einer unbilligen Benachteiligung Einzelner ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen.
23
Ausreichende Anhaltspunkte hierfür hat die Beklagte vorliegend weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich:
24
Der Wunsch der Klägerin nach einer Veränderung bei der Hausverwaltung stellt weder eine offenkundig treuwidrige Benachteiligung der übrigen Eigentümer dar noch gibt es Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit. Dass die übrigen Eigentümer „kopfmäßig“ mit überwältigender Mehrheit eine andere Entscheidung wollen, und trotzdem bei der Abstimmung in der Minderheit sind, ist eine Ausprägung des Objektprinzips und kein Grund, per se eine Majorisierung anzunehmen.
25
Vorliegend hatte die Klägerin selbst einen Verwalter vorgeschlagen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser objektiv ungeeignet oder von vornherein „parteiisch“ wäre. Die Klägerin wollte also die Gesellschaft nicht „in einen verwalterlosten Zustand“ laufen lassen, vielmehr wollte sie die Wahl eines neuen Verwalters erreichen. Ob dieser Beschluss – etwa mangels Vergleichsangeboten – ggf. anfechtbar gewesen wäre, ist im hiesigen Verfahren nicht zu entscheiden.
26
Im Übrigen geht die h.M. sogar davon aus, dass die Stimmabgabe eines Mehrheitseigentümers auch dann nicht unwirksam ist, wenn er trotz drohender Verwalterlosigkeit die Verwalterbestellung blockiert; der von der Minderheit gewünschte Verwalter ist daher nicht bestellt (vgl. Bärmann aaO, RN 103 m.w.N.).
27
3. Der Beschluss ist weiterhin festzustellen wie beantragt,
Es ist anerkannt, dass die erfolgreiche Anfechtung des „negativen“ Beschlusses allein in einer Konstellation wie vorliegend nicht zu einem positiven Beschluss im Sinne des wahren Beschlussergebnisses bei Berücksichtigung der zu Unrecht ausgeschlossenen Stimmen des Klägers führt. Die Klage auf Ungültigerklärung des zu Unrecht festgestellten negativen Beschlusses ist daher mit der Klage auf „Feststellung“ eines positiven Beschlusses zu verbinden (Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 85).
28
Um eine diesbezügliche Feststellungklage nicht ins Leere laufen zu lassen, ist folgerichtig die Abstimmung so nachzuvollziehen, als ob die zu Unrecht ausgeschlossenen Stimmen gewertet worden wären. Vorliegend lag eine gebundene Vollmacht der Klägerin zur Abstimmung vor, so dass dies unproblematisch möglich ist.
III.
29
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 709 ZPO.
30
Die Berechnung des Streitwerts erfolgt in Verfahren nach § 44 Abs. 1 WEG nach § 49 GKG.
31
Nach § 49 GKG wird der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festgesetzt. Er darf den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht überschreiten.
32
Das Gesamtinteresse der Parteien bestimmt sich im Fall einer Streitigkeit um die Bestellung des Verwalters nach dem in der restlichen Vertragslaufzeit anfallenden Verwalterhonorar (vgl. MüKoZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 3 Rn. 144 m.w.N.). Dies beträgt nach unstreitigem Vortrag der Klagepartei 248.000,00 EUR.
33
Nachdem der siebeneinhalbfache Wert des Interesses der Kläger darüber liegt, wird der Streitwert auf 248.000,00 € festgesetzt.
34
Eine Erhöhung auf Grund des Beschlussergebnisfeststellungsantrags ist nicht veranlasst, da der Antrag denselben Gegenstand betrifft.